Bürgerwerkstatt zur Haushaltsplanung 2015/16
Welche Investitionen sollen künftig im Kulturbereich getätigt werden? Welche Anforderungen gibt es an "gute" Schulstandorte und was dürfen diese kosten? Soll die Stadt Leipzig eine Abgabe zur Kulturförderung einführen? Diese Fragen zum städtischen Haushalt 2015/16 diskutierten rund 25 per Zufall ausgewählte Bürgerinnen und Bürger am 12. September 2014 im Paulinum der Uni Leipzig.
"Das meiste Geld geben alle Großstädte in Deutschland für Jugend, Soziales, Schule und Gesundheit aus", so Torsten Bonew, Bürgermeister und Beigeordneter für Finanzen, in der gemeinsamen Einführung mit Dr. Mario Hesse vom Institut für Öffentliche Finanzen und Public Management der Uni Leipzig. Bei den Ausgaben für Kultur liege Leipzig deutlich über dem Durchschnitt. Die höchsten Investitionen werden aktuell bei den Schulgebäuden getätigt - eine Besonderheit, die auf das Bevölkerungswachstum, insbesondere auf die wachsende Zahl an Kindern zurückzuführen ist.
Die Ergebnisse in aller Kürze
In drei Arbeitsgruppen erarbeiteten die Bürger Ideen und Vorschläge zu den oben genannten Themen, die im abschließenden Plenum vorgestellt wurden. Zu den Ergebnissen aus den Arbeitsgruppen wurden die Teilnehmenden um Abstimmung gebeten. Eine Mehrheit der Teilnehmenden wünschte sich:
- Kriterienkataloge, die durch einen systematischen Vergleich ermöglichen, wichtige Kulturinvestitionen und gute Schulstandorte zu identifizieren.
- Die Erprobung einer Kulturförderabgabe für Übernachtungsgäste in Leipzig zur Entlastung des Kulturetats.
- Eine weitere Einbeziehung in ähnlichen Workshops zu Haushaltsfragen der Stadt Leipzig
Zur detallierten Dokumentation der einzelnen Arbeitsgruppen (AGs) zu den Fragen:
AG 1: "Wie soll eine Priorisierung der aktuell anstehenden Investitionen im Kulturbereich erfolgen?"
AG 3: "Soll eine verpflichtende Kulturabgabe in Leipzig eingeführt werden?"
So geht es weiter
Die Ergebnisse wurden der Verwaltungsspitze in der Dienstberatung des Oberbürgermeisters Mitte November vorgestellt. Die Vorstellung für die Vertreter der Politik erfolgte im Dezember im Fachausschuss Finanzen. Alle Stadtratsmitglieder haben Zugang zu den Inhalten in Form einer Vorlage.
Die thematischen Präsentationen sowie die Ergebnisse der Diskussion finden Sie unter Download.
Zu Beginn der Veranstaltung werden die Rahmendaten des Haushalts erläutert.
Bilder vergrößert anzeigenDiskussion in Arbeitsgruppe eins: Wo sollen die Prioritäten im Kulturbereich liegen?
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Bilder vergrößert anzeigenDiskussion in Arbeitsgruppe drei: Soll es eine verpflichtende oder eine freiwillige Kulturabgabe in Leipzig eingeführt werden?
Bilder vergrößert anzeigenEin Bürger stellt die Ergebnisse seiner Arbeitsgruppe im Plenum vor.
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Arbeitsgruppe 1 "Wie soll eine Priorisierung der aktuell anstehenden Investitionen im Kulturbereich erfolgen?"
Ausgangslage
Es stellt sich immer wieder die Frage, was sich Leipzig an Kultur leisten will und leisten kann. Die lebendige Kulturszene und das vielfältige kulturelle Angebot sind ein wichtiges Markenzeichen Leipzigs. Jeder zehnte Euro der Stadt Leipzig fließt in diesen Bereich. Dennoch lassen sich mit den zur Verfügung stehenden Finanzmitteln nicht alle Investitionen im Kulturbereich umsetzen, sodass eine Prüfung und Priorisierung der anstehenden Kulturinvestitionen nötig ist.
In einem einführenden Gespräch erläuterte Susanne Kucharski-Huniat, Leiterin des Kulturamts der Stadt Leipzig, die Problematik konkret an aktuell anstehenden Investitionen im Kulturbereich. Derzeit sind folgende "offenen Baustellen" auf der Tagesordnung:
- Sanierung und Neukonzeption des Naturkundemuseums
- Standortfrage und Neukonzeption eines Sportmuseums
- Schaffung eines neuen, ergänzenden Theaterstandorts im Leipziger Westen
- Sanierung der Gebäudehülle Altes Rathaus (inkl. Brandschutz)
- Fertigstellung der Sanierung der Russischen Gedächtniskirche (2. Bauabschnitt)
- Fertigstellung der Leipziger Notenrouten
- Ständiger Bauerhalt (z. B. Fassadensanierung Coffe Baum)
Ergebnis
Um der Komplexität der Investitionsentscheidungen gerecht zu werden, entwickelten die Teilnehmenden ad hoc einen Bewertungsansatz, der folgende Indikatoren beinhaltet:
- kultur-/bauhistorische sowie touristische Bedeutung (z.B. das anstehende Jubiläum)
- Identitätsstiftung, stadträumliche und stadtkulturelle Funktion
- Zuspruch bzw. Nachfrage, Besucherzahlen, Wertschöpfungsketten
- Bauzustand, Dringlichkeit der Maßnahme, Realisierbarkeit in Stufen
- Investitionsvolumen, Kostenentwicklung, möglicher Fördermitteleinsatz, Querfinanzierung
- Insellösung vs. Synergien für die Stadt bzw. für den Stadtteil, Aktivierungs- bzw. Revitalisierungspotential
Nach einer Gewichtung der Indikatoren wurden vier der "offenen Baustellen" unter die Lupe genommen und bewertet: Im Ergebnis wurde die Sanierung und Neukonzeption des Naturkundemuseums als am wichtigsten eingeordnet, gefolgt von der die Standortklärung für ein Theaterhaus im Leipziger Westen, der Sanierung der Russischen Gedächtniskirche sowie des Alten Rathauses. Besonders interessant: Das Ergebnis dieses Verfahrens ergab ein anderes Meinungsbild als die vorangegangene Diskussion in der Arbeitsgruppe hätte erwarten lassen.
Die Mitglieder der Arbeitsgruppe empfahlen der Kommunalpolitik sowie der Verwaltung deshalb, die Entscheidungsverfahren durch vergleichbare Bewertung von Kriterien zu objektivieren. Der im Rahmen der Arbeitsgruppe entwickelte Bewertungsansatz müsse durch die Verwaltung und Politik gründlich geprüft und weiter entwickelt werden, so die Forderung.
Arbeitsgruppe 2 "Sollten die neuen Schulstandorte dort sein, wo die Nachfrage ist, oder dort wo leicht verfügbare und günstige städtische Grundstücke zur Verfügung stehen?"
Ausgangslage
Leipzig wächst und neue Schulstandorte werden benötigt. Der Entwurf der Schulnetzplanung weist Bedarf an vier neuen Gymnasien und fünf neuen Oberschulen auf. Die Nachfrage ist zwar räumlich nicht im Detail vorhersehbar, zeichnet sich aber in den innenstadtnahen Bereichen im Leipziger Süden, Westen, aber auch in den Bereichen unmittelbar nördlich des Zentrums ab. Da in diesen Gebieten geeignete Grundstücke nur schwer verfügbar sind, ist die Sicherstellung von Flächen für den Bau neuer Gymnasien eine Herausforderung.
Als Grundlage für die Debatte stellten Dr. Heike Förster und Henry Maier vom Amt für Jugend, Familie und Bildung die bisherige und zu erwartende Entwicklung von Schüler- und Klassenzahlen für Oberschulen und Gymnasien vor.
Am Beispiel der Standortfindung für ein neues Gymnasium im Zentrum der Stadt oder in den nördlich anschließenden Stadtvierteln wurde exemplarisch diskutiert, welche Kriterien und Argumente zu einer tragfähigen Entscheidung führen.
Ergebnis
Auch in dieser Diskussion wurde deutlich, dass für eine zielführende Standortdebatte ein Kriterienkatalog angelegt werden sollte.
- Nach einer Sammlung und Gewichtung verschiedener Kriterien stellte die Gruppe einen möglichst kurzen und sicheren Schulweg und eine gute ÖPNV-Anbindung als zentrale Kriterien heraus. Auch die Wirtschaftlichkeit und der Entwicklungsimpuls für den Stadtteil wurden als wichtige Entscheidungsgründe herausgearbeitet.
- Betont wurde, dass Standortentscheidungen nicht allein an die Individualinteressen aktuell betroffener Eltern und Schüler gebunden sein sollten, sondern im Zusammenhang mit anderen stadtweiten Interessen und Problemlagen abzuwägen seien.
Anhand von drei möglichen Standorten für ein Gymnasium in Mitte und Nord wurde der gemeinsam erarbeitete Kriterienkatalog angewendet. Zur Auswahl standen die möglichen Alternativen Matthäikirchhof, Hauptbahnhof Westseite sowie ein Grundstück im Bereich Max-Liebermann-Straße/ Delitzscher Straße.
- Da die Grundstückspreise sehr hoch und auch andere Nutzungen sinnvoll sind, schätzten die Teilnehmenden den Standort Matthäikirchhof als nicht weiter verfolgenswert ein.
- Schwieriger war die Entscheidung zwischen den verbliebenen Standortoptionen des Entwicklungsgebietes westlich des Hauptbahnhofes und der Fläche an der Max-Liebermann-Straße. Sprachen die zentrale Lage und die gute Anbindung an den Nahverkehr für den letztlich knapp präferierten Gymnasialstandort Hauptbahnhof Westseite, waren die geringen Vorbereitungskosten und das sich bereits in städtischen Eigentum befindlichen Grundstücks an der Max-Liebermann-Straße ein Vorteil.
Einen weiteren Diskussionsschwerpunkt bildete die mögliche Nutzung noch leer stehender Schulgebäude in Plattenbauweise in Stadtrandlage.
- Hier wurden Standorte in Grünau (ehemaliges Lichtenberggymnasium), in Leipzig-Paunsdorf (Hainbuchenstraße) und an der Höltystraße in Meusdorf betrachtet.
- Das Fazit: nur wenige dieser Gebäude kommen aus Sicht der Teilnehmerinnen und Teilnehmer für eine Wiederinbetriebnahme aufgrund hoher Sanierungskosten oder neuer Nutzungsanforderungen als Schulen nicht in Frage und eine genaue Prüfung ist im Einzelfall notwendig.
Arbeitsgruppe 3 "Soll eine verpflichtende Kulturabgabe oder eine freiwillige Kulturabgabe in Leipzig eingeführt werden?"
Ausgangslage
Im Gespräch mit Dr. Mario Hesse vom Institut für Öffentliche Finanzen und Public Management der Uni Leipzig und Tobias Kobe aus der Stadtkämmerei wurden folgende Informationen zusammen getragen:
Im September 2014 betrug die Schuldenlast der Stadt Leipzig knapp 662 Mio. Euro. Neben einer strikten Ausgabendisziplin können neue Einnahmequellen dazu beitragen, den Leipziger Haushalt zu festigen. Viele Kommunen befinden sich in der derselben Situation. In den letzten fünf Jahren hat daher eine verhältnismäßig große Anzahl von deutschen Städten eine Kulturförderabgabe (z. B. als "Bettensteuer", Kurtaxe) eingeführt. Diese Abgabe zielt darauf ab, Hotelgäste mit einem geringen Beitrag (ein bis zwei Euro) zur Finanzierung von Kultur heranzuziehen. Diese Abgabe ist nur zulässig für Hotelgäste, die aus privaten Gründen eine Stadt besuchen. Geschäftsreisende dürfen nicht einbezogen werden.
In Dresden hat man eine Kurtaxe von 1,30 Euro pro Hotelgast und Nacht eingeführt. Damit wird für 2014 ein Einnahmevolumen von knapp 5 Mio. Euro erwartet. Die Einführungskosten durch notwendiges Personal belaufen sich dort auf ca. 100.000 Euro. Ein Rückgang der Übernachtungszahlen ist nicht zu beobachten. Als Geschäftstourist gilt ein Übernachtungsgast, der zwischen 11:30 Uhr und 17:30 Uhr geschäftlich engagiert ist. Würde man das Modell von Dresden auf Leipzig übertragen, würde nach Schätzungen der Leipziger Kämmerei ein zusätzliches Einnahmevolumen von ca. 2 Millionen Euro erzielt werden können.
Hinweis: Die Diskussion fand vor dem Urteil Sächsischen Oberverwaltungsgericht statt, welches die Kurtaxsatzung der Landeshauptstadt Dresden für unwirksam erklärt.
Dieser Pflichtabgabe steht das Modell einer freiwilligen Kulturförderabgabe gegenüber.
Ergebnis
In einer angeregten Diskussion wurden die Vorteile von Pflichtabgabe und freiwilliger Abgabe den jeweiligen Nachteilen gegenüber gestellt.
- Im Ergebnis kam die Arbeitsgruppe zur Empfehlung, dass - sofern alle Rechtsfragen zur Einführung einer Kulturförderabgabe geklärt sind - eine Kulturförderabgabe in Leipzig zumindest für eine Probezeit eingeführt werden sollte. Unter Berücksichtigung der Dresdner Erfahrungen mit einer Kurtaxe erwartet die Arbeitsgruppe die, dass die Vorteile der verpflichtenden Abgabe deren Nachteile überwiegen werden.
- Vorschlag: Weil die Pflichtabgabe nur Privattouristen treffen darf, könnte ergänzend eine freiwillige Abgabe in Hotels und Kultureinrichtungen initiiert werden, um auch Geschäftstouristen zu erreichen.
Eine verpflichtende oder freiwillige Kulturförderabgabe würde nur Übernachtungstouristen, nicht jedoch Tagestouristen treffen. Daher machte sich die Arbeitsgruppe ergänzend Gedanken dazu, inwieweit auch Tagestouristen zu einer vergleichbaren Abgabe herangezogen werden könnten und sollten.
- Eine Schwierigkeit wurde darin gesehen, dass die Bewohner von Leipziger Umlandgemeinden durch Finanzausgleichssysteme bereits indirekt zur Kulturfinanzierung in Leipzig beitragen.
- Die Idee einer größeren Preisstaffelung von Eintrittspreisen z.B. bei Theater- oder Konzertbesuchen wurde als Gegenentwurf eingebracht: Während die günstigen Preise nicht angetastet werden sollten, könnten besonders attraktive, prestigeträchtige Veranstaltungen (Premieren) oder Sitzplätze verteuert werden.
Abschlussdiskussion im Plenum
Die Ergebnisse der Arbeitsgruppen wurden von einem Team aus je einem Arbeitsgruppenmitglied und dem Moderator vorgestellt. Einige Empfehlungen fanden im Plenum volle Unterstützung, bei anderen lag ein differenziertes Meinungsbild vor.
Die AG "Prioritätensetzung bei Investitionen im Kulturbereich" ließ zu folgenden Fragen abstimmen:
- Sollen die Investitionen nach einem Kriterienkatalog auf Chancen und Risiken priorisiert werden (statt Einzelfallentscheidungen)? Ergebnis: mehrheitlich ja
- Welche der "offenen" Baustellen sollte die höchste Priorität haben? Ergebnis: 1. Naturkundemuseum, 2./3. Theaterhaus im Leipziger Westen und Altes Rathaus gleichrangig, 4. Russische Gedächtniskirche)
Die AG "Strategischer Flächenerwerb für neue Schulstandorte" stimmte folgende Fragen mit dem Plenum ab:
- Sollte die Stadt Leipzig für einen neuen Schulstandort mehr Geld für ein Grundstück ausgeben, damit die Wege für die Schüler kürzer sind? Ergebnis vor der Abstimmung: nach der Diskussion: mehrheitlich nein
- Was ist für Sie das wichtigste Kriterium bei der Wahl von Standorten für neue Oberschulen bzw. Gymnasien? Ergebnis vor der Diskussion: mehrheitlich ÖPNV-Anbindung. Nach der Diskussion: Wirtschaftlichkeit)
Die AG "Kulturförderabgabe" erzielte folgende Meinungsbilder:
- Soll eine verpflichtende Kulturförderabgabe für private Touristen eingeführt werden, wenn diese rechtlich abgesichert ist? Ergebnis: mehrheitlich ja
- Für den Fall, dass eine verpflichtende Kulturförderabgabe für private Touristen eingeführt wird: Soll zusätzlich eine freiwillige Abgabe für Geschäftstouristen eingeführt werden? Ergebnis: mehrheitlich ja
- Sollte eine größere Staffelung der Eintrittspreise bei Kultureinrichtungen (Gewandhaus, Oper, Theater) erfolgen? Ergebnis: mehrheitlich
Torsten Bonew zeigte sich erneut begeistert von den anregenden Ergebnissen, die mit dieser Art der Bürgerveranstaltung zu erzielen sind: "Ich verspreche Ihnen: Wir werden auch im nächsten Jahr wieder eine solche Bürgerwerkstatt zu anstehenden Haushaltsfragen veranstalten". Er versprach weiterhin, dass die Ergebnisse dokumentiert und in Form einer Informationsvorlage dem Finanzausschuss und der Verwaltungsspitze vorgelegt werden.