Bürgerwerkstatt zur Haushaltsplanung 2017/ 2018
Kann eine Diskussion über das komplexe System der Finanzierung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) in Leipzig mit zufällig ausgewählten Teilnehmern gelingen? "Ja, sie gelingt und liefert wertvolle Impulse und Perspektiven", so das Resumée zur Bürgerwerkstatt vom 23. August 2016 von Finanzbürgermeister Torsten Bonew. Dieser hatte per Post zufällig und repräsentativ ausgewählte Leipzigerinnen und Leipziger angeschrieben. Knapp 50 waren seiner Einladung in den Festsaal des Neuen Rathauses gefolgt und beschäftigten sich einen Abend lang damit, was Leipzigs Wachstum für den ÖPNV bedeutet und wie eine Finanzierung auch in Zukunft sichergestellt werden kann.
Wie sind die aktuellen Rahmenbedingungen für die Finanzierung des ÖPNV?
Zunächst erläuterte Torsten Bonew in einem kurzen Überblick den Kommunalhaushalt der Stadt Leipzig mit den Bezügen zum ÖPNV. Der Amtsleiter des Verkehrs- und Tiefbauamtes Michael Jana erklärte im Anschluss die grundlegende Finanzierung des laufenden Betriebs von Bussen und Bahnen sowie von Infrastruktur wie Gleisen oder Haltestellen (<link file:26398 präsentation über die finanzierung des Öpnv durch stadt>Präsentation 1,2 MB). Ulf Middelberg, Sprecher der Geschäftsführung der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB), ergänzte den Blick aus der Sicht der LVB (<link file:26399 präsentation einnahmen und perspektiven der>Präsentation 0,74 MB). Für die Diskussion in den Arbeitsgruppen waren die folgenden Rahmenbedingungen grundlegend:
Bei dem prognostizierten Wachstum der Leipziger Bevölkerung auf 720.000 Einwohner bis 2030 wäre eine Erhöhung der Fahrgäste von 138,1 Millionen im Jahre 2015 auf 177,56 Millionen im Jahr 2030 zu erwarten. Erreicht man zusätzlich das verkehrspolitische Ziel, den ÖPNV-Anteil am Gesamtverkehrsaufkommen von aktuell 17,6 % auf 23 % im Jahr 2030 zu steigern, gäbe es insgesamt 68 % mehr Fahrgäste. In Zahlen wäre das ein Anstieg auf 232 Millionen ÖPNV-Nutzer. Gleichzeitig besteht bei der aktuellen Entwicklung die Gefahr, dass die notwendigen Ausgaben der Stadt Leipzig bis 2030 etwa doppelt so stark anwachsen könnten, wie die Einnahmen steigen.
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Arbeitsgruppe 1: Welchen Anteil vom ÖPNV finanziert die Stadt? Welche Handlungsspielräume gibt es?
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Arbeitsgruppe 1 prüften den Veränderungsbedarf und Handlungsspielraum der aktuellen Finanzierung über den städtischen Haushalt, in dem bisher 47 Millionen Euro für Betrieb und Investitionen des ÖPNV investiert werden. Dies ist nur ein Anteil an der Gesamtfinanzierung des ÖPNV, der auch über andere Wege, wie zum Beispiel Fahrgeldeinnahmen (50 %) finanziert wird.
Die Teilnehmenden befanden die durch die Stadt im Moment finanzierten Leistungen und Zuschüsse für richtig. Einzig bei Eintrittskarten zu städtischen Veranstaltungen wird eine Optimierungsmöglichkeit gesehen: ähnlich wie beim "Kombiticket Zoo", könnte auch bei anderen Tickets, wo der ÖPNV bisher im Preis inbegriffen ist, dies nur zur Wahl gestellt werden. Hintergrund des Wunsches ist, dass viele Gäste bereits ein Abonnement für den ÖPNV haben.
Für die Zukunft wurde das Wachstum der Fahrgastzahlen von den meisten Teilnehmern als Chance bewertet. Denn mehr Fahrgäste bedeuten auch mehr Einnahmen und diese tragen zur Finanzierung der ÖPNV-Leistung bei. Gleichzeitig wurde angemahnt: sowohl im möglichen Ausbau der Strecken, als auch an der Qualität müsse gearbeitet werden. Zudem soll eine attraktive und abgestufte Preispolitik für mehr Nutzer sorgen. Als gutes Vorbild wurde in diesem Kontext Wien mehrmals zitiert, wo es für verschiedene Zeitabschnitte (24/48/72 Stunden und so weiter) und verschiedene Gruppen angepasste Fahrscheine gibt (zum Beispiel Kinder, Senioren).
Die Auswertungen der Erfahrungen solcher attraktiver Modellstädte wurden als hilfreich eingeschätzt. Berücksichtigt werden muss dabei aber auch eine mögliche Erhöhung des Finanzierungsanteils der öffentlichen Hand.
Auch die bessere ÖPNV-Verbindung von Stadt und Region muss vor dem Hintergrund des ansteigenden Wachstums bereits heute mit berücksichtigt und nachhaltig geplant werden.
Arbeitsgruppe 2 und 3: Welche Alternativen zur ÖPNV-Finanzierung gibt es?
Zwei weitere Arbeitsgruppen beschäftigten sich mit der Frage, worin alternative beziehungsweise auch ergänzende Finanzierungsquellen liegen könnten. Dabei bestand Einigkeit, dass nur ein Finanzierungsmix in Frage kommt, bei dem sich verschiedene Einnahmemöglichkeiten ergänzen. Ein erstes Stimmungsbild der Teilnehmer mittels elektronischer Abstimmungsgeräte zeigte: Unternehmen oder Gebäudeeigentümer über eine erhöhte Grundsteuer verpflichtend an der ÖPNV-Finanzierung zu beteiligen, fand wenig Unterstützung. Die Variante ein sogenanntes Bürgerticket als Pflichtbeitrag für jeden Bürger einzuführen fand ebenso viele Befürworter wie Gegner. Ein Bürgerticket sei wenn überhaupt, nur mit Ausnahmen, zum Beispiel für Pflegebedürftige, denkbar.
Auch bei der Erhöhung der Parkgebühren und damit der Mitfinanzierung durch Autofahrer schieden sich die Geister. Dagegen fand die Idee einer Touristen-Taxe als verpflichtender ÖPNV-Beitrag bei Übernachtung durchaus Zustimmung. Die dadurch zu erwartenden Einnahmen seien allerdings begrenzt. Bei vielen der diskutierten Konzepte muss noch geprüft werden, ob ihre Umsetzung in Deutschland rechtlich möglich ist.
Einnahmezuwächse könnten natürlich auch durch Preissteigerungen erzielt werden. Dazu wurde der Vorschlag unterbreitet, nur die Einzeltickets zu verteuern, nicht die Abokarten. Im Hinblick auf Kosteneinsparung werden Effizienzreserven durch Digitalisierung ausgemacht, bei Personal existiert aber – das belegen Vergleiche mit anderen Verkehrsbetrieben – wenig Spielraum.
Wie geht es weiter?
Finanzbürgermeister Torsten Bonew zeigte sich am Ende begeistert von der Tiefe und Konkretheit der Diskussionen. Er bedankte sich bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern für die fruchtbaren Anregungen und Einschätzungen und versprach, dass die Ergebnisse der Bürgerwerkstatt in der Dienstbesprechung des Oberbürgermeisters und im Fachausschuss Finanzen vorgestellt werden. Die Vorschläge und Meinungsbilder fließen in die weiteren Erörterungen zur ÖPNV‐Finanzierung als wichtiger Beitrag ein.