Herr Jana, will die Stadt den Bürgern vorschreiben, mit welchem Verkehrsmittel sie unterwegs zu sein haben? Ist insbesondere der im Step beschlossene "Modal Split" eine Reglementierung und Bevormundung?
Selbstverständlich wollen wir niemanden bevormunden. Übrigens könnten wir es auch gar nicht. Wie sollten wir denn den Bürgerinnen und Bürgern vorschreiben, ob sie, wenn sie das Haus verlassen, jetzt zu Fuß, mit dem PKW, der Straßenbahn oder dem Rad unterwegs zu sein haben? Natürlich sind alle frei in der Wahl ihrer Fortbewegungsmittel, soweit ihre persönlichen Umstände dies zulassen. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass Mobilität tatsächlich für alle möglich ist. Denn die Voraussetzungen sind ja sehr unterschiedlich - Kinder und Jugendliche oder ältere Personen haben z. B. andere Mobilitätsbedürfnisse und sind in der Wahl der Verkehrsmittel oft eingeschränkt. Aber sie müssen ihre Ziele genauso gut und sicher erreichen können wie alle anderen. Der Modal Split ist für uns schlicht eine notwendige Mess- und Zielgröße. Er liefert uns Erkenntnisse über das reale Mobilitätsverhalten der Bürger, denn er sagt aus, welchen Anteil welches Verkehrsmittel an den Wegen der Leipzigerinnen und Leipziger hat. Außerdem ermöglicht er es dem Stadtrat, politische Vorgaben und damit Handlungsschwer-punkte für die Verwaltung zu formulieren. Im Übrigen wird er bereits seit 40 Jahren erhoben. Für jede Planung werden ja Eingangsdaten benötigt, und auch der Erfolg muss überprüfbar sein. Dazu bedarf es es eben solcher Messgrößen.
Wenn der Modal Split auch eine Zielgröße ist und das Ziel darin besteht, dass der Anteil der mit dem Kfz zurückgelegten Wege in den nächsten zehn Jahren sinken soll, enthält der Step dann nicht doch direkte oder indirekte Zwangsmaßnahmen?
Auch hier muss ich widersprechen. Es hat im Stadtrat zur Beschlussfassung keinen einzigen Antrag gegeben, irgendeine Maßnahme aus dem Plan zu streichen. Und dieser ist ja durchaus kontrovers diskutiert worden.
Aber einige Bürger benannten in ihren Briefen an die Verwaltung aufgrund der Berichterstattung in den lokalen Medien schon Genaues. Sie meinten, geplant sei der Rückbau von Straßen und Parkplätzen, der Autoverkehr solle extrem behindert und gegenüber anderen Verkehrsmitteln benachteiligt werden. Ampeln würden nun so umgestellt, dass Autos nicht mehr vorankämen, und überall würde Tempo 30 eingeführt, wenn nicht gar Tempo 20 oder 10. Dafür würde eine Minderheit von Radfahrern überproportional viel Raum bekommen.
Lassen Sie mich ein oft genanntes Beispiel nehmen, die Georg-Schumann-Straße. Man hat uns vorgeworfen, dass wir dort den Kfz-Verkehr durch die auf der Fahrbahn vorgenommene Markierung von Radstreifen auf die Gleise der Straßenbahn zwingen und so zusätzlich sogar noch die Tram behindern würden. Aber die Autos haben auch schon vorher die Gleise in der Georg-Schumann-Straße befahren, nur dass die Straße vierspurig war, während sie jetzt zweispurig ist. Bevor wir die besagte Markierung vornahmen, gab es weder Parkplätze noch Radverkehrsanlagen. Daher parkten viele Autos illegal auf dem Gehweg, und auch Radler wichen oft lieber auf die Gehwege aus. Dass das den Fußgängern und Geschäftsinhabern deutliche Nachteile einbrachte, liegt auf der Hand. Mit dem Ausbau der Max-Liebermann-Straße haben wir die Voraussetzung für weniger Verkehr auf der Georg-Schumann-Straße geschaffen. Der Vorschlag zur neuen Markierung kam aus der Bürgerschaft, der Stadtrat hat den entsprechenden Antrag beschlossen, und wir haben diesen umgesetzt. Jetzt können Autos ganz legal im Straßenraum parken, und es steht ein Radstreifen zur Verfügung. Seitdem sind die Fußwege wieder frei, der Radverkehr hat zugenommen, und die ansässigen Gewerbetreibenden sind ausgesprochen froh über die Lösung, die ihnen Auslagemöglichkeiten auf dem Gehweg und Parkplätze vor den Läden gebracht hat. Behinderungen der Straßenbahn gab es an genau zwei Kreuzungspunkten und nur zu Spitzenzeiten des Verkehrs. Teilweise haben wir auch diese bereits durch Ummarkierungen reduzieren können. Und der fließende Kfz-Verkehr ist kaum betroffen, da wir die Kreuzungen in ihrer Leistungsfähigkeit erhalten haben und es diese sind, welche die Leistungsfähigkeit einer Straße bestimmen. Die Georg-Schumann-Straße ist also ein sehr gutes Beispiel dafür, wie die Verkehrsverhältnisse insgesamt optimiert und verbessert werden können. Auch für die anderen Befürchtungen gibt es im Stadtentwicklungsplan keine Grundlage. Tempo 30 kennt beispielsweise auch jeder Leipziger, denn das ist bereits in so gut wie allen Wohngebieten der Stadt seit etwa 20 Jahren ausgewiesen - und nichts bekommen wir öfter als Briefe von Bürgern, die sich auch auf bestimmten Hauptstraßen Tempo 30 wünschen. Aber hier muss abgewogen werden. Denn das Hauptstraßennetz muss leistungsfähig bleiben. Aus diesem Grunde kann dies nur im Einzelfall geprüft werden, zum Beispiel an Schulen.
Wenn im Plan nichts von Zwangsmaßnahmen steht, bleibt aber noch der Vorwurf, mit dem Stadtratsbeschluss habe die Baubürgermeisterin nun einen Freibrief, all diese Dinge einfach festzulegen, und keiner könne mehr darauf Einfluss nehmen.
So wie der Stadtrat diesen Plan beschlossen hat, so hat er auch in den letzten 25 Jahren alle wesentlichen verkehrspolitischen Beschlüsse gefasst. Das ist sein verbrieftes Recht und seine Pflicht, und es kann ihm weder entzogen noch abgenommen werden. Der Stadtrat fasst bekanntlich auch die Planungs- und Baubeschlüsse zu Straßenbauvorhaben, denn auch dafür ist er zuständig. Nehmen Sie dann den breiten Beteiligungsprozess, den wir mit den Wirtschaftskammern, Vereinen, Verbänden, der Politik und den Bürgern zu diesem Plan durchgeführt haben, und betrachten Sie auch die intensive Beteiligung an den Planungen zur Karl-Liebknecht-Straße oder zur Könneritzstraße: Sie können daran erkennen, dass die Verwaltung äußerst interessiert ist an Lösungen, die von möglichst vielen Bürgern und Interessenvertretern getragen werden, weil sie gemeinsam gefunden wurden. Aber, wie gesagt, das letzte Wort in solchen Dingen hat der Stadtrat, und dort entscheiden Mehrheiten. Nicht jeder wird sich immer mit seinen Interessen vollständig berücksichtigt sehen.
Ein letztes noch: Es heißt, bei der Erarbeitung des Stadtentwicklungsplans Verkehr und öffentlicher Raum sei eine völlig veraltete Datenbasis verwendet worden. Wie verhält es sich wirklich?
Es geht bei diesem Vorwurf wieder um den Modal Split. Die Erhebungen dafür finden nur alle fünf Jahre statt. So ist es nicht verwunderlich, dass die Zahlen daraus zum Zeitpunkt einer Planerstellung nicht immer taufrisch sein können. Die Aufstellung des Stadtentwicklungsplans hat von der Analyse bis zum Beschluss des Planes unter Einschluss des aufwendigen Beteiligungsprozesses drei Jahre in Anspruch genommen. Aber die neuen Zahlen zum Modal Split aus der letzten Erhebung liegen jetzt vor und werden demnächst veröffentlicht. So viel kann ich jetzt schon sagen: Sie stellen den Plan nicht auf den Kopf.