Cain, Ursula - Leipziger Frauenporträts
Ursula Cain als Julia in Prokofjews Ballett „Romeo und Julia“ © Helga Wallmüller, Leipziger Theater Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Tanz/ Theater
geboren/ gestorben
24. April 1927 (Dresden) - 16. Oktober 2011 (Leipzig)
Zitat
"Mein Leben, das waren der Tanz, meine Familie und mein Engagement für den tänzerischen Nachwuchs."
Kurzporträt
Ursula Cain war ab Mitte der 1950er-Jahre 1. Solistin im Leipziger Opernballett, hat später an der Fachschule für Tanz, der späteren Ballettschule der Oper Leipzig, den künstlerischen Nachwuchs ausgebildet und war nach der Jahrtausendwende in Deutschland mit knapp 80 Jahren die älteste noch aktive Mary-Wigman-Schülerin.
Herkunftsfamilie
- Vater: Walter Lein (1893-1972), Reichsbahn-Stellwerksmeister
- Mutter: Elsa Lein (1894-1971)
- Schwester Marianne (1922-2006)
Biografie
Ursula Cain hat im Laufe ihres Lebens manche Schicksalsschläge hinnehmen müssen. In diesen Situationen liebte sie den Tanz besonders, weil er für sie ein Weg war, um sich aus dem Schmerz zu befreien.
Das war auch so, als die junge, gut ausgebildete Mary-Wigman-Schülerin und Absolventin der Tanzakademie nach den sinnlosen Bombardements ihrer Geburtsstadt Dresden im Februar 1945 unter dem Künstlernamen Ursula Cain einen Neuanfang wagte. Sie fand Aufnahme bei Dore Hoyer und deren Ausdruckstanz-Gruppe und war an deren legendärem Käthe-Kollwitz-Projekt beteiligt. Als die Truppe auseinander fiel, ging die Tänzerin nach Rostock und kam über Dessau Mitte der 1950er-Jahre nach Leipzig ins Interim-Opernhaus "Drei Linden", die heutige Musikalische Komödie. Ihre klassische Ausbildung absolvierte sie bei den Choreografinnen Gertrud Steinweg und der berühmten Tatjana Gsovsky.
Ursula Cain wurde 1. Solistin des Leipziger Opernballetts. Wer die Künstlerin sah, erlebte, wie sie mit Enthusiasmus, Virtuosität und Faszination Musik von Gluck, Mozart und Beethoven in Bewegung umsetzte. Sie war Rimski-Korsakows "Scheherazade", Prokofjews Julia, Blachers Desdemona im Ballett "Der Mohr von Venedig", die Laurenzia in Gliers "Tochter Kastiliens", die Frau von Spartakus in Hohensees "Das Fanal" und Egks Archisposa in "Abraxas". Die Cain feierte in Ballettwerken von Wagner-Regeny, Bruns und anderen Komponisten des 20. Jahrhunderts Triumphe.
Helmut Seydelmann (1901-1962), der Generalmusikdirektor der Leipziger Oper, der Richard Wagners "Meistersinger von Nürnberg" zur Eröffnung des neuen Opernhauses dirigierte, war ihr Mann. Die Primaballerina begeisterte derweil als Böse Fee in Tschaikowskis "Dornröschen", der ersten Ballettpremiere im Haus am damaligen Karl-Marx-Platz, die vom Fernsehen übertragen wurde.
Helmut Seydelmann, inzwischen an die Berliner Staatsoper Unter den Linden berufen, wurde nach schwerer Krankheit von ihrer Seite gerissen. Nach einem Bühnenunfall bei den Polowetzer Tänzen in Borodins "Fürst Igor" trat Ursula Cain von der Bühne ab. Fortan lebte sie zurückgezogen, bis sie ein neues Glück fand und ihre Tochter geboren wurde. Nun füllten Mutterpflichten sie aus, bis sie sich später ein weiteres Betätigungsfeld suchte: An der Fachschule für Tanz, der späteren Ballettschule der Oper Leipzig, begann sie Ende der 70er-Jahre ihre zweite Karriere als Pädagogin für modernen Tanz; später war sie für die Kinderklassen verantwortlich. Außerdem übte sie Jahrzehnte mit Amateur/-innen beim "Tanzkaleidoskop" in Leipzig-Gohlis.
Als ihr zweiter Mann nach 39 gemeinsamen Jahren starb, kam der kleinen, grazilen Grande Dame erneut der Tanz zu Hilfe. Plötzlich war sie mit 80 nicht nur die älteste Wigman-Schülerin, sondern wurde durch den Film "Tanz mit der Zeit" berühmt. Das verdankte sie der Leipziger Choreografin Heike Hennig, die sie und drei andere Ballett-Senioren für ihr Stück "Zeit - tanzen seit 1927" gewann. Das Gros des Publikums in Leipzig, Dresden, Berlin, Duisburg und an anderen Orten nahm diesen Abend mit Wohlgefallen und Ovationen auf. Die Älteren staunten, nahmen die Anregung mit, sich selbst mehr zu bewegen. Die Jüngeren schauten verwundert auf Mut, Würde, Energie, Ausdruck und Ausstrahlung der Darstellenden, zollten ihnen Hochachtung. Der Neuseeländer Trevor Peters drehte darüber einen Film, der um die Welt ging. Ein einstiger Star wurde nochmals zum Star. 2008 verabschiedete sich Ursula Cain in Halle zu Händels Musik von der Bühne.
Und wie war sie im Privaten? Sie reiste gern, liebte die Rosen in ihrem Garten. Sie freute sich über die Ehrenmitgliedschaft der Oper Leipzig, war beim Bundespräsidenten im Schloss Bellevue zu Gast. Sie ging regelmäßig in die geliebten Gewandhauskonzerte, besuchte Premieren. Doch ihr ganzes Glück waren Tochter und Enkel. Als sie die Kräfte verließen, entschlief sie sanft. Ihr Grab befindet sich auf dem Friedhof Leipzig-Gohlis.
Auf Initiative und unter Schirmherrschaft von Ministerin Sabine von Schorlemer wird ab 2015 der mit 10.000 Euro dotierte Sächsische Tanzpreis verliehen, der Ursula Cains Namen trägt.
Adressen in Leipzig
- 04157 Gohlis
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- Ehrenmitglied der Oper Leipzig
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Ingeborg Stiehler/Jürgen Tiede: Ursula Cain - Von Barfuß bis Spitze, Eigenverlag, Leipzig 1997.
- Marion Appelt: Tanz mit der Zeit, Plöttner Verlag Leipzig, 2008.
- Trevor Peters: Tanz mit der Zeit, DVD, 2007.
Autor: Rolf Richter, 2014