Espenhayn, Kay - Leipziger Frauenporträts
Kay Espenhayn, 1979 © Monika Espenhayn Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Sport
geboren/ gestorben
20. August 1968 (Leipzig) - 15. September 2002 (Leipzig)
Zitat
"Ich glaube, für mich entschließen zu wollen, lieber kurz und intensiv zu leben, als ewig im Glaskasten zu hocken [...] Ich finde nichts, was mir ähnlich viel wie das Schwimmen bedeuten könnte."
(Tagebuchaufzeichnung vom 8. Dezember 1999)
Kurzporträt
Die Ausnahmeschwimmerin Kay Espenhayn war erfolgreiche Paralympics-Teilnehmerin in Atlanta 1996 und Sydney 2000, stellte mehrere Weltrekorde auf und wurde als Sächsische Sportlerin des Jahres 1996 geehrt. 2001 wurde sie als erste Deutsche im Behindertensport zur UNICEF-Botschafterin berufen.
Herkunftsfamilie
- Vater: Lothar Espenhayn (1940-2003), Zahnradfräser
- Mutter: Monika Espenhayn (geboren 1940), Kindergärtnerin
- Schwester: Grit (geboren 1971), Krankenschwester
Biografie
Kay Espenhayn wurde wie ihre jüngere Schwester Grit in Leipzig geboren. Seit dem dritten Lebensjahr besuchte sie einen christlichen Kindergarten und ab 1975 die damalige 39. Polytechnische Oberschule in Leipzig-Möckern. Sie war ein aufgeschlossenes Kind, ihren Schulkameraden gegenüber mitfühlend, dazu begabt und ehrgeizig. Bereits mit 5 Jahren lernte sie schwimmen und begeisterte sich dafür. Für eine andere Sportart, die Rhythmische Sportgymnastik, wurde sie jedoch in der 2. Klasse wegen ihrer sehr guten Beweglichkeit gesichtet und hier trainierte sie mit Freude mehrmals wöchentlich bis 1980. Einem anschließenden Besuch der Kinder- und Jugendsportschule stimmten die Eltern nicht zu. Das bis zu diesem Zeitpunkt intensive Training endete dann ohne physiologisch und psychologisch angezeigtes Abtrainieren, eine mögliche Ursache dafür, dass sich insbesondere die Überbeweglichkeit später nachteilig auswirkte.
An die Stelle des sportlichen Hobbys trat eine musikalische Ausbildung im Flötenspiel, später im Waldhornblasen. Kay spielte im Jugendblasorchester der Schule bis zum Ende der Schulzeit 1985. Sie schätzte ihr musikalisches Talent selbst jedoch als weniger ausgeprägt als das sportliche ein. Die erst auf Drängen der Eltern erfolgte Nachdelegierung zur angestrebten Erweiterten Oberschule lehnte Kay letztendlich ab. Ihr behagte die Zusammensetzung der Klasse nicht und sie befürchtet, bei der Studienwahl in eine ungewollte Richtung gelenkt zu werden. Spaß zu haben am späteren Beruf war ihr wichtig. Deshalb entschied sie sich für eine medizinische Tätigkeit. Nach einem zwischengeschobenen praktischen Jahr im Evangelisch-Lutherischen Diakonissenhaus Leipzig begann sie 1986 das Studium an der Medizinischen Fachschule Leipzig. Dem Staatsexamen als Medizinisch-technische Laborassistentin 1989 folgte eine Berufstätigkeit im Diakonissenhaus Leipzig. Bereits in Ausbildung und Praktika hatte sich Kay gern und intensiv den Patienten zugewandt. Sie konnte auf Menschen eingehen. Freiwillig übernahm sie Pflegedienste an freien Tagen und Wochenenden.
Während des Studiums fand sie Anschluss an eine regelmäßig trainierende Schwimmgruppe. Sie wurde Rettungsschwimmerin der Stufen I und II und war in den Sommermonaten am Kulkwitzer See bei Leipzig und an der Ostsee eingesetzt, bildete auch selbst Rettungsschwimmer mit aus. Die Entfernung eines geschwollenen Lymphknotens am Hals setzte die Rettungsschwimmerin Kay 1989 matt. Unbeabsichtigt wurde bei der Operation ein Nerv durchtrennt, seitdem waren Halswirbelsäule, rechtes Schultergelenk und rechter Arm in der Bewegung eingeschränkt, Kopfsprünge verboten und damit Rettungseinsätze nicht mehr erlaubt. Für Kay bedeutete das keineswegs ein Ende des Schwimmens. Sie fand 1992 den Weg zum Behindertensportverein Leipzig, wo sie erlebte, dass sich selbst Rollstuhlfahrer souverän im Wasser bewegen konnten. Sie begann wieder mit dem regelmäßigen Training.
Die körperlich anstrengende Tätigkeit in der Pflege führte bei Kay 1993 zu massiven Bandscheibenschäden. Nach Operation und einem halbjährigen Klinikaufenthalt wurde die 25-Jährige mit der Diagnose komplette Querschnittslähmung ab 5. Brustwirbel und im Rollstuhl entlassen. Der unbedingte Wille, wieder zu schwimmen, reifte schon im Krankenhaus in Kay. Ihre Sehnsucht nach Menschen und Bewegung war so stark, dass sie eine Arbeit in der Ernährungsdiagnostik an der Chirurgischen Klinik des Klinikums St. Georg begann. Und sie nahm in der Schwimmgruppe des Behindertensportvereins unter Trainer Hanno Mertens das Training - Schwimmen nur mit den Armen, ohne Beinunterstützung - wieder auf! Sie begleitete die Schwimmgruppe zu den Deutschen Meisterschaften nach Bayreuth, um andere behinderte Schwimmer kennen zu lernen und zu testen, ob sie sich im Wasser halten und bewegen kann. Die ungeplante Schwimmstrecke war erschöpfend, aber der Ehrgeiz geweckt! Im Januar 1994 bezog sie eine eigene Wohnung, nachdem sie bisher bei der Mutter gewohnt hatte. Im April 1994 begann ihre Zeit als Wettkampfschwimmerin bei der Sachsenmeisterschaft, im Juli nahm sie erstmals an Deutschen Meisterschaften teil und der erste internationale Auftritt folgte bei den Niederländischen Meisterschaften 1995. Noch im gleichen Jahr schwamm Kay Espenhayn vier Weltrekorde bei der Europameisterschaft in Perpignan/ Südfrankreich. Im Wasser sei sie frei und leicht und fühle sich nicht behindert, so äußerte sie sich gegenüber ihrer Mutter.
Ein schöner Anlass - die Fahrt zur ARD-Sportgala in Ludwigsburg im Dezember 1995 - endete durch den Unfall des Taxis dramatisch mit erneutem Krankenhausaufenthalt. Willensstark nutzte Kay die Zeit der Reha, um den Umgang mit dem Rollstuhl zu verbessern, ein vorsichtiges Krafttraining zu absolvieren und ab März wieder zu schwimmen. Aus dem Zentrum für Querschnittsgelähmte in Kreischa wurde sie im Mai 1996 mit kompletter Querschnittslähmung ab 6. Halswirbel entlassen. Sie schaffte unmittelbar nach ihrer Entlassung die Teilnahme an den offenen Deutschen Meisterschaften und dort die Qualifikation für die Paralympischen Spiele 1996 in Atlanta, USA. Mit 6 Medaillen (3 x Gold, 2 x Silber, 1 x Bronze) kehrte sie zurück! Noch ein zweites Mal erreichte Kay das Unglaubliche: Sie startete 2000 bei den Paralympics in Sydney, Australien, und kam mit 5 Silbermedaillen nach Hause. Zwischen beiden Höhepunkten lagen insgesamt drei Jahre Krankenhausaufenthalt wegen organischer Erkrankungen und nachfolgender Rehabilitationen. Ihr Wille zu schwimmen behielt in diesem Kampf um ihr Leben noch die Oberhand.
Die erstmalige Wahl einer Sportlerin mit Handicap zur Sächsischen Sportlerin des Jahres 1996 stand am Beginn zahlreicher Ehrungen und öffentlicher Einladungen nach den erfolgreichen Paralympics. Diese Auszeichnung von Kay Espenhayn brachte dem Behindertensport eine neue Anerkennung. Es folgten 1997 und 2001 Silbernes Lorbeerblatt, verliehen vom Bundespräsidenten, 1997 BILD-Osgar, 1999 Eintrag in das Goldene Buch des Freistaates Sachsen und 2001 in das der Stadt Leipzig, 2000 und 2001 Leipziger Sportlerin des Jahres, 2002 Leipziger Botschafterin für UNICEF. Nicht so gern im Mittelpunkt stehend, nahm Kay Espenhayn die Einladungen dennoch an, Anerkennung und Bewunderung taten ihr selbstverständlich gut, sie lernte neue Menschen in einem anderen Umfeld kennen und machte anderen Mut mit ihrer "Aus-Strahlung". Zugleich wollte sie bewusst dem Behindertensport zu öffentlicher Aufmerksamkeit verhelfen, blieb aber ohne Illusion über das vergängliche Interesse der Medien bei nachlassendem Erfolg.
Mit Hilfe von Freunden und Sponsoren konnten für Kay einige der drückendsten Alltagserschwernisse gelöst werden: rollstuhlgerecht umgebaute Wohnung 1998, behindertengerechte Küche, behindertengerecht umgebautes Auto 1999, das sie selbst fahren konnte. Gern hätte sie ein Handybike gehabt für das Konditionstraining. Aber dazu reichten die eigenen Finanzen mit Erwerbsunfähigkeitsrente und etwas Sporthilfe nicht, die Krankenkasse kam nicht dafür auf. Unzählige Hindernisse blieben: steile Rampen, nicht funktionierende Fahrstühle, chaotische Transporte, schwierige Unterbringung bei Wettkämpfen, aber auch menschliche Gedankenlosigkeit wie vergessene Wettkampfmeldung, Unachtsamkeit, auch Rücksichtslosigkeit. Alles Dinge, die sie herausforderten, das tägliche Leben zu meistern und alle Energie auf das Wichtigste zu richten - schwimmen, sportliche Leistungen erreichen. Dieser starke, entschiedene Wille sowie die optimistische und heitere Wesensart bleibt allen, die Kay Espenhayn nahestanden, in Erinnerung. Mit ihrer Ausstrahlung beschenkte sie viele Menschen.
Im August 2001 stellte sie bei den Europameisterschaften in Schweden nochmals einen Weltrekord auf und bestritt im Dezember bei den Deutschen Mannschaftsmeisterschaften ihren letzten Wettkampf im Schwimmen. Seit Januar 2002 kämpfte sie im Krankenhaus mit schwerwiegenden Erkrankungen, von denen sie sich nicht mehr erholen konnte. Kay Espenhayn starb am 15. September 2002 im Alter von 34 Jahren.
Das Land Sachsen verlieh Kay Espenhayn am 8. März 2003 postum die Sächsische Sportkrone für das Lebenswerk.
Adressen in Leipzig
- 1976-1994: Nernststraße 10
- 1994: Hans-Beimler-Straße 1
- 1998: Am Mückenschlösschen 15
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- Patenbaum (Kirsche) an der ARENA Leipzig, Jahnallee/ Ecke Friedrich-Ebert-Straße; gepflanzt am 12.12.2004, mit Stele und Widmungsschild: "Meine Zeit steht in Deinen Händen/ Psalm 31.16/ Diese Kirsche (Prunus avium) wurde gepflanzt/ zum Gedenken an/ KAY ESPENHAYN/ 20.08.1968-15.09.2002/ mehrfache Europa- und Weltmeisterin/ Paralympics-Siegerin/ von Atlanta (1996) und Sydney (2000)/ 2001 als erste Deutsche im Behindertensport zur/ UNICEF-Botschafterin berufen/ von Freunden liebevoll 'Goldfisch' genannt"
- Ehrenurkunde des International Paralympic Committee für Kay Espenhayn, 2000. In: Moderne Zeiten. Leipzig von der Industrialisierung bis zur Gegenwart. Ständige Ausstellung im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig, Altes Rathaus. Kapitel Sportstadt und Katalog, Seite 355.
- Im Jahr 2005 wurde der jährliche Ausdauerlauf der Sportmittelschule Leipzig erstmals als Gedenklauf für Kay Espenhayn ausgetragen; inzwischen ist er parallel zur Ehrung auch Spendenlauf.
- Ein Schaukasten zur Persönlichkeit Kay Espenhayns befindet sich in der Sportmittelschule.
- Teile des sportlichen Nachlasses von Kay Espenhayn wurden durch Monika Espenhayn an das Sportmuseum Leipzig übergeben (Bekleidung von Paralympics, Pokal, Urkunden, Medaillen, Ehrenzeichen, Fotos).
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Ich will nur schwimmen. Porträt der Paralympics-Sportlerin Kay Espenhayn. Herausgegeben von Monika Espenhayn. Leipzig 2012 (siehe anderes Zitat oben).
- Bestimmt nicht weniger glücklich als andere ... Im Gespräch mit der Leipziger Ausnahmeschwimmerin Kay Espenhayn. In: Leipzig sportlich: Das Sportleben der Stadt in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Leipzig 2002. Seiten 256-259.
- Sperling, Wolfgang: Nachruf Kay Espenhayn. In: Sportmuseum aktuell. Leipzig 10 (2002)4, Seite 19.
- http://museum.zib.de/sgml_internet/.../
Autorin: Ingeburg Zeidler, 2014