Der Matthäikirchhof: Wo Geschichte Zukunft werden kann
Das Areal des ehemaligen Matthäikirchhofs ist einer der geschichtsträchtigsten Orte Leipzigs. Kaum irgendwo sonst sind so viele bis heute relevante Traditionen präsent, lassen sich die Kraftquellen dieser Stadt ebenso wie ihre historischen Brüche und Verwundungen auf so engem Raum erleben wie zwischen Fleischergasse, Brühl und Ring.
Auf dem Gelände des Matthäikirchhofs befanden sich auf einer früh befestigten Anhöhe Burg und Siedlung der "urbs libzi". Das im 13. Jahrhundert gegründete Franziskaner(Barfüßer)-Kloster und die 1699 wiedergeweihte Neue Kirche (seit 1876 Matthäikirche genannt) waren Zentren der Seelsorge, Gelehrsamkeit und Musikpflege. Bedeutende Persönlichkeiten vom Philosophen Fichte über den Fotochronisten Hermann Walter bis zum Organisten und Bibliotheksgründer Carl Ferdinand Becker lebten nahe der mehrfach umgestalteten Kirche; wichtige Gewerke vom Buchdruck über das Steinmetzhandwerk bis zur Goldschmiedekunst waren hier zuhause.
Während die Schauseite zum Ring hin um 1900 mit prachtvollen Geschäftshäusern ausgestattet wurde und Leipzigs Aufbruch zur modernen Metropole verkörpert, erhielt sich der rückwärtige Kirchhof lange seinen pittoresken Charme. Infolge des von Nazideutschland entfesselten Weltkrieges wurden Kirche und Viertel im Dezember 1943 großflächig zerstört. Ab 1945 zunächst Sitz der Amerikanischen Kommandantur und Sowjetischen Militäradministration, drückte mit "Runder Ecke" und bedrückenden Zweckbauten der 1980er Jahre die Staatssicherheit dem Quartier den Stempel ihres Überwachungsapparates auf. Im Herbst '89 mit dem Ruf "Wir sind das Volk" gewaltfrei besetzt, ist das Areal seither mit dem bürgerschaftlichen Aufbruch der Friedlichen Revolution verknüpft. Während Museen und Initiativen der Erinnerungskultur dieses Erbe engagiert wachhalten, braucht das in Teilen noch immer brachliegende Gelände nun einen architektonischen wie geistigen Aufbruch, der Leipzig einen Teil seiner im Krieg verlorenen Anmut zurückgibt und die demokratischen Potentiale einer spektakulären Geschichtslandschaft für morgen neu erschließt.
Machen Sie einen Hörspaziergang durch die Geschichte des Areals
Der Hörspaziergang der Leipziger Künstlerin Diana Wesser im Auftrag der Stadt Leipzig vermittelt die Geschichte des Matthäikirchhofs von der Urbs Libzi über die verschwundene Matthäikirche bis zu den heute teilweise leerstehenden Bürogebäuden der ehemaligen Stasi-Bezirksverwaltung. Anhand vertonter Hörspielminiaturen, in denen zahlreiche Expertinnen und Experten sowie Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu Wort kommen, wird das Publikum in diesem akustischen Geschichtslabor dazu eingeladen, in die verschiedenen Zeitschichten des Areals einzutauchen und den Ort mit neuen Augen zu entdecken.
Kommen Sie mit auf eine Zeitreise!
Den QR-Code zum Hörspaziergang finden Sie am Eingang zum Matthäikirchhof in der Großen Fleischergasse Leipzig oder unter diesem Link: zum Hörspaziergang
Bildergalerie
Abbruch der Häuser an der Kleinen Fleischergasse, um 1906 © Stadtgeschichtliches Museum Bilder vergrößert anzeigenDie Matthäikirche nach dem Umbau durch Oscar Mothes, um 1885 © Stadtgechichtliches Museum Bilder vergrößert anzeigenNeukirchhof Nr. 8, "Fotoatelier: Hermann Walter"; im Hintergrund Matthäi-Kirche; vom Töpferplatz aus, 1892/1894 © Stadtgeschichtliches Museum Bilder vergrößert anzeigenAnsicht Barfußgässchen mit Blick auf die Matthäi-Kirche, Kleine Fleischergasse, um 1903 © Stadtgeschichtliches Museum Bilder vergrößert anzeigenUmgestaltung des Areals zwischen Matthäikirchhof und Barfußgäßchen. Abriß der Häuser Kleine Fleischergasse 9-31 im Jahr 1906. © Stadtgeschichtliches Museum Bilder vergrößert anzeigenMatthäikirche; rechts "Müllers Hotel"; von der Töpferstraße aus, 1911 © Stadtgechichtliches Museum Bilder vergrößert anzeigenAnsicht vom Dietrichring aus (Töpfergasse, Matthäikirche), undatiert © Stadtgeschichtliches Museum Bilder vergrößert anzeigenDie brennende Matthäikirche am 04.12.1943 © Stadtgeschichtliches Museum Bilder vergrößert anzeigenBarfußgässchen/Kleine Fleischergasse, Lipsiabrunnen mit Blick auf die zerstörte Matthäikirche, um 1947 © Stadtgeschichtliches Museum Bilder vergrößert anzeigenDie zerstörte Matthäikirche, Juni 1950 © Stadtgeschichtliches Museum Bilder vergrößert anzeigen