Georgi, Yvonne - Leipziger Frauenporträts
Eckstein-Halpaus, Der künstlerische Tanz, Sammelbilderalbum, um 1930 Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Tanz/ Theater
geboren/ gestorben
29. Oktober 1903 (Leipzig) - 25. Januar 1975 (Hannover)
Zitat
"Ihre straffen, federnden Rhythmen haben jetzt eine stählerne Kraft, die phänomenal wirkt. Hier endlich sah man Tanzdämonie, Ekstase, wildes Sichselbstverschleudern in Schmerz und Jubel von einer absoluten, völlig ausgereiften und dabei ganz aus dem persönlichen Stil der Tänzerin geflossenen Technik getragen. Wie sie Skriabin und Krenek tanzt, das ist Ausdruck modernster seelischer und körperlicher Ekstase."
(Leipziger Neueste Nachrichten vom 22. März 1924)
Kurzporträt
In den 1920er-Jahren überzeugt Yvonne Emilie Hortense Felixine Georgi als große Stilistin des modernen Ausdruckstanzes und avanciert mit Harald Kreutzberg zu einem der weltweit erfolgreichsten Tanzpaare. Als Choreographin, Ballettmeisterin und Tanzpädagogin gelingt ihr zwischen 1954 und 1973 am Theater Hannover eine einzigartige Synthese zwischen avantgardistischen und klassischen tänzerischen Ausdrucksformen.
Herkunftsfamilie
- Vater: Dr. Carl Theodor Marius Albrecht Georgi (um 1863-1938?), praktischer Arzt und Augenarzt
- Mutter: Marguérite Cornélie Astier (1883-?)
Biografie
Yvonne Georgi wurde als einziges Kind von Dr. Albrecht Georgi und Marguérite Cornélie Astier am 29. Oktober 1903 in Leipzig geboren. Die Mutter, aus Algier stammend, war eine arabisch-französische Offizierstochter; der Vater, ein gebürtiger Oldenburger, hatte sich 1889 als Allgemeinmediziner und renommierter Augenarzt in Leipzig niedergelassen. Yvonne besuchte die II. Städtische Höhere Mädchenschule, wurde im Elternhaus musikalisch geprägt und fiel früh durch Selbstbewusstsein, Temperament und Willensstärke auf. Niemand dachte jedoch an einen künstlerischen Berufsweg, vielmehr galt eine Bibliothekslehre als ausgemacht. Die fand allerdings ein jähes Ende, welches Georgi selbst recht launig so beschrieb: Ich wurde Tänzerin, "weil ich als Bibliothekarin in der Deutschen Bücherei mich jammervoll mopste und zweitens - weil ich als Mitglied des Radfahrvereins ,Tretgut' mit sechzehn Jahren eines Tages im wunderschönen Monat Mai nachmittags 5.11 Uhr durch die Ferdinand-Rhode-Straße radelte. Die Anwesenheit meiner Jugendliebe [...] veranlaßte mich, bei Herrn Professor Gebhardt Besuch zu machen. Der suchte verzweifelt nach einer Tänzerin [...] und meinte, mit meinem sächsisch-arabischen Blut müßte ich hierzu geeignet sein."
Kurzentschlossen "hüpfte" Yvonne in einem Kostüm vom Semmler-Verleih am 9. Mai 1920 auf die Bühne im "Städtischen Kaufhaus", welches regelmäßig "Bunte Veranstaltungen für die Jugend" darbot. Es wurde Georgis erster Erfolg. Ein Pantomime-Abend im Haus des Gewandhauskapellmeisters Arthur Nikisch, mit dessen Tochter Nora, der späteren Leiterin des Kabaretts "Die Zeitlupe", Yvonne befreundet war, zeigte das komödiantische Talent beider Mädchen. Yvonne nahm Unterricht in Rhythmischer Gymnastik bei Agathe Schlesinger und begann eine Tanzausbildung an der Bildungsanstalt für Musik und Rhythmik (heute Festspielhaus Hellerau). Am 10. November 1920 erlebte Georgi in Leipzig einen Tanzabend mit Mary Wigman (1886-1973), der Wegbereiterin des rhythmisch-expressiven Ausdruckstanzes. Umgehend bewarb sie sich an deren Tanzschule in Dresden und stand bereits im folgenden Jahr mit Wigman auf der Bühne. Am 14.12.1921 wirkte Georgi in der Uraufführung der berühmt gewordenen Tanzdichtung Wigmans "Die 7 Tänze des Lebens" mit. 1923 hatte sie ihren ersten Solotanzabend in Leipzig, dem deutschlandweit Auftritte folgten. Georgi überzeugte mit gewaltiger Sprungkraft, Leichtigkeit, Komik und Kreativität. Begeistert meldeten die Leipziger Neueste Nachrichten am 22. März 1924: "Ihr gestriger Tanzabend war eine Oase in der Wüste endloser Veranstaltungen dieses Winters". Das Publikum der 20er Jahre hatte sich mehr und mehr vom klassischen Ballett mit seinen erstarrten Ausdrucksformen abgewandt und bejubelte die moderne Ausdrucksform; Programmzettel untersagten deshalb vorsichtshalber das "Betreten der Stühle".
Nach einem Engagement als Solotänzerin am Theater Münster wurde Georgi 1925/26 jüngste Ballettleiterin Deutschlands am Reußischen Theater Gera und wechselte 1926/27 an die Städtischen Bühnen Hannover. Mit Harald Kreutzberg (1902-1968) gestaltete sie gefeierte Tanzabende. Beide tourten erfolgreich 1929 und 1930 durch die USA und galten weltweit als großes Tanzpaar, welches für überragende Tanztechnik, aber auch für Witz, Inspiration und augenzwinkerndes Spiel mit Geschlechterrollen Berühmtheit erlangte. Ihre Rückkehr nach Deutschland wurde als "Verlust für Amerika" bedauert.
1931 übersiedelte Georgi nach Amsterdam, wo sie im Jahr darauf den Dirigenten und Musikkritiker Louis Marie George Arntzenius (1898-1964) heiratete und holländische Staatsbürgerin wurde.
Inzwischen war das Publikumsinteresse am Ausdruckstanz wieder zurückgegangen. Trotzdem erhielt Georgi bis 1935/36 fortlaufende Halbjahresverträge als Ballettmeisterin in Hannover. Zunehmend orientierte sie sich am klassisch-akademischen Tanz, da die von ihr favorisierte klassische Moderne und Jazzmusik vom nationalsozialistischen System als "entartet" abgelehnt wurde. 1936 betraute sie Königin Wilhelmina mit einer Massenchoreographie im Stadion Amsterdam. Sie gründete ein niederländisches Nationalballett, ein Novum in den Niederlanden. Die Tänzer traten ab 1940 auch unter der deutschen Besatzermacht auf. Georgi erklärte sich bereit, acht Vorstellungen für die NS-Gemeinschaft "Kraft durch Freude" in Deutschland zu bestreiten, nicht zuletzt, um ihre Tänzer vor der Zwangsverpflichtung zum Kriegsdienst zu bewahren. Das kostete sie nach dem Krieg die Leitung der Ballettgruppe.
1949/50 startete Georgi abermals einen beruflichen Neuanfang. In Paris choreographierte sie die Hauptrolle im Film "Ballerina" (Regie: Ludwig Berger) und vervollkommnete ihren eigenen Spitzen-tanz. Aber Georgi wollte nicht einfach zurück zu den formal-akademischen Wurzeln. Nach Zwischenstopps 1951 als Ballettmeisterin der Abraxas-Kompanie und 1952/53 als Ballettleiterin am Opernhaus Düsseldorf kam sie 1954 zum 3. Mal nach Hannover.
Ihr wurden einzigartig gute Bedingungen zum Aufbau einer Ballettkompanie zugestanden. Georgi arbeitete an einer Synthese zwischen klassisch-akademischen und modernen Techniken. Revolutionär waren ihre Choreographien zu elektronischer Musik des Holländers Henk Badings, die 1957 uraufgeführt und überraschend positiv von Publikum und Presse aufgenommen wurden. Daneben bildete sie (ab 1959 als Professorin) engagiert eigenen Nachwuchs aus. Unter ihrer Ägide galt Hannover deutschlandweit und international als etablierter Ballettstandort. Zahlreiche Gastspiele untermauerten den guten Ruf. Zum Triumpf gestaltete sich 1973 ihre letzte große Arbeit als Choreographin, für die Georgi den Titel "Skorpion", ihr eigenes Sternzeichen, wählte. Zur Musik des Amerikaners Morton Gold griff die weibliche Hauptrolle die starke und markante Persönlichkeit Georgis tänzerisch auf.
Am 25. Januar 1975 starb Yvonne Georgi in Hannover und wurde in einem Ehrengrab auf dem Stadtfriedhof Engesohde beigesetzt.
Werke
Als Tänzerin:
- 1921/22 Mitglied der Tanzgruppe von Mary Wigman
- 1923 Solotanzabende gemeinsam mit Gret Palucca
- 1924 weibliche Hauptrolle im "Persischen Ballett" (Egon Wellesz), Auftritt zu den Donaueschinger Musiktagen sowie Solotourneen, begleitet von Alfred Schlee und Fritz Cohen am Klavier, beziehungsweise am Schlagwerk
- 1924 "Arabische Suite", solistische Szenen zu Musik des Komponisten Felix Petyrek
- 1924/25 Solotänzerin am Theater der Stadt Münster
- 1927 "Don Morte", "Das seltsame Haus" und "Baby in the Bar" (nach einem Jazzballett von Willhelm Grosz; gemeinsam mit Harald Kreutzberg)
- 1928 "Strawinsky-Suite" (mit Harald Kreutzberg)
- 1929/30 drei Tourneen in die USA (mit Harald Kreutzberg)
- 1931 auf Einladung der renommierten Wagner Vereeniging in Amsterdam Choreographie der Oper "Acis and Galatea" (G. F. Händel) und Übernahme der tänzerischen Hauptrolle
Choreographien:
- 1926 "Petruschka" und "Pulcinella" (Strawinsky)
- 1933/36 Choreographien nach Kompositionen von Bach, Beethoven, Mozart, Schumann
- 1936 "Coppélia" (Léo Delibes)
- 1937 "The Laughing Cavalier" (Musical von Franz Hals)
- 1942 " Josephs Legende" (Richard Strauss)
- 1944 "Carmina Burana" (Carl Orff)
- 1949/50 "Ballerina" (Filmchoreographie)
- 1954 "Glück, Tod und Traum" in Zusammenarbeit mit dem Komponisten Gottfried von Einem
- 1955 "Human Variations" (Morton Gold)
- 1958 "Suite Evolutionen" zu einer elektronischen Komposition von Henk Badings
- 1959 "Ballett für Tänzer, Feuer und Wasser" (nach Händels "Wassermusik" - Freiluftinszenierung im Rahmen der "Herrenhäuser Spiele")
- 1960 "Die Frau aus Andros" nach einer Novelle von Thornton Wilder zu elektronischer Musik
- 1961 "Fünf Orchesterstücke" (Arnold Schönberg, Opus 16) Choreographische Uraufführung unter dem Titel "Prisma"
- 1961 Fernsehaufzeichnungen in Wien von "Glück, Tod und Traum" (Gottfried von Einem) und von "Evolutionen" (Henk Badings)
- 1962 "Apollon Musagète". Inszenierung zu Strawinskys 80. Geburtstag an der Wiener Staatsoper
- 1965 "Der Golem" (Francis Burt), Uraufführung
- 1968 Choreographie der "Blumenmädchenszene" in Wieland Wagners "Parsifal"-Inszenierung bei den Bayreuther Festspielen
- 1970 "Klein Zack" (Nikolai Karetnikow), Uraufführung
Ballettgründerin/ Ballettmeisterin/ Tanzschulgründerin:
- 1925 Ballettmeisterin am Reußischen Theater Gera (Thüringen)
- 1926 Tanzmeisterin an den Städtischen Bühnen Hannover
- 1926 Gründung der Tanzschule in Hannover, Bandelstraße
- 1928 Oberleitung über das Braunschweiger Ballett am Landestheater
- 1932 Ballettmeisterin in Hannover
- 1936 Gründung der Tanzschule Yvonne Georgi in Amsterdam (mit Unterstützung der Wagner Vereeniging in der Jacob Obrechtstraat)
- 1936 Gründung des niederländischen National-Balletts der Wagner Vereeniging (später Ballets Yvonne Georgi)
- 1951 Ballettmeisterin der Tourneetruppe "Abraxas"-Kompanie
- 1951/52 Ballett-Oberleitung am Düsseldorfer Opernhaus
- 1954 Ballettmeisterin des Landestheaters Hannover (bis 1970), Leiterin der Tanzabteilung der Hochschule für Musik und Theater (bis 1972/73)
Adressen in Leipzig
- Oktober 1903 - November 1920: Ranstädter Steinweg 29
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- in Leipzig: Keine.
- Yvonne-Georgi-Allee in Hannover und Yvonne-Georgi-Weg in Langenhagen
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Brigitta Weber (Hrsg.): Die Tänzerin und Choreographin Yvonne Georgi (1903-1975): eine Recherche. Niedersächsische Staatstheater Hannover GmbH, Hannover 2009.
- Geertje Andresen. Yvonne Georgi und Harald Kreutzberg. Zwei Künstler - eine Seele, in: Tanz-Journal, Heft 2/2008, Seiten 10-13.
- Bernd Wedemeyer-Kolwe: "Der neue Mensch". Körperkultur im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, Würzburg 2004.
- Hugo Thielen: Yvonne Georgi, in: Hannoversches biographisches Lexikon. Von den Anfängen bis in die Gegenwart, Hannover 2002, Seite 129.
- Gerhard Schumann: Yvonne Georgi in Hannover, in: Hochschule für Musik und Theater Hannover. 1897-1997, Herausgegeben von Peter Becker und andere, Hannover 1997, Seiten 44-52.
- Uta Ziegan: "Ich experimentiere gern". Die Tänzerin, Choreographin und Pädagogin Yvonne Georgi (1903-1975), in: Frauenwelten. Biographisch-historische Skizzen aus Niedersachsen. Herausgegeben von Angela Dinghaus, Hildesheim 1993, Seiten 347-355.
- Rolf Helmut Schäfer (Herausgeber): Yvonne Georgi: Tanz, Ballett, Hannover 1974.
- Boris Blacher: Demeter. Ballett in 4 Bildern von Yvonne Georgi, Klavierauszug, Berlin und Wiesbaden 1964.
- Horst Koegler: Yvonne Georgi, Hannover 1963.
- Hansjürgen Wille: Harald Kreutzberg, Yvonne Georgi, Leipzig 1930.
- Jahresbericht der II. Höheren Mädchenschule nebst Lehrerinnenseminar in Leipzig 1915/16, Leipzig 1916.
- https://www.deutsches-tanzarchiv.de/archiv/nachlaesse-sammlungen/g/yvonne-georgi/ (Stand: 06.09.2018);
- https://www.schauspielhannover.de/index.php?m=549&f=07_seiten&ID_Seite=263 (Stand: 06.09.2018);
- https://www.tanznetz.de/blog/15764/yvonne-georgi (Stand: 06.09.2018);
- https://www.ndr.de/kultur/geschichte/gdgm/geschichte252.html (mit O-Ton-Aufnahme von Georgi), (Stand: 31.07.2018);
- https://tanzfonds.de/projekt/dokumentation-2013/der-schrank-der-georgi/ (Stand: 31.07.2018);
- http://resources.huygens.knaw.nl/vrouwenlexicon/lemmata/data/Georgi (Stand: 31.07.2018);
- https://theaterencyclopedie.nl/wiki/Categorie:Regie_Yvonne_Georgi (Stand: 06.09.2018);
- https://www.findagrave.com/memorial/35070270/yvonne-georgi (Stand: 06.09.2018).
Autorin: Kerstin Kollecker, 2018