Bisherige Preisträgerinnen des Caroline-Neuber-Stipendiums
Die Preisträgerin 2020/21: Marie Gourdain
Die in Frankreich und Prag lebende Künstlerin Marie Gourdain erhielt das 2020 erstmals vergebene Internationale Caroline-Neuber-Stipendium der Stadt Leipzig.
Die Künstlerin wurde insbesondere für ihren multidisziplinären künstlerischen Ansatz und den europaweiten Radius ihrer Arbeit ausgezeichnet. In ihren Werken trete einerseits eine stringente, individuelle choreografisch und bildnerische Handschrift hervor. Anderseits verstehe Marie Gourdain sich als Teil mehrerer lokaler Szenen und schätze die verlässlichen Arbeitsbeziehungen innerhalb einer Compagnie, womit ein direkter Bezug zur Caroline Neubers Biografie gegeben sei. Mit Marie Gourdain kommt eine international und interdisziplinär agierende junge Künstlerin nach Leipzig, so die Jury in ihrer Begründung.
Mitglieder der Jury waren:
- Martine Dennewald, bisherige Künstlerische Leiterin Festival Theaterformen Braunschweig
- Meike Fechner, Geschäftsführerin ASSITEJ e. V. Internationale Vereinigung des Theaters für Kinder und Jugendliche
- Lisa Jopt, Schauspielerin und Vorsitzende des Ensemble-Netzwerks
- Agnès Limbos, Künstlerische Leiterin Compagnie Gare Centrale Brüssel
- Carena Schlewitt, Intendatin Hellerau - Europäisches Zentrum der Künste Dresden
Arbeitsaufenthalt in Leipzig
Marie Gourdain nutzte das Stipendium, um in zwei Phasen an ihrem Projekt „Seismic“ zu arbeiten. Der Arbeitsort während des Arbeitsaufenthalts war das Lofft auf der Baumwollspinnerei.
Arbeitsbiografie von Marie Gourdain
- 1986 geboren
- Studium am École nationale supérieure des Arts Décoratifs (ENSAD) Paris sowie der Akademie für Kunst, Architektur und Design (Vysoká škola umělecko-průmyslová - VŠUP) in Prag
- Sie erhielt den Frédéric-de-Carfort-Preis (2011) und den ENSAD-Skulpturenpreis (2009) für ihre Arbeit in der Bildhauerei.
- In der Tschechischen Republik arbeitete sie von 2010 bis 2014 im Bereich des Animationsfilms, bevor sie zum Theater und Tanz zurückfand.
- Als Bühnenbildnerin hat sie für viele Choreografen gearbeitet, unter anderem Karine Ponties, Rita Gobi, Andrea Miltnerová, Barbora Látalová
- Parallel dazu trat sie 2015 dem französisch-tschechischen physischen Theater- und Tanzkollektiv tYhle bei und begann ihre choreografische Arbeit.
- Für die Post.Print-Ausstellung im Kunstmuseum Olomouc entwickelte sie im Januar 2020 die Performance Impression.
- Ihre Arbeit wird vom Studio ALTA, einer Plattform für zeitgenössischen Tanz in Prag und von der nationalen tschechischen Tanzorganisation Tanec Praha unterstützt.
Ihr künstlerisches Schaffen verbindet ihre Ausbildung in den bildenden Künsten mit dem zeitgenössischen Tanz, wobei sie sich auf die Elemente der grafischen und skulpturalen Komposition (Linien und Formen, Textur, Werte, Form, Proportion, Raum, Maßstab, Wiederholung und Rhythmus) und die detaillierte Analyse von Bewegung bezieht. Im Ergebnis entstehen komplexe choreografische Arbeiten, die eine Schnittmenge bilden aus einem sehr visuellen, ausgeformten und fokussierten Ansatz mit dem Körper und der Bewegung. Ihnen eigen ist eine Mischung aus verschiedenen Ausdrucksformen und körperlicher Präsenz sowie die Manipulation von szenografischen Requisiten und die Verwendung von Konstruktionen auf der Bühne. Dabei bleibt immer ein breiter Spielraum für Intuition, Improvisation und Humor.
Änderung des Caroline-Neuber-Preises zum Caroline-Neuber-Stipendium
Auf der Grundlage des Ratsbeschlusses 533/96 „Verleihung des ‚Caroline-Neuber-Preises‘“ vergab die Stadt Leipzig von 1998 bis 2016 den Caroline-Neuber-Preis, mit dem alle zwei Jahre weibliche Theaterschaffende, deren Wirken im Sinne der deutschen Schauspielerin und Theaterprinzipalin Caroline Friederike Neuber Maßstäbe gesetzt hat, geehrt wurden.
2017 wurde ein Konzept zur Neuausrichtung des Caroline-Neuber-Preises erarbeitet, welches das Förderprogramm in ein Stipendium umgestaltet. Das Konzept zum „Internationalen Caroline-Neuber-Stipendium der Stadt Leipzig wurde in der Ratsversammlung am 22.01.2020 beschlossen und das Stipendium erstmalig im Jahr 2020 vergeben.
Übersicht der bisherigen Preisträgerinnen des Caroline-Neuber-Preises.
Die Preisträgerin 2014: Gisela Höhne
Geboren 1949 in Suhl
Die promovierte Theaterwissenschaftlerin Gisela Höhne ist Schauspielerin, Regisseurin und vor allem künstlerische Leiterin des Theaters RambaZamba Berlin. Sie blickt auf mehr als zwei Jahrzehnte Theaterarbeit zurück, in deren Mittelpunkt die gemeinsame, nicht entfremdete Arbeit von Behinderten und Nichtbehinderten steht.
Wie Caroline Neuber vor ihr hat auch Gisela Höhne die Verantwortung für ein Ensemble übernommen - mit allem Engagement und der notwendigen Bereitschaft zum steten Kampf um Existenz und Anerkennung. Gisela Höhnes Inszenierungen besitzen immer eine klare gesellschaftliche Relevanz, sie setzt sich für die Menschen ein, mit denen sie arbeitet, sie ist eine unermüdliche und erfolgreiche Lobbyistin für ihre Truppe.
Der Caroline-Neuber-Preis wird einer Künstlerin verliehen, die mit jeder Arbeit ihrer professionellen Truppe neues theatralisches Terrain erobert und damit ein Publikum weit über Berlin und Deutschland hinaus begeistert.
Laudatio: Eva Mattes, Schauspielerin, Berlin
Die Preisträgerin 2012: Amelie Deuflhard
geboren 1959 in Stuttgart
„...Vergleichbar der Neuberin, welche in historischen Dokumenten als ausdauernd und kühn beschrieben wird, hat Amelie Deuflhard in den 90-er Jahren in Berlin und heute auf Kampnagel in Hamburg unermüdlich Möglichkeiten der Professionalisierung, Finanzierung und ästhetischen Selbstentzündung der von ihr geleiteten Theater geschaffen und politisch diskutiert.
Amelie Deuflhard ist eine Theater-Gründerin im besten Wortsinn. Sie hat ein Netzwerk von Theaterschaffenden etabliert, das kulturpolitisch seine Verankerungen gefunden hat und dessen Wege in und aus ihren Theatern heraus führen - so dass heute für denjenigen, der sich für innovatives Theater interessiert oder auf der Suche nach neuen Talenten ist, kein Weg mehr an ihnen vorbeiführt...“
Laudatio: Prof. Carl Hegemann, Dramaturg und Hochschullehrer (Berlin)
Die Preisträgerin 2010: Sasha Waltz
geboren 1963 in Karlsruhe
Sasha Waltz setzt mit ihren Choreografien - ob in freien Produktionen, an der Berliner Schaubühne oder in Kooperationen mit europäischen Theatern- und Opernhäusern Maßstäbe. Ihre Compagnie "Sasha Waltz & Guests" ist eines der erfolgreichsten internationalen Kulturunternehmen. Es steht für ein künstlerisches Kraftfeld, in dem junge Tänzer und Choreografen die Chance zur ästhetischen Auseinandersetzung und Weiterentwicklung erhalten. In der Auseinandersetzung mit den Strukturen und architektonischen Dimensionen der Schaubühne oder großer Museumsbauten, in Operninszenierungen, mit der Neuen Musik oder der Bildenden Kunst - im Dialog mit anderen ästhetischen Ansätzen prägt Sasha Waltz mit immer wieder neuen Arbeiten die Kunstform Tanz, beeinflusst und inspiriert Choreografen und Theaterleute weltweit und wirkt so in die Entwicklung anderer Kunstgattungen hinein.
Sasha Waltz & Guests steht für den Anspruch, künstlerischer Arbeit angemessene Strukturen zu geben. Als "company in residence" am neuen Ort für die Künste, dem Berliner Radialsystem V, erobert die Compagnie eine neue Bühne und ein neues Publikum für die Theaterkünste. Wie Caroline Neuber in ihrer Zeit steht Sasha Waltz im fast täglichen, existenziellen Kampf um die Durchsetzung ihres ästhetischen Anspruchs an die Kunstform Tanz wie um die materielle Absicherung der Arbeit mit ihrer Kompanie.
Laudatio: Carl Tham, Botschafter des Königreiches Schweden a.D.
Die Preisträgerin 2008: Ann Elisabeth Wolff
geboren 1953 in Halle (Saale)
Seit der Gründung der euro-scene 1991 hat sich Ann-Elisabeth Wolff mit nicht nachlassender Kraft für den Aufbau und den Erhalt dieses Festivals eingesetzt.Nach dem frühen Tod des Gründungsdirektors Matthias Renner, mit dem sie bereits das erste Programm konzipiert hatte, war sie ohne Zögern bereit, die Leitung und damit die volle Verantwortung für dieses Festival zu übernehmen.
Es ist ihr nicht nur gelungen, immer wieder die notwendige Finanzierung zu sichern und so eine beeindruckende Kontinuität zu schaffen, sie hat der euro-scene, dem ersten bedeutenden Festival für zeitgenössisches europäisches Theater in einem neuen Bundesland, mit wohldurchdachten Konzepten ein eigenes Profil gegeben. Die Programme sind nicht, wie so häufig zu beobachten, zusammen gemischt aus den gerade modischen, durch die Welt reisenden „events“ des aktuellen Theaterangebots, sondern mit Bedacht ausgesucht für ein spezielles Publikum in Leipzig und folgen erkennbaren inhaltlichen Linien und Themen.
Der große Zuspruch der Besucher, ihre kritische Offenheit gegenüber oft anspruchsvollen und radikalen Präsentationen zeitgenössischen Theaters und Tanzes sind Ergebnis dieser sorgfältigen Aufbauarbeit.
Angetrieben von einer immer wachen Neugier, unermüdlich auf Reisen und der Suche nach neuen, überzeugenden künstlerischen Ausdrucksformen hat Ann-Elisabeth Wolff mit der euro-scene ein Festival geschaffen, das zunehmend auch internationale Beachtung findet und ein interessiertes Publikum nach Leipzig lockt. Sie ist damit eine würdige Nachfolgerin von Caroline Neuber.
Laudatio: Wolfgang Tiefensee, Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung 2005-2009, Oberbürgermeister von Leipzig 1998-2005;
Michael Freundt, Stellvertretender Direktor Internationales Theaterinstitut (ITI), Geschäftsführer Dachverband Tanz Deutschland e. V.
Die Preisträgerin 2006: Karin Henkel
geboren 1970 in Köln
Frau Karin Henkel wird geehrt für ihre herausragende künstlerische Arbeit am Theater. Sie ist eine Regisseurin, die sich zumeist Theaterstücke aus dem Kanon der Weltliteratur wählt, deren dramatisches Potential das Ausgansmaterial für ihren Prozess der theatralischen Formung bildet. Sie verortet die dramatischen Konflikte in ästhetisch herausfordernder Weise in den heutigen gesellschaftlichen Verältnissen. Es gelingt Karin Henkel meisterhaft, ihre Figuren in der Gegenwart des Betrachters zu verankern, sie einem heutigen Publikum nahe zu bringen, ohne die dramatische Konstruktion der Autoren unkenntlich zu machen. Sie entwickelt die Substanz und macht auf theatralisch sinnfällige Weise deutlich, dass der Mensch Träger der von außen determinierten Werte seiner Zeit ist.
Laudatio: Carl Hegemann, Dramaturg an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz (Berlin)
Torsten Ranft, Schauspieler
Die Preisträgerin 2004: Nele Hertling
Geboren 1934 in Berlin
Frau Nele Hertling wird für ihr herausragendes Engagement für das Theater geehrt. Sie hat, insbesondere als Intendantin des Berliner Hebbel-Theaters, einen ganz entscheidenden Beitrag dazu geleistet, einen einseitigen Theaterbegriff in Deutschland aufzubrechen und neuen zeitgenössischen Ausdrucksforem Raum zu geben. Ihre Leistung bei der Durchsetzung modernen Tanztheaters in Deutschland kann nicht hoch genug veranschlagt werden.
Laudatio: Ulrich Eckhardt, langjähriger Intendant der Berliner Festspiele
Die Preisträgerin 2002: Constanze Lauterbach
geboren 1954 in Ronneburg/Thüringen
Frau Konstanze Lauterbach wird geehrt für ihre herausragende künstlerische Arbeit am Theater. Sie ist eine Regisseurin, die unbeirrbar von Moden und Marktgängigkeit das Ihre erzählt. Ihr Theater ist immer provokant, inhaltlich wie formal, aber es ist nie provokant zum Selbstzweck. Konstanze Lauterbach erfindet Bilder und szenische Vorgänge von einer originär theatralischen Kraft. Ihre komplexe Zeichensprache und radikale Subjektivität machen ihr Theater unverwechselbar.
Laudatio: Dagmar Borrmann, Dramaturgin am Staatstheater Wiesbaden, bis 2005 Chefdramaturgin am Schauspiel Leipzig
Die Preisträgerin 2000: Inge Keller
geboren 1923 in Berlin
Frau Inge Keller wird geehrt für ihre herausragende Schauspielkunst am Theater, bei Film und Fernsehen.
Seit fast fünf Jahrzehnten Ensemble-Mitglied des Deutschen Theaters ist sie eine - im besten Sinne - Einmaligkeit, unvergleichlich in ihrer Art, mit außergewöhnlichem Formbewußtsein und Hingabe an den Beruf. Mit scharfem Witz, scharfer Sprache und scharfem Blick für das Verhalten der menschlichen Spezies hat sie den großen Rollen ihres Faches ein unverwechselbares Profil gegeben und unsere Vorstellung von ihnen damit eindrücklich und nachhaltig geprägt. Das Publikum dankt es ihr mit großer Bewunderung, sie ist eine Schauspielerin um derentwillen man ins Theater geht.
Laudatio: Thomas Langhoff (1938-2012), Regisseur und Darsteller
Die Preisträgerin 1998: Jutta Hoffmann
geboren 1941 in Halle (Saale)
Bei Halle geboren, erst im Osten, dann im Westen, jetzt im Vereinten großartige und erfolgreiche Schauspielerin; zeigt keine Neigung, sich, was möglich wäre, auf den vorhandenen und zu erwerbenden Lorbeeren auszuruhen. Streng, liebevoll und unter uneitler Zurückstellung möglicher eigener Regieambitionen lehrt sie Studenten das schwierig zu handhabende Werkzeug des Schauspiels.
Laudatio: Ernst Schumacher (1921-2012), Theaterwissenschaftler und Kritiker