Bebel, Johanna Caroline Julie (geborene Otto) - Leipziger Frauenporträts
August Bebel, Julie Bebel, und Tochter Frieda 1880 © Archiv der sozialen Demokratie / Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Politik
- Zivilcourage
geboren/ gestorben
2. September 1843 (Leipzig) - 22. November 1910 (Zürich)
Zitat
"[...] dadurch dass ich seine Parteigeschäfte fortführen mußte [...] bin ich in den Geist der Bewegung eingedrungen und heute mit ganzer Seele dabei."
(Brief an Friedrich Engels, 13. Februar 1892)
Kurzporträt
Durch ihre Ehe mit August Bebel wurde aus der Leipziger Arbeiterin Julie Otto eine politisch aktive Frau. Während der häufigen Abwesenheit ihres Mannes durch Haft oder Reisen agierte sie als selbstbewusste Geschäftsfrau. Sie trat engagiert für die Sozialdemokratie ein und war unter dem "Sozialistengesetz" zeitweise deren "Sekretariat".
Herkunftsfamilie
- Vater: Johann Gottfried Otto (1798-1857), Handarbeiter (Kutscher, Transportarbeiter zuletzt "Aufläder" bei der Magdeburg-Leipziger Eisenbahn)
- Mutter: Christiane Sophie Otto, geborene Weber (1804-1865), Dienstmagd, Köchin
- Geschwister:
- Maria Friederike (1826-1889), verheiratet Brauer
- Christiana Augusta (1829, lebte nur wenige Wochen)
- Carl Johann Albert (1837-1897), Schlosser, Mechaniker, Kleinunternehmer
- Franz Hugo (1839-1889), Schutzmann, Glasergeselle
- Amalie Auguste (1840-84), verheiratet Buhrig
- Johanna Dorothea (1842- im selben Jahr verstorben)
Biografie
Johanna Caroline Julie wurde als jüngstes Kind der aus dem proletarischen Milieu stammenden Eheleute Otto in Leipzig geboren und lebte 41 Jahre hier. Julie wuchs in stabilen Verhältnissen auf. Ihre Eltern konnten sich im Unterschied zu vielen Lohnarbeitern leisten, an einem festen Ort zu wohnen. Julie wurde als frohes, gesundes und hübsches Mädchen beschrieben, welches "voller Sangesfreude" war und einen harmonischen, ausgeglichenen Charakter hatte. Nach der Volksschule hieß es für sie: Arbeit in einem Putzwarengeschäft. Mit der Anfertigung von Bändern, Schleifen, Kordeln und Accessoires - besonders für Hüte - verdiente sie mehr als die meisten Schneiderinnen, aber weniger als der durchschnittliche männliche Tagelöhner.
Am 21. Februar 1863 ging Julie mit ihrem Bruder Albert auf das Stiftungsfest des Gewerblichen Bildungsvereins zu Leipzig. Ferdinand August Bebel (1840-1913), zu dieser Zeit rühriger und aufstrebender Tischlergeselle und Festredner des Abends, holte sie zum Tanz. Aus beiden wurde ein Paar - Heirat und Familiengründung waren aber erst im Frühjahr 1866 möglich, nachdem Bebel das Geld für den Erwerb des Leipziger Bürgerrechts und Gründung seines eigenen Geschäfts aufgebracht hatte. Die Trauung in der Leipziger Thomaskirche erfolgte am 9. April 1866; gefeiert wurde im Verein des Arbeiterbildungslokals. Familie war für Julie ein wichtiger Ort der Geborgenheit, zur Schwester Friederike und zum Bruder Albert hatte sie bis zu deren Tod enge Bindungen.
August Bebels politisches Engagement für die Sozialdemokratie brachte Entbehrungen und Schmähungen sowie die Trennung des Ehepaares durch Haftzeiten, Ausweisungen und parteipolitisch bedingte Reisen.
Juli Bebel wurde eine tatkräftige und selbstbewusste Geschäftsfrau. Die Bebelsche Meisterwerkstatt übernahm sie zunehmend bedingt durch die Abwesenheit ihres Mannes und am 4. Juni 1872 erfolgte ihre Eintragung als Inhaberin der Drechslerei in das Gewerberegister. Bebel war im März 1872 verurteilt worden und saß vom Juli 1872 bis April 1875 fast ununterbrochen wegen angeblichen Hochverrats und "Majestätsbeleidigung" in Haft.
1876 entstand aus der Werkstatt für hochwertige Tür- und Fenstergriffe aus Horn eine kleine dampfbetriebene, von August Bebel und dem Sozialdemokraten Ferdinand Ißleib gemeinsam geführte Fabrik. Julie Bebel wurde zur (Klein-)Unternehmergattin.
Als Frau des Sozialdemokraten Bebel musste Julie viele politische Anfeindungen ertragen. Sie hätte wohl ihren Mann gern weniger oft in der ersten Reihe der Auseinandersetzung gesehen. Aber wenn die Sozialdemokratie und er angegriffen wurden, dann verteidige sie ihn "gewandt und lebhaft [...] wie eine Löwin ihre Jungen" (August Bebel, 1876). Julie Bebel entwickelte sich zur bewussten Sozialdemokratin, auch wenn sie als Frau durch die Vereinsgesetzgebung bis 1908 nicht Mitglied in Parteien und politischen Vereinen sein durfte.
1878 wurde im Deutschen Reich das Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie (Sozialistengesetz) erlassen, das bis 1890 in Kraft war und dessen Auswirkungen die Sozialdemokraten, ihre Familien wie deren berufliche Existenz, hart traf. Ende Juni 1881 erhielt August Bebel den Ausweisungsbescheid aus Leipzig. Julie blieb zunächst noch in Leipzig wohnen, war weiterhin im Geschäft Ißleib & Bebel engagiert und sah ihren Mann höchstens an Sonntagen - meist in Borsdorf bei Leipzig, bis im September 1884 die Familie in Plauen bei Dresden eine gemeinsame Wohnung beziehen konnte.
Als die Parteileitung Solidaritätsgelder in die Obhut der Frauen führender ausgewiesener Leipziger Sozialdemokraten übergab, lag die Hauptlast bei der in Buchhaltung erfahrenen Julie Bebel, die auch andere Fäden der Parteiarbeit in ihren Händen hielt, wenn ihr Mann abwesend war. Sie war so zeitweise "das Sekretariat" der Sozialdemokratie. In einem Polizeibericht vom 12. Dezember 1881 wurde sie als "kluge und resolute Frau" charakterisiert. Sie korrespondierte mit der befreundeten Natalie Liebknecht (1835-1909) und anderen Frauen aus sozialdemokratischen Kreisen, zum Beispiel Minna Kautsky (1837-1912), Louise Kautsky (1864-1944), sowie mit Friedrich Engels (1820-1895).
Die am 16. Januar 1869 geborene Tochter Bertha Friederike (gestorben 1948) - "das Friedchen" - war als einziges Kind der umsorgte Mittelpunkt der Familie. Nach dem Besuch der Smittschen Höheren Töchterschule in Leipzig setzten ihre Eltern alles daran, dass sie in der Schweiz Medizin studieren konnte.
August Bebel zog sich 1888 aus dem Geschäft Ißleib & Bebel zurück. Die Familie hatte materiell aus den Honoraren für Publizistik und nicht zuletzt aus dem Verkauf vieler Auflagen seines Buches "Die Frau und der Sozialismus" (Erstauflage 1879) ein gutes Auskommen. Julie unterstützte auch nach dem Fall des Sozialistengesetzes und dem Umzug der Familie nach Berlin 1890 ihren Mann bei der Verwaltung der Parteifinanzen und der Korrespondenz. Nach der Erinnerung Clara Zetkins habe Julie sich nie vorgedrängt als "Frau ihres Mannes", wollte in der Öffentlichkeit keine Rolle spielen. Nur einmal, in der ersten Hälfte der 1890er-Jahre, half Julie Bebel den in Berlin gegründeten "Bildungsverein für Frauen und Mädchen" aus der Taufe zu heben und übte zeitweilig im Vorstand ein Ehrenamt aus, um die Existenzbedingungen des Vereins zu erleichtern.
In Zürich schufen sich Bebels Mitte der 1890er-Jahre einen Zweitwohnsitz, um oft bei der Tochter sein zu können, die aufgrund einer psychischen Erkrankung ihr Medizinstudium nicht fortsetzen konnte. Julie und August Bebel haben freudvolle Momente mit Tochter Frieda, deren Mann Ferdinand Simon und dem 1894 geborenen Enkel Werner erlebt, aber gerade Julie verzichtete auf manche nun mögliche andere Reise, um zur kranken Tochter zu fahren.
1909 besuchte Julie gemeinsam mit ihrem Mann anlässlich eines Parteitages der Sozialdemokratie noch einmal Leipzig. Im Jahr zuvor hatte sie eine Brustkrebsoperation überstanden und trotzdem ihren ebenfalls schwer erkrankten Mann gepflegt. 1910 erlitt Julie Bebel einen Rückfall: sie starb am 22. November in Zürich an Leberkrebs. Vielstimmig gewürdigt war sie für August Bebel "eine Stütze und eine Förderin" seines gesamten Strebens, er habe sich keine bessere Frau wünschen können.
Es kann hinzugefügt werden: In ihrer Leipziger Zeit überschritt sie - durch die Umstände herausgefordert - selbstbewusst und deutlich die üblichen Grenzen als Ehefrau und Helferin in Geschäft sowie Parteiarbeit und erwies der jungen deutschen Sozialdemokratie wertvolle Dienste.
Adressen in Leipzig
- 1843: Frankfurter Straße 19 (heute Friedrich-Ludwig-Jahn-Allee), bei den Eltern
- 1867: Gustav-Adolf-Straße 31 (nach der Heirat)
- 1868: Petersstraße 18
- 1875: Heinrichstraße 28 (Reudnitz)
- 1877: Hauptmannstraße Nummer 76 G, Abteilung C (nach Änderungen im Kataster Hausnummer 2)
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- Im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig befindet sich ein Originalgesuch von Julie Bebel, Clara Hasenclever und Natalie Liebknecht an die königliche Kreishauptmannschaft zu Leipzig vom 4. Juli 1881 mit der Bitte, für die Familien, die wegen der Ausweisung ihrer Ernährer aufgrund des Sozialistengesetzes in Not geraten sind, sammeln zu dürfen.
- Das Leipziger Gedenken bezieht sich derzeit nur auf August Bebel (unter anderem August-Bebel-Straße).
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- August Bebel. Eine Biographie. Autorenkollektiv unter Leitung von Ursula Herrmann und Volker Emmrich, Berlin 1989.
- August und Julie Bebel. Briefe einer Ehe, herausgegeben von Ursula Herrmann, Bonn 1997 (darin auch Briefe an Friedrich Engels und Natalie Liebknecht).
- Bebel, August: Aus meinem Leben. Ungekürzte Neuausgabe Bonn, 1997.
- Beske, Anneliese: Frau Julie, in: Ich muß mich ganz hingeben können. Frauen in Leipzig. Herausgegeben von Friderun Bodeit, Leipzig 1990, Seiten 157-169, 237 und folgende
- Beutin, Heidi: "Noch heute steigt mir das Blut zu Kopfe, gedenke ich jener Zeiten." Alltag und Mentalität unter den Bedingungen eines Ausnahmegesetzes. Julie und August Bebel in ihrem Briefwechsel, in: 125 Jahre Sozialistengesetz. Beiträge der öffentlichen wissenschaftlichen Konferenz vom 28.-30. November 2003 in Kiel, Frankfurt am Main 2004, Seiten 157-181 (Bremer Beiträge zur Literatur- und Ideengeschichte Band 45).
- Gemkow, Heinrich: Julie Bebel, in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung 1989/4, Seiten 545-553.
- Herrmann, Ursula: Julie Bebels Familie in Leipzig, in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung 1997/4, Seiten 85-98.
- Kautsky, Karl: Julie Bebel, in: Die Neue Zeit. Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie. 29. 1910-1911, 1. Band (1911), Heft 9, Seiten 276-278.
- Schmidt, Jürgen: August Bebel. Eine Biografie, Zürich 2013, Seiten 139-163 (spezielles Kapitel zu Familie, Freundschaften und Alltag).
- [Zetkin, Clara:] Juli Bebel, in: Die Gleichheit (Stuttgart), 5.12.1910, Seiten 67-69.
Autor: Heiner Thurm, 2015