Grußwort Präsident des Sächsischen Landtages Dr. Matthias Rößler zum 20. Jahrestag der Friedlichen Revolution
Es gilt das gesprochene Wort
Sehr verehrter Herr Bundespräsident,
sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
Herr Ministerpräsident,
Herr Oberbürgermeister,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
Sachsen war das Mutterland der Friedlichen Revolution. Dass es eine revolutionäre Veränderung der Verhältnisse geben würde, lag 1989, im Jahr der Entscheidung, in der Luft. Es konnte nicht mehr so weitergehen wie bisher. Die DDR war am Ende. In der Prager Botschaft erzwangen tausende Menschen ihre Ausreise. Das SED-Regime beging in eigener Selbstüberschätzung den Fehler, die Züge mit den Flüchtlingen über den Dresdner Hauptbahnhof zu leiten.
Und wieder waren es Tausende, die mit dem Ruf "Wir wollen raus!" versuchten, in
diese Züge zu gelangen. Hier eskalierte die Gewalt zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften.
Hier flogen Steine und Molotow-Cocktails. Und es erhob sich für alle die bange Frage:
Würde diese Revolution friedlich bleiben? Würden die Sicherheitskräfte schießen?
Würden die russischen Panzer eingreifen wie 1953?
Aber aus den Reihen der Demonstranten erschallte immer öfter der Ruf: "Wir bleiben
hier!" Es ertönte die Aufforderung: "Keine Gewalt!" Im Kessel von Dresden kam es am 8. Oktober 1989 zum Dialog zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Die Gruppe der 20 wurde geboren.
Am Vortag hatten in Plauen erstmals mehr als zehntausend Menschen für Reisefreiheit und demokratische Veränderungen in der DDR demonstriert. In der größten sächsischen Stadt, hier in Leipzig, steuerten die Ereignisse am 9. Oktober 1989 auf ihren Höhepunkt zu.
Würden die SED und ihre Sicherheitskräfte das revolutionäre Aufbegehren des eigenen Volkes mit Gewalt niederschlagen? Zumindest die Blutkonserven standen schon bereit. In Leipzig entschied sich, dass die erste gelungene demokratische Revolution in der deutschen Geschichte eine friedliche wurde.
Diesmal blieben die russischen Panzer in den Kasernen. Michail Gorbatschows Sowjetunion lehnte eine Unterstützung des SED-Regimes bei der Unterdrückung des eigenen Volkes ab. Persönlichkeiten der Stadt – ich nenne hier nur den Namen Kurt Masur – begannen den Dialog in die SED-Bezirksleitung hinein, appellierten an Vernunft und Menschlichkeit und verhinderten eine Eskalation der Gewalt. Ich werde nie vergessen, wie wir am Abend des 9. Oktober zu Tausenden in die Kreuzkirche und in die Kathedrale in Dresden strömten, mit den Leipziger Demonstranten hofften und beteten.
Ich werde nie vergessen, wie Bischof Reinelt an diesem Abend zu uns sagte, dass in Leipzig die Schützenpanzerwagen abziehen und dass alles friedlich bleiben wird. Nach diesem Wendepunkt entstanden überall in der DDR Runde Tische, wurde aus dem Dialog mit der Staatsgewalt Schritt für Schritt die demokratische Umgestaltung der Verhältnisse.
In Sachsen schufen sich die Runden Tische der Bezirke einen Koordinierungsausschuss zur Wiedererrichtung des Landes und gründeten am 3. Oktober 1990 auf der historischen Albrechtsburg zu Meißen unseren Freistaat neu.
Über hunderttausenden Demonstranten wehten weiß-grüne und schwarz-rot-goldene
Fahnen. Aus dem Ruf "Wir sind das Volk!" wurde der Ruf "Wir sind ein Volk!"
Mit der Friedlichen Revolution brachten die Menschen in Ostdeutschland nicht nur
die Mauer zum Einsturz. Sie schufen die Voraussetzung dafür, dass sich Deutschland mit der Zustimmung seiner Nachbarn in Ost und in West in Frieden, Demokratie und Freiheit wieder
vereinigen konnte.
An der Seite der anderen Völker Mittel- und Osteuropas, in einer europäischen Demokratie- und Freiheitsbewegung, haben sie zugleich auch der Teilung Europas ein Ende gesetzt.
Meine Damen und Herren!
Im Herbst 1989 haben die mutigen Demonstranten auf dem Leipziger Ring im besten
Sinne Weltgeschichte gemacht. Die Deutschen in Ost und West können stolz sein auf unsere Friedliche Revolution.
Dr. Matthias Rößler
Präsident des Sächsischen Landtages