Günther, Doris (geborene Birke) - Leipziger Frauenporträts
Doris Günther © Stadt Leipzig Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Wirtschaft
- Stiftungswesen
geboren/ gestorben
4. März 1919 (Leipzig) - 19. Dezember 2009 (Leipzig)
Zitat
"Was anstand, habe ich einfach getan." (2006)
Kurzporträt
Doris Günther gründete Mitte 1991 als 72-Jährige die Messedruck Leipzig GmbH (ehemals verstaatlichter Familienbetrieb der Günthers). 2001 errichtete sie als 82-Jährige die gemeinnützige Doris-Günther-Stiftung in Leipzig.
Herkunftsfamilie
- Vater: Karl Otto Birke, Schuhmacher (1894-1985)
- Mutter: Luise Günther geborene Wolfrum (1897-1939)
Biografie
Doris Günther wuchs als Einzelkind in einer Leipziger Schuhmacher-Familie mit Werkstatt und Ladengeschäft auf. Bis zur Konfirmation besuchte sie die Volksschule im Stadtteil Schönefeld, danach bis 1936 die städtische Carola-Schule für Hauswirtschaft am Johannisplatz. Schon als Kind musste sie viele Pflichten übernehmen, so dass zum Lesen oder Spielen wenig Zeit blieb. Nach dem frühen Tod der Mutter 1939 war sie die wichtigste Hilfe im Geschäft. Mit 17 Jahren wurde sie Mitglied des nationalsozialistischen Bundes Deutscher Mädchen (BDM), für den ab 1936 eine gesetzlich geregelte Pflichtmitgliedschaft für weibliche Jugendliche galt. Begeistert von den Gemeinschaftserlebnissen und sportlichen Aktivitäten stieg sie bis zur Ringführerin auf. Ab 1942 begann sie, von einer befreundeten Familie finanziell unterstützt, eine Ausbildung zur Wohlfahrtspflegerin am Sozialpädagogischen Frauenseminar, die 1911 als Hochschule für Frauen von der Fröbelpädagogin Henriette Goldschmidt eröffnet worden war. Als BDM-Führerin wurde Doris Birke ab 1944 bis zum Kriegsende zu Hilfsdiensten herangezogen. Am 12. April 1945 kehrte sie in ihre Heimatstadt zurück.
Nach Kriegsende half Doris Birke weiter im Geschäft des Vaters. Der Besuch der Leipziger Grassimessen mit hervorragenden Werken der angewandten Kunst regte sie an, selbst Schuhe zu entwerfen und anzufertigen. Ermutigt durch den Erfolg ihrer Ausstellung im Schuhmessehaus "Drei Könige" präsentierte sie die eigenen Schuhmodelle auch auf den jährlichen Grassimessen des Leipziger Museums für Angewandte Kunst. Dort kam sie mit Kunsthandwerker/-innen aus Leipzig und ganz Deutschland in Kontakt. Auf einer Grassimesse lernte sie auch ihren späteren Mann Herbert Günther kennen, der die 1906 gegründete Druckerei Günther, Kirstein & Wendler seines Vaters leitete, die sich seit 1927 in der Schönbachstraße befand. Nach der Hochzeit 1956 war Doris Günther für den großen Haushalt in der Anger-Crottendorfer Villa verantwortlich, zu dem außer ihrer eigenen Wohnung auch die des Schwiegervaters gehörte, dazu ein sehr großer Obstgarten. 1957 kam Tochter Cornelia zur Welt, die als Dreijährige schwer erkrankte, von Doris Günther zu Haus gepflegt wurde und 1962 verstarb.
1967 starb Ehemann Herbert Günther mit nur sechzig Jahren. Auf Bitten der Mitarbeiter beantragte Doris Günther die Gewerbeerlaubnis für das Druckereiunternehmen, die ihr auch erteilt wurde, und führte die Druckerei zunächst als Privatbetrieb weiter. Sie machte die Fahrerlaubnis, um mobil zu sein. Die Fachkenntnisse zur Leitung einer Buch- und Kunstdruckerei erwarb sie in Abendkursen für Schriftsatz und Druck an der Gutenbergschule sowie in Lehrveranstaltungen für Betriebswirtschaft an der Leipziger Universität. Die Kunden, zu denen der Leipziger Zoo, die Likörfabrik Wilhelm Horn, der Zirkus Aeros, Kultureinrichtungen und vor allem die Leipziger Messe gehörten, blieben der Druckfirma auch unter ihrer Leitung treu.
1972 wurde das mittelständische Unternehmen Günther, Kirstein & Wendler verstaatlicht. Man bot Doris Günther als ehemaliger Eigentümerin an, die Leitung des Betriebes zu übernehmen. Da der private Betriebsname aufgegeben werden musste, wählte Doris Günther als neue Firmierung den Namen Messedruck. Nach acht Jahren weiterhin erfolgreicher Geschäftstätigkeit wurde der VEB Messedruck im Jahr 1980 der Druckerei der Leipziger Volkszeitung zugeordnet. Im März 1981 gab Doris Günther die Leitung des nunmehr zur VOB Zentrag (Zentrale Druckerei-, Einkaufs- und Revisionsgesellschaft mbH) gehörenden und damit direkt dem Zentralkomitee der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) unterstellten Betriebes ab. Mit über 60 Jahren war sie als Frau in der DDR im offiziellen Rentenalter, wollte aber weiter arbeiten. Sie übernahm für die Evangelische Haupt-Bibelgesellschaft die Leitung der Außenstelle Leipzig und war dort zuständig für Druck und Vertrieb.
Ende der 1980er-Jahre erlebte Doris Günther in Leipzig die Montagsgebete, die friedlichen Demonstrationen und ab 1990 die Reprivatisierung der Wirtschaft. Als 71-Jährige entschloss sie sich, die Rückgabe des Familienbetriebes Günther, Kirstein & Wendler zu beantragen und gründete Mitte 1991 gemeinsam mit dem Leipziger Diplom-Ingenieur für Polygrafie Axel Schöpa als Partner die Messedruck Leipzig GmbH. Es gelang, die Firma zu modernisieren und erfolgreich am Markt zu positionieren. Für ihre unternehmerischen Aktivitäten erhielt Doris Günther 1997 das Bundesverdienstkreuz, 2002 den Verdienstorden des Freistaates Sachsen. Bis zu ihrem Ausscheiden 2001 als 82-Jährige blieb Doris Günther Hauptgesellschafterin. Im März 2002 fusionierte Messedruck mit Jütte-Druck zur Jütte-Messedruck Leipzig GmbH, ab 2007 Messedruck Leipzig GmbH. Die Schließung der Firma im Februar 2013, inzwischen eine Tochter der Offizin Andersen Nexö, hat Doris Günther nicht mehr erlebt. Sie starb am 19. Dezember 2009 in Leipzig.
Den notwendigen Ausgleich zu ihrer intensiven Berufstätigkeit fand Doris Günther beim Besuch von Konzerten und Kunstausstellungen, auf Reisen und in ihrem Bekannten- und Freundeskreis, zu dem viele Künstler, Musiker, Kulturschaffende gehörten. Als erfolgreiche Unternehmerin war sie mit dabei, als nach 1990 das bürgerschaftliche Engagement in Leipzig wiederbelebt wurde. 1994 gehörte sie zu den Gründungsmitgliedern der neuen Gesellschaft Harmonie (gegründet 1776 in Leipzig), war Mitglied im Freundeskreis des Grassimuseums für Angewandte Kunst, im Förderkreis der Oper Leipzig und im Freundeskreis Max Klinger.
Ihr Name bleibt in Leipzig lebendig: Nach dem Verkauf ihrer Firmenanteile errichtete sie 2001 die gemeinnützige Doris-Günther-Stiftung zur "Förderung besonders förderungswürdiger kultureller Zwecke, der Jugendhilfe, des öffentlichen Gesundheitswesens und mildtätiger Zwecke" in Leipzig. Unterstützt wurden bisher unter anderem die Universitäts-Kinderklinik und das Museum für Angewandte Kunst im Grassi, dem die Zuwendungen mehrere bedeutende Ankäufe ermöglichten.
Adressen in Leipzig
Für die Angaben danke ich Frau Sabine Knopf. Für weitere Hinweise sind wir dankbar!
- 1919 - 1956 (?) Schuhgeschäft Birke, Breslauer Straße 10, Leipzig-Schönefeld (ab 1950 umbenannt in Ossietzkystraße).
- 1956 – (?) Karl-Krause-Str. 37, Leipzig-Crottendorf, (ab 1963 umbenannt in Theodor-Neubauer-Straße) nach der Heirat.
- 1967 (?) – 2009 (?) Ludolf-Colditz-Straße 4, Leipzig-Stötteritz.
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- Bundesverdienstkreuz 1997 als "älteste Jungunternehmerin Sachsens"
- Doris-Günther-Stiftung seit 2001, von ihr selbst errichtet
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Doris Günther: Hier gehör ich hin. Erinnerungen einer Leipziger Unternehmerin, Doris-Günther-Stiftung, Leipzig 2006.
- Jutta Donat: "Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne". Die Unternehmerin Doris Günther, in: Leipziger Blätter 36, Leipzig 2000.
Autorin: Gerlinde Kämmerer, 2013