Jacob, Annemarie (geborene Klemm) - Leipziger Frauenporträts
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Rubrik
- Kunst
geboren/ gestorben
22. Januar 1891 (Leipzig) - 22. Mai 1990 (Frankfurt am Main)
Zitat
"Revolutionär in der temperamentvollen Kühnheit ihrer Farben- und Formengebung"
(Winfried Murner in: Leipziger Zeitung vom 15. Juni 1918)
Kurzporträt
Neben ihrem eigenen künstlerischen Werk hat die Malerin Annemarie Jakob einen Beitrag zum Leipziger Expressionismus geleistet durch die von ihr und ihrer Schwägerin Erna Klemm geborene Kröner (1892-1978) im Sommer 1918 hier gegründete Vereinigung für Neue Kunst, die sich der Förderung dieser Stilrichtung verschrieben hatte.
Herkunftsfamilie
- Vater: Rudolf Klemm (1853-1908), Buchhändler
- Mutter: Johanna Helene geborene Scharff (1855-1917)
- Geschwister:
- Dr. phil. Otto Klemm (1884-1939), Professor für angewandte Psychologie, Universität Leipzig
- Dr. med. Wilhelm Klemm (1881-1968), Kommissionsbuchhändler, Lyriker, Maler und Zeichner
Biografie
Wenige Persönlichkeiten des Leipziger Kunstlebens sind über Jahrzehnte hinweg so in Vergessenheit geraten wie die Malerin Annemarie Jacob, die sich mit Werk und Wirken in die Annalen des Leipziger Expressionismus eingeschrieben hat.
In einer gutbürgerlichen, Kunst, Musik und Sport liebenden Familie aufgewachsen, selbst vielseitig begabt (sie singt als Gast bei Karl Straube im Bach-Chor, unternimmt Bergtouren mit Bruder Otto, gründet um 1910 im Leipziger Sport-Club LSC eine Landhockeymannschaft), dachte die junge Frau zunächst nicht an eine eigene künstlerische Betätigung, sondern an einen Broterwerb als Pianistin.
Am 5. Juli 1911 heiratete sie den Straßenbau-Ingenieur Victor Jacob (1888-1968), 1914 wurden die Tochter Gerda (verheiratet Klar, gestorben Mai 1993), 1916 und 1918 die Söhne Dieter und Achim (beide gestorben 1946) geboren.
Erst nach dieser Heirat, die ihr einen gehobenen Lebensstandard ermöglichte, begann sie mehr zufällig 1912 mit Kopien nach Ansichtspostkarten von Sankt Moritz und dem Engadin, die den Beifall ihrer Familie fanden. Neben privatem Malunterricht bei der Leipziger Künstlerin Gertrud Zierfuß (1885-1943) besuchte sie ab 1913 Kurse an der Königlichen Akademie für graphische Künste und Buchgewerbe Leipzig (heute Hochschule für Grafik und Buchkunst) sowie die Holzschnittklasse von Otto Richard Bossert und war Gasthörerin am Kunsthistorischen Institut der Universität Leipzig.
Als schicksalsschwer erwies sich 1913 der Besuch des Ersten Herbstsalons in der Berliner "Sturm"-Galerie, eine der ersten großen Expressionismus-Ausstellungen, wo sie Franz Marcs (1880-1916) Gemälde "Tierschicksale" begeisterte und in der Hinwendung zu eigener abstrahierender Gestaltung bestärkte, worin sie durch ihren Bruder, den Lyriker Wilhelm Klemm, unterstützt wurde.
Im Frühjahr 1917 fand Annemarie Jacobs erstes öffentliches Auftreten im Leipziger Kunstverein statt, wo sie Schwarz-Weiß- und Farbholzschnitte zeigte. 1918 und 1919 folgte die Beteiligung an Ausstellungen expressionistischer Kunst. 1923 zeigte sie in "Leipziger Malerinnen" ein Konvolut von acht Landschaften und einem Stillleben. Möglicherweise zum letzten Mal beteiligte sie sich 1930 an der Frühjahrs-Ausstellung Leipziger Künstler für Handzeichnungen, Aquarelle und Kleinplastik.
Erhalten haben sich im Nachlass etwa fünfhundert Werke, darunter dreihundertfünfzig Aquarelle und einige wenige Gemälde aus ihrer wohl besten Zeit von 1916 bis 1933 - neben Landschaften ihrer unmittelbaren Umgebung und Stillleben vor allem menschenleere Gebirgslandschaften, zu denen sie sich als passionierte Bergsteigerin besonders herausgefordert fühlte. Neben die pastellzarten Klänge und kubistischen Formen ihrer frühen Städtebilder und Stillleben tritt der Einfluss von Karl Schmidt-Rottluffs starkfarbigen Arbeiten in den bewegten Konturen der Bilder der zwanziger und dreißiger Jahre. Ein expressionistisches "Stilleben mit Äpfeln" weist Nähe zu einem 1926 entstandenen Früchtestillleben von Christian Rohlfs im Museum Folkwang Essen auf. Die formbewusste Bestimmtheit dieser Arbeiten weicht in den dreißiger Jahren immer mehr einem Spätimpressionismus mit Hingebung an die Natur, wie sie sich auch in den Gedichten der Künstlerin ausspricht. In ihrem Spätwerk wandte sie sich außerdem erneut der Druckgraphik zu und betätigte sich auch als Keramikerin.
Neben ihrem eigenen künstlerischen Werk hat Annemarie Jakob einen Beitrag zum Leipziger Expressionismus geleistet durch die von ihr und ihrer Schwägerin Erna Klemm geb. Kröner (1892-1978) im Sommer 1918 hier gegründete "Vereinigung für Neue Kunst", die sich der Förderung dieser Stilrichtung verschrieben hatte. Umfang und Dauer des Wirkens dieser Vereinigung, die sich nach allem bisher Bekannten auf der Höhe der Zeit befand, die man jedoch in nahezu allen Gesamtdarstellungen des deutschen Expressionismus vergeblich sucht, bleiben noch weitgehend im Dunkeln. Hier fanden Kunstabende vor allem in der Alten Börse statt, auf denen unter anderem Else Lasker-Schüler und Theodor Däubler auftraten, an die sich jeweils ein geselliges Zusammentreffen in einem Privathaus oder dem Hotel Haufe anschloss. Zu den Privathäusern dürfte die Jacobsche Villa in Gaschwitz gehört haben, sicher aber die heute noch existierende Villa in Lößnig, Raschwitzer Straße 15, mit über zwei Geschosse gehender ovaler Halle mit umlaufender Galerie, die am 17. November 1920 in einer Glosse der satirischen Wochenschrift "Der Drache": "Leibzjr Bilderbogen [Des Geldsacks Übermacht]" unverblümt benannt wurde. Nach Erscheinen dieses Artikels legte Annemarie Jacob die Leitung der "Vereinigung für Neue Kunst" nieder. Der hiermit begonnene Rückzug aus dem öffentlichen Leben brachte offenbar eine stärkere Konzentration auf das eigene Schaffen, denn gerade die folgenden Jahre erweisen sich als reich an ausdrucksstarken datierten Arbeiten.
Annemarie Jacob war Mitglied des Leipziger Kunstvereins, der Gesellschaft der Freunde des Kunstgewerbevereins sowie 1930 der GEDOK, Gemeinschaft deutscher und österreichischer Künstlerinnen und Kunstfreundinnen, Ortsgruppe Leipzig e. V. Ihre zahlreiche Reisen führten sie unter anderen in das Tessin, die Dolomiten, nach Holland, Italien, London und New York.
Von 1944 bis zum Tod ihres Mannes 1968 lebte Annemarie Jacob im Skiort St. Anton am Arlberg (Österreich), danach in Frankfurt am Main bei ihrer Tochter Gerda Klar. Dort starb sie am 22. Mai 1990. Ihre Grabstätte befindet sich auf dem Friedhof von Samkt Anton.
Werke
- Landschaften und Stillleben. Zwei Bilder befinden sich in der Kustodie der Universität Leipzig, weitere Werke in St. Anton/Österreich (Dauerausstellung im Haus Stein) und in Privatbesitz. Klar, Gerda (Herausgeberin): Annemarie Jacob. Gedichte; Eigenverlag 1981.
Adressen in Leipzig
- Ferdinand-Rhode-Straße 15, 1. Etage (Sechs-Zimmer-Wohnung mit Balkon und Garten)
- 1908: Schwägrichenstraße 5, 3. Etage (Sieben-Zimmer-Wohnung)
- 1911: Harkortstraße 1 (Acht-Zimmer-Wohnung)
- 1916: Zweitwohnung in Gaschwitz
- ab 1. April 1917: eigenes Haus in Gaschwitz, Zwenkauer Straße
- spätestens 1920-1943: Villa in Lößnig, Raschwitzer Straße 15
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Delpy, Egbert: Im Leipziger Kunstverein ...; in: Leipziger Neueste Nachrichten vom 19./20. Mai 1917.
- Sydow, Eckart von: Leipziger Kunstverein; in: Leipziger Allgemeine Zeitung vom 15. April 1917.
- Corwegh, Robert: Expressionisten-Ausstellung im Kunstverein III, in: Leipziger Tageblatt vom 9. Juni 1918.
- he: Ausstellung expressionistischer Kunst im Kunstverein II; in: Leipziger Volkszeitung vom 11. Juni 1918, Seite 1191 (Beilage).
- Murner, Winfried: Expressionismus im Kunstverein; in: Leipziger Zeitung vom 15. Juni 1918.
- H. E.: Junge Leipziger Künstler. Ausstellung im Kunstverein; in: Leipziger Tageblatt vom 28. Januar 1919 (Abendausgabe).
- Sydow, Eckart von: Die Kunstvereins-Ausstellung im Museum; in: Leipziger Allgemeine Zeitung vom 30. Januar 1919.
- Die Rote Erde, Hamburg, Jahrgang 1, 1919/1920, Seiten 332-333 [Gedichte].
- Dr. Drache [Hans Reimann?]: "Leibzjr Bilderbogen [Des Geldsacks Übermacht]"; in: "Der Drache", 2. Jahrgang , 1920, Heft 7 vom 17. November, Seite 6 und folgende.
- Balzer, Wolfgang: Leipziger Malerinnen. Ausstellung im Kunstverein; in: Leipziger Tageblatt vom 12. Juni 1923.
- F. (Frank, Alfred): Kunstausstellung Leipziger Künstler (Museum Augustusplatz): in Sächsische Arbeiter-Zeitung Nummer 134 vom 12. Juni 1930.
- Österreichische Lyrik; Wien 1955/1956.
- Raabe, Paul: Index Expressionismus 2. Bibliographie der Beiträge in den Zeitschriften und Jahrbüchern des literarischen Expressionismus 1910-1925; Band 2, Stuttgart 1972, Seite 1064.
- Klar, Gerda (Herausgeberin): Annemarie Jacob. Gedichte; Eigenverlag 1981.Thormann, Olaf/Camphausen, Ute/Patzig, Eberhard: Die Gesellschaft der Freunde des Kunstgewerbemuseums zu Leipzig. 1909-1945 (1948). Eine Dokumentation, in: Mitteilungen des städtischen Museums des Kunsthandwerks zu Leipzig/Grassimuseum und seines Freundes- und Förderkreises e. V., Leipzig 1993, Heft 2, Seiten 146, 152-153.
- Pierer, Rosmarie (Herausgeberin): Die Leipziger Malerin Annemarie Jacob 1891 - 1990. Bilder und Verse; Hamburg ohne Jahr (2000).
- Annemarie Jacob. Video Rosmarie Pierer, Hamburg 2000.
- Henne, Jürgen: Mal wunderbar malerisch, mal zu volkstümlich. Kunst von Annemarie Jacob im Foyer des Gewandhauses: in: Leipziger Volkszeitung, 18./19. März 2000, Seite 23.
- Rosendahl, Ingolf: Überraschungsgast mit "Wahnsinnsbild" [Schenkung des Gemäldes "Amaryllis" durch Rosmarie Pierer an Auerbachs Keller]; in: Leipziger Volkszeitung, 106. Jahrgang, 2. Mai 2000, Seite 15.
- Hartleb, Renate: Die Malerin Annemarie Jacob und die "Vereinigung für Neue Kunst" in Leipzig; in: Leipziger Kalender, 2001, Seiten 249-255.
- Hartleb, Renate: Eine Leipziger Expressionistin. Annemarie Jacob; in: Leipziger Blätter, Herbst 2001, Heft 39, Seiten 46-48.
- Hartleb, Renate: Annemarie Jacob 1891-1990. Leben und Werk, herausgegeben von Rosmarie Pierer; Altenburg: Verlag Druckerei zu Altenburg GmbH 2002.
Autorin: Renate Hartleb, 2015