Horlbeck-Kappler, Irmgard - Leipziger Frauenporträts
Rubrik
- Kunst
geboren/ gestorben
6. August 1925 (Leipzig) - 3. Oktober 2016 (Leipzig)
Zitat
"Das Bild als Zeichen ist für mich die komprimierte Form des bildnerischen Ausdrucks, nicht durch die Reduzierung und Verkürzung, sondern durch die Verdichtung und Anreicherung. Nachdem es aus dem Urgrund sich bildet, vermag ich das Rätsel des Entstehungsprozesses nicht zu erklären."
(Zitiert nach: Irmgard Horlbeck-Kappler. Sonne im Gestein. Leipzig 2000, Klappentext)
Kurzporträt
Irmgard Horlbeck-Kappler, Dozentin und Professorin an der Hochschule für Grafik und Buckunst in Leipzig, schuf ein umfangreiches buchgestalterisches und bildkünstlerisches Werk. 1962 entwarf sie die Reihengestaltung der Reclams Universalbibliothek Leipzig.
Herkunftsfamilie
- Vater: Oskar Kappler (Reliefgraveurmeister)
- Mutter: Erna Kappler (Hausfrau)
Biografie
Als Irmgard Horlbeck-Kappler 1968 Leiterin der Fachklasse Skripturale Grafik und zur Professorin ernannt wurde, war sie an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst die zweite Frau nach Elisabeth Voigt mit diesem Titel und blieb viele Jahre die einzige. Durch eine Ausbildung als technische Zeichnerin und Teilkonstrukteurin sowie durch Privatunterricht bereitete sie sich schon während des Krieges zielstrebig auf ein Kunststudium vor, das sie 1952 als Meisterschülerin an der Hochschule für Grafik und Buchkunst beendete, um dort selbst bald die Lehrtätigkeit aufzunehmen. Sie knüpfte Beziehungen zu Verlagen, erhielt einen Lehrauftrag am Institut für Kunsterziehung der Universität Leipzig, heiratete 1953 den Maler Günter Horlbeck.
In der Verbindung von Schrift, Wort, Buch fand sie innovative Formen bildnerischen Gestaltens, die sie skripturale Grafik nannte, eine Kunstform, auch zur Malerei erweitert, die, in Japan oder China gepflegt, in den Hieroglyphen ihre Vorläufer besitzt, aber in Deutschland nach dem II. Weltkrieg, speziell in der DDR, durch diese Künstlerin Bedeutung erlangte. Irmgard Horlbeck-Kappler entwickelte - zunächst auch für die Buchgestaltung - eine ganz eigene Ausdrucksweise aus kalligrafischen Elementen. Indem sie Zeichnen und Malen als Schreiben betrachtete, die Schrift als Grundlage grafischen Gestaltens und als grafisches Bildelement benutzte, antizipierte sie damit den Gedanken der Konkreten Poesie, die von Seiten der Literatur ebenfalls das Erscheinungsbild des Textes zum Bedeutungsträger stilisiert, ihn quasi visualisiert, indem sich sein Sinn auch über den Kunstkorpus dem Auge enthüllt. Ihr Vertreter Eugen Gomringer würdigte 1993 "die Ganzheitlichkeit dieser bewegten Formen-Konstellationen, die geballte Kraft, die einen direkt anspricht." (Irmgard Horlbeck-Kappler: Die Stiftung, 2005, Seite 27). In ihrem aus Expressionismus und Bauhaustradition gespeisten Werk sah er Konstruktion und Intuition, Ratio und Gefühl vereint.
Sich auf literarischen Text beziehend, übernimmt die skripturale Kunst Irmgard Horlbeck-Kapplers auf höherer Ebene eine Vermittler- und Deutungsfunktion, macht ihn durch Übersteigerung und Verfremdung kalligrafischer Zeichen zu strukturierten Kompositionen. Bei ihr werden Gedichte von Bert Brecht, Paul Eluard, Maxim Gorki, Friedrich Hölderlin, Arthur Rimbaud, Anton Tschechow, Georg Trakl, Das Hohelied "Salomo", Sprüche und Weisheiten wie die von Laotse Daudedsching zu Bildkunstwerken.
Nach Arbeiten für verschiedene Verlage kreierte die Künstlerin 1962 die Reihengestaltung von Reclams Universalbibliothek (Verlag Leipzig); seitdem schmückten vorzugsweise in den Sonderreihen ihre schriftgestalterischen, floralen und geometrischen Kreationen in Schwarz-Weiß oder in Farbe auf belebende, verspielte und ernste Weise viele Cover der kleinen Hefte. Hinzu kommen die von ihr ausgestatteten bibliophilen Bände. Malerei, Zeichnung, Druckgrafik, also die "freie Kunst", verschränkte Irmgard Horlbeck-Kappler mit der Gestaltung von Büchern und Plakaten, die in Leipzig nicht zuletzt durch ihr Wirken ein hohes Niveau erreichte. Dabei lag das Musikalische im Wesen der Künstlerin und entfaltete sich im Rhythmus und Duktus ihrer Hand zu malerischen und grafischen Seherlebnissen vor allem auch in den freien Kompositionen, die einen großen Teil ihres umfangreichen Schaffens ausmachen. Gemälde wie "Heitere Geometrie" (1978) oder "Triomphe de l'Art" (1985; welch origineller Titel!) und "Sphärenklänge" (1977) oder "Musikalische Landschaft" (1979) belegen die Spannbreite vom streng Geometrischen zum atmosphärisch Vegetativen. Es entstehen großformatige Gemälde mit Sonnen- und anderen kosmischen Elementen. So unterlief sie mit ihren aus Buchstaben, aus organischen und anorganischen, oft kristallinen Formen geborenen Figurationen, ihren arabesken, floralen Konstruktionen und solchen aus Kreis, Dreieck, Kubus, Prisma das in der DDR geltende Gebot des sozialistischen Realismus, des an den Menschen, an den "greifbaren" Gegenstand gebundenen Realismus überhaupt. Allein die Titel verraten Bezüge zur Wirklichkeit und die gedanklichen Auseinandersetzungen. So lehrte an der Leipziger Hochschule über dreißig Jahre bis 1985 eine Künstlerin, die Bauhaustradition, Kubismus, informelle und konkrete Kunst vereinigte, indem sie sich auf den Gegenstand Buch und Schrift berief.
Erfindungen und Intentionen von Irmgard Horlbeck-Kappler beeinflussten ihre Schülerinnen und Schüler, wie Renate Herfurth, Wolfgang Henne, Matthias Klemm, Thea Kowar, Studenten aus der CSSR, Estland oder Ungarn. Verwandtschaft zeigen Werke von Carlfriedrich Claus, Peter Sylvester oder Constanze Zorn. In Personalausstellungen und in allen relevanten Ausstellungen in Leipzig, Dresden, Weimar, Rostock, Halle, Altenburg war Irmgard Horlbeck-Kappler mit ihren Arbeiten vertreten, auch in Warschau, Brünn, Paris, Offenbach/Main, Havanna, Stuttgart, New York, Krakau, Kiew, Prag, Bremen, Sofia. Personalausstellungen in Siegburg (1995) und Braunschweig (1999) brachten dieses eigenwillige und ungewöhnliche Werk noch nicht in den gesamtdeutschen Kunstkanon. Über 150 Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und druckgrafische Blättern bilden die Irmgard-Horlbeck-Kappler-Stiftung im Leipziger Museum der bildenden Künste, das buchkünstlerische Œuvre bewahrt und dokumentiert das Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig.
Werke
- Umschlag- und Einbandgestaltung: Ernst Hermann Meyer. Die Kammermusik Alt-Englands. Leipzig: VEB Breitkopf & Härtel 1957
- Gesamtgestaltung: Majakowski. Ich will - meine Feder ins Waffenverzeichnis. Mit Zeichnungen von Max Schwimmer. Bibliophile Ausgabe. Leipzig: Verlag Philipp Reclam jun. 1957
- Einband- und Titelgestaltung: Festschrift Johannes Jahn. Leipzig: VEB E.A. Seemann 1958
- Gesamtgestaltung: Eröffnung der neuen Leipziger Oper 1960. Leipzig: VEB E.A. Seemann 1960
- Reihengestaltung von Reclams Universalbibliothek (Leipzig) seit 1962
- Kalligrafien und Auswahl der Lithografien von Günter Horlbeck: Paul Eluard: Ich bin allein. Gedichte. Bibliophile Ausgabe. VEB E.A. Seemann, Leipzig 1965 Müller und Kiepenheuer, Hanau 1965
- Reihenentwurf Röderberg-Taschenbuch, 1971. Frankfurt/M. Röderberg-Verlag
- Reihengestaltung des Umschlags: Corpus der Goethezeichnungen. VEB E.A. Seemann, Leipzig 1973
- T als Indianer, 1956, Tempera auf Karton, 42 x 30 Zentimeter
- Der Mond (nach Christian Morgenstern), 1971, Aquarell, 48,7 x 67,7 Zentimeter
- Moderne Kunstausstellung (nach Erich Kästner), 1971, Aquarell, 62,6 x 48,9 Zentimeter, Museum der bildenden Künste Leipzig
- Zeichenkomposition, 1977, Öl auf Hartfaser, 32 x 24 Zentimeter
- Für Georg Trakl, 1977, Öl auf Leinwand, 35 x 45 Zentimeter, Kunstsammlungen Weimar/ Schlossmuseum
- Heitere Geometrie, 1978, Öl auf Hartfaser, 70 x 50 Zentimeter
- Res severa verum gaudium I, 1978, Öl auf Hartfaser, 50 x 60 Zentimeter
- Musikalische Landschaft, 1979, Öl auf Hartfaser, 60 x 80 Zentimeter
- Hoffnung (Hölderlin), 1979, Öl auf Hartfaser, 70 x 50 Zentimeter
- Geometrische Figuren auf Samtschwarz, 1980, Öl auf Hartfaser, 50 x 60 Zentimeter, Privatbesitz
- Überethisches (Hölderlin), 1980, Öl auf Hartfaser, 80 x 60 Zentimeter
- Res severa verum gaudium III, 1981, Öl auf Hartfaser, 50 x 60 Zentimeter
- Fliegender Blumenstrauß, 1983, Öl auf Hartfaser, 70 x 50 Zentimeter, Privatbesitz
- Ein Stern von Paris, 1984, Öl auf Hartfaser, 80,5 x 64,5 Zentimeter, Privatbesitz
- Triomphe de l'Art, 1985, Öl auf Hartfaser, 80 x 60 Zentimeter
- Botschaft, 1986, Öl auf Hartfaser, 60 x 50 Zentimeter
- WASWO (Zweite Fassung), 1987, Öl auf Hartfaser, 89 x 106,5 Zentimeter, Staatliche Kunstsammlungen Dresden/ Gemäldegalerie Neuer Meister
- Abwicklung I und II, 1988, Öl auf Hartfaser, je 60 x 50 Zentimeter
- Schichtungen, 1989, Öl auf Hartfaser, 106,5 x 89 Zentimeter
- Erinnerung an das Centre George Pompidou Paris (Hommage à Sonja Delaunay), 1989, Öl auf Hartfaser, 80 x 100 Zentimeter
- Stürmischer Aufbruch, 1990, Öl auf Hartfaser, 80 x 100 Zentimeter
- Spiegelung, 1990, Öl auf Hartfaser, 60 x 80 Zentimeter
- Turbulenzen, Öl auf Hartfaser, 1990, 106,5 x 89 Zentimeter
- Prismatischer Körper, 1991, Öl auf Leinwand, 100 x 120 Zentimeter
- Sonnenmaschine, 1991, Öl auf Leinwand, 130 x 140 Zentimeter
- Sphärenklänge (zweite Fassung, 1992, Öl auf Leinwand, 100 x 120 Zentimeter
- Gebrochene Diagobale, 1993 Öl auf Hartfaser, 106,5 x 89 Zentimeter
- Eisgipfel (Matterhorn), 1995, Aquarell, 75 x 55 Zentimeter
- Blühende Prismen, 1995, Aquarell, 72 x 53,5 Zentimeter
- Aufstrebende Geometrie in Sumpfgrün, 1996, Aquarell, 72 x 53 Zentimeter
- Sizilianische Marionetten I und Entwurf, 1996, Aquarell, 75 x 55 Zentimeter
- Monument, 1996, Aquarell, 72 x 55 Zentimeter
- Sizilianische Marionetten II, 1997, Öl auf Leinwand, 100 x 70 Zentimeter
- Diagonale Figur und Lichtkreis 1998, Öl auf Leinwand, 100 x 70 Zentimeter
- WOHIN, 1999, Öl auf Leinwand, 100 x 120 Zentimeter
- Sizilianische Marionetten - Am Meer, 2001, Wachskreiden, 48 x 62,5 Zentimeter
- Sizilianische Marionetten - Auf Schwarz, 2001, Wachs- und Fettkreiden, 62,5 x 48,2 Zentimeter
Adressen in Leipzig
- 1953-2003: Dittrichring 14
- 2003-2016: Gottschedstraße 18
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- 1978 Kunstpreis der Stadt Leipzig
- Irmgard-Horlbeck-Kappler-Stiftung im Museum der bildenden Künste Leipzig
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Die umfangreiche Bibliographie ist bis 2005 in folgenden Katalogen dokumentiert:
- Irmgard Horlbeck-Kappler - Skripturale Grafik. Mit einem Beitrag von Fritz Funke. Herausgeber: Museum der bildenden Künste 1975.
- Irmgard Horlbeck-Kappler - Malerei Grafik Zeichnungen Kalligraphie. Mit Beiträgen von Bernhard Heisig, Fritz Funke, Barbara Melchert und Werkverzeichnis der Graphik von 1958-1986. Herausgeber: Galerie der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, 1987.
- Irmgard Horlbeck-Kappler - Sonne im Gestein. Malerei. Mit Beiträgen von Horst Zimmermann, Rainer Behrends, Werkverzeichnis der Malerei 1956-1999, sowie der Graphik (Ergänzung). Leipzig: Passage-Verlag 2000.
- Irmgard Horlbeck-Kappler - Die Stiftung 2005: Monumente und Flügelfiguren. Gemälde. Gouachen. Zeichnungen. Aquarelle. Mono-Lithographien. Mit Beiträgen von Hans-Werner Schmidt, Eugen Gomringer, Horst Zimmermann, Rainer Behrends, Karl-Heinz Mehnert, Herausgeber: Museum der bildenden Künste Leipzig 2005.
- Bildende Künstler in Leipzig. Herausgeber: Neuer Leipziger Kunstverein, art.media Verlag o.D. [2005], Seite 115 (Abbildung).
- Meinhard Michael: Nur ein bisschen Kunst. Einfachheit als Strategie der Leipziger Malerei vor und nach 1990, Seite 11 (Abbildung), 12, 38 (Abbildung), 78.
- Meinhard Michael: Auswahl der Irmgard-Kappler-Stiftung im Bildermuseum. Das Bild entsteht im Kopf, auch abseits der Schrift. In: Leipziger Volkszeitung vom 02.09.2005.
- 20-40-60 Kunst in Leipzig seit 1949. Herausgeber: Museum der bildenden Künste Leipzig 2009, Seite 265, 269, 329, 330.
- Dietmar Eisold: Lexikon Künstler der DDR. Berlin: Verlag Neues Leben, 2010, Seite 379/ 380.
Autorin: Rita Jorek, 2018