Kriminalitätsfurcht und Sicherheitsgefühl
Sofern über Kriminalität und Senioren gesprochen wird, taucht oft das sogenannte Kriminalitätsparadox älterer Menschen auf. Kurz gesagt besagt das Kriminalitätsparadox, dass Senioren zwar die geringste Opfergruppe innerhalb der polizeilichen Kriminalstatistik darstellen, demgegenüber jedoch die höchste Kriminalitätsfurcht empfinden. Nachfolgend wird die Kriminalitätsfurcht kurz beschrieben und erläutert, wo die Schwächen des Kriminalitätsparadoxes liegen.
Kriminalitätsfurcht: Begriffsklärung
Während sich in der Kriminologie der Begriff "Kriminalitätsfurcht" etabliert hat, werden oftmals auch die Begriffe "Sicherheitsgefühl", "subjektives Sicherheitsgefühl" oder "Sicherheitsempfinden" synonym verwendet. "Das Sicherheitsempfinden ist ein subjektiver Sachverhalt. Mit ihm drücken sich positive oder negative Empfindungen aus, inwiefern die Welt, in der man lebt, von Gefahren gekennzeichnet ist. Das Sicherheitsempfinden ist kein Abbild des Kriminalitätsaufkommens eines Wohnviertels, einer Stadt oder Region, sondern eine eigenständige Größe, welche die Folge individueller Urteile ist" (Mühler 2017, 7).
In Bezug auf die Kriminalitätsfurcht ist zunächst zwischen der personalen und sozialen Kriminalitätseinstellung zu unterscheiden. Die personale Kriminalitätseinstellung bezieht sich dabei auf die Einschätzung der persönlichen Gefährdung, die Kriminalitätsfurcht und kriminalitätsrelevantes Vermeide- und Schutzverhalten (siehe Boers 1991; Boers/Kurz 2001, 129). Die soziale Kriminalitätseinstellung umfasst die Kriminalität als soziales, gesellschaftliches Problem und bezieht sich damit auf einen komplexeren räumlichen Zusammenhang wie beispielsweise das Stadtgebiet Leipzig (siehe Boers/Kurz 2001, 129; Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen 2006, 3; Mühler 2017, 7). "Diese Unterscheidung ist wichtig, weil die Ergebnisse dieser Einstellungen meist recht unterschiedlich ausfallen. Das liegt daran, dass sich die personale Kriminalitätseinstellung weitgehend auf unmittelbaren Erfahrungen bezieht, während in die soziale Kriminalitätseinstellung Fremdurteile, insbesondere aus Medien einfließen" (Mühler 2017, 7).
In einem weiteren Schritt erfolgt bei der personalen Kriminalitätseinstellung eine Differenzierung in eine affektive (emotionale), eine kognitive (die Erkenntnis oder Wahrnehmung betreffend) und eine konative (verhaltensorientierte) Dimension. Die affektive Dimension bezieht sich dabei auf Gefühle der Angst und Unsicherheit, die kognitive Dimension auf die persönliche Risikoeinschätzung, Opfer einer Straftat zu werden, und die konative Dimension auf Verhaltensweisen zum Schutz vor Kriminalität (siehe Lüdemann 2006, 291; Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen 2006, 4).
Kriminalitätsfurcht älterer Menschen
Das Ausmaß der Kriminalitätsfurcht lässt sich empirisch untersuchen. In Leipzig erfolgt dies durch die Sicherheitsbefragung. Dabei handelt es sich um eine Bürgerbefragung zu Aspekten der Sicherheit in Leipzig, die bereits fünf Mal durchgeführt wurde (1995, 1999, 2007, 2011, 2016). Leipzig zählt damit zu den wenigen Großstädten bundesweit, die langfristig Sicherheitsumfragen als ergänzendes Messinstrument zur Polizeilichen Kriminalstatistik etabliert haben. Typische Fragen, um die oben angeführten Dimensionen prüfen zu können, sind beispielsweise:
- affektiv: Wie sicher fühlen Sie sich in der Gegend, in der Sie wohnen?
- kognitiv: Für wie wahrscheinlich halten Sie es, in den nächsten 12 Monaten Opfer eines Diebstahls zu werden (alternativ können auch andere Delikte wie Körperverletzung, Wohnungseinbruchs oder ähnliches erfragt werden)?
- konativ: Was unternehmen Sie selbst für Ihre Sicherheit?
Die Untersuchungen in Leipzig bestätigten in der Vergangenheit die Bedeutung des Alters, des Geschlechts und der Bildung für die Kriminalitätsfurcht. Des Weiteren können die Wahrnehmung von Ordnungsstörungen sowie das Vertrauen in die Arbeit der Polizei bedeutsam sein. Aus diesen Faktoren wird deutlich, dass bereits demographische Veränderungen oder Umzugsbewegungen die Kriminalitätsfurcht in einem Ortsteil oder einer Stadt beeinflussen können, ohne dass sich an dem tatsächlichen Kriminalitätsgeschehen etwas geändert hat. Die Bedeutung der Merkmale Alter und Geschlecht ist auch bei den Untersuchungen zu erkennen, die die bisherige Methode zur Messung der Kriminalitätsfurcht kritisieren (siehe Bug et al. 2015).
Das Kriminalitätsparadox
Die vorhandenen Befunde aus der polizeilichen Kriminalstatistik und Dunkelfelduntersuchungen weisen darauf hin, dass Senioren weniger oft Opfer einer Straftat werden als andere Gruppen wie Jugendliche, Heranwachsende oder Erwachsene bis zum 60. Lebensjahr. Die Anzahl der Raubüberfälle auf Senioren ist seit 2004 zudem stetig rückläufig. Die Polizeiliche Kriminalstatistik ist als alleinige Datengrundlage zwar nicht ausreichend, dennoch ist eine klare Diskrepanz erkennbar zwischen dem Maß an Angst bei Senioren, Opfer einer Straftat zu werden, und der tatsächlichen Anzahl an Straftaten gegen Senioren.
Für dieses Kriminalitätsparadox älterer Menschen gibt es unterschiedliche Erklärungsansätze. Eine Begründung wird darin gesehen, dass mit zunehmendem Alter und dem Geschlecht (Frauen) ein höheres Maß an persönlicher Verletzbarkeit empfunden wird. Ein anderer Ansatz bezieht sich auf ein stärker ausgeprägtes Vermeideverhalten, das heißt Personen mit höherer Kriminalitätsfurcht werden deshalb seltener Opfer, da sie Vorkehrungen zur Reduzierung des Opferrisikos treffen. Beispiel: Auf dem nächtlichen Nachhauseweg wird die frequentierte Straße benutzt und nicht der abseitig gelegene und schlecht beleuchtete Waldweg.
Verwendete Literatur
- Boers, K. (1991): Kriminalitätsfurcht. Über den Entstehungszusammenhang und die Folgen eines sozialen Problems, Pfaffenweiler
- Boers, K.; Kurz, P. (2001): Kriminalitätsfurcht ohne Ende?, in: Gewaltmythos zwischen Mythos und Realität, hrsg. von Günter Albrecht, Otto Backes und Wolfgang Kühnel, Frankfurt am Main
- Bug, M.; Kraus, M.; Walenda, B. (2015): Analoge und digitale Unsicherheiten: Eine neue Perspektive auf Kriminalitätsfurcht, in: DIW Wochenbericht 12/2015, Seiten 280-287
- Bundeskriminalamt (2013): Polizeiliche Kriminalstatistik, Bundesrepublik Deutschland, Jahrbuch 2014, Wiesbaden
- Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2012): Kriminalitäts- und Gewalterfahrungen im Leben älterer Menschen. Zusammenfassung wesentlicher Ergebnisse einer Studie zu Gefährdungen älterer und pflegebedürftiger Menschen, 5. Auflage, Berlin
- Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e. V. (2004): Ältere Menschen als Opfer polizeilich registrierter Straftaten, Hannover
- Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen (2006): Individuelle und sozialräumliche Determinanten der Kriminalitätsfurcht. Sekundäranalyse der Allgemeinen Bürgerbefragungen der Polizei in Nordrhein-Westfalen, Forschungsbericht Nr. 4/2006 der Kriminalistisch-Kriminologischen Forschungsstelle, Düsseldorf
- Lüdemann, C. (2006): Kriminalitätsfurcht im urbanen Raum. Eine Mehrebenenanalyse zu individuellen und sozialräumlichen Determinanten verschiedener Dimensionen von Kriminalitätsfurcht, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 2/ 2006, Seiten 285-306
- Mühler, K. (2017): Wissenschaftliche Einführung zum Verständnis für Sicherheitsbefragungen (Manuskript), Leipzig