Goetz, Fanny - Leipziger Frauenporträts
Fanny (untere Reihe, 2. von links) im Kreis der Familien Goetz und Gasse © Karin Goetz-Dreher, Sportmuseum Leipzig Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Frauenbewegung
- Soziales
- Sport
geboren/ gestorben
3. Juli 1864 (Leipzig) - 9. Mai 1947 (Leipzig)
Zitat
"Trotzdem bürgerte sich aber auch das Frauenturnen neben dem Schulturnen mehr und mehr ein, und da, wo es ernst betrieben wurde, fanden die Frauen selbst heraus, daß die Turnhose, unter einem kurzen Rock getragen, zweckmäßig sei."
(Goetz, Fanny: Die heutige deutsche Frauenturnkleidung. In: Jahrbuch für Volks- und Jugendspiele 1912. Leipzig und Berlin: Teubner, 1912. Seite 64)
Kurzporträt
Fanny Goetz engagierte sich für die Verbesserung der Frauenkleidung, insbesondere für das Schulturnkleid. 1917 war sie die erste von den Stadtverordneten gewählte Frau, die besoldete Vorsteherin eines Armendistrikts wurde, und ab 1919 eine von zehn Frauen, die als gewählte Leipziger Stadtverordnete der Deutschen Demokratischen Partei arbeiteten.
Herkunftsfamilie
- Vater: Dr. Ferdinand Goetz (1826-1915), praktischer Arzt, Schul-, Impf- und Amtsarzt, Reichstagsabgeordneter, Geschäftsführer (1868-1895) und Vorsitzender der Deutschen Turnerschaft (1895-1915)
- Mutter: Minna Goetz, geborene Dornblüth (1828-1917)
- Geschwister:
- Max (1855-1936), Arzt
- Paul (1856-1945), königlicher Baurat, Eisenbahningenieur, Direktor der Leipziger Straßenbahngesellschaft
- Walter (1867-1958), Historiker
Biografie
Fanny erhielt eine für Mädchen ihres Standes angemessene Schulbildung, jedoch keine berufliche Ausbildung wie die Brüder. Es ist anzunehmen, dass ihr Engagement insbesondere vom Vater geprägt wurde. Er wird sie ermuntert haben zu turnen, sich für soziale Angelegenheiten von Frauen zu engagieren. Gewiss nahm sie sein ärztliches und bürgerschaftliches Wirken wahr, seine Führung der Geschäfte der Deutschen Turnerschaft, unterstützte ihn in deren Archiv und Bibliothek, lernte von seiner publizistischen und Vortragstätigkeit.
Fanny Goetz wurde früh Mitglied des 1900 gegründeten Zweigvereins Leipzig des Allgemeinen Vereins für Verbesserung der Frauenkleidung (gegründet 1896, Berlin), der das Ziel hatte, über gesunde Kleidung aufzuklären und das Korsett durch ein vernünftiges Kleidungsstück zu ersetzen. Von 1903 bis 1909 war Fanny gewählte Schriftführerin im Leipziger Vereinsvorstand. Der Leipziger Zweigverein wurde Mitglied im Bund Deutscher Frauenvereine und Fanny in dessen erweiterten Bundesvorstand aufgenommen. Als das reichseinheitliche Vereinsgesetz 1908 Frauen die Mitgliedschaft in politischen Vereinen ermöglichte, amtierte Fanny bis 1912 als Vorsitzende des Deutschen Verbandes für Verbesserung der Frauenkleidung, dessen Sitz zeitweilig Leipzig war. Sie veröffentlichte in Medien des Verbandes über Frauenkleidung und Frauenturnkleidung, warb unter anderem für "Nelda", eine Anziehpuppe mit Reformkleidern.
Die Leipzigerinnen um Fanny Goetz bemühten sich insbesondere darum, für den Turnunterricht in Mädchenschulen ein praktisches Turnkleid zu entwickeln. Der damalige Vorsitzende des Vereins, Dr. med. Justus Thiersch, zugleich Schularzt, überzeugte das städtische Schulamt mit dem Modell des Vereins. "Es besteht aus einem Leibchen, auf welchem Hose und Rock festgeknöpft werden, und einer darüber gezogenen Bluse. Das Ausziehen des Rockes macht es für die Turnstunde, das in wenigen Sekunden erledigte wieder Anziehen für die Straße fertig." (Jahrbuch für Volks- und Jugendspiele 1908, Seite 78). Die Damen des Vereins führten es vor Müttern und Schülerinnen vor, verteilten Merkblätter und verkauften Tausende Schnittmusterbögen. 1904 wurde das Schulturnkleid offiziell durch den Rat der Stadt in den Leipziger Schulen eingeführt und fand deutschlandweit Nachahmung und Verbreitung. 1905 trugen 7.000 Mädchen an Leipziger Volksschulen das Kleid - die Hälfte aller turnenden Mädchen. 1908 empfahl es das Sächsische Kultusministerium zur Einführung in Mädchenschulen. Das durch praktische Erfahrungen verbesserte Kleid wurde beim 11. Deutschen Turnfest in Frankfurt am Main 1908 erstmals in einer turnthematischen Ausstellung vorgestellt. Für seine Präsentation bei der Internationalen Hygiene-Ausstellung in Dresden 1911 hatte Fanny Informations- und Werbematerial entworfen.
Ein zweites, umfangreiches Tätigkeitsfeld von Fanny Goetz war die Wohlfahrts- und Armenpflege. Von 1905 bis 1913 arbeitete sie ehrenamtlich in der Leipziger Zentrale für private Fürsorge, die sich für das planmäßige Zusammenwirken von wohltätigen Einrichtungen und öffentlicher Armenpflege einsetzte. 1911 bis 1916 war sie im Ehrenamt stellvertretende Vorsteherin des Armendistrikts 65 B in Lindenau. Zuständiger Armenarzt für mehrere Lindenauer Distrikte war bis 1910 ihr Vater. Ihr Bruder, Dr. med. Max Goetz, trug für Armendistrikte in Plagwitz ärztliche Verantwortung. Fanny betrat damit Neuland für die Frauen. Obwohl diese gemäß Leipziger Armenordnung als Gemeindemitglied zur Armenpflege berechtigt waren, wehrten sich die ausschließlich aus Männern bestehenden Pfleger, Distriktsversammlungen und das Armendirektorium vehement gegen "überflüssige" und "unerwünschte" Frauen.
Nach der Mobilmachung 1914 trat auf Anregung des Vorstandes des Bundes Deutscher Frauenvereine der Nationale Frauendienst ins Leben. Er widmete sich infolge wachsender Massennotstände insbesondere der Familienfürsorge. In Leipzig schlossen sich 62 Frauenvereine im Nationalen Frauendienst zusammen. Fanny Goetz wurde Mitglied im geschäftsführenden Ausschuss. Sie stand dem XII. Bezirk Lindenau als Leiterin vor und hatte als solche täglich, außer sonnabends, Sprechstunde für Bedürftige in ihrem Wohnhaus. Soziale Verelendungsprozesse und wachsende politische Konflikte im Verlauf des I. Weltkrieges verlangten nach dringenden institutionellen Veränderungen in der Leipziger Armen- und Kriegsfürsorge. 1917 wurde Fanny vom Allgemeinen Deutschen Frauenverein, Ortsgruppe Leipzig, dem Rat der Stadt für die Mitarbeit in den städtischen gemischten Ausschüssen vorgeschlagen. Sie war die erste - von den Stadtverordneten gewählte - Frau, die im selben Jahr Vorsteherin ihres Armendistrikts 65 B wurde, als besoldete Fürsorgerin des Armenamtes. Damit verbunden war eine tägliche Sprechstunde in der Lützner Straße 11. Das Leipziger Adressbuch führte sie bis 1922 für diesen Fürsorgedistrikt. Sie setzte sich dafür ein, dass erfahrene weibliche Kräfte in die fürsorgerische Arbeit einbezogen wurden. Im Juni 1918 war Fanny noch immer die einzige Distriktsvorsteherin, aber inzwischen gab es 52 Armenpflegerinnen.
Vom 26.01.1919 bis zum 31.12.1921 war Fanny Goetz Stadtverordnete der Deutschen Demokratischen Partei. Damit wurde sie als eine von zehn Frauen in Leipzig nach Einführung des Frauenwahlrechts im Ergebnis der Novemberrevolution in dieses damals 72-köpfige Kollegium gewählt. Während ihrer zweijährigen Wahlfunktion arbeitete sie im Stiftungsausschuss, im Gemischten Ausschuss für Jugendfürsorge, im Kriegsausschuss sozial-tätiger Vereinigungen und ab 1920 im Armendirektorium, als auch dort die Männerdomäne gebrochen war. Weiteres dazu im Beitrag von Thomas Höpel von 2018 zu Fanny Goetz.
Werke
- Goetz, Fanny: Die neue Organisation der Vereine im deutschen Verband für Verbesserung der Frauenkleidung. In: Die neue Frauenkleidung. Organ des rhein.-westf. [Gau]verbandes für Verbesserung der Frauenkleidung 4/1907, ohne Seitenangabe.
- Goetz, Fanny: Nelda, die Reformpuppe. In: Die neue Frauenkleidung. Organ des deutschen Verbandes für Verbesserung der Frauenkleidung Nummer 4, 1908, Seite 11.
- Goetz, Fanny: Deutscher Verband. In: Mitteilungen der Vereine des Deutschen Verbandes für Verbesserung der Frauenkleidung Nummer 6, 1911, Seiten V-VII.
- Informations- und Werbematerial für die Internationale Hygiene-Ausstellung in Dresden 1911: Flugblatt "Grundlegende Forderungen für die neue Frauenkleidung", Merkblatt über Strumpfhalter, Abhandlung "Über die Vermeidung des Schulterdrucks bei verbesserter Kleidung" - als Autorin wird die damalige Vorsitzende des Leipziger Ortsvereins des Deutschen Verbandes für Verbesserung der Frauenkleidung, Fanny Goetz, genannt (vergleich Richter-Wittenfeld, Seite 299).
- Goetz, Fanny: Die heutige deutsche Frauenturnkleidung. Sonderdruck aus "Jahrbuch für Volks- und Jugendspiele". 21. Jahrgang. Leipzig und Berlin, 1912. (Quelle: Zentralbibliothek der Sportwissenschaften der Deutschen Sporthochschule Köln).
- Unter Mitarbeit von Fanny Götz [Goetz], Leipzig: Das Pfadfinderbuch für junge Mädchen. Verlags-Anzeige in: Jungdeutschlands Pfadfinderspiele. In Verbindung mit dem Bayer Wehrkraftverlag herausgegeben vom deutschen Pfadfinderbund, 1913. Leipzig: Spamer, 1914.
Adressen in Leipzig
- 1864-1920: Lützner Straße 11, Lindenau
- 1920-1922: Markt 18, Lindenau
- 1922-1927: Südstraße 72
- 1927-1931: Lausicker Straße 62, Stötteritz (dazwischen vom 8.10.1929-2.2.1931 in Heidelberg)
- 1931-1947: Fröbelstraße 5, Plagwitz (Wohnort des Bruders Max mit dessen zweiter Frau)
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- Leipziger Schul- und Turnkleid - 1904 durch den Rat der Stadt offiziell bei den hiesigen Schulen eingeführt (auf Anregung des Leipziger "Verein für Verbesserung der Frauenkleidung").
- Anregung an die Stadt Leipzig, am Goetz-Haus Lützner Straße 11 eine Tafel zum Gedenken an Fanny Goetz anzubringen.
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Brandmann, Paul: Leipzig zwischen Klassenkampf und Sozialreform: Kommunale Wohlfahrtspolitik zwischen 1890 und 1929. Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 1929. Seiten 145-149.
- Jahrbuch für Volks- und Jugendspiele 1908, Seite 72 und folgende und 1912, Seiten 64-70.
- Law, Ella: Turnerische Aufführung in Dresden, den 16. Nov. 1907. In: Die neue Frauentracht: Monatsschrift. Herausgegeben und redigiert von Ella Law. V. Jahrgang, Januar 1908, Nummer 1. Seiten 7-9.
- Ober, Patricia: Der Frauen neue Kleider: Das Reformkleid und die Konstruktion des modernen Frauenkörpers. Berlin: Schiler, 2005. Dissertation, Technische Universität Berlin, 2004.
- Rapp, Jeanett: Von Jüdin für Jüdin: Die soziale Arbeit der Leipziger Ortsgruppe des Jüdischen Frauenbundes und ihrer Mitgliedsorganisationen bis zum Ende der Weimarer Republik. Dissertation, Freie Universität Berlin, 2011.
- Richter-Wittenfeld, Daniela: Die Arbeit des Verbandes für Deutsche Frauenkleidung und Frauenkultur auf dem Gebiet der Frauenkleidung von 1896 bis 1935. Hamburg: Kovač, 2006. Dissertation, Universität Münster (Westfalen), 2006. (Schriften zur Kulturwissenschaft, Band 64).
- Sahle, Rita (Herausgeberin): Wörterbuch zur Geschichte der Sozialen Arbeit in Leipzig. Leipzig: Sahle, 1999. Seite 33. Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, PP-V 63, Zweigverein Leipzig des Allgemeinen Vereins für Verbesserung der Frauenkleidung e. V., 1901-1909.
- Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, Bestand 20031, PP-M 1862.
- Stadtarchiv Leipzig, Dokumentation Biografien, Objekt Nr. 355 - Stadtverordnete.
- Stadtarchiv Leipzig, Kapitel 6 Nummer 59 Band 1.
- Stadtarchiv Leipzig, StV Akt S Nummer 133 Band 2.
- Stadtarchiv Leipzig, StV Akt W3 Band 20.
- Tegeler, Hedwig: Soziale Kriegs- und Friedens-Fürsorge in der Stadt Leipzig 1915. Herausgegeben in eigenem Verlag vom Nationalen Frauendienst Leipzig. Leipzig-En.: Böhme & Lehmann, 1915. Teil I: Seite 144, 150-159, 175, 178; Teil II: Seiten 143-144.
- Turnfest in Frankfurt am Main. In: Die neue Frauentracht. München: Callwey. V. Jahrgang Nummer 9, September 1908. Seite 108.
- http://adressbuecher.sachsendigital.de/suchergebnisse/adressbuch/Book/list/leipzig/1911/ und weitere Jahrgänge; Zugriff: 07.10.2017.
- Rechercheergebnisse von Dr. Gerlinde Rohr zu Dr. Ferdinand Goetz sowie Fanny Goetz und Dokumentation zu Dr. Ferdinand Goetz und Goetz-Haus im Sportmuseum Leipzig, Briefwechsel und Telefonate (März bis August 2017) mit Karin Goetz-Dreher, München, Urenkelin von Dr. med. Ferdinand Goetz und Enkelin von Paul Goetz.
Autorin: Dr. Ingeburg Zeidler, 2017