Gottschalk, Christa - Leipziger Frauenporträts
Christa Gottschalk Stadtarchiv Leipzig, Nachlass Christa Gottschalk Nummer 59 Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Tanz/ Theater
- Bildung/ Pädagogik
geboren/ gestorben
2. Dezember 1927 (Dessau) - 18. April 2018 (Leipzig)
Zitat
"Shakespeare, Goethe und die anderen großen Dramatiker sind öfter tot gesagt worden, aber ihre Werke überlebten, während ihre Zertrümmerer wohl bald dem Vergessen anheim fallen werden!"
(Christa Gottschalk, 2017)
Kurzporträt
Christa Gottschalk gehörte zu den profiliertesten Schauspielerinnen ihrer Generation. Die Künstlerin drang in ihren Rollen voller sprachlicher Präzision am Deutschen Theater Berlin, am Nationaltheater Weimar sowie über Jahrzehnte auf Leipziger Bühnen von der Klassik über Revolutions- und Gegenwartsstücke zum psychologischen Realismus vor.
Herkunftsfamilie
- Mutter: Alma Ida Mathilde Schwieger, verheiratet Gottschalk (1896 - 09.01.1961)
- Vater: Willi Gottschalk (12.03.1896 - 28.03.1980)
Biografie
Mit der Winnie in Samuel Becketts "Glückliche Tage" verabschiedete sich Christa Gottschalk Mitte der 1990er-Jahre von der Bühne des Leipziger Schauspielhauses. Aus Anlass ihres 90. Geburtstages kehrte sie 2017 noch einmal zu einer vom Intendanten Enrico Lübbe ihr als Ehrenmitglied gewidmeten Matinee zurück. Wer da erwartet, dass man ein Abbild jener in einem Erdhaufen steckenden alten Frau wieder trifft, die versucht, in tragikomischer Hilflosigkeit die Gewissheit ihres Alterns zu überspielen, wurde enttäuscht. Stattdessen begegnete man einer Aktrice, die sich in tadelloser Haltung, geistig hellwach und voller sprachlicher Präzision den Fragen des Moderators stellte. Wenige Monate danach verabschiedete sich die Künstlerin unerwartet von der Welt.
Über 160 Rollen hatte sie verkörpert. Nach Absolvieren der Leipziger Schauspielschule war die gebürtige Dessauerin als Anfängerin in der Messestadt engagiert. Sie spielte in Weimar und dann am Deutschen Theater in Berlin. Regisseure wie Wolfgang Heinz, Wolfgang Langhoff und Herwart Grosse formten sie, ehe sie in ihre Wahlheimat Leipzig zurückkehrte. Mehr als vier Jahrzehnte wirkte sie an der Pleiße und galt als eine der bevorzugten Protagonistinnen Karl Kaysers. Das ist nur die halbe Wahrheit: Hans Michael Richter, Gotthard Müller, Horst Smiszek, Heinrich Voigt und später Wolfgang Engel gaben ihr die Chance, sich andere Rollenfächer zu erobern. So war sie mehrfach das Goethesche Gretchen, sein Egmontsches Klärchen. Als Iphigenie wiedereröffnete sie das restaurierte Goethe-Theater Lauchstädt, das der Weimarer Poet einst erbauen ließ. Sie eroberte sich Shakespeare und Schiller, spielte Tschechow, Shaw, Gorki oder Aitmatow, verblüffte ihr Publikum als Brecht/ Weills Spelunken-Jenny in der "Dreigroschenoper". Sie verkörperte Russinnen, Britinnen, Amerikanerinnen, Deutsche aus Vergangenheit und Gegenwart psychologisch genau und präzise. Die Künstlerin arbeitete sich in Rollen von der Klassik über Revolutions- und Gegenwartsstücke zum psychologischen Realismus vor.
Neben ihrer Dauerpräsenz auf der Bühne lieh sie hin und wieder internationalen Kolleginnen in deutschen Film-Fassungen ihre Stimme, spielte ein paar Rollen auf Bildschirm und Leinwand. Dabei hat sie mit der Toni in Konrad Wolfs "Lissy" oder mit Beethovens Schwägerin in Horst Seemanns Film über den Komponisten Bleibendes geschaffen. Christa Gottschalk las deutschlandweit Texte von Goethe, Thomas Mann, Romain Rolland, Kurt Tucholsky, Heinrich Böll, Maxie Wander und anderen Autoren sowie jüdische Lyrik. Funk und Schallplatte konservierten ihre Kunst. Die DDR verlieh ihr den Nationalpreis, die Bundesrepublik das Verdienstkreuz. Altbundespräsident Roman Herzog überreichte es und meinte: Sie sei eine ensemblefähige Künstlerin gewesen. Wie wahr! Auf sie traf des Theaterkritikers Theodor Fontanes Satz zu: Sie "gehört zu den feinen, gebildeten, ihre Kunst ernst nehmenden Schauspielern, die nie etwas verderben."
Über Jahrzehnte brachte sie dem Nachwuchs die Ethik ihres Berufs und vor allem ihre exzellente Sprechtechnik bei. Sie freute sich, dass ihre Schülerinnnen, zum Beispiel Petra Schmidt-Schaller oder Theresa Scholze, solch erfolgreiche Film- und Fernsehschauspielerinnen geworden sind. Dass die Mutter eines Sohnes, den sie über alles liebte und der an der Ostsee lebt, auch im leichten Genre bestehen konnte, bewies sie einst gemeinsam mit der befreundeten Claudia Wenzel und Stephan König (am Piano), in Frack und Zylinder singend, bei ihrer "Hommage à Marlene".
Christa Gottschalk war groß, schmal, elegant, mit tadelloser Haltung, eine Dame durch und durch. Sie wirkte immer locker und aufgeschlossen, ob man ihr nun im Supermarkt oder bei der einen oder anderen Talkrunde begegnete. Sie konnte herzhaft lachen und sehr fürsorglich sein. Sie formulierte vortrefflich, schrieb hervorragend.
Sie las viel, diskutierte gern und war auch in ihren Ansichten ziemlich jung geblieben. Sie mochte ihre Leipziger Plattenbauwohnung mit Blick zur Russischen Kirche, zum Park sowie ihre Mitbewohner. In ihrem Refugium erinnerte ein Bild an ihre große Liebe, den berühmten Partner und Schauspieler Willy A. Kleinau, den sie 1957 nach den gemeinsamen Dreharbeiten des Films "Reifender Sommer" bei einem sinnlosen Autounfall (unbeleuchtete Baufahrzeuge blockierten die Straße) in der Nähe von Merseburg verlor und überlebte. Der Schmerz über den Verlust blieb ein Leben lang.
Oft hatte sie in den zurückliegenden Jahren darunter gelitten, wenn zuweilen auf Bühnen die Sprache der Dichter verballhornt wurde, Gebrüll und Getöse sowie Fäkalien die Szene dominierten. Sie sagte über den einen oder anderen Regie-Berserker: "Shakespeare, Goethe und die anderen großen Dramatiker sind öfter tot gesagt worden, aber ihre Werke überlebten, während ihre Zertrümmerer wohl bald dem Vergessen anheim fallen werden!" Worte einer Schauspielerin, die es mit Dostojewski hielt, der schrieb: "Kunst ist für den Menschen genau so ein Bedürfnis wie Essen und Trinken."
Adressen in Leipzig
- Bosestraße 9
- Burgstraße 5
- Störmthaler Straße 21
- Zwickauer Straße 78
- Philipp-Rosenthal-Straße 66/133
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- Ehrenmitglied des Schauspiels Leipzig ab 1994
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- "Kleine Spuren hinterlassen" Interview mit Christa Gottschalk. Journal der Hochschule für Musik und Theater "Felix Mendelssohn Bartholdy", 2009, Seiten 17-19.
- "Du bist dran!" Erinnerungen. In "Leipziger Blätter" 17 (1990).
- Hommage à Christa Gottschalk in "Leipziger Blätter" 52 (2008).
- "Eine Charakterdarstellerin von Format" Nachruf von Rolf Richter in "Leipziger Volkszeitung" vom 11. April 2018, Kulturseite.
Autor: Rolf Richter, 2018