Hering, Elisabeth (geborene Leicht) - Leipziger Frauenporträts
Schriftstellerin Elisabeth Hering © Wilhelmine Gerber Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Literatur
geboren/ gestorben
17. Januar 1909 (Klausenburg/ Siebenbürgen, damals Ungarn, heute Rumänien) - 15. Juni 1999 (Leipzig)
Zitat
"Das Heimatland der Heimatlosen sind - die Heimatlosen. Und die werde ich finden, wohin immer ich gehe."
(aus: "Schatten Gottes auf Erden")
Kurzporträt
Die aus Siebenbürgen stammende deutsche Schriftstellerin Elisabeth Hering wurde mit ihren sachkundig recherchierten kulturhistorischen Romanen sowie Nacherzählungen von Sagen und Märchen bekannt. Sie nahm aktiven Anteil am Friedensprozess in der DDR.
Herkunftsfamilie
- Siebenbürgisch-deutsches Bildungsbürgertum: Vater: Dr. Hans Leicht (1886 bis 1937), Jurist
- Mutter: Elisabeth geborene Bacon (1888 bis 1958), Buchbinderin
- zwei jüngere Schwestern
Biografie
Es gibt ein Foto von der Taufe Elisabeth Leichts, auf dem die sie prägenden Menschen ihrer Familie zu sehen sind: Urgroßmutter Therese Bacon, eine Pionierin für Frauenrechte in Siebenbürgen (und Mutter der Frauenrechtlerin Marie Stritt); Großvater Dr. Joseph Bacon, Arzt und Gründer des Schäßburger Heimatmuseums "Alt-Schäßburg", in dem Elisabeth schon ab ihrem 12. Lebensjahr selbstständig Führungen machte; ihre Mutter Elisabeth Leicht, die ihr die Kulturtechniken siebenbürgischer Volkskunst vermittelte, und schließlich der Vater, Dr. Hans Leicht, Jurist, der eine Sammlung eigener Gedichte und literarischer Übersetzungen aus dem Ungarischen hinterließ.
Ihre Kindheit verbrachte Elisabeth in Schäßburg/ Sigisoara, einer Kleinstadt, die im 12. Jahrhundert von deutschen Kolonisten gegründet worden war und deren Nachkommen die deutsche Sprache und Kultur bewahrt hatten. 1916 bis 1925 besuchte sie deutsche Schulen. Trotz hervorragender schulischer Leistungen musste sie das Knabengymnasium vorzeitig verlassen, da in Rumänien 1923 die "Koedukation" als "unsittlich" verboten wurde.
Nach ihrer Buchhändlerlehre (1925-1927) heiratete sie den Schäßburger Stadtprediger Johann Michael Ackner (1892-1960) und übersiedelte mit ihm 1930 nach Hermannstadt/ Sibiu. Um 1940 veröffentlichte sie erste Gedichte und Kurzerzählungen in lokalen Zeitschriften. 1943 wechselte ihr Ehemann im kirchlichen Auftrag nach Polen, wohin sie ihm mit den inzwischen vier Kindern (*†1928 Hans; *1930 Richard; *1933 Elisabeth; *1939 Hermann; *1941 Friedrich) folgte. Im Laufe des Krieges wurde die Familie etappenweise nach Deutschland verschlagen und kam 1944 nach Thüringen, wo das fünfte Kind Wilhelmine geboren wurde.
Durch die bitteren Erfahrungen des Krieges und den Verlust der tradierten Wertvorstellungen begann auch für Elisabeth Hering eine schmerzvolle Neuorientierung, der sie sich mit dem ihr innewohnenden Lebensmut stellte. 1951 trennte sie sich von Hans Ackner, um frei zu sein für ihre schriftstellerische Tätigkeit und übersiedelte nach Leipzig, wohin ihr die drei jüngsten, noch unmündigen Kinder bald folgten. In dieser Zeit hielt sie die Familie mit Vorträgen, Handarbeitskursen und der Pfandleihe über Wasser. 1952 heiratete sie den Verlagslektor Walter Hering, der sie in der Anfangszeit ihrer literarischen Tätigkeit unterstützte. Die Vision einer gemeinsamen künstlerischen Arbeit blieb weitestgehend Illusion. Von den Mühen einer freiberuflichen Existenz blieb Elisabeth Hering nicht verschont.
Dennoch wurde Leipzig für Elisabeth Hering zur zweiten Heimat und das Herzstück dieser Heimat war die Deutsche Bücherei, wo sie sich sehr intensiv in das Quellenstudium für ihre historischen Romane vertiefte. Ihre Spurensuche führte sie in die Vergangenheit zu den Schnittstellen von Macht und Machtmissbrauch, Religion und Missbrauch der Religion. Sie hatte ihr Thema gefunden und verstand es in seinem Bezug zur Gegenwart. Ihre Beschäftigung mit dem Islam oder den religiösen Auseinandersetzungen nach Luthers Tod haben nichts an Aktualität eingebüßt.
In Leipzig schloss sich Elisabeth Hering der Gesellschaft der Freunde, den Quäkern an, deren pazifistische, undogmatische Religiosität und soziales Engagement ihrem eigenen religiösen Verständnis am nächsten kamen. Und sie engagierte sich in der ökumenischen Friedensbewegung.
Auch ihr hat der doktrinäre Staat DDR Grenzen gesetzt. Die Staatsverlage waren ihr verschlossen. Ihre Auflagen wurden limitiert, Forschungsreisen hinter den eisernen Vorhang zu den Schauplätzen ihrer Romane waren ihr verwehrt, Wohnung und Post wurden observiert. Ihre Mitgliedschaft im Schriftstellerverband musste sie sich als bekennende Christin regelrecht erkämpfen. Sehr bedauert hat sie, dass sie 1961 genötigt wurde, ihre Tätigkeit als Schöffin einer Zivilkammer nach acht Jahren aufzugeben. Zu unüblich war ihr Verständnis des Gesetzes als Lebenshilfe. Sie ist darüber nicht bitter geworden und hat sich ein aufrechtes, ihren Mitmenschen zugewandtes Leben bewahrt.
Gerne reiste Elisabeth Hering in ihre alte Heimat und andere östliche Länder. Sie lernte Georgien und Samarkand kennen, Schauplätze ihres Romans "Schatten Gottes auf Erden", und knüpfte lebenslange Freundschaften zu deutschen Schriftstellern in Moskau und Kasachstan. Mit Beginn des Rentenalters kamen Reisen in westliche Länder hinzu. Vor allem pflegte sie Kontakte zu vielen Quäkern. Sie liebte den geistigen Austausch und das Gespräch. Zunehmend befasste sie sich mit globalen Menschheitsfragen und war eine Verfechterin des Bewusstseinswandels für eine neue Friedensordnung.
Talent und Neigung, aber auch ein enormer Fleiß führten zu einer bewundernswerten Lebensleistung: Insgesamt veröffentlichte Elisabeth Hering 24 Bücher, davon elf kulturhistorische Romane, ein populärwissenschaftliches Buch zur Entstehung der Schrift, zwei Erzählungen für Kinder sowie Nacherzählungen von Märchen, Sagen und Schwänken. Sie erhielt Auszeichnungen in Ost- und Westdeutschland, einige ihrer Werke erschienen in Übersetzungen auf Russisch, Ungarisch, Rumänisch, Italienisch, Slowakisch und Estnisch.
Elisabeth Hering starb im Alter von 90 Jahren in Leipzig und hinterließ unter anderem eine umfangreiche, unveröffentlichte Korrespondenz.
Werke
- Erste Veröffentlichung "Der Oirol", zwei Liebesgeschichten aus dem alten Korea, unter dem Namen Elisabeth Ackner, Rupert-Verlag Leipzig 1951.
- "Hong Kil Tong", koreanische Märchen, Jugendbuchverlag Ernst Wunderlich, Leipzig 1952.
- "Drei Lebensretter", Erzählung, Jugendbuchverlag Ernst Wunderlich, Leipzig. Lizenzausgabe Boje Verlag Stuttgart ("Ein tapferes Herz"), 1955.
- "Der Heinzelmännchen Wiederkehr", Jugendbuchverlag Ernst Wunderlich Leipzig, Lizenzauflage im Boje Verlag Stuttgart 1955.
- "Li Tseh", eine Liebesgeschichte aus dem alten Korea, Insel Verlag Leipzig 1955.
- "Märchen aus Rumänien" (später unter dem Titel "Der goldene Birnbaum und andere Märchen aus Rumänien", zusammen mit Walter Hering), Altberliner Verlag Lucie Groszer 1955.
- "Südseesaga", historischer Roman, Jugendbuchverlag Ernst Wunderlich, Leipzig (später Prisma Verlag). Preis im Jugendbuch-Wettbewerb des Ministeriums für Kultur der DDR, 1956.
- "Schrieb Noah schon" (später unter dem Titel "Rätsel der Schrift", zusammen mit Walter Hering), populärwissenschaftliches Sachbuch, Jugendbuchverlag Ernst Wunderlich, Leipzig, übersetzt ins Ungarische und Rumänische, 1956.
- "Die Magd der Pharaonen", historischer Roman, Prisma Verlag Leipzig, Lizenzausgabe Boje-Verlag Stuttgart. Übersetzung ins Russische und Slowakische, 1958.
- "Savitri", zwei indische Liebesgeschichten, Prisma Verlag Leipzig 1959.
- "Sagen und Märchen von Donau und Rhein", Altberliner Verlag Lucie Groszer 1959.
- "Sagen und Märchen von der Nordsee", Altberliner Verlag Lucie Groszer, Lizenzausgabe Boje-Verlag Stuttgart 1961.
- "Der Diakon von Monstab", historischer Roman (zusammen mit Walter Hering), Union Verlag Berlin 1961.
- "Der Bildhauer des Pharao", historischer Roman, Prisma Verlag Leipzig. Lizenzausgabe Boje-Verlag Stuttgart, Übersetzung ins Italienische und Russische und Estnische, 1963.
- "Die Frau des Gefangenen", historische Erzählung, Union-Verlag Berlin 1963.
- "Kostbarkeiten aus dem deutschen Märchenschatz", 1963, erster von insgesamt drei Bänden, die später auch als Gesamtausgabe erscheinen. Altberliner Verlag Lucie Groszer. Taschenbuchausgabe bei Knaur.
- "Ihm zum Bilde", historischer Roman, Union-Verlag Berlin 1965.
- "Angeklagt ist Aspasia", historischer Roman, Prisma Verlag Leipzig 1967.
- "Wolken über Wien", historischer Roman, Union-Verlag Berlin 1970.
- "Zu seinen Füßen Cordoba", historischer Roman, Prisma Verlag Leipzig 1973. Vom Bayerischen Kultusministerium 1975 als Schullektüre für Gymnasien und Realschulen empfohlen.
- "Schatten Gottes auf Erden", historischer Roman, Union-Verlag Berlin 1977.
- "Die Puten im Joch", rumänische Schwänke, Legenden, Märchen (Herausgeberin), Gustav Kiepenheuer Verlag Leipzig und Weimar 1980.
- "Irrgarten des Lebens", historischer Roman, Prisma Verlag 1985.
- "König Mátyas und die Rátóter", Ungarische Schildbürgerschwänke und Anekdoten, Gustav Kiepenheuer Verlag Leipzig und Weimar 1988.
- "Versunkene Welt", Memoiren, Selbstverlag 1992.
Adressen in Leipzig
- 1951-1952: Holzhäuser Straße
- 1952-1959: Sebastian-Bach-Straße 30
- 1959-1995: Lessingstraße 16
- 1995: Gustav-Mahler-Straße 21
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- Ein Teil ihres literarischen Nachlasses wird vom Literaturarchiv der Stadtbibliothek Leipzig bewahrt, die Elisabeth Hering seit ihrem Tod mehrere Ausstellungen und Lesungen widmete.
- 1989 "Zurückgeblättert". Elisabeth Hering zum 80. Geburtstag, Faltblatt der Stadt- und Bezirksbibliothek Leipzig, 1989.
- 2000 "Romane mit philosophischem Anspruch". In memoriam Elisabeth Hering (1909-1999). Ausstellung vom 04.04. bis 18.04.2000 mit einer Lesung aus dem Roman "Der Diakon von Monstab" am 05.04.2000 und der symbolischen Übernahme des literarischen Nachlasses durch das Literaturarchiv der Stadtbibliothek Leipzig. Es lasen Wilmi und Wolfgang Gerber.
- 2004 "In der Geschichte den Keim des Heute finden". Ausstellung zum 5. Todestag von Elisabeth Hering vom 14.07. bis 20.09.2004 mit einer Lesung aus dem Roman "Schatten Gottes auf Erden" am 08.09.2004. Es lasen Wilmi und Wolfgang Gerber.
- 2009 "Erforscht, gesammelt, erzählt und aufbewahrt". Ausstellung zum 100. Geburtstag der Leipziger Schriftstellerin Elisabeth Hering vom 19.01. bis 28.03.2009 mit zwei Lesungen zum Thema "Junges Rumänien in Märchen, Legenden und Schwänken".
- 2014 "Spuren suchen in der Vergangenheit". Ausstellung zum 25. Todestag Elisabeth Herings vom 17.07.2014 bis 06.09.2014 mit einer Lesung zur Finissage am 04.09.2014 unter dem Titel "Frau Kleingeist und Fräulein Stachel, aus Memoiren, Briefen und anderen Schriften". Es lasen Wilmi und Wolfgang Gerber, musikalisch begleitet von Nina Gerber (Klavier) und Leonie Gerber, Querflöte.
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Hering, Elisabeth: "Ein Schriftsteller findet sein Thema" in "Fahndungen", Union-Verlag Berlin 1975.
- Hering, Elisabeth: "Versunkene Welt", Selbstverlag 1992.
- Archiv der Stadtbibliothek Leipzig und Privatarchiv.
- Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR.
- Schäfer, Ulla: "Lebenshunger und Wissensdurst. Die Schriftstellerin Elisabeth Hering", Buchfunk Verlag, Leipzig 2020.
Autorin: Wilhelmine Gerber, 2016