Hartinger, Christel (Dr.) - Leipziger Frauenporträts
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Rubrik
- Bildung/ Pädagogik
- Literatur
geboren/ gestorben
13. Dezember 1941 (Niedertrebra/ Thüringen) - 20. Dezember 2016 (Leipzig)
Zitat
"Der Kompromiss ist die einzig lebbare Konsequenz."
Kurzporträt
Mit Leidenschaft und großem Engagement arbeitete die Literaturwissenschaftlerin Dr. Christel Hartinger (geborene Käschel) ehrenamtlich im Friedenszentrum Leipzig e. V., in der Louise-Peters-Gesellschaft e. V., in der Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik e. V. sowie in der Freitagswerkstatt des DIALOG e. V., im Brigitte-Reimann- und Irmtraud-Morgner-Kreis und initiierte viele Aktivitäten.
Herkunftsfamilie
- Vater: Reinhard William Käschel, Frisörmeister
- Mutter: Gertrud Martha Käschel, geborene Funke
- Bruder: Bernd Reinhard Käschel, Rundfunkmonteur
Biografie
Christel Hartinger gehört zu den Menschen, die sofort präsent sind, sobald man nur ihren Namen nennt. Und gewiss sind es vielfältige Erinnerungen, die jene, die ihr begegnet sind, mit ihr verbinden. Sie war ein Mensch, der einen Mittelpunkt bildete, ohne selbst im Mittelpunkt zu stehen. Sie ermutigte Schreibversuchende, ermutigte Friedensstiftende, ermutigte Lehrende und Lernende gleichermaßen. Sie konnte sich auf Menschen ganz unterschiedlicher Couleur einstellen, eine seltene Gabe. Als praktizierende Feministin lehnte sie den Kampf der Geschlechter ab und trat für Gleichberechtigung und eine Begegnung auf Augenhöhe ein. Sie war heimatverbunden und Internationalistin zugleich. Toleranz musste sie nicht üben, sie lebte sie. Christel Hartinger war offen für Gedanken, die den Wortstamm Denken nicht verleugneten. Sie besaß einen außerordentlich großen Menschenglauben. Wohl deshalb war sie stets voller Zuversicht und vermochte es, dass sich die eigene schwere Erkrankung ihren Plänen über viele Jahre unterordnete. Sparsam wie sie war, war sie auch sparsam mit der Zeit anderer und mochte keine Wiederholungen und keinen Leerlauf.
Christel Hartinger studierte nach dem Oberschulbesuch in Schulpforta von 1960 bis 1964 an der Karl-Marx-Universität Leipzig Germanistik und Kunstgeschichte. Bis 1991 lehrte und forschte sie zur Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts und promovierte zum Gedichtwerk Brechts. Gemeinsam mit ihrem Mann Prof. Dr. Walfried Hartinger betreute sie zahlreiche Veröffentlichungen und Herausgaben, vornehmlich zur Lyrik. Beide machten sich - im Verbund mit der Witwe Eva Maurer - vor allem um das Werk des Dichters und Literaturprofessors Georg Maurer (1907-1971) verdient.
Geehrt für ihr ehrenamtliches Engagement wurde sie von vielen Seiten, war doch Vielseitigkeit ihr Programm. Als 1987 nachgerücktes Mitglied der (vorletzten) Volkskammer der DDR (1986-1990) stimmte sie mit für die Ablösung der SED-Riege. Dass sie aufgrund ihrer "Systemnähe" als 50-Jährige ihren Arbeitsplatz an der Universität Leipzig verlor, empfand sie als schmerzhaften Einschnitt in ihr Leben und Wirken. Umso mehr engagierte sie sich in den nach 1990 neugegründeten Initiativen und Organisationen - überall war sie gegenwärtig und aktiv. Sie leitete Schreibwerkstätten für die Entstehung/ Schaffung, Pflege und Verbreitung von Literatur und war als Netzwerkerin immerzu bestrebt, Menschen zusammenzubringen und einzubeziehen. Dass sie als Herausgeberin stets die Kooperation mit anderen suchte und die Teamarbeit favorisierte, macht ihr Werk kenntlich.
Als passionierte Tramfahrerin war Christel Hartinger auch oft auf deutschen Bahnstrecken anzutreffen und unternahm im Rentenalter immer wieder Reisen nach Rumänien und selbst Flüge nach Großbritannien, um an den fernen Orten die ihr in Leipzig erst spät vergönnte Großmutterrolle zuzulassen. Die eigenen Begabungen, das Zeichnen und Gedichteschreiben, hat Christel Hartinger lange Zeit eher im Hintergrund betrieben und vor allem ihre literarischen Versuche erst nach dem Ende ihrer Laufbahn als Hochschullehrerin einer größeren Öffentlichkeit vorgestellt. Dementsprechend hoch war der Überraschungseffekt. Die Autorin erhielt viel Zuspruch und erfuhr auf diese Weise selbst Ermutigung.
Gleichfalls gehörte es zu ihrer Geselligkeit, dass sie immer wieder an den Ort ihrer Oberschulzeit in Schulpforta zurückkehrte und sicherlich kein Klassentreffen ausließ. Desgleichen erfüllte es sie mit Freude, wenn sie die Rolle der Gastgeberin annehmen und ihr Können als Kaltmamsell unter Beweis stellen konnte. Dass Christel Hartinger immer auch ein Familienmensch war, der das Wohl der anderen Familienmitglieder vor das eigene Wohl stellte, ließ sich immer wieder beobachten. Egal, ob sie die wissenschaftliche Arbeit ihres Mannes nicht nur redigierte, sondern auch von der Handschrift in die Maschinenschrift übertrug, ihren Sohn in seiner akademischen Ausbildung unterstützte oder ihrer Tochter, die heute als Lektorin arbeitet, als Wöchnerin beistand.
Ihr zu Ehren haben Familienangehörige, Weggefährten und Freunde 2017 den "Christel-Hartinger-Preis für Zivilcourage und beherztes Engagement" initiiert, der fortan von der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e. V. vergeben wird. Der Preis soll, ganz im Sinne der politischen Seite der Namenspatronin, Gruppen und Einzelpersonen zugutekommen, "die mit hohem persönlichem Einsatz und Mut Menschen unterstützen, die in Not sind und unter Diskriminierungen zu leiden haben".
Davon, dass sie in dem ihrer letzten Wohnstätte nahen Friedenspark in ihrer gelebten Unrast Entspannung fand und gleichfalls immer wieder den Botanischen Garten und das Apothekergärtchen besuchte, finden sich Spuren in ihrem eigenen künstlerischen und literarischen Werk, das zu erschließen ihren Nachkommen nunmehr aufgegeben ist.
Werke
eine Auswahl:
- Volker Braun: Gedichte. Auswahl und Nachwort von Christel und Walfried Hartinger, Leipzig 1976.
- Heinz Czechowski: Ich, beispielsweise: Gedichte, herausgegeben von Christel und Walfried Hartinger, Leipzig 1986.
- Schreibwetter: Lyrikanthologie, herausgegeben von Ralph Grüneberger, Mitarbeit Sylvia Gösel und Christel Hartinger, Leipzig 2002.
- Wechselseitige Wahrnehmung: Heiner Müller und Christa Wolf in der deutschen Kritik - in Ost und West, herausgegeben von Christel Hartinger und Roland Opitz, Leipzig 2008.
- ... diese Stunde gehört den Autoren: Leipziger Poetik-Vorlesungen im Herbst 89, herausgegeben von Christel Hartinger, Antonia und Roland Opitz, Leipzig 2010.
- Petzow - Villa der Worte: Das Schriftstellerheim in Erinnerungen und Gedichten, herausgegeben von Margrid Bircken, Christel Hartinger, Harald Kretzschmar, Burkhard Raue, Marianne Schmidt, Berlin 2016.
Adressen in Leipzig
- Arndtstraße
- Tschaikowskistraße
- Humboldtstraße 10
- Max-Planck-Straße 14
- Gletschersteinstraße 31
- 2006-2016: Philipp-Rosenthal-Straße 58
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- 1989: Georg-Mauer-Preis der FDJ-Bezirksleitung Leipzig
- 1992: Lysistrata-Frauen-Friedenspreis, vergeben von LISA Sachsen, der Feministischen Frauenarbeitsgemeinschaft in der Partei Die Linke
- 2000: Die Goldene Ehrennadel der Stadt Leipzig
- Seit 2017 Christel-Hartinger-Preis für Zivilcourage und beherztes Engagement der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e. V.
- https://sachsen.rosalux.de/die-stiftung/christel-hartinger-preis-fuer-zivilcourage-und-beherztes-engagement/
Autor: Ralph Grüneberger, 2018