Gosche, Dr. Agnes - Leipziger Frauenporträts
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Rubrik
- Bildung/ Pädagogik
- Frauenbewegung
- Wissenschaft
geboren/ gestorben
26. August 1857 Berlin - 14. März 1928 Halle/Saale
Zitat
"Es gibt einen Beruf, bei dem die Bedeutung für Haus und Familie einerseits und für die Erwerbsarbeit andererseits gleich groß ist, das ist der Beruf der Kindergärtnerin, der die Wissenschaft der Mutter umfasst." (Agnes Gosche, 1914)
Kurzporträt
Die promovierte Kunsthistorikern und Pädagogin Dr. Agnes Gosche war von 1904 an in Leipzig Leiterin des Lyceums des Vereins für Familien- und Volkserziehung und 1911/12 an der Hochschule für Frauen tätig. Sie übte Spitzenfunktionen im Allgemeinen Deutschen Frauenverein (ADF) und im Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) aus.
Herkunftsfamilie
Vater: Professor Doktor Hermann Richard Adolph Gosche (04.06.1824, Neuendorf bei Crossen/Oder - 29.10.1889, Halle/Saale), Orientalist, Literaturwissenschaftler; wirkte nach seinem Studium in Leipzig unter anderem als außerordentlicher Professor an der Berliner Universität, 1862 - 1889 als ordentlicher Professor für semitische Sprachen an der Universität Halle/Saale.
Mutter: Clara Franziska, geborene Dieterici (15.07.1830, Berlin - 27.09.1890, Halle/Saale).
Geschwister: Marie Wilhelmine Laura (15.05.1855, Berlin - 21.09.1883, Halle/Saale); Clara Elisabeth (Lisbeth) Adele (12.02.1862, Berlin - 05.05.1914, Halle/Saale).
Biografie
Anna Agnes Elisabeth Gosche stammte aus einer brandenburgisch-preußischen Gelehrtenfamilie, die Agnes und ihren Schwestern eine hervorragende Bildung bot. Richard Gosche unterrichtete seine Töchter im Wesentlichen selbst und bereitete Agnes auf die Lehrerinnenprüfung 1875 in Erfurt vor, die sie sehr gut meisterte. Auch ihr erschien der Lehrerinnenberuf als eine der wenigen Möglichkeiten, sich durch "angemessene" Erwerbsarbeit materiell abzusichern. Nach verschiedenen Erzieherinnen- und Lehrerinnenstellen in der Schweiz und in Halle wandte sie sich ihrer eigentlichen Neigung, der Kunstgeschichte zu. Sie unternahm Studienreisen, schrieb sich in Paris, Halle und Leipzig an den Universitäten als Hörerin ein. In diese Zeit fiel der Tod der älteren Schwester Marie, die damit verbundene psychische Erkrankung ihres Vaters, sein Selbstmord 1889 sowie der Tod der Mutter 1890. Gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester Lisbeth arbeitete sie in Halle als Privatlehrerin, betrieb ihre kunstgeschichtlichen Studien jedoch weiter. 1898 wurde sie an der Universität Zürich mit einer Arbeit zur Malerei im Siena des 14. Jahrhunderts promoviert. Sie war die erste Frau der Neuzeit in Halle mit einem Doktortitel; ihre Dissertationsschrift erschien wie andere ihrer Publikationen im angesehenen Leipziger E.A. Seemann Verlag.
Als Gründungsmitglied des Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenvereins (Friedrichroda 1889) kannte sie Helene Lange und Auguste Schmidt. Mit den Ideen der Frauenbewegung und dem geistigen Leben in Leipzig kam sie schon früher über ihren Vater in Berührung, der im Leipziger Schiller-Verein aktiv war und 1876/1877 auf Initiative von Henriette Goldschmidt populärwissenschaftliche Vorträge im Verein für Familien- und Volkserziehung gehalten hatte. Goldschmidt erwies sich nach Gosches Promotion auch als Vorbild, Förderin und mütterliche Freundin. Agnes war nicht weltfremde Kunsthistorikerin, sondern praxisorientierte Lehrerin, die durch Frauenbildungs- und soziale Frauenarbeit aktiv wurde.
Im November 1899 gründete sie den Halleschen "Verein für Frauenerwerb und Frauenbildung". Dazu fand am 12.01.1900 eine öffentliche Versammlung statt - natürlich mit Goldschmidt als Hauptreferentin. Als langjährige Vorsitzende unterstützte Agnes "ihren" Verein auch finanziell. Sie war im Vorstand des 1901 in Leipzig gegründeten Schiller-Verbandes Deutscher Frauen. Die Nähe zu Leipzig als ADF-Vorstandssitz bot ihr zudem Gelegenheit, in Halle gehaltene Vorträge auch in der Leipziger Ortsgruppe des ADF zu präsentieren, wie zum Beispiel im Februar 1902 zu "Max Klingers Frauengestalten".
Im Oktober 1904 erkor die ehrenamtlich tätige Henriette Goldschmidt Agnes Gosche als ihre besoldete Nachfolgerin (3.000 Mark jährlich), um eine akademisch gebildete Frau als Leiterin des Lyceums des Vereins für Familien- und Volkserziehung, speziell für die Ausbildung von Leiterinnen für Kindergärten zu gewinnen. Die dafür beantragten höheren Zuschüsse bei der Stadt Leipzig wurden teilweise gewährt. Die Zusammenarbeit Goldschmidt - Gosche wurde als eine "ganz besonders harmonische" hinsichtlich der Umsetzung der Ideen Fröbels charakterisiert (Hedy Herbart, 1928). Dem Umzug nach Leipzig schloss sich Schwester Lisbeth mitsamt dem Hallenser Schülerinnenpensionat an.
Mit dem Ausscheiden von Anna Schmidt aus dem ADF-Vorstand rückte Agnes Gosche am 04.11.1904 nach, da die Satzung vorsah, dass mindestens fünf Leipzigerinnen im Vorstand sein mussten. Für den Halleschen Frauenbildungsverein war sie weiterhin ein bis zwei Tage pro Woche aktiv und begann, die Erfahrungen der "gut geleiteten Volkskindergärten" (Ella Manz) und weiterer Leipziger Institutionen auf Halle zu übertragen. 1909 wurde sie zur 2. Vorsitzenden des ADF gewählt und ab 1911 in den Gesamtvorstand des Bundes Deutscher Frauenvereine (BDF) delegiert.
Sie kämpfte gegen "Schund- und Schmutzliteratur" und sah hier Kindergärten, Volksschulen und "Kinderlesehallen" (eine solche initiierte sie 1912 in Halle) in der Verantwortung.
Als Goldschmidts Idee von einer Hochschule für Frauen in Leipzig durch eine Schenkung Henri Hinrichsens 1911 möglich wurde, zeigte sich, dass Gosche für deren Ausgestaltung andere Vorstellungen hatte. Eine öffentliche Auseinandersetzung mit ihrer Mentorin meidend, nutzte sie die Gelegenheit, ab 01.10.1911 die neue kommunale Frauenschule in Halle als Leiterin zu übernehmen, wirkte aber noch tageweise als Dozentin an der Hochschule für Frauen. Aufgrund des Wohnortwechsels musste sie den stellvertretenden ADF-Vorsitz aufgeben, tauschte ihre Vorstandsfunktion mit Dr. Käthe Windscheid und wurde "protokollierende Schriftführerin".
Gosche verlor nie den engen Kontakt zur Leipziger Frauenhochschule bzw. dem Sozialpädagogischen Frauenseminar. Am 23.11.1927 hielt sie dort eine Rede zum 102. Geburtstag Goldschmidts. Bereits am Vorabend hatte sie im "Frauenfunk" der MIBRAG (Mitteldeutsche Rundfunk AG), Sender Leipzig persönlich an ihr Vorbild Henriette Goldschmidt erinnert.
Als beamtete Schulleiterin ging Agnes Gosche 1923 in Pension, wirkte aber zum Beispiel als erste Dozentin an der Hallenser Volkshochschule. Sie engagierte sich bei den Liberalen, deren Frauen-Arbeitsausschuss sie schon 1910 angehörte und kandidierte 1919 für die DDP bei den Wahlen zur Weimarer Nationalversammlung.
Am 14.03.1928 starb Agnes Gosche, nachdem sie kurz zuvor noch "Die organisierte Frauenbewegung" (2 Teile), eine wichtige Quellenedition, erstellt hatte. Helene Lange schrieb 1928, dass sich Gosche nicht in der "Kleinarbeit des Tages" verlor, sie "von absoluter Zuverlässigkeit, nie einer Arbeit ausweichend, nie 'ehrenbenötigt', im Gegenteil gern mit ihrer Wirksamkeit im Hintergrund bleibend" tätig war.
Werke
Bücher und Broschüren:
- Simone Martini: Ein Beitrag zur sienesischen Malerei im 14. Jahrhundert, Ernst Arthur Seemann Leipzig 1899 (Druckfassung Ihrer Dissertationsschrift).
- Mailand. Mit 148 Abbildungen, Ernst Arthur Seemann Verlag Leipzig 1904 [Reihe: Berühmte Kunststätten].
- Abriß der Kunstgeschichte für höhere Lehranstalten, Halle/Saale 1910.
- Die Aufgaben der Frauenschule nebst den wichtigsten amtlichen Bestimmungen für Frauenschulen in Preußen, Halle/Saale 1914.
- Die organisierte Frauenbewegung, Teil 1 (Bis zur Gründung des Bundes deutscher Frauenvereine 1894), Teil 2 (Von der Gründung des Bundes deutscher Frauenvereine 1894 - 1927), Berlin 1927 [Reihe: Quellenhefte zum Frauenleben in der Geschichte Bände 19 a und b].
Mitherausgeberin, Autorin von Vorträgen, Publikationen in Periodika, Anthologien und Rundfunksendungen (Auswahl):
- Ein achtzigster Geburtstag. Henriette Goldschmidt, in: Neue Bahnen (Im Folgenden: NB), 1906, Nummer 1 vom 01.01.1906, Seite 3-5.
- Die Frauenschule. [2 Teile] in: NB, 1908, Nummer 4 vom 15.02.1908, Seite 27-29 und Nummer 5 vom 01.03.1908, Seite 33-36.
- Politisches Handbuch für Frauen, herausgegeben vom Allgemeinen Deutschen Frauenverein (ADF), Leipzig 1909. [als Vorstandsmitglied Mitverfasserin und -herausgeberin].
- Henriette Goldschmidt: "Was ich von Fröbel lernte und lehrte." [Buchbesprechung], in: NB, 1909, Nummer 5, vom 01.03.1909, ab Seite 33
- Über die Bekämpfung der Schmutzliteratur. Referat auf der 25. Generalversammlung des ADF in Darmstadt [2 Teile], in: NB, 1910, Nummer 1 vom 01.01.1910, Seite 4-6 und Nummer 2 vom 15.01.1910, Seite 10-12.
- Frauenschule und Jugendpflege. Referat in der Hauptversammlung des deutschen Fröbelverbandes 02.-05.10.1913 in Halle/Saale. [Tagungsbericht der Redaktion], in: Die Frau, Jahrgang 21, Nummer 1 vom Oktober 1913, Seite 55.
- Henriette Goldschmidt. Zum 90. Geburtstag am 23. November 1915, in: NB, 1915, Nummer 22, vom 15.11.1915, Seite 177
- Selma Lagerlöff, die Nobelpreisträgerin, in: Deutsches Mädchenbuch. Stuttgart, 22. Band, 1916, Seite 370-380. Ludwig Richter: Schneewittchen [kindgerechte Bilderklärung], in: Herzblättchens Zeitvertreib. Begründet von Thekla von Gumpert, herausgegeben von Josephine Siebe, Band 69 , Seite 37-39.
- Persönliche Erinnerungen an Henriette Goldschmidt. Rundfunkvortrag, 22.11.1927, 18.05 Uhr bis 18.30 Uhr, Rubrik "Frauenfunk" im Mitteldeutschen Rundfunk, Sender Leipzig, Welle 365,8. [belegt durch: Die Mibrag. Illustrierte Rundfunkzeitung, Offizielle Programmzeitung der Mitteldeutschen Rundfunk AG im Leipziger Messeamt, 4. Jahrgang, Nummer 46, 19.11.1927, Seite 5].
Adressen in Leipzig
- 1904 - 1912 mit Schwester Lisbeth Gosche in einer Wohnung des Mädchenpensionats in der Sidonienstraße 19 b (heute Paul-Gruner-Straße).
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
Quellen:
- Stadtarchiv Halle/ Saale, Nachlassbestand S 15. GOSC, Gosche, Agnes, N 9,1 Nummer 1-53 und N 9 Nummer 1-83; Nachlassbestand S 15. MAN, Manz, Ella, N 14, Nummer 203 ; Bestand A 1.1.3. Akten der Stadtverwaltung/ Stadtverordnetenversammlungen Halle/Saale, Kapitel III Abt. CA Nummer 83, Sitzung der Stadtverordneten vom 04.09.1911, Protokoll Blatt 10 und 11
- Stadtarchiv Leipzig, Kapitel 35, Nummer 64, Verein für Familien und Volkserziehung, Band 1, besonders Blatt 180 - 182 RS [Antrag an den Rat der Stadt Leipzig über Finanzzuschuss vom 20.02.1905 und zugehöriger Beschluss der Finanzdeputation des Rates der Stadt vom 22.02.1905].
- Schillerverband Deutscher Frauen, in: NB, 1903, Nummer 16 vom 15.08.1903.
- Mitteilung des ADF-Vorstandes [unter anderem: Kooptierung A. Gosches in Vorstand des ADF], in: NB, 1904, Nummer 23 vom 15.11.1904, Seite 193.
- Einladung zur Konferenz der liberalen Frauen. Frankfurt am Main vom 3. und 4. Oktober 1910 (Fortschrittliche Volkspartei), in: NB 1910, Nummer 18 vom 15.09.1910, Seite 143 [A. Gosche im erweiterten Arbeitsausschuss].
- Geschäftsbericht über die Tätigkeit des ADF. Vorgetragen von Helene Lange auf der 26. Generalversammlung des ADF [unter anderem zu A. Gosche als Mitglied des Gesamtvorstandes des Bundes Deutscher Frauenvereine in ihrer Funktion als zweite Vorsitzende des ADF], in: NB, 1911, Nummer 20 vom 15.10.1911, Seite 158.
- Die 27. Generalversammlung des ADF [am Schluss der Tagung hielt A. Gosche ein Referat über den Einfluss der Mädchenbildung], in: NB, 1913, Nummer 21 vom 01.11.1913, Seite 165.
- Mayer-Kuhlenkampff, Lina: Gruß an eine Siebzigjährige [Dr. Agnes Gosche], in: Die Frau. Organ des Bundes Deutscher Frauenvereine. Monatsschrift für das gesamte Frauenleben unserer Zeit. Begründet von Helene Lange, herausgegeben von Gertrud Bäumer, 31. Jahrgang 1926/27, Heft 12 vom September 1927, Seite 722-725.
- Lange, Helene: Totenschau. Dr. Agnes Gosche, in: Ebenda, 32. Jahrgang 1927/28, Heft 7, vom April 1928, Seite 443-444.
Darstellungen:
- Jandt, Claudia: Gosche, Agnes, Dr. phil., in: Frauen in Sachsen-Anhalt 2. Ein biographisch-bibliographisches Lexikon vom 19. Jahrhundert bis 1945, herausgegeben von Eva Labouvie, Wien, Köln, Weimar 2019, Seite 182-185.
- Albrecht-Dimitrowa, Lisa: Briefgeschichten. Erinnerungen an ein bemerkenswertes Fräulein Doktor, in: Leben und Gestalt: Studien zur Frauengeschichte in Halle/hrsg. durch den Courage e.V., Halle. Mit Beitrag von Lisa Albrecht-Dimitrowa, Halle/Saale 1996, Seite 98-159.
Autor: Dr. Heiner Thurm, 2019