Asenijeff, Elsa Maria (geborene Packeny) - Leipziger Frauenporträts
Elsa Asenijeff, um 1900 © Rita Jorek, Archiv Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Literatur
- Kunst
geboren/ gestorben
3. Januar 1867 (Wien) - 5. April 1941 (Bräunsdorf bei Freiberg, Sachsen)
Zitat
"Wir Frauen sind Geschöpfe der immerwährenden Kraftvergeudung."
(Tagebuchblätter einer Emancipierten. 1902; Turmhut-Verlag 2006, Seite 17)
Kurzporträt
Als eine der ersten Studentinnen an der Leipziger Universität Ende des 19. Jahrhunderts eignete sich Elsa Asenijeff Wissen an, um sich als Schriftstellerin und Dichterin zu behaupten. Ihre Werke befassen sich mit der Situation der Frau, mit Kritik am Wissenschaftsbetrieb, mit weiblicher Liebes- und Lebenserfahrung. Gemeinsam mit Walter Hasenclever und Kurt Pinthus begründete sie in Leipzig den literarischen Expressionismus.
Herkunftsfamilie
- Vater: Karl Packeny (1841-1889), Direktor der österreichischen Südbahn
- Mutter: Laurenzia, geborene Adametz (1841-1932)
- Schwestern:
- Gertrude Anna-Maria Artmann (1868-1953)
- Maria Koetschet (1870 bis nach 1942)
Biografie
Elsa Asenijeff war Kind einer bürgerlichen Familie in Wien. Sie erhielt in der Volks- und Bürgerschule sowie in der Lehrerinnenbildungsanstalt eine gute Ausbildung. Kurz nachdem sie in Wien ein Pädagogikstudium beginnen konnte, starb 1889 der Vater und sie musste 1890 als Älteste von drei Schwestern einen ungeliebten Mann heiraten. Mit dem bulgarischen Ingenieur und Diplomaten Ivan Johannis Nestoroff (1855-1916) zog sie nach Sofia. Der erste Sohn Asen starb schon 1891; ihr Schriftstellername Asenijeff erinnert an ihn.
Über Paris kam sie nach Leipzig, um hier Philosophie bei Johannes Volkelt und Psychologie bei Wilhelm Wundt zu studieren. Als Ausländerin war ihr das nach sächsischem Gesetz möglich. In einem langen Brief an den Professor Karl Bücher befasste sich die Studentin im Januar 1896 mit der Situation der Frauen, die, von Studium und Berufstätigkeit weitgehend ausgeschlossen, keine den Männern gleichwertigen Leistungen vollbringen konnten (Universitätsbibliothek Leipzig, Handschriftenarchiv, Taut, Nachlass 181). Das Thema behandelt sie in der Wiener "Zeit", hinterfragt es in ihren philosophischen Miszellen "Aufruhr der Weiber und das Dritte Geschlecht" (1898) und in ihren Erzählbänden mit den Titeln "Ist das die Liebe? (1896) und "Sehnsucht" (1898), ebenso in ihrem biografischen Roman "Tagebuchblätter einer Emancipierten" (1902), der als indirekte Auseinandersetzung mit dem Aufsatz "Der physiologische Schwachsinn des Weibes" von Paul Möbius gelesen werden kann. Asenijeff traf ihn in Leipzig und stand mit ihm in Briefwechsel. In "Unschuld. Ein modernes Mädchenbuch" (1901) erzählte sie den Heranwachsenden realistische Geschichten und nicht irgendwelche romantischen Märchen. Ihre Bücher, die zunächst alle in Leipzig erschienen, machten sie bekannt und sie wurde bald als Schriftstellerin akzeptiert.
Die Liebesbeziehung zum Bildhauer, Maler und Grafiker Max Klinger (1857-1920) fand ihren Niederschlag in Gedichten, die zunächst noch ziemlich pathetisch den Mann als Helden feiern. Vor allem die platonische Hinwendung zu dem Dresdner Unternehmer und Stifter des Hygienemuseums Karl August Lingner (1861-1916) ließ ihre Liebeslyrik darüber hinaus zum individuellen Ausdruck weiblicher Erotik reifen. "Die neue Scheherazade" (1913) und "Hohelied an den Ungenannten. Lyrischer Roman" (1914) hätten als Zeugnisse expressionistischer Literatur in die Geschichte eingehen müssen, zumal Elsa Asenijeff seit 1909 den Dichterjünglingen Walter Hasenclever und Kurt Pinthus zur wichtigen Anregerin geworden war. Sie nahm damals in Leipzig eine ähnliche Position ein wie die gleichaltrige Else Lasker-Schüler in Berlin. Diese kannte und bewunderte sie, was durch Briefe belegt ist. Die kleine Anthologie "Neuer Leipziger Parnass" mit Gedichten von Asenijeff, Hasenclever, Pinthus und Ulrich Steindorff, von Kurt Pinthus für den Leipziger Bibliophilenabend 1912 herausgegeben, kann als Begründung des literarischen Expressionismus in Leipzig betrachtet werden. Mit "Aufschrei" (1922) gab sie ihrer Enttäuschung und Wut über den Mann Ausdruck, der die Welt vernichtet durch Krieg, Machtgebaren und industrielle Produktion.
Der Erste Weltkrieg zerstörte Elsa Asenijeffs literarische Pläne und ihre vielen Beziehungen zu Schriftstellern und Künstlern. Wegen einer geringen Geldschuld wurde sie vor Gericht gezerrt und als Ausländerin beschimpft. Die uneheliche Tochter von Asenijeff und Klinger, Désirée Ottima (1900-1973), die wegen Klingers Reputation bei einer Pflegemutter in Paris aufwachsen musste, konnte nicht mehr besucht werden. Auch zu ihrem Sohn Theophil Heraklit Nestoroff (1896-1941) und zu ihrer Mutter in Wien, die ihn betreut hatte, sowie zu den Schwestern in Linz und Sarajewo gab es keine direkte Verbindungen mehr. Nachdem Max Klinger todkrank im November 1919 eine andere Frau geheiratet hatte und bald darauf am 4. Juli 1920 gestorben war, blieb Elsa schutzlos und ziemlich mittellos zurück. Entmündigungsverfahren wurden angestrengt. Auf Grund von Textexpertisen und Zeugenaussagen wurde sie ohne Anhörung 1921 wegen Querulantentums entmündigt und zwei Jahre später in psychiatrische Anstalten gesperrt. Von der Universitätsnervenklinik Leipzig kam sie nach Dösen, dann in die Landesanstalt Hubertusburg. All ihre Habe war vom Vormund verkauft worden, darunter auch Klinger-Briefe und Kunstwerke.
Da nie wirklich eine psychische Erkrankung diagnostiziert werden konnte, landete sie 1927 im "Versorghaus" Colditz. Der dortige Direktor erreichte nach seiner Versetzung 1934, dass Elsa mit ihm in die Landesanstalt Bräunsdorf bei Freiberg zog, eine Unterkunft für Heimatlose und Gestrauchelte, wo sie 1941 starb. Seit April 2007 gibt es auf dem Ortsfriedhof ein Denkmal für sie.
In Bräunsdorf erhielten sich Manuskripte von Gedichten, die ihre Situation und die kriegsgeschwängerte Zeitatmosphäre reflektieren. 2010 erschienen sie als Buch unter dem von ihr gewählten Titel "Bilanz der Moderne". Er geht auf den Literaturwissenschaftler Samuel Lublinski (1868-1910) zurück, der seine Abhandlung über moderne Literatur von 1901 so nannte.
Werke
- Ist das die Liebe? Kleine Psychologische Erzählungen und Betrachtungen. Leipzig: Wilhelm Friedrich 1896.
- Aufruhr der Weiber und das Dritte Geschlecht. Leipzig: Wilhelm Friedrich 1898 [Reprint der Originalausgabe von 1898] alo austria literature online Band 7.
- Sehnsucht. Leipzig: Wilhelm Friedrich 1896.
- Unschuld. Ein modernes Mädchenbuch. Leipzig: Hermann Seemann Nachfolger 1901
- Ist das die Liebe?/ Unschuld. Erzählungen (1986/1901). Herausgegeben von Henriette Herwig, Jürgen Herwig und Stefanie Schatz. edition GENDER. Historische Literatur von Frauen, Band 2. Turmhut-Verlag Mellrichstadt 2005.
- Tagebuchblätter einer Emancipierten (1902). Herausgegeben von Henriette Herwig und Rita Jorek. edition GENDER. Historische Literatur von Frauen, Band 4. Mit Nachwort und Zeittafel von Rita Jorek. Turmhut-Verlag Mellrichstadt 2006.
- Max Klingers Beethoven. Eine kunst-technische Studie. Leipzig: Hermann Seemann Nachfolger, 1902.
- Der Kuss der Maja. Traumfugen über das Leben. Leipzig: Hermann Seemann Nachfolger 1903
- Die Schwestern: Eine Novelle Berlin/ Leipzig: Magazin-Verlag Jaques Hegner (1905). Reprint bei Bibliolife www.bibliolife.com.
- Epithalamia. Umrahmungen in Federzeichnungen von Max Klinger. Text von Elsa Asenijeff. Berlin: Amsler & Ruthardt 1907.
- Gedichte. In: Neuer Leipziger Parnass. Dem Leipziger Bibliophilenabend zum Jahresessen am 16. November 1912. Herausgegeben von Kurt Pinthus. Leipzig 1912.
- Elsa Asenijeff: Die Neue Scheherazade. Ein Roman in Gefühlen. München: Georg Müller 1913. Kessinger Publishing's® Legacy Reprints.
- Die Orchideenbraut. Film in drei Akten. In: Das Kinobuch. Herausgegeben und eingeleitet von Kurt Pinthus. Leipzig: Kurt Wolff 1913/14. Dokumentarische Neuausgabe: Zürich: Arche 1963.
- Hohelied an den Ungenannten. Lyrischer Roman. München: Georg Müller 1914.
- Aufschrei. Freie Rhythmen. Leipzig A. H. Payne 1922.
- Gedichte. In: Sächsisches Dichterbuch. Herausgegeben von Paul Grotowsky. Leipzig. Franz Peter Scholze 1924.
- Daseinselend (aus: Ist das die Liebe?) In: Gürtler, Christa/Schmidt Sigrid (Herausgeber): Die bessere Hälfte. Österreichische Literatur von Frauen seit 1848. Salzburg/ Wien 1995.
- Bilanz der Moderne. Gedichte. [Nach Handschriften herausgegeben von Rita Jorek]. Turmhut-Verlag Stockheim 2010.
Adressen in Leipzig
- 1898-1909: Schwägrichenstraße 11 lp
- 1909-1917: Dufourstraße 18
- (?)-1923: Windmühlenstraße 44
- 1923-1926: Landes-, Heil- und Pflegeanstalt Dösen
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- Doppelporträt "Fadenspiel" [Elsa Asenijeff und Rita Jorek] von Brigitte Poredda, 2007 (in Privatbesitz)
- Briefe und Manuskripte Asenijeffs im Stadtgeschichtlichen Museum und im Museum für bildende Künste
- Einige Werke sind in der Universitätsbibliothek Leipzig und der Deutschen Nationalbibliothek einsehbar.
- Gedenktafel der Stadt Leipzig an der Wohnadresse Schwägrichenstraße 11 seit 2018;
- Doppelporträt "Fadenspiel" [Elsa Asenijeff und Rita Jorek] von Brigitte Poredda, 2007 (in Privatbesitz);
- Briefe und Manuskripte Asenijeffs im Stadtgeschichtlichen Museum und im Museum für bildende Künste;
- Einige Werke sind in der Universitätsbibliothek Leipzig und der Deutschen Nationalbibliothek einsehbar.
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Buchachatz, Monja: Die Vision von weiblicher Anatomie der Wiener Autorin Elsa Asenijeff (1867-1941) am Beispiel der "Tagebuchblätter einer Emancipierten". Untersuchung zu Weiblichkeitsentwürfen von Autorinnen der Jahrhundertwende. Magisterarbeit. Leipzig 2004 (unveröffentlichtes Typoskrypt).
- Gürtler, Christa/ Schmid-Bortenschläger, Sigrid: Elsa Asenijeff. In: Eigensinn und Widerstand. Schriftstellerinnen der Habsburgmonarchie. Wien 1998.
- Hartleb, Renate, "Eve, sans treve". Zur Frau im Werk von Max Klinger. In: Dieter Gleisberg (Herausgeber): Max Klinger 1857-1920. Frankfurt am Main. 1992.
- Jorek, Rita: Aufschrei. In: Friederun Bodeit (Herausgeber):"Ich muss mich ganz hingeben können". Frauen in Leipzig. Leipzig 1990.
- Jorek, Rita, Elsa Asenijeff. In: Gerlinde Kämmerer/ Pilz Anett (Herausgeberinnen): Leipziger Frauengeschichten. Ein historischer Stadtrundgang. Leipzig 1995.
- Jorek, Rita, Elsa Asenijeff - eine Leipziger Expressionistin. In: Leipziger Kalender 2002. Herausgegeben von der Stadt Leipzig.
- Jorek, Rita, Pozzo dei desideri: Epithalamia di Elsa Asenijeff. Un postludio fiorentino. In: Maria Chiara Mocali/ Vitale, Claudia (Herausgeberin): Cultura tedesca a Firenze. Scrittrici e artiste tra Otto e Novecento. Firenze 2005.
- Jorek, Rita, Elsa Asenijeff, die große Unbekannte. In: zucht@ordnung. Katalog der 21. Leipziger Jahresausstellung 2014.
- Jorek, Rita, Die heimatlosen Dichterinnen. Zum Schicksal von Elsa Asenijeff und Helga M. Novak. LOUISEum 34, herausgegeben von Gerlinde Kämmerer und Hannelore Rothenburg.
- Kardinar, Natalia: Elsa Asenijeff, die Muse der Leipziger Literaturparnass. In: Sächsische Heimatblätter 2/2002.
- Krankengeschichte der Landes-, Heil-und-Pflegeanstalt Hubertusburg. Sächsisches Staatsarchiv Leipzig; Heil- und Pflegeanstalt Hubertusburg Nummer 137. Hauptb.-Nummer 4992.
- Krankenakten Sächsische Landesanstalt Hubertusburg über den Kranken der unteren Klasse aus Leipzig Elsa Maria Asenijeff geborene von Packeny geschiedene Nestoroff. Nummer 9805, ergangen 25.3.1924. Sächsisches Staatsarchiv Leipzig, Heil- und Pflegeanstalt Hubertusburg Nummer 89.
- Lessing, Dr. Theodor: Elsa Asenijeff. Tagebuchblätter einer Emancipierten. In: Die Gesellschaft 18.2.1902.
- Neissl, Julia: Die Verfechterin der Differenzthese (Elsa Asenijeff). In: Tabu im Diskurs. Sexualität in der Literatur österreichischer Autorinnen. Innsbruck und andere 2001.
- Pinthus, Kurt: Kleine Leipziger Literaturgeschichte 1910/1915. In: Querschnitt, Jahrgang X/1930.
- Schatz, Stefanie: Sozial- und Gesellschaftskritik in Elsa Asenijeffs "Ist das die Liebe? Kleine psychologische Erzählungen und Betrachtungen" und "Unschuld. Ein modernes Mädchenbuch". Staatsexamensarbeit. Freiburg/ Breisgau 2003 (unveröffentlichtes Typoskript).
- Schatz, Stefanie: Identitätsprobleme künstlerisch ambitionierter Frauen am Beispiel Elsa Asenijeffs. In: Erfolg in der Kunst - wie hat die das bloß geschafft? Lebens- und Karrierewege von Künstlerinnen. Herausgegeben vom Referat für Gleichstellung von Mann und Frau der Stadt Leipzig. Leipzig 2004.
- Schaukal, Richard: Elsa Asenijeff, Unschuld. Ein modernes Mädchenbuch. In: Gesellschaft 18/2 1902.
- Spreitzer Brigitte: Im Glanze seines Ruhmes. Elsa Asenijeff (1867-1941). In: Frauke Severit (Herausgeberin): Das alles war ich. Politikerinnen, Künstlerinnen, Exentrikerinnen der Wiener Moderne. Wien und andere 1998.
- Stütz, Sabine: "Und so seien wir geweiht...!" Emanzipation zur wahren Weiblichkeit. Themenanalyse der Werke Elsa Asenijeffs. Diplomarbeit Salzburg 1997 (unveröffentlichtes Typoskript).
- Svandrlik, Rita: Elsa Asenijeff e il modernismo Viennese. In: Maria Chiara Mocali/Vitale, Claudia (Herausgeberin), Cultura tedesca a Firenze. Scrittrici e artiste tra Otto e Novecento. Firenze 2005.
- Vitale, Vlaudia: Artiste tedesche a Firenze intorno a Villa Romana. In: Maria Chiara Mocali/ Vitale, Claudia (Herausgeberinnen). Cultura tedesca a Firenze. Scrittrici e artiste tra Otto e Novecento. Firenze 2005.
- Zeitler, Julius: Die Leipziger Literatur. In: Leipzig. Ein Blick in das Wesen und Werden einer deutschen Stadt. Festgabe der Stadt Leipzig. Leipzig 1913.
Autorin: Rita Jorek, 2014