Goldschmidt, Henriette (geborene Benas) - Leipziger Frauenporträts
Henriette Goldschmidt (Postkarte), Zeichnung von Lisa König. "Der Erziehungsberuf ist der Culturberuf der Frau. Henriette Goldschmidt Leipzig 29. Oktober 1911" © Stadtgeschichtliches Museum Leipzig Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Bildung/ Pädagogik
- Frauenbewegung
- Literatur
geboren/ gestorben
23. Oktober 1825 (Krotoszyn/ Posen, heute Poznan) - 30. Januar 1920 (Leipzig)
Zitat
"Der Erziehungsberuf ist der Kulturberuf der Frau. Er verlangt Wissenschaft und Kunst, das Kennen und Können."
Kurzporträt
Henriette Goldschmidt war Fröbelpädagogin, Publizistin und Mitbegründerin der deutschen Frauenbewegung. Sie schuf in Leipzig Einrichtungen für die systematische Kindergärtnerinnen-Ausbildung und Fröbel-Volkskindergärten. 1911 eröffnete die 86-Jährige die Hochschule für Frauen in Leipzig.
Herkunftsfamilie
- Vater: Levin Benas, jüdischer Großkaufmann
- Mutter: Eva Benas geborene Laski
- Geschwister: Henriette war das sechste von acht Kindern. Ihre Schwester Ulrike Henschke, geborene Benas (1830-1897), führte später die 1878 vom Lette-Verein gegründete Victoria-Fach- und Fortbildungsschule für Mädchen in Berlin.
Biografie
Henriette wurde am 23. Oktober 1825 in Krotoszyn/ Posen als sechstes von acht Kindern des jüdischen Großkaufmanns Levin Benas geboren. Dieser Geburtsmonat Oktober wurde 2020 von E. Ulm im Poznaner Geburtsregister nachgewiesen, siehe auch Quellen unten. Als sie fünf Jahre alt war, starb ihre Mutter. Die Stiefmutter war Analphabetin, aber Vater Benas förderte die Bildung seiner Töchter. Er begrüßte die Ideale von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit der 1848er Revolution und machte auch seine Familie mit politischen Themen vertraut. In Posen, wohin die Familie 1850 gezogen war, lernte Henriette im Umfeld eines Vereins, der sich um die Betreuung armer Kinder kümmerte, erstmalig freiwillige Sozialarbeit kennen. 1853 heiratete sie ihren dreizehn Jahre älteren Vetter, den Lehrer und Prediger Abraham Meier (Meir) Goldschmidt (1812-1889), der drei Söhne aus erster Ehe mitbrachte: Julian (1840-1895), Sigmund (1843-1914) und Benedikt (1846-1923), und übersiedelt mit ihnen zunächst nach Warschau.
1858 kamen Henriette und Abraham Meier Goldschmidt, der zum Rabbiner der Israelitischen Religionsgemeinde berufen worden war, nach Leipzig. Hier wurde sie mit den Ideen des Begründers der Kindergärten Friedrich Fröbel (1782-1852) bekannt, die ihr weiteres Leben bestimmen sollten. Wie Louise Otto-Peters hatte auch Henriette als Mädchen nur neun Jahre die Schule besuchen können. Ihre vielseitigen Kenntnisse in Geschichte, Philosophie, Literatur und später Pädagogik erwarb sie sich autodidaktisch. Von ihrem Mann wurde sie in ihrem Streben nach Bildung und später nach öffentlichem Wirken unterstützt. Die Goldschmidts pflegten vielseitige gesellschaftliche Kontakte. Abraham Meier Goldschmidt war im Moses-Mendelssohn-Verein, in der Gesellschaft für Volksbildung und im Schiller-Verein aktiv.
Im Februar 1865 gehörte Henriette Goldschmidt in Leipzig gemeinsam mit Louise Otto-Peters (1819-1895), Auguste Schmidt (1833-1902) und anderen zu den Begründerinnen des Frauenbildungsvereins, war später auch im Allgemeinen Deutschen Frauenverein ADF aktiv und von 1867 bis 1906 in dessen Vorstand tätig. 1871 gründete sie den Verein für Familien- und Volkserziehung, dem 150 bedeutende Leipziger Persönlichkeiten als Förderer beitraten. Mit deren Unterstützung initiierte sie mehrere Volkskindergärten nach Fröbels Prinzipien und Bildungsstätten für Frauen in Leipzig, so 1872 ein Seminar für Kindergärtnerinnen und 1878 das Lyzeum für Damen. Sie unterrichtete auch selbst. Von Louise Otto-Peters ermutigt, hielt Henriette Goldschmidt öffentliche Vorträge in Leipzig und ganz Deutschland, wobei sie sich als brillante Rhetorikerin erwies.
1889 konnte der Verein für Familien- und Volkserziehung mit Hilfe von Spenden jüdischer Bürger das Haus Weststraße 16 (heute Friedrich-Ebert-Straße, 04109 Leipzig) erwerben. Untergebracht waren hier als Einrichtungen des Vereins die Volkskindergärten, das Seminar für Kindergärtnerinnen, das Lyzeum für Damen (die spätere Fröbel-Frauenschule), das Schülerinnenpensionat und ein Seniorinnenheim. Im Vereinshaus fanden Vorträge und Kurse für Frauen und Mädchen, kulturelle und gesellige Veranstaltungen statt. Es wurde zu einem Zentrum der Frauenbildung in Leipzig. Nach dem Tod ihres Mannes 1889 zog Henriette Goldschmidt in das Vereinshaus, das ab 1921 nach ihr benannt wurde. Hier wohnten auch die Schriftstellerin Josephine Siebe (1870-1941), die Lehrerin und Stadtverordnete Anna Zabel (1880-1942) und andere Frauen des Vereins. Im Jahr 2000 ist das Henriette-Goldschmidt-Haus trotz vieler Proteste Leipziger und auswärtiger Bürger wegen eines geplanten, aber nie realisierten Straßenausbaus abgerissen worden.
Zum 86. Geburtstag im Jahr 1911 krönte Henriette Goldschmidt ihr Lebenswerk mit der Eröffnung der Hochschule für Frauen, die im November 2011 ihr 100. Gründungsjubiläum beging. Finanziell war dies ermöglicht worden durch die großzügige Förderung Leipziger Bürger, vor allem durch Dr. Henri Hinrichsen (1868-1942), Inhaber der weltbekannten Edition Peters Leipzig, und seine Frau Martha, geborene Bendix (1881-1941). Die Hochschule für Frauen verstand sich nicht als Konkurrenz zur Leipziger Universität, an der seit 1906 das Studium auch für Frauen möglich war, sondern bot Frauen und Mädchen wissenschaftlich fundierte Ausbildungsmöglichkeiten für soziale, pädagogische, medizinische und naturwissenschaftliche Berufe. Den Unterricht erteilten vorrangig Professoren der Universität Leipzig, dazu weitere Lehrkräfte, unter ihnen 1911 bis 1913 auch Henriette Goldschmidt und Dr. Agnes Gosche (1857-1928). Die Verbindung von Erziehungswissenschaft und Frauenbildung, basierend auf Schillers Menschheitsideal und Fröbels Erziehungskonzeption, brachte Henriette Goldschmidt national und international hohe Achtung und Wertschätzung ein. Ihre Schiller-Verehrung hatte 1905 in Vorbereitung des 100. Todestages Friedrich Schillers unter ihrer maßgeblichen Führung zur Gründung des Leipziger Schillervereins deutscher Frauen geführt. Außerdem war sie Ehrenvorsitzende des Schillerverbandes deutscher Frauen.
Nach Henriette Goldschmidts Tod wurde die Hochschule ab 1921 als Sozialpädagogisches Frauenseminar Leipzig geführt. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten und unter neuer Leitung der Schule änderten sich auch hier Unterrichtsinhalt und Ausbildungsgeist. Jüdische Mädchen wurden nicht mehr aufgenommen; die Erinnerungen an die jüdische Gründerin Henriette Goldschmidt wie den jüdischen Stifter Dr. Henri Hinrichsen und seine Familie wurden systematisch getilgt. In der DDR erhielt die Schule den Namen ihrer Begründerin und fungierte als Pädagogische Fachschule für Kindergärtnerinnen. Seit 1992 bietet die Henriette-Goldschmidt-Schule als Berufliches Schulzentrum der Stadt Leipzig Mädchen und Jungen Ausbildungsmöglichkeiten in der Sozial- und Heilpädagogik (Fachschule für Sozialwesen).
Werke
- Die Frauenfrage eine Culturfrage, Leipzig 1870.
- Der Kindergarten in seiner Bedeutung für die Erziehung des weiblichen Geschlechts, Vortrag, gehalten am 15.01.1872 in Leipzig im Verein für Familien- und Volkserziehung.
- Ideen über weibliche Erziehung im Zusammenhang mit dem System Friedrich Fröbels. Sechs Vorträge, 1882.
- Was ich von Fröbel lernte und lehrte. Versuch einer Kulturgeschichtlichen Begründung der Fröbelschen Erziehungslehre, Leipzig 1909.
- Vom Kindergarten zur Hochschule für Frauen, Leipzig 1911.
- Dazu rund 95 Berichte, Vorträge, Reden und Veröffentlichungen, die noch nicht alle aufgefunden wurden.
Adressen in Leipzig
- 1858: im Adressbuch erwähnt, aber noch ohne Adresse
- 1859-1860: Kleine Fleischergasse 5
- 1861-1867: Erdmannstraße 1 (Eingang Zimmerstraße 6)
- 1868: Erdmannstraße 1 (Eingang Zimmerstraße 6), Parterre; ab Ostern: Weststraße 69, Parterre
- 1869-1877: Rosenthalgasse 17-19, 2. Etage
- 1878-1881: Elsterstraße 2, 1. Etage
- 1882-1887: Centralstraße 1, 3. Etage
- 1888: Centralstraße 19, 1. Etage
- 1889: Goldschmidt, Henriette, D. phil. Rabbiners und Predigers der israelitischen Religionsgemeinde Ww., Centralstraße 19, 1. Etage
- 1889-1893: Weststraße 16 (heute Friedrich-Ebert-Straße, 04109 Leipzig), im Haus des Vereins für Familien- und Volkserziehung
- 1893-1902: Goldschmidt, Henriette, D. ph. Rabbiners und Predigers Ww., Simsonstraße 10, 2. Etage
- 1902-1920: Weststraße 16 (heute Friedrich-Ebert-Straße, 04109 Leipzig), im Haus des Vereins für Familien- und Volkserziehung
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- Grabstätte auf dem Alten Israelitischen Friedhof (Berliner Straße 123, 04129 Leipzig)
- Goldschmidtstraße (ehemalige Königsstraße) und Henriette-Goldschmidt-Schule (Hochschule für Frauen/ Sozialpädagogisches Frauenseminar): Die Umbenennungen erfolgten nach 1945
- 2010: Der Preis der 17. Leipziger Jahresausstellung, gestiftet von der Sparkasse Leipzig, war in diesem Jahr der Sozialpädagogin und Frauenrechtlerin Henriette Goldschmidt (1825–1920) gewidmet
In der Henriette-Goldschmidt-Schule (Goldschmidtstraße 20, 04103 Leipzig):
- Abguss einer Büste von Henriette Goldschmidt auf einer Stele mit Textplakette (Friedrich Fröbel), beides von Carl Ludwig Seffner um 1915. Den Abguss der Büste, die sich original im Bildermuseum befindet, stiftete Mrs. Lee Fairbanks (USA), die Nichte von Dr. Gertraud Kietz (ehemalige Schülerin 1931/34). Die Aufstellung erfolgte 2001 zum 90. Gründungsjubiläum der Hochschule.
- Porträtgemälde Henriette Goldschmidts von Philippine Wolff-Arndt (1849 - um 1933)
- Die im Gebäude von Dr. Henri Hinrichsen angebrachte Tafel mit der Widmung "Dem Edlen Streben deutscher Frauen" war von den Nationalsozialisten entfernt worden. Die Bronzeplatte mit der Widmung des Stifters Henri Hinrichsen wurde 2005 mittels Spenden nachgestaltet und angebracht.
- Weiterer Text: "Dieses Heim der 1. Hochschule für Frauen, gegründet von Frau Henriette Goldschmidt, eingeweiht am 29. Oktober 1911, wurde gestiftet von Henri Hinrichsen."
Gedenktafeln im öffentlichen Raum:
- Bronzetafel am Eingang der Henriette-Goldschmidt-Schule seit 1986, dem 75. Gründungsjubiläum der Schule/ Inschrift: "Hier wurde 1911 die Hochschule für Frauen eröffnet, initiiert und getragen von der Frauenrechtlerin und Fröbel-Pädagogin Henriette Goldschmidt (1825-1920), finanziell ermöglicht durch Dr. Henri Hinrichsen (1868-1942), Inhaber des Musikverlages Edition Peters. Die Hochschule verband Erziehungswissenschaft und Frauenbildung, basierend auf Schillers Menschheitsideal und Fröbels Erziehungskonzeption."
- Eine Gedenktafel am Haus Spittastraße 7 (04177 Leipzig), initiiert von Annerose Kemp, erinnert seit 1996 an die Eröffnung des ersten Kinder-Tagesheimes 1918 zu Ehren Henriette Goldschmidts.
- Seit 2020 frauenorte sachsen-Gedenktafel des Landesfrauenrates Sachsen e.V. an der Henriette-Goldschmidt-Schule (Goldschmidtstraße 20, 04103 Leipzig) https://www.frauenorte-sachsen.de/die-frauen/henriette-goldschmidt/
Der Forschungsnachlass von Annerose und Horst Kemp befindet sich im Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur - Simon Dubnow (DI):
Leben und Werk Henriette Goldschmidts wurden von Annerose Kemp (1936-2013) und Horst Kemp (1932 - 2015) erforscht. Annerose Kemp war über Jahrzehnte als Studentin, Fachschullehrerin und Studiendirektorin mit der Henriette-Goldschmidt-Schule verbunden. Seit 1991 trugen sie und Horst Kemp detaillierte Informationen aus gesamtdeutschen, amerikanischen und englischen Archiven zusammen und haben diese zum Teil publiziert. Im Archiv Kemp mit Publikationen, Stammbäumen, Fotografien und Kopien sind von den bekannten rund 95 Reden, Aufsätzen und Berichten Henriette Goldschmidts 65 vollständig oder teilweise vorhanden.
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Annerose und Horst Kemp, Henriette Goldschmidt - ein Glücksfall für Leipzig. In: Henriette Goldschmidt und die Hochschule für Frauen zu Leipzig. Berichte vom 19. Louise-Otto-Peters-Tag 2011. Leipzig 2012. LOUISEum 32.
- Festschrift Henriette-Goldschmidt-Schule 1911-2001. Mit Texten von Annerose Kemp und Dr. Eberhard Ulm, Leipzig 2011.
- Edith Sonnenkalb, Der Erziehungsberuf ist der Kulturberuf der Frau, in: Ich muß mich ganz hingeben können. Frauen in Leipzig, herausgegeben von Friderun Bodeit, Leipzig 1990.
- http://www.goldschmidtschule-leipzig.de
- Louise-Otto-Peters-Archiv Leipzig, II.2 Personen A-Z, II. 2.2.1 G., Henriette.
- Eberhard Ulm, Jette aus Krotoschin. Zum 100. Todestag von Henriette G., in: Leipziger Blätter 76/2020, Seite 66-68.
- Archiwum Państwowe w Poznaniu (Staatsarchiv Posen), Akta stanu cywilnego gminy żydowskiej Krotoszyn (Personenstandsregister der jüdischen Gemeinde Krotoschin), 54/3580/Z0/1/1 Geburtsliste 1825-1834 (Nummer 87).
Gerlinde Kämmerer, 2013/2023