Wirren und Wahrheiten: Stadtjubiläen in der Vergangenheit
Autorin: Sabine Knopf
Beitrag erschienen in "Leipziger Blätter 65", Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Passage-Verlags.
Pläne zu einer 1.000 Jahrfeier in der Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts
Feiern von Stadtjubiläen besitzen nicht nur die Rolle identitätsstiftender Selbstdarstellungen, sie können auch von großer wirtschaftlicher Bedeutung sein. In den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts gab es deshalb schon einmal einen Versuch, eine 1.000-Jahr-Feier auf die Beine zu stellen und damit Leipzig einen großartigeren historischen Hintergrund zu verleihen.
Initiator des Ganzen war der Kustos des Stadtgeschichtlichen Museums, Walter Lange. In einem Artikel der "Leipziger Neuesten Nachrichten" vom 18. Juli 1926 sprach er sich für die Veranstaltung einer Feier im Jahr 1928 aus. Lange wies auf die Begründung der Burg Meißen im Jahre 928 hin. Zur gleichen Zeit habe der "Burgward Libzi" als militärischer und Verwaltungsmittelpunkt an Bedeutung gewonnen. Wenn Meißen eine 1 000-Jahr-Feier ausrichten wolle, besäße auch Leipzig ein Anrecht darauf. Langes Aufruf stieß auf geteilte Zustimmung. Die Direktoren von Ratsarchiv und Stadtgeschichtlichem Museum, Johannes Hofmann und Friedrich Schulze, entgegneten, dass sich für ein 1000-jähriges Jubiläum im Jahr 1928 kein historischer Beleg fände und rieten von einer Feier ab. Der gewählte Zeitpunkt träfe weder mit der Ersterwähnung Leipzigs in den Merseburger Annalen vom 20. Dezember 1015 noch mit der Verleihung des Stadtrechts zwischen 1150 und 1170 zusammen.
In Langes Begründung ginge es nur um die Wiedereroberung des Gebietes zwischen Saale und Elbe durch König Heinrich I. (928/29) von den Slawen. Zudem habe erst 1915 eine 900-Jahr-Feier Leipzigs stattgefunden. Innerhalb von 13 Jahren könne man kein ganzes Jahrhundert aufholen.
"Wir würden uns nur lächerlich machen", warnte Museumsdirektor Schulze. Wegen des Ersten Weltkrieges war 1915 an eine größere Feier nicht zu denken gewesen. Der "Verein für Geschichte Leipzigs" unter Ernst Kroker erinnerte daher in bescheidenem Rahmen an die Ersterwähnung 1015 durch Thietmar von Merseburg. Kernstück der Veranstaltung am 15. Dezember 1915 im alten Grassimuseum am Königsplatz war ein Vortrag über "Leipzigs Geschichte in der ostdeutschen Kolonisation" von Rudolf Kötzschke, dem Direktor des Seminars für Landesgeschichte. Damit erschöpften sich die Würdigungen während der Kriegszeiten.
Trotz aller Einwände beschäftigte das Projekt einer 1.000-Jahr-Feier für 1928 manche Bürger der Stadt weiter. Das starke Interesse an einer solchen Großveranstaltung zum Zweck einer wirtschaftlichen Belebung kam in einer Sitzung Leipziger Körperschaften mit Stadtrat Leske, der Handelskammer, dem Messeamt, Verkehrsamt, dem Gastgewerbe, dem Einzelhandel und weiteren Kaufleuten zum Ausdruck.
Der Rat der Stadt forderte am 15.12.1926 daher von Rudolf Kötzschke ein historisches Gutachten an. Dieser erklärte gleichfalls, es sei kein geschichtliches Zeugnis vorhanden, das die Veranstaltung einer Jahrtausendfeier rechtfertige. In dieser anhaltenden öffentlichen Debatte wies Walter Lange nun auf den erfolgreichen Film "Das tausendjährige Leipzig" hin, welchen er 1925 gemeinsam mit dem Filmhaus Nitzsche realisiert hatte und betonte: "Die ...Stadt Leipzig hat ein besonderes Recht, eine Jahrtausendfeier zu begehen ... Sie wurde zur Hochburg von Wirtschaft und Handel, durch kaiserliche Privilegien zur Reichsmessestadt, durch Gründung der Universität zu einer der hervorragendsten Bildungsstätten im Herzen Deutschlands. Sie wurde durch die politische Entwicklung des 19. Jahrhunderts im geographischen wie im wirtschaftlichen und kulturellen Sinne des Wortes zur Stadt der Mitte."
Der Rat der Stadt blieb indes bei seiner ablehnenden Haltung und betonte, eine solche Feier würde mit wirtschaftlicher Depression und großer sozialer Not (40.000 Arbeitslose) zusammenfallen.
Feierlichkeiten zu 800 Jahre Stadtrecht 1965
Etwa zehn Jahre später erhielt der Stadtarchivar Ernst Müller am 28.02.1938 den Auftrag, im Hinblick auf ein 800-jähriges Jubiläum der Verleihung des Stadtrechts weitere Forschungen zu betreiben.
Als 1955 der Rat der Stadt Leipzig beriet, wie man ein Stadtjubiläum ausrichten könne,präsentierte Müller als Stadtarchivar eine Urkunde über die Verleihung des Stadtrechtsund des Marktprivilegs durch Markgraf Otto von Meißen. Hieraus ergab sich ein willkommener Anlass, Stadt- und ein Messejubiläum zusammen zu feiern.Da kein Jahr der Stadtgründung in der Urkunde angegeben war, zog man die Sterbedatender darin genannten Zeugen heran und ermittelte als möglichen Zeitraum die Jahrezwischen 1156 und 1170. Für den Rat der Stadt ergaben sich daraus mehrere Möglichkeiten für die Feier: 1960, 1963 oder 1965. Schließlich wurde das Jahr 1965, das Ende des Siebenjahresplans, als passender Zeitpunkt ausgewählt.
Mehr als 200 Millionen Mark stellte die DDR-Regierung für ein riesiges Festprogramm,für Neubauten und für Propaganda zur Verfügung. Die Innenstadt Leipzigs wurdeim Vorfeld der Feier um eine Vielzahl von Bauten bereichert, von denen einige heute nochdas Stadtbild prägen. Es entstanden die Hotels "Deutschland", "Stadt Leipzig", "Zum Löwen", das Wohnheim "Jenny Marx", das Messeamt, das Messehaus am Markt, die Hauptpost und die Wohnbebauung am Georgiring, der Reichstraße und der Katharinenstraße. Die "Alte Waage" wurde rekonstruiert, "Auerbachs Keller" modernisiert, neue Taxis vom Typ "Wolga" angeschafft, die Straßen gesäubert und mit Lavendel gespritzt.
Das Jubiläum feierte man in zwei Etappen. Im Frühjahr 1965 wurde vom 28. Februar bis 9. März des 800-jährigen Messejubiläums gedacht, das unter dem Motto "Für weltoffenenHandel und technischen Fortschritt" stand. Von einem internationalen Gremium erhielt Leipzig den Ehrentitel "Mutter aller internationalen Messen". Damit würdigte man den Standort als international bedeutsamen Handelsplatz zwischen Ost und West.Große Anziehungskraft übte der "Historische Markt von 1820" auf die Leipziger Bevölkerung aus, der auch von Regierungsvertretern als "kulturelle Attraktion ersten Ranges" bezeichnet wurde. Nach Entwürfen des Bühnenbildners Bernhard Schröter und historischen Bildvorlagen baute die DEFA auf dem Naschmarkt eine "stimmungsvolleKulisse" auf. Zwischen Messbuden und Planwagen boten Verkäufer in historischen Kostümen Souvenirs, Ansichten des alten Leipzigs sowie gastronomische Spezialitäten feil. Das Gleiche wiederholte sich im Herbst. Während der gut besuchten Jubiläumsmesse fanden zahlreiche hochkarätige Kulturveranstaltungen statt, etwa Konzerte mit dem Geiger David Oistrach und mit dem Thomanerchor. Letzterer sang zur 800-Jahr-Feierdie Bach'sche "Ratswahlkantate". "Heil und Segen soll und muß zu aller Zeit sich auf unsere Obrigkeit in erwünschter Fülle legen, daß sich Recht und Treue müssen miteinander freundlich küssen."
Das eigentliche Stadtjubiläum beging man im Herbst, vom 25. September bis 7. Oktober 1965. In einer vom Gewandhausorchester musikalisch umrahmten Festversammlung in der Halle 1 auf der Technischen Messe am 2. Oktober 1965 überbrachte der Schirmherr der Feier, Walter Ulbricht, den Leipziger Bürgern die "Glückwünsche von Partei und Regierung". In der City wurde die Bevölkerung in einer "Feststraße" von einer Vielzahl von Ensembles unterhalten. Ein Höhepunkt des Jubiläums war der sechs Kilometer lange historische Festumzug in vierzehn Bildern am Folgetag. Er dauerte drei Stunden, 17.000 Menschen nahmen daran teil. Das Festlied lautete: "Mein Leipzig lob' ich mir, weil wir die Hausherrn sind."
Zur Geschichte des geteilten Deutschlands und des Kalten Kriegs gehört auch, dass es zu dieser Feier eine Gegenveranstaltung in Frankfurt am Main gab, die von "Exil-Leipzigern"vom 22. bis 24. Mai 1965 organisiert wurde. Als ihr führender Repräsentant trat Klaus Herfurth auf, der nach 1945 die "Leipziger Neuesten Nachrichten" seines Vaters Edgar Herfurth in Frankfurt weiter verlegte. Höhepunkte der dortigen 800-Jahr-Feier Leipzigs waren ein Festakt in der Frankfurter Paulskirche im Beisein von Spitzenpolitikern und ein Empfang im "Kaisersaal" des Römers mit Vetretern des Hauses Wettin. Auf dem Balkon des Frankfurter Rathauses fand ein Turmblasen mit Musik des Leipziger Stadtpfeifers Johann Pezel im Beisein des Vizekanzlers Erich Mende statt. Eine Aufführung von Bachs "Kaffeekantate" und der Szene in Auerbachs Keller aus Goethes "Faust" gehörten ebenso zum Festprogramm wie ein Konzert mit Werken Leipziger Komponisten. Die "Leipziger Neuesten Nachrichten" berichteten über beide Feiern in Ost und West. Herfurth betonte später in seinem Blatt, dass Leipzigs erfolgreiche Entwicklung auf jahrhundertealten Traditionen, Vernetzungen und dem Fleiß seiner Bürger beruhe und nicht von dem erst seit 15 Jahren herrschenden diktatorischen System für sich beansprucht werden könne. Es sei nicht nur eine "Stadt der Mitte" zwischen Ost und West, sondern auch eine "Stadt der Zukunft".
Geradezu prophetisch klingen die Worte, die der amerikanische Botschafter in der Bundesrepublik, George C. McGhee, zur Frankfurter 800- Jahr-Feier Leipzigs an die LNN schrieb: "Nach unserer Meinung wird die gegenwärtige Teilung nicht ewig bestehen bleiben. Wir erwarten die Zeit, wenn Leipzig gemeinsam mit all den anderen großen deutschen Städten wieder fähig sein wird, eine wichtige Rolle in einem Deutschland zu spielen, das eine Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit erlangt hat." Die USA wussten offenbar schon immer über alles genau Bescheid. Der Worte von Herfurth und McGhee eingedenk, darf man nicht nur auf die 1 000-Jahr-Feier 2015, sondern auch auf Leipzigs weitere Entwicklung gespannt sein