Grollmuß, Maria Karoline Elisabeth, Dr. phil. (sorbisch Marja Grólmusec) - Leipziger Frauenporträts
Denkmal für Maria Grollmuß vor der Sorbischen Grund- und Oberschule in Radibor, die ihren Namen trägt. © Kerstin Kollecker Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Frauenbewegung
- Politik
- Religion
- Widerstand gegen NS
geboren/ gestorben
24. April 1896 (Leipzig) - 6. August 1944 (Ravensbrück)
Zitat
"Ich habe in meinem Glauben treu zu meiner Sache gestanden."
Kurzporträt
Die sorbische Pädagogin und religiös-sozial motivierte Publizistin Maria Grollmuß war eine der ersten politischen Journalistinnen und strebte ein Zusammenführen linker katholischer und sozialistischer Kräfte an, dabei auch die Rolle der Frau in der Politik betonend. Ihren aktiven Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime bezahlte sie mit dem Leben.
Herkunftsfamilie
- Vater: Johannes Grollmuß (Jan Grólmusec ) (1851-1924), Lehrer und Schuldirektor
- Mutter: Carolina, geborene Koelitz (?-1911)
- Schwester: Cäcilie (Cecilija) (1898-1974), Lehrerin
Biografie
Maria Grollmuß wurde am 24. April 1896 in Leipzig geboren. Hier hatte der aus dem sorbischen Radibor stammende Vater den Aufstieg vom Hilfslehrer zum promovierten Direktor der ersten katholischen Bürgerschule geschafft. Die Mutter entstammte einer Fabrikantenfamilie, die in Leipzig eine Geschäftsniederlassung besaß.
Maria wuchs mit der innig geliebten Schwester Cäcilie in einem gediegenen bürgerlichen Milieu auf, besuchte ab 1902 die väterliche Schule und danach die Mädchenschule in Lüttich. Zur Firmung 1912 wählte sie sich Jeanne dʼArc zur Firmenpatronin. Im gleichen Jahr wurde sie auf Wunsch des Vaters Schülerin am Leipziger Lehrerinnenseminar. Nach Ablegung der Wahlfähigkeitsprüfung setzte sie ihre Ausbildung an der Städtischen Studienanstalt Leipzig fort und erwarb das Abitur. Im Mai 1920 schrieb sie sich an der Universität Leipzig für die Studienfächer Geschichte, Philosophie, Soziologie, Deutsch und Französisch ein, wechselte kurzzeitig an die Berliner Humboldt-Universität und schloss 1925 in Leipzig mit dem Staatsexamen für das höhere Lehramt ab.
Als Katholikin, die aus ihrem Glauben die ethische Verpflichtung zu politisch-sozialem Handeln ableitete, engagierte sie sich sowohl beim katholischen Windhorstbund als auch beim Sozialistischen Studentenbund. Die Leipziger Studentengruppe für Völkerbundarbeit entsandte sie als Vertreterin 1924 zu einer Schulungswoche nach Genf. Bildungsreisen führten Grollmuß in die Schweiz, nach Frankreich und in die Tschechoslowakei.
Ostern 1925 erfolgte der Eintritt als Studienassessorin in das von Augustiner Chorfrauen geführte Lehrerinnenseminar in Offenburg. Zeitgleich reichte sie an der Universität Leipzig ihre Dissertationsschrift "Josef Görres und die Demokratie" ein und publizierte ihre Schrift "Die Frau und die junge Demokratie. Ein Bericht über Frau, Politik und Demokratie". Darin betonte sie die besondere Eignung der Frauen für Politik, sich gleichermaßen auf die große Mystikerin Katharina von Siena wie auf die Sozialistin Rosa Luxemburg berufend. Sie verwarf das "Hausfrauenideal des Luthertums", ebenso die Propagierung einer "geistigen Mütterlichkeit" und lehnte spezifisch weibliche Bereiche in Politik oder Erwerbsarbeit ab. Ihr gemeinschaftsorientierter Gesellschaftsentwurf einer gesamteuropäischen Demokratie war von Toleranz und Humanität geprägt. Frauen, Arbeiter und Jugend würden gleichermaßen mitwirken. Der katholischen Frauenbewegung warf sie vor, das eigene Erbe zu verraten, denn die katholische Kultur habe einstmals die "Jungfrau" (gemeint als Unabhängigkeit vom Mann) über die "Hausfrau" gestellt.
Bereits 1926 verließ Grollmuß den ungeliebten Schuldienst und arbeitete in Frankfurt am Main unter anderem für die dem linken Flügel des Zentrums nahestehende "Rhein-Mainische Volkszeitung", aber auch für verschiedene sozialistische Blätter als politische Journalistin.
1929 erhielt sie am Viktoria-Lyzeum in Berlin-Kreuzberg eine befristete Anstellung und wurde nach einer Phase der Arbeitslosigkeit Hilfskraft in der Berufsberatung des Berliner Arbeitsamtes.
Vermutlich 1927 trat sie der SPD bei, Mitte 1929 folgte der Wechsel zur KPD, dann zur KPO und schließlich zur SAP, für die sie als Reichstagskandidatin im Wahlkreis Dresden-Bautzen antrat. 1933 gehörte sie wieder der SPD an. Ihr Bemühen um Integration unterschiedlicher linker Kräfte wurde mehrfach mit Parteiausschlüssen quittiert. "Du bist die Volksfront in einer Person" konstatierte hingegen anerkennend die Mitstreiterin Ruth Seydewitz.
Im Frühjahr 1933, nach Machtübernahme der Nationalsozialisten, zog Maria nach Radibor. Die beiden naturverbundenen Schwestern Grollmuß bewohnten die einst vom Vater als Sommersitz für seine kränkliche Familie erbaute Villa mit Garten und führten eine "politisierte Haustiergemeinschaft", in der sogar die Hühner Namen von Politikern trugen. Jedoch bedeutete dies keinen Rückzug ins Idyll. Grollmuß unterhielt Kontakte zur Gruppe revolutionärer Sozialisten in Prag, zu Emigranten der Zentrumsführung sowie zur SPD-Exilorganisation und stand in Verbindung zum Leipziger Gewerkschafter Christian Ferkel, um Unterstützung für Verfolgte des Regimes und deren Familien zu organisieren und am Zusammenschluss oppositioneller Kräfte mitzuwirken. Sie übernahm Kurierdienste, traf Otto Bauer in Wien und verhalf gefährdeten Menschen zur Flucht in die Tschechoslowakei.
Nach einer Denunziation wurde Grollmuß am 7. November 1934 verhaftet und am 23. November 1935 vom Volksgerichtshof in Berlin wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu sechs Jahren Zuchthaus (Waldheim) und Ehrverlust verurteilt. In ihren berührenden Briefen aus dem Zuchthaus Waldheim an die Schwester in Radibor setzte sie sich mit Fragen der katholischen Kirche auseinander und leistete einen Beitrag zu einer einheitsstiftenden Spiritualität: "Ja, in der Geschichte muß immer ein neuer Karfreitag kommen und mit den dröhnenden Hammerschlägen der rohen Henkersknechte und mit dem Dunkel, das die Sonne auslöschte und mit der Frau, die unter dem Kreuz stand. Sie stand [...], das ist es, was wir von ihr wissen, sie stand und brach nicht zusammen [...] Und dann bringt die Geschichte wieder den neuen Ostermorgen, den Morgen der klaren Wasserquellen und des silbernen Lichtes, [...] jenen Morgen, der den Schrecken verbannt und die Freude bringt, der das Befleckte reinigt, das Alte erneuert und alles in seiner Vollkommenheit wiederherstellt." (Brief vom 24. März 1940).
Einem Abwerbeversuch der Nazis, die der an Krebs Erkrankten im Gegenzug für Spitzeldienste eine Operation anboten, widerstand sie. Im Januar 1941 wurde sie als "Politische Nr. 5346" in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück überführt, wo sie am 6. August 1944 starb.
Überlebende Mithäftlinge erinnerten das Charisma, das Maria Grollmuß ausstrahlte. Ihr "verliehen Natur und tiefgründige Bildung ein sanftmütiges Ausharrungsvermögen, behutsame Klugheit". Von sich selbst absehend und auf andere schauend, vermochte sie sich "innerhalb der furchtbarsten Hölle" über das Grauen hinwegzusetzen und tröstend-bereichernd auf andere zu wirken.
Werke
- Maria Grollmuß, Die Frau und die junge Demokratie: Ein Bericht über Frau, Politik und Demokratie, Frankfurt am Main 1925.
- Maria Grollmuß, Über die weibliche Form der Politik, in: Die Schildgenossen 1/1926.
- Maria Grollmuß, Was ist die linke Sozialdemokratie?, in: Gegen den Strom 4/1931.
- Maria Grollmuß, Die Kluft, in: Kampfsignal, 4. Novemberwoche 1932.
- Maria Grollmuß, Josef Görres und die Demokratie: Aufstieg und Höhepunkt - von den Anfängen bis zum Jahre 1819, Dissertation Leipzig 1927.
- Außerdem Beiträge für die Zeitung "Die deutsche Republik", die kommunistische Zeitschrift "Gegen den Strom" sowie für die SAP-Zeitschrift "Kampfsignal".
- Organisatorische und publizistische Mitarbeit an der Herausgabe der "Roten Blätter".
- Mitglied der wissenschaftlichen Vereinigung "Maćica Serbska" und Mitbegründerin der Vereinigung sorbischer Studentinnen "Wita" an der Studienanstalt Leipzig (1919).
Adressen in Leipzig
- 1896-1912: Leipzig, Alexanderstraße 35-37, 33, 1. Etage
- 1913-1917: Leipzig-Gohlis, Artilleriestraße 8 (heute Ludwig-Beck-Straße), 2. Etage
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- Maria-Grollmuß-Straße seit 1996 in Leipzig-Gohlis. (Bereits 1989 war eine Straße nach Maria Grollmuß benannt worden. Aufgrund geänderter Bebauungspläne musste der Name 1994 aufgehoben werden, BN: RB-105/94.)
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Friedemann Schreiter: Strafanstalt Waldheim. Geschichten, Personen und Prozesse aus drei Jahrhunderten. Sonderausgabe für die Zentralen für politische Bildung, Berlin 2014.
- Margot Käßmann (Herausgeberin): Gott will Taten sehen: Christlicher Widerstand gegen Hitler. Ein Lesebuch., München 2013.
- Gerd Schäfer: Dr. Maria Grollmuß (1896-1944): Eine fast vergessene Grenzgängerin, in: JahrBuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Heft III/2012.
- Elisabeth Prégardier: Die Heilige, "die die Welt ernst nahm". Maria Grollmuß an Caterina von Siena, in: Heilige Unruh. Bewegende Frauen in den Zeiten der Kirche, herausgegeben von Hildegard König und Irene Leicht, München 2000.
- Birgit Sack: Zwischen religiöser Bindung und moderner Gesellschaft: Katholische Frauenbewegung und politische Kultur in der Weimarer Republik (1918/1919-1933), Münster, New York, München, Berlin 1998.
- Rita Sprengel: Der rote Faden, Lebenserinnerungen, Berlin 1994.
- Elisabeth Prégardier und Anne Mohr: Briefe nach Radibor: Maria Grollmuß (1896-1944). Aus dem Zuchthaus Waldheim und dem Konzentrationslager Ravensbrück von 1938 bis 1944, Annweiler 2000.
- Marja Kubašec: Sterne über den Abgrund, Berlin 1976.
- Marja Kubašec: Für eine Zukunft echter Gemeinschaft, Berlin 1970.
- Paul Gedan (Herausgeber): Das städtische Lehrerinnenseminar zu Leipzig. Gedenkschrift zur Feier des 25-jährigen Bestehens, Leipzig 1924.
- Swen Steinberg: Grólmusec (Grollmuß), Marja (Maria Karoline Elisabeth), in: Sächsische Biografie, herausgegeben vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V., bearbeitet von Martina Schattkowsky, http://www.isgv.de/saebi/ (Stand: 04.09.2016).
- Sack, Birgit und Mike Schmeitzner: Chancen der Regimepartizipation – Selbstermächtigung im Widerstand. Frauen im NS-Gau 1933 bis 1945. In: Frauen in Sachsen. Politische Partizipation in Geschichte und Gegenwart. Hrsg. v. Werner Rellecke, Susanne Schötz, Alexandra-Kathrin Stanislaw-Kemenah, Dresden 2022.
- Sack, Birgit: MARIA GROLLMUSS 1896–1944. Biografische Annäherung und Erinnerungsnarrative, Göttingen 2022.
Autorin: Kerstin Kollecker, 2015