Brandstetter, Johanna - Leipziger Frauenporträts
Johanna Brandstetter © Sächsisches Staatsarchiv, StA Leipzig, 20533 RG Rüben, Familienarchiv Nr. 98 Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Bildung/ Pädagogik
- Frauenbewegung
- Soziales
- Wirtschaft
geboren/ gestorben
26. Januar 1849 (Leipzig) - 10. Juli 1906 (Niederlößnitz bei Dresden)
Zitat
"Für Bedürftige 'ein Päckchen schnüren'!"
Kurzporträt
Johanna Brandstetter unterstützte den Frauenbildungsverein, den Allgemeinen Deutschen Frauenverein sowie den Leipziger Lehrerinnenverein unter anderem in Finanzfragen. Ihr außerordentliches Engagement ermöglichte 1894 die Eröffnung des Lehrerinnenheims in Leipzig.
Herkunftsfamilie
- Vater: Georg Christian Friedrich Brandstetter (1803-1877), Kaufmann, Verlagsbuchhändler
- Mutter: Christiane Henriette Emilie, geborene Degener (1809-1890)
- Geschwister:
- Emil Friedrich Otto (1830-1832)
- Caroline Marie Ottilie (1832-1916)
- Agnes Amalie Louise (1833-1850)
- Auguste Emilie (1834-1910)
- Richard (1841-1922)
- Oscar (1846-1915)
- Wilhelmine Emilie Amalie (1852-nach 1942)
Biografie
Der Vater Johanna Brandstetters kam um 1820 von Hof nach Leipzig und fand in der Firma des Damast- und Leinwandfabrikanten Christian Gottlieb Schwägrichen eine Anstellung. Nach dem Erwerb des Bürgerrechts 1828 wurde er Prokurist und kurze Zeit danach auch Teilhaber in Schwägrichens Firma. Die Mutter entstammte der wohlhabenden Familie des Amtsrats Johann Christian Degener, der 1827 im Südraum Leipzigs, dem Örtchen Rüben, das Rittergut samt Mühle und Weinberg gekauft hatte. Heute existiert das alles nicht mehr, denn der Ort wurde 1957 wegen des Braunkohleabbaus aufgelöst.
1844 trennte sich Johannas Vater von Schwägrichen, um ein eigenes Geschäft für Leinen- und Tischzeug zu eröffnen. Gleichzeitig kaufte er den Leipziger Verlag von Wilhelm Einhorn und später noch andere insolvente Verlage hinzu. Beide Geschäfte wurden in bester Lage eingangs der Grimmaischen Straße etabliert. Fortan wies sich Friedrich Brandstetter in den Adressbüchern als Buchhändler und Kramer aus. Die Familie zog noch im selben Jahr von der Ranstädter Vorstadt in die vornehme Königstraße 3 (heute: Goldschmidtstraße 8, Kriegsverlust). In diesem Viertel wohnten Buchhändler, Verleger, Druckereibesitzer wie Ernst Keil, Max Abraham und Henri Hinrichsen, aber auch die Familie Mendelssohn Bartholdy. Am 26. Januar 1849 wurde Johanna hier geboren. Sie war ein zartes, häufig kränkelndes Kind, was die Eltern veranlasste, sie des Öfteren zur Erholung aufs Land zu schicken. Das Rittergut Rüben der Großeltern war dafür bestens geeignet, aber auch von Reisen in die Schweiz wird berichtet.
Nach den Revolutionsjahren von 1848/1849 setzte eine rasante wissenschaftliche und technische Entwicklung ein, die ab Mitte der 50er Jahre neuen wirtschaftlichen Aufschwung brachte. Das aufstrebende Besitzbürgertum legte großen Wert auf die Ausbildung seiner Söhne und Töchter. Sohn Richard übernahm den väterlichen Verlag, und das Gebäude in der Dresdner Straße 11-13 erinnert heute noch an die Buch- und Musikaliendruckerei Oscar Brandstetters, des zweitgeborenen Sohnes. Johanna und ihre jüngere Schwester Amalie besuchten das private Unterrichts- und Fortbildungsinstitut für Mädchen, das von Ottilie von Steyber (1804-1870) gegründet worden war. Diese hatte mehrere Jahre als Lehrerin und Erzieherin im Hause des Buchhändlers Friedrich Brockhaus gearbeitet und mit städtischer Erlaubnis 1848 in der Königstraße die Schule für Mädchen jeden Alters und nach der Konfirmation bis zur 10. Klasse eröffnet. Das von Steyber´sche Institut zeichnete sich durch Unterrichtsinhalte wie Deutsch, Rechnen, Religion, Geschichte, Naturkunde, Musik und Sport aus. Neben Lehrern der städtischen Bürgerschule unterrichteten auch Lehrerinnen, zu denen Auguste Schmidt (1833-1902) und ihre Schwestern Anna und Clara gehörten, sowie zwei Muttersprachlerinnen für den Fremdsprachenunterricht.
Über Auguste Schmidt wurde Johanna mit Frauen bekannt, deren Ziel es war, dem weiblichen Geschlecht durch Vorträge, Gespräche und Bildungsangebote Wege zu mehr Eigenständigkeit und Unabhängigkeit aufzuzeigen. Der 1865 gegründete Frauenbildungsverein unter dem Vorsitz von Louise Otto-Peters (1819-1895) und Ottilie von Steyber unterhielt unter anderem auch eine Sonntagsschule für konfirmierte Mädchen, wo Rechnen mit Buchführung gelehrt wurde. Die Kurse fanden im von Steyber´schen Institut statt und es ist sehr wahrscheinlich, dass Johanna hier ihre Kenntnisse erworben hat, die sie später als Kassiererin des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins unbedingt brauchte. Nach dem Tod Ottilie von Steybers 1870 übernahm Auguste Schmidt deren Aufgabe und gewann auch ihre einstige Schülerin Johanna als organisatorische Mitarbeiterin für den Verein. In Anerkennung dieser Tätigkeit wurde Johanna Brandstetter später, auf der Generalversammlung des Frauenbildungsvereins 1893, in den Vorstand gewählt und gehörte diesem bis zum Ausscheiden aus gesundheitlichen Gründen mehrere Jahre an.
Ihren ehemaligen Lehrerinnen zollte Johanna Brandstetter größte Hochachtung. So war es nicht verwunderlich, dass sie auch dem 1888 gegründeten Leipziger Lehrerinnenverein sehr nahe stand. 1892 spendete sie dem Verein 10.000 Mark für eine Geschwister-Schmidt-Stiftung, aus der bedürftige Lehrerinnen, in erster Linie die des von Steyber'schen Instituts, unterstützt werden sollten. Als der Verein 1893 den Beschluss fasste, ein Heim zum Zwecke der Weiterbildung, preiswerten Unterkunft und Verköstigung für Lehrerinnen einzurichten, zögerte Johanna Brandstetter nicht, die Vorbereitungen mit Damen aus ihrem Bekanntenkreis sowie die finanzielle Kalkulation vorwiegend mit Spendengeldern zu übernehmen. Die Eröffnungsfeier des Lehrerinnenheims in der Hohen Straße 35, II. Etage, konnte Ende September 1894 stattfinden. Rosalie Büttner (1846-1913), Vorsitzende des Leipziger Lehrerinnenvereins, formulierte in der Festrede: "Vor allem aber drängt es mich, Ihnen verehrtes Fräulein Brandstetter, die Sie das ganze Unternehmen geleitet haben, den herzlichsten Dank der Lehrerinnen darzubringen [...] Sie haben in diesem Jahre auf alles verzichtet, was sonst Ihr Leben verschönerte und hatten nur das eine Ziel, die Gründung des Lehrerinnenheimes, vor Augen." Johanna Brandstetter wurde aus diesem Anlass Ehrenmitglied des Lehrerinnenvereins. Unter ihrer Leitung verwaltete das Heimkomitee die Räume, die Bibliothek und den Mittagstisch noch vier Jahre, dann übernahm der Verein selbst die Weiterführung. Zum 25-jährigen Jubiläum des Lehrerinnenvereins 1913 fand Rosalie Büttner wiederholt lobende Worte für das Engagement der Komiteedamen, denn "sie haben sich ein bleibendes Andenken in den Herzen der Lehrerinnen gestiftet".
Auch im Allgemeinen Deutschen Frauenverein (ADF), der 1865 in Leipzig gegründet worden war, fand Johanna Brandstetter ein breites Betätigungsfeld. Wann sie in den Verein eintrat, ist nicht bekannt. Aber im Bericht vom 25-jährigen Jubiläum des ADF 1890 ist nachzulesen, dass sie eine Grußbotschaft geschickt hat. Drei Jahre später auf der Generalversammlung des ADF in Nürnberg wurde sie in den neuen erweiterten Vorstand zunächst als Beisitzerin gewählt. Die Kassiererin des ADF, Josephine Friederici (gestorben 1904), war gesundheitlich sehr geschwächt und benötigte Unterstützung in der Finanzverwaltung. Deshalb beschloss der Vorstand, Johanna Brandstetter in dieses sehr verantwortungsvolle Amt einzuarbeiten. Immerhin ging es um die Verwaltung des Vereinsvermögens, der Mitgliedsbeiträge, der Stiftungen und Wertpapiere sowie die Verteilung von Zuschüssen für die Gymnasialkurse in Leipzig und die Stipendienvergabe für Schülerinnen und Studentinnen. Im Oktober 1895 erfolgte dann die Wahl zur Kassiererin des ADF. Eine ihrer ersten Aufgaben war die Veranstaltung einer Spendenaktion zur Errichtung eines Denkmals für Louise Otto-Peters. Während ihrer Tätigkeit bemühte sich Johanna Brandstetter immer wieder, möglichst viele Stipendien zur Verfügung stellen zu können, mit den Stipendiatinnen persönlichen Kontakt zu pflegen und mitunter auch zusätzliche Spenden einzuwerben. Das alles brachte ihr eine hohe Anerkennung im Vorstand sowie bei den Mitgliedern des ADF ein. Gesundheitliche Probleme zwangen sie leider immer wieder, in Sanatorien neue Kraft zu schöpfen. Die Zeit arbeitete gegen sie und so entschloss sie sich, am 1. Oktober 1904 das Amt niederzulegen und auch aus dem Vorstand auszuscheiden.
Johanna Brandstetter blieb unverheiratet. Ihr soziales und fürsorgliches Engagement ihren Mitmenschen und besonders jungen Schutzsuchenden gegenüber kam auch in der Tatsache zum Ausdruck, dass sie 1888, nachdem sie ihre erste eigene Wohnung bezogen hatte, ein 8-jähriges Waisenkind aufnahm, ihm ein Zuhause gab und für eine gute Ausbildung sorgte. Den Abschluss des Studiums ihrer Pflegetochter Marie Kröhne (1880-um 1972), die als eine der ersten Hochschulabsolventinnen ihre Dissertation 1908 an der Leipziger Universität erfolgreich einreichte, erlebte die Pflegemutter nicht mehr. Johanna Brandstetter starb während eines Kuraufenthaltes an Lungenentzündung. Unter großer Anteilnahme wurde sie auf dem Neuen Johannisfriedhof (heute: Friedenspark) beigesetzt.
Adressen in Leipzig
- 1887: Königsplatz 9 (Kriegsverlust)
- 1891: Königstraße 26 (heute: Goldschmidtstraße)
- 1896: Beethovenstraße 13 (Kriegsverlust)
- 1901: Beethovenstraße 31
- 1902: Grassistraße 33 (Kriegsverlust, Neubau)
- 1905: Kaiser-Wilhelm-Straße 30 (heute: August-Bebel-Straße, Kriegsverlust, Neubau)
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Louise-Otto-Peters-Archiv, Neue Bahnen. Organ des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins, herausgegeben von Louise Otto-Peters und Auguste Schmidt.
- Universitätsbibliothek/ Comeniusbibliothek, Leipziger Lehrerinnenverein. Festrede zur 25. Jubel-Feier, gehalten am 26. Januar 1913 von Rosalie Büttner.
- Stadtarchiv Leipzig, Leipziger Adressbücher; Polizeimeldeakten; Kapitel 35 Nummer 227.
- Sächsisches Staatsarchiv, StA Leipzig, 20533 RG Rüben.
Autorin: Hannelore Rothenburg, 2014