Graffitiprävention in Leipzig
Graffiti im öffentlichen Raum: Kontroverse zwischen Kunst und Sachbeschädigung
Es gibt wohl kaum ein Thema, das derart polarisiert, wie Graffiti. Das Thema erhitzt seit Jahrzehnten die Gemüter und dennoch sind Graffiti aus dem Stadtbild größerer Städte nicht mehr wegzudenken. So hat sich Graffiti – trotz aller Kontroversen und oft berechtigter Kritik – weltweit als urbane Ausdrucks- und Kunstform etabliert und wird mittlerweile auch von der Wissenschaft als eine solche anerkannt. Zeugnis dessen ist etwa die zunehmende Salonfähigkeit der sogenannten „Street Art“, die zwar mit den ursprünglichen Graffiti häufig wenig gemeinsam hat, ohne die frühen Graffitibewegungen höchstwahrscheinlich aber auch nie entstanden wäre.
Vor diesem Hintergrund bedeutet graffitipräventive Arbeit heutzutage mehr, als nur das Vorbeugen von Sachbeschädigungen an Gebäuden durch technische oder bauliche Lösungen. Vor allem mit Blick auf die Zielgruppe der Sprüher/-innen ist für eine zeitgemäße und nachhaltige Graffitiprävention ausschlaggebend, Graffiti als urbane Kultur anzuerkennen, die „Natur vor Graffiti“ zu verstehen und die Diversität der Szene insbesondere hinsichtlich der verschiedenen Motivationen hinter dem Graffitisprühen zu erkennen. Dies ist wertvoll im Umgang mit Graffiti und Voraussetzung für adäquates und zielgerichtetes Arbeiten auf dem Gebiet der Graffitiprävention. So verfolgt graffitipräventive Arbeit grundsätzlich das Ziel, mithilfe strukturbezogener Angebote und individueller Partizipationsmöglichkeiten attraktive Anreize zu schaffen und die richtigen Impulse zu setzen, die – im Sinne des Kanalisierens und Kultivierens – das legale Ausleben dieser künstlerisch-kulturellen Interessen ermöglichen und befördern.
Prävention ist im Allgemeinen langfristig angelegt und speziell im Bereich Graffiti mit teils langwierigen Prozessen verbunden, weshalb eine spürbare Wirkung der Maßnahmen erst mittel- bis langfristig zu erwarten ist. Insbesondere um eine nachhaltige Verbesserung der Stadtsauberkeit zu erzielen und zugleich dem Status von Graffiti als anerkannte Kunst- und Ausdrucksform gerecht zu werden, sind präventive Ansätze in Verbindung mit konsequenter Strafverfolgung und der Beseitigung illegaler Graffiti einem rein auf Repression ausgerichteten Vorgehen vorzuziehen.
Entwicklung der Graffitiprävention in Leipzig
Mit dem „Programm zur Bekämpfung illegaler Graffiti in Leipzig“ (RBIII-1092/02 vom 21.08.2002) begann die Stadt Leipzig mit einem überwiegend restriktiven Umgang mit Graffiti. Der Effekt dieser Herangehensweise war jedoch entgegen der Erwartungen und so kam es in den Folgejahren zu einem erheblichen Anstieg der illegalen Graffiti im Stadtbild von Leipzig.
Eine Neuausrichtung erfolgte mit der 30. Sicherheitskonferenz des Kommunalen Präventionsrates Leipzig auf Initiative von Bürgermeister Rosenthal am 03. Dezember 2013: Präventivarbeit im Bereich „Graffiti“ sollte fortan mehr Aufmerksamkeit erhalten und im Zuge dessen ausgeweitet sowie zentral koordiniert werden. Mit dieser Neuausrichtung wurde auch der Grundstein der gegenwärtigen Leipziger Graffitiprävention gelegt.
Darauf aufbauend beschloss die Ratsversammlung am 19.03.2014 die Einrichtung einer pädagogisch orientierten Personalstelle, die bei einem etablierten und in der Szene anerkannten Träger der Jugend-/Kulturarbeit angesiedelt ist (Vgl. Nr. RBV-1993/14). In Umsetzung dieses Beschlusses richtete das Ordnungsamt auf der Ebene des Kommunalen Präventionsrates Leipzig zum 1. November 2015 die Koordinierungsstelle Graffiti (KSG) ein. Im Ergebnis eines vorab durchgeführten Vergabeverfahrens wird die KSG seitdem durch den Graffitiverein e. V. und den Urban Souls e. V. betrieben. Die KSG arbeitet mit der Stadtverwaltung und mit weiteren Partnern auf Grundlage des gemeinsam erstellten und vom Stadtrat im Jahr 2016 verabschiedeten Präventionskonzept „Graffiti“ zusammen. Das Präventionskonzept „Graffiti“ beschreibt unter anderem Zielgruppen, Handlungsfelder und Ziele und legt den Fokus der Graffitiprävention auf Maßnahmen mit sozialpädagogischem Schwerpunkt.
Um der sozialpädagogisch ausgerichteten Präventionsarbeit und der fachlichen Perspektive der Kinder- und Jugendhilfe stärkere Gewichtung zu verleihen, beschloss die Ratsversammlung im Jahr 2019, die Koordinierungsstelle Graffiti vom Ordnungsamt in das Amt für Jugend und Familie zu übertragen (Ratsbeschluss Nr. VI-DS-04575-DS-01). Im gleichen Zuge wurde im Amt für Jugend und Familie zusätzlich eine verwaltungsinterne Fachstelle Graffitiprävention geschaffen mit dem Ziel, graffitipräventive Aktivitäten der Stadtverwaltung zentral zu initiieren, zu steuern, zu koordinieren, fachlich zu unterstützen und letztlich die erfolgreiche Umsetzung des Präventionskonzepts „Graffiti“ verwaltungsseitig zu fördern.
Koordinierungsstelle Graffiti
Seit dem Jahr 2020 stehen der Koordinierungsstelle Graffiti jährlich etwa 100.000 Euro für Maßnahmen der Graffitiprävention zur Verfügung. Damit werden vor allem Informations- und Aufklärungsarbeit, legale Graffitiprojekte, die Schaffung zusätzlicher legaler Flächen für Graffiti sowie die Ergänzung, Bündelung und Koordinierung der bestehenden Präventionsarbeit – etwa in Schulen und in Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit – finanziert.
Die Vertreter/-innen der Koordinierungsstelle Graffiti unterstützen zudem Gremien innerhalb und außerhalb der Verwaltung mit ihrer Expertise. Sie erläutern theoretische Grundlagen der Graffitiprävention, geben Einblick in die Graffitiszene und deren diverse Motivationsfaktoren, informieren über aktuelle Erkenntnisse der Forschung oder berichten über die Umsetzung von Präventionsprojekten in Leipzig. Im Rahmen der Gremientätigkeit können nicht nur Informationen ausgetauscht, sondern auch Netzwerke geknüpft werden, welche die Zusammenarbeit fördern und potentielle Synergien aufzeigen.
Graffitiprävention als gesamtstädtische Querschnittsaufgabe
Eine möglichst rasche Graffitibeseitigung soll Anreize reduzieren, betroffene Flächen neuerlich zu besprühen. Daher stehen dem Ordnungsamt jährlich rund 260.000 Euro für die Entfernung illegal angebrachter Graffiti, Tags und Ähnlichem an städtischen Liegenschaften zur Verfügung. Strafrechtlich relevante Schmierereien werden schnellstmöglich entfernt. Über Einzelheiten zur Graffitientfernung an städtischen Gebäuden und Anlagen in den Jahren 2019/2020 und im ersten Quartal 2021 berichtete das Ordnungsamt im Rahmen einer Informationsvorlage (Nr. VII-Ifo-00367) in der Ratsversammlung.
Verkehrs- und Straßenschilder werden in Zuständigkeit des Verkehrs- und Tiefbauamtes im Rahmen der verfügbaren personellen und finanziellen Ressourcen mit erheblichem Aufwand von Graffiti und Aufklebern gereinigt beziehungsweise ersetzt. Verunreinigungen lassen sich nur in Ausnahmefällen rückstandsfrei und ohne Beschädigung der retroflektierenden Folien, mit denen Verkehrszeichen generell beschichtet sind, entfernen. Beschädigte Verkehrszeichen, die mit Aufklebern versehen oder mit Graffiti besprüht wurden, müssen häufig ausgetauscht werden. Aufgrund des hohen Aufwands ist es erforderlich bei der Instandsetzung der Beschilderung im Hinblick auf die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel Prioritäten zu setzen. Vorrangig werden dabei Verkehrszeichen beispielsweise im Rahmen der Schulwegsicherheit, in den Bereichen von Lichtsignalanlagen, Geschwindigkeitsbegrenzungen oder vorfahrtsregelnde Beschilderungen erneuert.
Im Rahmen des Projektes Stadtsauberkeit bildete der Eigenbetrieb Stadtreinigung zwei Mitarbeiter speziell für die Beseitigung von Graffiti aus, um insbesondere im Stadtzentrum und den umliegenden Vierteln möglichst schnell etwa Stadtmobiliar, Schaltkästen oder Papierkörbe von Graffiti und Aufklebern zu befreien. Im zweiten Quartal 2021 schaffte der Eigenbetrieb Stadtreinigung darüber hinaus einen Hochdruckreiniger zur umweltschonenden Entfernung großflächiger Graffiti an.
Entwicklung des Graffitiaufkommens
Die Polizeiliche Kriminalstatistik gibt Auskunft über die der Behörde bekanntgemachten Straftaten. Illegale Graffiti werden statistisch als Sachbeschädigung erfasst. Im Jahr 2021 machten illegale Graffiti einen Anteil von 40,3 Prozent der polizeilich registrierten Sachbeschädigungen im Stadtgebiet Leipzig aus. Bei der Interpretation der Fallzahlen gilt jedoch zu beachten, dass diese – wenn überhaupt – nur eine Annäherung an die tatsächliche Entwicklung der Delikte im Zusammenhang mit Graffiti darstellen. Dies ist einerseits im deliktspezifisch großen Dunkelfeld begründet. In der Kriminologie bezeichnet das Dunkelfeld die Differenz zwischen den amtlich registrierten Straftaten – dem Hellfeld – und der tatsächlich begangenen Kriminalität. Das Verhältnis zwischen Hell- und Dunkelfeld variiert, sodass mit dem Anstieg der erfassten Delikte nicht zwingend einhergehen muss, dass diese Straftat tatsächlich häufiger begangen wurde. Das Kontrollverhalten der Polizei sowie das Anzeigeverhalten der Bevölkerung sind maßgebliche Faktoren für den Umfang des Hellfeldes. Darüber hinaus ist die mengenmäßige Erfassung von Graffitidelikten äußerst komplex, da durch Graffiti durch eine/-n oder mehrere Täter/-innen an einem oder mehreren Objekten angebracht werden können, wobei die Eigentumsverhältnisse ebenso Einfluss nehmen. Auch aus diesen Gründen spiegelt sich die Zahl der ermittelten Tatverdächtigen nicht zwingend in der Aufklärungsquote wider.
Entwicklung der polizeilich erfassten Graffitidelikte und ermittelten Tatverdächtigen
Entwicklung der Aufklärungsquote im Deliktfeld Graffiti
Prävention und Repression
Präventive Arbeit im Allgemeinen ist langfristig angelegt und speziell im Bereich Graffiti mit teils langwierigen Prozessen verbunden, weshalb eine spürbare Wirkung der Maßnahmen erst mittel- bis langfristig zu erwarten ist. Insbesondere um eine nachhaltige Verbesserung der Stadtsauberkeit zu erzielen, sind präventive Ansätze in Verbindung mit konsequenter Strafverfolgung und der Beseitigung illegaler Graffiti einem rein auf Repression ausgerichteten Vorgehen vorzuziehen. Bei der Umsetzung präventiver Ansätze können die Anreizdimensionen des Graffitisprühens, beispielsweise Kreativität, Expertise und Kompetenzentwicklung, Gruppengefühl oder Leistungsorientierung, berücksichtigt und entsprechend kanalisiert werden. Die Schaffung legaler Graffiti-Flächen ermöglicht den künstlerischen Ausdruck und die Ausübung eines Hobbies, ohne sich im Zweifelsfall der Sachbeschädigung strafbar zu machen.