Leipzigs Musikerbe-Stätten erhalten das Europäische Kulturerbe-Siegel
Bilder vergrößert anzeigenThomaskirche © Peter Franke / PUNCTUM Bilder vergrößert anzeigenNikolaikirche © Hans-P. Szyszka / PUNCTUM Bilder vergrößert anzeigenBach-Archiv © Margret Hoppe Bilder vergrößert anzeigenAlte Nikolaischule © Marion Wenzel Bilder vergrößert anzeigenMendelssohn-Haus © Peter Franke / PUNCTUM Bilder vergrößert anzeigenHochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig © Peter Franke / PUNCTUM Bilder vergrößert anzeigenSchumann-Haus © Peter Franke / PUNCTUM Bilder vergrößert anzeigenVerlagshaus C. F. Peters © Peter Franke / PUNCTUM Bilder vergrößert anzeigenGewandhaus Leipzig © Rene Jungnickel Bilder vergrößert anzeigenEdelstahlintarsien der Leipziger Notenspur © W. Schneider Bilder vergrößert anzeigen
Leipzigs Entwicklung zur Handels-, Kultur- und Bildungsmetropole verbindet sich wie in nur wenigen europäischen Städten eng mit dem Musikleben. Nachhaltig prägten über Jahrhunderte hinweg eng verzahnte Musikinstitutionen sowie international bedeutende Komponisten Leipzigs Weg zu einer europäischen Bürgerstadt.
"Leipzigs Musikerbe-Stätten - Leipzig's Musical Heritage Sites" umfassen die Thomas- und Nikolaikirche, die Nikolaischule, das Bach-Archiv, das Mendelssohn-Haus, die Hochschule für Musik und Theater "Felix Mendelssohn Bartholdy", das Schumann-Haus, das Musikverlagsgebäude C. F. Peters mit Grieg-Begegnungsstätte sowie das Gewandhaus zu Leipzig.
Verbunden mit diesen Institutionen sind herausragende Komponisten: Johann Sebastian Bach wirkte 27 Jahre als Thomaskantor und Director musices in der Stadt. Felix Mendelssohn Bartholdy war Gewandhauskapellmeister und gründete das "Conservatorium für Musik" - die erste Musikhochschule auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands. Robert Schumann gründete die "Neue Zeitschrift für Musik" als Sprachrohr für die Moderne und beschäftigte Auslandskorrespondenten. Die Genannten, zudem Edvard Grieg, Gustav Mahler, Richard Wagner und andere, schufen Werke, die im Kanon europäischer Musik einen unverzichtbaren Platz einnehmen.
Die Route der Leipziger Notenspur verbindet die Stätten im städtischen Raum miteinander. Die Initiative verantwortet zugleich das Projekt "Europäische Notenspuren - Von Leipzig nach Europa", das zeigt, wie sich Leipzig zum Anziehungsort und Impulsgeber für den musikalischen Nachwuchs in Europa entwickelte.
Verlauf der Bewerbung
Vorausgegangen war eine Bewerbung zur Aufnahme auf die deutsche Tentativliste für das UNESCO-Weltkulturerbe, die im Juni 2014 abgelehnt und stattdessen eine Weiterentwicklung und Bewerbung um das Europäische Kulturerbe-Siegel empfohlen wurde.
Am 6. Oktober 2016 gab die Kultusministerkonferenz bekannt, dass deren Expertengremium die Bewerbung der Stadt Leipzig um das Europäische Kulturerbe-Siegel befürwortet und den Antrag "Leipzigs Musikerbe-Stätten - Leipzig's Musical Heritage Sites" als einzige deutsche Bewerbung zur Entscheidung an die Europäische Kommission weiterleitet.
Am 5. Dezember 2017 erklärte die Europäische Kommission, dass eine unabhängige Jury "Leipzigs Musikerbe-Stätten - Leipzig's Musical Heritage Sites" für das Europäische Kulturerbe-Siegel nominiert. Im März und Juni 2018 wurde das Kulturerbe-Siegel offiziell verliehen.
Festakt im Alten Rathaus am 13. Juni 2018
Die Vertreter Leipzigs Musikerbe-Stätten erhalten das Europäische Kulturerbe-Siegel. © Margret Hoppe Bilder vergrößert anzeigenOberbürgermeister Burkhard Jung eröffnet den Festakt. © Margret Hoppe Bilder vergrößert anzeigenDer EU-Kommissar für Bildung, Kultur, Jugend und Sport Tibor Navracsics hält ein Grußwort. © Margret Hoppe Bilder vergrößert anzeigenDer Musikwissenschaftler Prof. Dr. Sebastian Klotz (Berlin) hält die Festrede. © Margret Hoppe Bilder vergrößert anzeigen
Thomaskirche – Wirkungsort Johann Sebastian Bachs
Die Thomaskirche ist der Ausgangspunkt der Musikstadt Leipzig. Hier wurde im 13. Jahrhundert das Augustiner Chorherrenstift gegründet und mit ihm der Thomanerchor. Im 15. Jahrhundert wurde sie zur spätgotischen Hallenkirche umgebaut. Sie gilt als frühes, bedeutendes Beispiel obersächsischer Hallenkirchen. Später erhielt der Kirchturm seine barocke Turmhaube; Außenbau und Innenraum wurden neogotisch umgestaltet.
Mit der Reformation erfuhr die Kirchenmusik als gleichberechtigte Stimme der Verkündigung eine Neubewertung. Die Thomaskantoren erhielten fortan den Auftrag, die Verkündigung hauptsächlich mit eigenen Kompositionen umzusetzen. Nun begann die große Zeit von Thomaskirche, Thomasschule und Thomanerchor. Bedeutende Komponisten bekleideten das Amt des Thomaskantors. Zu ihnen gehörten Sethus Calvisius, Johann Hermann Schein, Johann Kuhnau, Johann Sebastian Bach, Friedrich Doles, Johann Adam Hiller, Moritz Hauptmann, Theodor Weinlig, der Lehrer von Richard Wagner war, oder Gustav Schreck. Im 20. Jahrhundert waren es Karl Straube, Günther Ramin, Kurt Thomas und Hans-Joachim Rotzsch, seit 1992 Georg Christoph Biller.
Nikolaikirche – Weiterer Wirkungsort Johann Sebastian Bachs
Die älteste Leipziger Kirche wurde im 12. Jahrhundert an der Kreuzung zweier wichtiger Handelsstraßen errichtet und ist dem Schutzpatron der Händler und Kaufleute St. Nikolaus geweiht. Ursprünglich im romanischen Stil erbaut, wurde die Kirche im Mittelalter mehrfach verändert und im 16. Jahrhundert zur spätgotischen Hallenkirche erweitert. Im 18. Jahrhundert erfuhr der Kirchenraum eine klassizistische Umgestaltung. Die prächtige Ausstattung bezeugt das damalige Selbstbewusstsein und die hohen kulturellen Ansprüche der Leipziger Kirchenvertreter und Bürger.
Am 7. Februar 1723 absolvierte Johann Sebastian Bach in der Nikolaikirche sein Probespiel für das Amt des Cantor Chori Lipsiensis und Director musices. Sie ist neben der Thomaskirche eine gleichrangige Leipziger Wirkungsstätte Bachs. Hier fanden beispielsweise die Uraufführungen seiner Johannes-Passion (1724) und des Weihnachtsoratoriums (1734) statt.
Bach-Archiv im Bosehaus – Private Musikpflege im Umfeld Johann Sebastian Bachs
Das Bosehaus am Thomaskirchhof ist Sitz der Stiftung Bach-Archiv Leipzig mit dem Bach-Museum, dem Forschungsinstitut und der öffentlichen Bibliothek. Zu Bachs Zeit befand sich das im 16. Jahrhundert errichtete Bürgerhaus im Besitz des wohlhabenden Kaufmanns Georg Heinrich Bose, der im 18. Jahrhundert hier wohnte und es im Stil des Barock umbauen ließ. Johann Sebastian Bach lebte mit seiner Familie direkt gegenüber in der heute nicht mehr erhaltenen alten Thomasschule. Beide Familien waren eng befreundet, Bach war im Bosehaus ein gern gesehener Gast. Im Südflügel des Hauses befindet sich der Sommersaal - ein kleiner barocker Fest- und Konzertsaal mit einer einzigartigen Musikergalerie, die durch ein bewegliches Deckengemälde verschlossen werden kann. Das Bosehaus mit seinem exklusiven, regelmäßig für Konzerte genutzten Festsaal stellt ein bedeutendes Zeugnis für die Leipziger Bürgerhauskultur des 18. Jahrhunderts dar.
Mendelssohn-Haus – Lebensmittelpunkt des Komponisten und Gewandhauskapellmeisters
Das Mendelssohn-Haus ist das einzige erhaltene Wohngebäude von Felix Mendelssohn Bartholdy. Das 1844/45 erbaute repräsentative spätklassizistische Gebäude wurde in den Jahren 1996/97 unter Beibehaltung der originalen Substanz restauriert und gehört zu einem der wenigen Beispiele spätklassizistischer Architektur in Leipzig. Mittelpunkt der Wohnung und Treffpunkt bedeutender Persönlichkeiten war der Musiksalon. Heute beherbergt dieses Haus das weltweit einzige Museum zu Ehren des Komponisten, der zugleich als Gewandhauskapellmeister, Pianist und Kulturpolitiker in Leipzig tätig war.
Als Gewandhauskapellmeister reformierte Felix Mendelssohn Bartholdy nachhaltig das europäische Konzertwesen. Er schuf neue Strukturen für einen modernen Konzert- und Musikbetrieb, die vorbildhaft für zahlreiche Städte der Welt wurden. Mit seiner Arbeit förderte er maßgeblich Leipzigs Aufstieg zur europäischen Musikmetropole im 19. Jahrhundert.
Hauptgebäude der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig – Erster Konservatoriumsbau Deutschlands
1843 wurde das Leipziger "Conservatorium der Musik" auf Initiative Mendelssohns eröffnet - die erste Musikhochschule auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands. Bedeutende Lehrer der Anfangszeit neben Felix Mendelssohn Bartholdy waren Clara und Robert Schumann. Zu den berühmten Studenten der ersten Jahrzehnte zählen Edvard Grieg und Leoš Janáček. Später lehrte hier beispielsweise Max Reger, der kurze Zeit auch als Universitätsmusikdirektor wirkte.
Von 1885 bis 1887 wurde ein eigenes Gebäude errichtet, welches der erste spezifische Konservatoriumsbau in Deutschland war. Der deutschlandweit anerkannte Architekt Hugo Licht schuf ein ebenso repräsentatives wie funktionales Gebäude, das überregionale Aufmerksamkeit auf sich zog. Hinter der mit freien Formen der italienischen Renaissance geschmückten Fassade befinden sich 30 Unterrichtsräume, Orgelübungsräume und ein Kammermusiksaal, die noch heute nach Lichts Vorgaben genutzt werden.
Gewandhaus Leipzig - Wirkungsort des Gewandhauskapellmeisters Felix Mendelssohn Bartholdy
Mit einer progressiven Kulturförderung begann die Geschichte des Gewandhausorchesters: In Leipzig rief 1743 eine städtische Elite von 16 Kaufleuten die Konzertgesellschaft "Das Große Concert" ins Leben und übernahm als außermusikalisches Management die Verantwortung für das von ihr gegründete Orchester.
Ab 1781 konnte das Gewandhausorchester in einem eigenen Konzertsaal spielen, der architektonisch auf orchesterspezifische Bedürfnisse ausgerichtet war und später vielen Konzertsaalbauten als Vorbild diente.
Auch für den musikalischen Typus des öffentlichen bürgerlichen Konzerts war Leipzig beispielgebend. Im 19. Jahrhundert trugen die von Gewandhauskapellmeister Felix Mendelssohn Bartholdy programmierten "Historischen Konzerte" wesentlich zur Kanonbildung der klassischen Musik bei. Von Leipzig aus zogen die musikalischen Meisterwerke der Vergangenheit in die Konzertprogramme weltweit ein.
1884 wurde in Leipzig ein Neues Concerthaus eingeweiht. Das Gebäude wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Erst knapp vier Jahrzehnte später konnte das Gewandhausorchester wieder in ein eigenes Konzerthaus einziehen: das Neue Gewandhaus. Das Konzertangebot reicht heute von den Konzerten des Gewandhausorchesters über Kammermusik, Orgel- und Chorkonzerte bis hin zu einer Vielzahl musikvermittelnder Angebote.
Schumann-Haus – Erste gemeinsame Wohnung von Clara und Robert Schumann
In diesem 1838 erbauten klassizistischen Haus verlebten der Komponist Robert Schumann und die Pianistin Clara Schumann, geb. Wieck, von 1840 bis 1844 ihre ersten Ehejahre - eine Zeit großen Glücks und fruchtbarer musikalischer Zusammenarbeit. Hier entstand u. a. Robert Schumanns 1. Sinfonie, die sogenannte Frühlingssinfonie. Robert Schumann war zudem als leitender Redakteur und Mitbegründer der bis heute bestehenden Neuen Zeitschrift für Musik tätig, durch die zentrale musiktheoretische Diskussionen der Zeit aus Leipzig in die Welt getragen wurden.
Die Inselstraße war eine Hauptachse der nach 1830 neu entstehenden biedermeierlich geprägten Friedrichstadt. Das 1838 erbaute Schumann-Haus - der Architekt war F. A. Scheidel - gehört zu den bedeutendsten klassizistischen Bauschöpfungen in Leipzig.
Alte Nikolaischule - Richard Wagners Schule
Die 1512 am Nikolaikirchhof eröffnete Alte Nikolaischule ist der älteste Profanbau der Stadt. Der geistesgeschichtlich hoch bedeutende Ort, der mit dem Wirken unzähliger herausragender Leipziger Rektoren, Lehrer und Schüler verbunden ist, blieb über Jahrhunderte hinweg erhalten.
Von 1828 bis 1830 besuchte Richard Wagner die (Alte) Nikolaischule am Nikolaikirchhof, die 1827 eine neue Aula mit einer schlichten klassizistischen Ausmalung erhalten hatte. Diese Anfang 2012 erneut restaurierte Aula ist heute der einzige authentisch erhaltene Ort der Erinnerung an den bedeutenden Komponisten des 19. Jahrhunderts in Leipzig. Im Untergeschoss des Hauses befindet sich eine mit modernsten audio-visuellen Mitteln gestaltete Dauerausstellung, die erstmals Leben und Werk des jungen Wagner umfassend darstellt.
Verlagshaus C. F. Peters – Wohn- und Arbeitsort Edvard Griegs
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich Leipzig, nicht zuletzt durch das rege Verlagswesen, zu einer europäischen Musikmetropole. Zu den bedeutendsten Musikverlagen gehörte C. F. Peters. Hier publizierten u.a. Felix Mendelssohn Bartholdy, Johannes Brahms, Franz Liszt, Richard Wagner und Carl Maria von Weber; hier wurde die erste Gesamtausgabe der Klavierwerke Johann Sebastian Bachs verlegt. Die Reihe Edition Peters macht bis heute klassische Musik weltweit zugänglich.
In dem Gebäude befanden sich die Büroräume des Verlagshauses C. F. Peters und die Privatwohnungen seiner Eigentümer. Zwischen 1876 und 1907 war der Komponist Edvard Grieg häufig Gast in diesem Haus, der hier u.a. seine Peer Gynt Suite Nr. 1 komponierte.
Das in seinem ursprünglichen Zustand erhalten gebliebene Wohn- und Geschäftshaus im Stil der Neorenaissance wurde 1873/74 nach den Plänen von Otto Brückwald erbaut und ist ein bedeutsamer Beleg des Historismus. Es beherbergt heute die Grieg-Begegnungsstätte.