Ariowitsch, Louise Liba (geborene Hepner) - Leipziger Frauenporträts
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Rubrik
- Stiftungswesen
- Religion
- Verfolgte/ Opfer des NS
geboren/ gestorben
12. Juli 1856 (Meseritz) - 19. Juli 1939 (Paris)
Zitat
"Verlass uns nicht zur Zeit des Alters, wenn unsere Kräfte dahinschwinden, verlass uns nicht!"
(nach Psalm 71)
Kurzporträt
Louise Liba Ariowitsch war eine orthodoxe Jüdin, die als Stifterin von jüdischen Einrichtungen - einer Synagoge und eines Altersheims - eine Festigung des traditionellen Judentums während der Weimarer Republik in Leipzig bewirkte und den aus Osteuropa einwandernden Juden eine religiöse Heimat bot.
Herkunftsfamilie
- Vater: Mendel Leib Hepner (1835-1901)
- Mutter: unbekannt
- Geschwister:
- Doris (1872-?)
- Isaak (1874-1925)
Biografie
Bei der biographischen Recherche ergab sich durch unterschiedliche Angaben zum Geburtsdatum eine Hürde: Quellen geben sowohl den 12. Juli 1856, den 23. November 1856 als auch den 23. November 1857 als Datum an, an welchem Liba (Louise) Hepner in Meseritz/Provinz Posen geboren wurde. Das hier zugrunde gelegte Geburtsdatum 12. Juli 1856 greift auf zwei verlässliche Quellen zurück: die Polizeimeldebücher um 1900 und die 1935 in der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig angelegte Mitgliederkartei.
Der Vater Mendel Hepner war Pelzhändler. Der Name der Mutter ist nicht bekannt, wahrscheinlich starb sie kurz nach der Geburt der Tochter. Mendel Hepner heiratete in zweiter Ehe die 14 Jahre jüngere Emma Hochmann. Um 1871 kam das Ehepaar mit der Tochter, die seitdem auch Louise genannt wurde, nach Leipzig. Hier wurden ihre Geschwister Doris und Isaak geboren. Mendel Hepner erwirtschaftete als Händler und Kommissionär für Rauchwaren eine Existenz in der städtischen Mittelschicht.
Etwa 1875 lernte Louise Hepner den Pelz- und Borstenhändler Judel (Julius) Ariowitsch aus Slonim in Weißrussland kennen, der mit seinem Vater regelmäßig geschäftlich zu den Messen nach Leipzig reiste. Am 1. Februar 1877 heirateten Louise Hepner und Julius Ariowitsch und bezogen ein Haus in Slonim. Noch im selben Jahr wurde die Tochter Doba (Toni) geboren. Im Mai 1878 zog das Ehepaar nach Leipzig und Julius Ariowitsch gründete die Firma J. Ariowitsch als Handelsunternehmen für Rauchwaren und Borsten. Nachdem 1880 der Sohn Max Markus geboren wurde, bemühten sich die russischen Staatsangehörigen Ariowitsch um die Einbürgerung in das Königreich Sachsen. Die Anträge wurden jedoch nach ablehnender Haltung der Stadtverordneten durch die Kreishauptmannschaft abgewiesen. 1893 erhielt das Ehepaar Ariowitsch mit Befürwortung durch den Bürgermeister von Buczacz in Galizien die österreichische Staatsangehörigkeit.
Das Ehepaar Ariowitsch führte ein traditionell religiöses Familienleben im Sinne der jüdischen Orthodoxie. Am 22. November 1908, im Alter von 55 Jahren, starb der Ehemann. Das Unternehmen, das mittlerweile zu den erfolgreichsten Großhandelsfirmen im Rauchwarenhandel gehörte, wurde vom Sohn Max und dem Schwiegersohn Hermann Halberstam geleitet.
Im Mai 1915 erwarb Louise Ariowitsch das Grundstück Färberstraße 11, das aus einem straßenseitigen Wohnhaus und einem rückseitigen Gebäude bestand. Das hintere Gebäude ließ sie zu einer Synagoge (Beth Jehuda) mit Räumen für Unterricht und zur Nutzung durch religiöse Vereine umbauen. Es entstand ein zwei Geschosse einnehmender Betsaal mit Empore. Als Bet- und Lehrhaus sollte es die Erinnerung an ihren verstorbenen Mann wach halten.
Nach dem Ersten Weltkrieg veränderte sich die politische Landkarte Europas. Galizien gehörte nun zu Polen und die österreichische Staatsbürgerschaft galt nicht mehr. Vor die Entscheidung gestellt, die polnische Staatsangehörigkeit anzunehmen oder staatenlos zu werden, entschied sich Louise Ariowitsch für das erste.
Teile ihres Vermögens und die Gewinnbeteiligung an der Firma verwendete Louise Ariowitsch seit 1920, um erste Pläne zur Errichtung eines jüdischen Krankenhauses zu fördern. Wohl 1925 zog sie sich von dem Vorhaben zurück und begann eigene Vorstellungen zum Bau eines jüdischen Altersheims zu verwirklichen. 1928 erwarb sie unweit ihres Wohnhauses das Baugrundstück Auenstraße 14 (heute Hinrichsenstraße 14). Der renommierte Leipziger Architekt Emil Franz Hänsel übernahm Bauplanung und -leitung. Gebaut wurden ein zur Straße gelegenes Hauptgebäude und ein kleineres Hinterhaus. Das Altersheim bot koschere Küche, verfügte über einen Betraum und eine Hausbibliothek. Louise Ariowitsch verfügte, dass mindestens die Hälfte der Bewohner Männer sein sollten. Gemeinsam mit Sohn und Schwiegersohn errichtete sie 1930 die Ariowitsch-Stiftung - Israelitisches Altersheim. Am 17. Mai 1931 fand die Einweihung des "Ariowitsch-Heims" statt.
1936 beging Louise Ariowitsch ihren 80. Geburtstag. Die Jüdische Gemeinde gratulierte mit den Worten: Sie ist "eine der markantesten Persönlichkeiten unserer Gemeinde". Im November 1937 emigrierte sie nach Frankreich zu ihrer Tochter und dem Schwiegersohn, die seit 1936 in Paris lebten. Ihr Wohnhaus in Leipzig hatte sie an eine jüdische Familie vermietet und Vorsorge getroffen, dass die Nutzung der Synagoge finanziell gesichert war; auch blieb sie Vorstandsmitglied der Ariowitsch-Stiftung.
Am 10. November 1938 wurde die Beth-Jehuda-Synagoge von Nationalsozialisten und antijüdisch eingestellten Bewohnern des Stadtviertels im November-Pogrom innen zerstört und anschließend von der Gestapo gesperrt.
Am 19. Juli 1939 starb Louise Ariowitsch im Alter von 83 Jahren in der Emigration in Paris. Ihr Lebenswerk, die Beth-Jehuda-Synagoge, existierte nicht mehr, während das Altersheim immer mehr ältere Jüdinnen und Juden aufnehmen musste. Im September 1942 wurden sämtliche Bewohner und Pflegekräfte in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert.
Nach 1945 wurde das ehemalige "Ariowitsch-Heim" bis Mitte der 1990er-Jahre von der Stadt als Alters- und Pflegeheim genutzt. 2002 begann die Jüdische Gemeinde eine bauliche Rekonstruktion. Am 15. Mai 2009 fand die Eröffnung des nun den Ehrennamen "Ariowitsch-Haus" tragenden Gebäudes als jüdisches Kultur- und Begegnungszentrum statt.
Werke
- "Ariowitsch-Heim", heute: "Ariowitsch-Haus"- Zentrum jüdischer Kultur, Hinrichsenstraße 14.
Adressen in Leipzig
- 1883-1886: Uferstraße 4
- 1887-1892: Brühl 60
- 1893-1895: Georgenstraße 36 A (heute Querstraße)
- 1896-1900: Gustav-Adolf-Straße 34
- 1901-1906: Fregestraße 27
- 1907-1915: Gottschedstraße 24
- 1916-1937: Färberstraße 11
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- Ariowitsch-Haus, Hinrichsenstraße 14 (ehemals Auenstraße)
- 2022 stand ihr Name auf der von der AG Frauenprojekte initiierten Liste mit über 80 Vorschlägen für weibliche Straßennamen in Leipzig, die der Stadt übergeben wurde.
- 1.09.2022 Gegenwart aus Tradition gestalten. Jüdische Frauenperspektiven in Leipzig. Symposium & Workshops des Netzwerkes Jüdisches Leben Leipzig und von Bet Debora Berlin mit Erinnerungen an Henriette Goldschmidt (1825-1920), Bettina Brenner (1877-1948), Edith Mendelssohn Bartholdy (1882-1969), Louise Ariowitsch (1856-1939), Gertrud Herrmann (1896-1942 deportiert), Gerda Taro (1910-1937), Felicia Hart (1903-1976), Alice Seiffert (1897-1976) (alle aus dem Frauen online-Portal) und andere mehr
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Frau Louise Ariowitsch 80 Jahre alt. In: Gemeindeblatt der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig, Nummer 47, 20. November 1936, Straße 2.
- Bürgerverein Waldstraßenviertel e. V., Louise Ariowitsch.
- http://www.waldstrassenviertel.de/.../ariowitsch.html
- Steffen Held, Die Familie Ariowitsch und die Stiftung Jüdisches Altersheim. In: Ariowitsch-Haus in Leipzig. Begegnungen mit jüdischer Kultur und Geschichte. Herausgegeben vom Kultur- und Begegnungszentrum Ariowitsch-Haus e. V., Leipzig 2009, Seiten 16-28.
- http://www.ariowitschhaus.de/
Autor: Steffen Held, November 2014