Burgheim, Hedwig - Leipziger Frauenporträts
Hedwig Burgheim nach dem November-Pogrom 1938 © Rolf Kralovitz, Köln Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Bildung/ Pädagogik
- Frauenbewegung
- Verfolgte/ Opfer des NS
geboren/ gestorben
28. August 1887 (Alsleben an der Saale) - 27. Februar 1943 (Auschwitz)
Zitat
"Sich selbst erziehen heißt sich selbst überwinden."
(aus ihrem Vortrag vom 13. Februar 1935)
Kurzporträt
Die jüdische Reformpädagogin Hedwig Burgheim gehörte zu den ersten Pädagogik-Studentinnen der Hochschule für Frauen in Leipzig. Von 1920 bis 1933 baute sie das Fröbel-Seminar in Gießen zu einer anerkannten, umfassenden Bildungseinrichtung aus. Nach 1933 und bis zu ihrer Deportation 1943 war sie in der jüdischen Selbsthilfe in Leipzig aktiv.
Herkunftsfamilie
- Vater: Martin Burgheim (1859-1923), Handelsvertreter
- Mutter: Caroline geboren Bucky (1862-1938)
- Schwestern: Dorothea (1885-Ende 1960er-Jahre) und Martha (1889-1943)
Biografie
Hedwig Burgheim stammte aus einer liberal gesinnten, assimilierten jüdischen Familie, die 1889 nach Leipzig zog. Alle drei Töchter erhielten eine berufliche Ausbildung. Die älteste Schwester Dorothea studierte am Leipziger Konservatorium, wurde Konzertpianistin und folgte ihrem Mann, dem Dirigenten und Pianisten Benno Kantorowitz, Anfang der 1920er-Jahre in die USA. Martha, die jüngste, absolvierte eine kaufmännische Ausbildung im Textilgeschäft des Onkels Theodor Bucky in der Katharinenstraße.
Hedwig durchlief nach der Höheren Schule eine einjährige kaufmännische Ausbildung, besuchte wissenschaftliche Kurse, darunter eventuell auch die Vortragsreihe des Lyzeums für Damen von Henriette Goldschmidt, und hatte Privatunterricht in Französisch und Italienisch. Von 1908 bis 1911 arbeitete sie als Gouvernante der Töchter des Leipziger Verlagsbuchhändlers Bernhard Meyer. Danach begann sie im Kindergärtnerinnenseminar der Fröbel-Pädagogin Henriette Goldschmidt eine Ausbildung zur Kindergärtnerin. Im November 1911 konnte Henriette Goldschmidt dank der großzügigen Förderung vor allem durch Dr. Henri Hinrichsen (1868-1942), Inhaber der weltbekannten Edition Peters Leipzig, und seine Frau Martha geborene Bendix (1881-1941) die Hochschule für Frauen eröffnen. Diese verstand sich nicht als Konkurrenz zur Leipziger Universität, an der sich ab 1906 auch Frauen immatrikulieren konnten, sondern bot Frauen wissenschaftlich fundierte Ausbildungsmöglichkeiten für soziale, pädagogische, medizinische und naturwissenschaftliche Berufe. Hedwig Burgheim gehörte zu den ersten Pädagogik-Studentinnen der Hochschule für Frauen und schloss ihr Studium 1915 mit "sehr gut" ab. Danach bildete sie Kinderpflegerinnen in Leipzig aus und arbeitete als Lehrerin in Grünheide.
Ab 1918 war sie im Fröbel-Seminar Gießen angestellt, das Kindergärtnerinnen, Hortnerinnen und Kinderpflegerinnen ausbildete. 1920 übernahm sie dessen Leitung. Ab 1921 gehörte die Einrichtung zum Alice-Schulverein für Frauenbildung und Frauenerwerb Gießen. Nach der Inflationszeit erweiterte Hedwig Burgheim das Seminar um eine Haushaltungsschule, ein Lehrerinnenseminar für Kindergärtnerinnen, drei Kindergärten sowie zwei Kinderhorte. Neben ihren Verpflichtungen als verantwortliche Leiterin gab sie in vielen Fächern auch selbst Unterricht, so in Pädagogik, Entwicklungspsychologie, Deutsch und Philosophie. Wegen ihrer ausgezeichneten Fachkenntnisse und ihres hohen Engagements, ihrer Toleranz und Warmherzigkeit war Hedwig Burgheim bei Kolleginnen und Kollegen, Vorgesetzten und ihren Schülerinnen geachtet. Sie fand in ihrem Beruf Erfüllung und Anerkennung.
Nach 15 Jahren erfolgreicher pädagogischer Arbeit, in denen sie am Fröbel-Seminar rund 800 Schülerinnen ausgebildet hatte, wurde sie 1933 wegen ihrer jüdischen Herkunft zwangspensioniert. Sie bekam ein Ruhegehalt, das nur noch 30 Prozent ihres bisherigen Einkommens ausmachte und musste ihre Wohnung im Seminar räumen. Eine Freundin stellte ihr zwei Zimmer in ihrem Haus zur Verfügung. Im November 1935 zog Hedwig Burgheim zurück nach Leipzig, wo ihre Mutter sowie Schwester Martha mit Familie lebten. Schon zuvor war sie in Leipzig in der jüdischen Selbsthilfe aktiv geworden und hatte hier Vorträge für den Jüdischen Frauenbund gehalten. Im Auftrag der Israelitischen Religionsgemeinde Leipzig baute Hedwig Burgheim ab 1936 eine Haushaltungsschule für jüdische Mädchen auf, die ab 1937 in der Humboldtstraße 13 untergebracht war. 1938 kamen Kurse zur Ausbildung von Kinderpflege- und Haushaltsgehilfinnen sowie zur Kinderpflegerin dazu. Die unter schweren Bedingungen geschaffene Berufsschule wurde in der Pogromnacht am 9. November 1938 zerstört. Hedwig Burgheims Auswanderungsversuch in die USA, wo ihre Schwester Dorothea mit Familie sowie zwei Vettern lebten, scheiterte.
Anfang 1939 fand die Fröbelpädagogin eine Anstellung als Lehrerin in der Carlebach-Schule, Gustav-Adolf-Straße 7 (heute befindet sich dort die Deutsche Zentralbücherei für Blinde), die nach den Zerstörungen in der Pogromnacht wieder hergerichtet worden war. Zu den noch etwa 350 Schülern gehörte auch ihr Neffe Rolf Kralovitz, der Sohn ihrer Schwester Martha. Als im Juni 1939 die erste Vorsitzende des Vereins Israelitischer Kindergarten Tagesheim e. V. auswandern konnte, übernahm Hedwig Burgheim deren Funktion. Gertrud Herrmann (1896-1942), die erste jüdische Studienrätin Sachsens, welche ebenfalls an der Carlebach-Schule unterrichtete und mit der sie eng befreundet war, wurde ihre Stellvertreterin. 1942 übernahm Hedwig Burgheim die Leitung des jüdischen Altersheims Nordstraße 15, dessen Leiterin schon deportiert worden war, und musste dessen Auflösung miterleben. Die Bewohner des Altersheims wurden abtransportiert, ihre Habseligkeiten versteigert. Hedwig Burgheim wurde am 17. Februar 1943 deportiert und am 27. Februar in Auschwitz ermordet.
Seit 1981 verleiht der Magistrat der Stadt Gießen aller zwei Jahre die Hedwig-Burgheim-Medaille für "Verdienste und Verständnis zwischen den Menschen und in verpflichtendem Gedenken". 1985 wurde das Hauptgebäude der Pädagogischen Akademie Elisabethenstift Darmstadt in Hedwig-Burgheim-Haus benannt, ebenso der Hedwig-Burgheim-Ring in 35396 Gießen. Des Weiteren gibt es in Gießen eine Hedwig-Burgheim-Gedenktafel in der Aliceschule Gießen und einen Stolperstein an ihrer Wohnadresse Gartenstraße 30.
Werke
- Andrea Dilsner-Herfurth, Hedwig Burgheim. Leben und Wirken. Herausgegeben von Rolf und Brigitte Kralovitz. Leipzig 2008.
- www.stolpersteine-leipzig.de
Adressen in Leipzig
- 1900-1916: Fregestraße 22, I
- 1935-1939: Fregestraße 22, dann Wettiner Straße 9
- 1940-1941: Untermiete bei Fritz und Lotte Jonas, Fregestraße 7
- 1942: Michaelisstraße 3, eines der als "Judenhäuser" bestimmten Wohnhäuser in Bahnhofsnähe
- 1942: Nordstraße 15, im von ihr geleiteten Altersheim
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- Hedwig-Burgheim-Gedenktafel (Wettiner Straße 9, 04105 Leipzig)
- Hedwig-Burgheim-Gedenktafel im Foyer der Henriette-Goldschmidt-Schule (Goldschmidtstraße 20, 04103 Leipzig) seit Juni 2008/Inschrift: "Hedwig Burgheim/ 1887-1943/ Studentin an der Hochschule für Frauen Leipzig 1911-1915/ Leiterin des Fröbelseminars Gießen 1920-1933/ Sie wurde in Auschwitz ermordet."
- Stolperstein (Wettiner Straße 9, 04105 Leipzig)
- Hedwig-Burgheim-Straße (seit 1996, 04157 Leipzig)
Autorin: Gerlinde Kämmerer, 2013