Krug, Charlotte Wilhelmine (geborene von Zenge) - Leipziger Frauenporträts
„Wilhelmine Krug“, Ölgemälde (1826) von Carl Wilhelm (Ludwig) Tischbein (1797-1855) © Foto: Hans-Jochen Marquardt (2012), Privatbesitz (Dresden) Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Kunst
- Literatur
geboren/ gestorben
20. August 1780 (Berlin) - 25. April 1852 (Leipzig)
Zitat
"Wunderbare Fügungen des Himmels haben mich von Kleist getrennt, doch wird er meinem Herzen immer wert bleiben. Mein größter Wunsch war es, dass er an der Seite eines anderen weiblichen Wesens glücklich werden möchte, doch auch dieser Wunsch ist unerfüllt geblieben. Von den letzten Jahren seines Lebens weiß ich wenig, einmal hat er uns in Leipzig besucht. Er soll die letzte Zeit körperlich und geistig krank gewesen sein, sogar mit Mangel hat er zu kämpfen gehabt, das habe ich erst nach seinem Tode erfahren."
(Wilhelmine Krug an Henriette Solger, Leipzig, 15. April 1822)
Kurzporträt
Charlotte Wilhelmine Krug, geborene von Zenge, war von 1800 bis 1802 inoffiziell mit dem Dichter Heinrich von Kleist (1777-1811) verlobt. Die begabte, in mehreren Künstler- beziehungsweise Künstlerinnen-Lexika verzeichnete Laien-Zeichnerin und -Malerin hat durch eine Kreidezeichnung ihres früheren Verlobten maßgeblich die Vorstellung der Nachwelt von der äußeren Erscheinung Kleists bis in unsere Zeit geprägt.
Herkunftsfamilie
- Vater: August Wilhelm Hartmann von Zenge (1736-1817), preußischer Generalmajor, 1799 bis 1807 Chef des in Frankfurt an der Oder stationierten Infanterieregiments Nummer 24 und Stadtkommandant
- Mutter: Charlotte Margarete, geborene von Wulffen (1760-1838)
- dreizehn Geschwister
Biografie
Charlotte Wilhelmine Krug, geborene von Zenge, wurde, ihrem eigenem Zeugnis nach, "sehr einfach und häuslich erzogen". Als die Familie 1799 nach Frankfurt (Oder) kam, erhielten die Zenge-Schwestern Privatunterricht bei dem Prediger Ernst Heinrich Friedrich Ahlemann.
Das Haus der Familie am Nonnenwinkel 543 war jenem der Familie von Kleist benachbart. Heinrich schrieb seiner Halbschwester Ulrike: "Die einzige Gesellschaft, die ich täglich sehe, ist Zengen's [...]". Bald entwickelte sich reger Austausch zwischen den Zenge- und den Kleist-Geschwistern. Man musizierte gemeinsam, sang, spielte und scherzte miteinander. 1800 hielt Kleist um Wilhelmines Hand an. Ihre Eltern und sie selbst erklärten sich unter der Bedingung einverstanden, dass Kleist ein Amt nehme, um eine Familie ernähren zu können, doch sah sich Kleist bald außerstande dazu. Gleichzeitig keimte der Wunsch in ihm, Dichter werden zu wollen. Er schrieb Wilhelmine Briefe, die tiefen Einblick in seine Seelengeschichte erlauben und teilweise als Zeugnisse seines frühen Dichtertums gelten dürfen. Wilhelmine war dankbar dafür, dass Kleist sie an seinen Bildungserlebnissen teilhaben ließ.
Sie sprach stets voller Achtung und nach seinem Freitod auch voller Mitgefühl von ihm. Wilhelmine gehörte zu den wenigen Menschen, die sich ernsthaft bemühten, Kleist zu verstehen.
Seinem Wunsch, ihm in die Schweiz zu folgen und dort eine bäuerliche Existenz zu begründen, entsprach Wilhelmine jedoch nicht. Sie hatte aber seinetwegen, ohne sich bei ihm rückversichert zu haben, auf das Amt der Domina im Fräuleinstift zu Lindow verzichtet, welches ihr angetragen worden war. Gleichwohl löste Kleist das Verlöbnis auf. Er teilte ihr mit, dass er sich "an die Schriftstellerei machen" müsse. Wilhelmine sandte ihm sein Miniaturbildnis zurück, das er ihr geschenkt hatte. Kleist hinterließ es in Thun, wo es Wilhelmines Schwester Louise 1831 aufspürte und nach Deutschland zurückbrachte.
1801 kam Wilhelm Traugott Krug (1770-1842) als außerordentlicher Professor nach Frankfurt. Im Hause Ahlemanns lernten er und Wilhelmine einander kennen. Krug gefiel ihre "sanfte Gemütsart", und er urteilte: "Auch ihr Geist ist sehr gebildet. Sie singt und spielt trefflich Klavier, zeichnet artig pp.". Weihnachten 1803 wurde die Verlobung bekanntgegeben, am 08.01.1804 heiratete das Paar in der Marienkirche. 1805 wurde Krug zum Nachfolger Immanuel Kants auf den Lehrstuhl für Philosophie in Königsberg berufen. So zog die junge Familie - im selben Jahr war der älteste Sohn August Otto geboren worden - gemeinsam mit Louise von Zenge dorthin. Es kam zu Wiederbegegnungen zwischen Wilhelmine und Kleist. Als er 1808 "Die beiden Tauben, eine Fabel nach Lafontaine" veröffentlichte, bemerkte Krug gegenüber seiner Frau: "Sieh, da hat dir dein Freund noch etwas gesungen". Er hatte recht: Schmerzlich war Kleist bewusst geworden, dass seine Trennung von Wilhelmine gänzlichen Verzicht auf Liebe bedeutete und dass dies wohl dauerhaft der Preis für seine Entscheidung, ein Dichter zu werden, sein würde.
1809 folgte Krug dem Ruf an die Universität Leipzig. 1813 und 1830/31 war er deren Rektor. 1814 nahm er an den Befreiungskriegen teil. Wilhelmine wurde, wie auch alle anderen Mitglieder des Leipziger Frauen-Vereins, im selben Jahr für ihre Teilnahme unter anderem an der Verpflegung kranker Soldaten während und nach der Völkerschlacht und für ihre Beteiligung an diversen Sammelaktionen für notleidende Familien mit dem sächsischen National-Ehrenzeichen "Grünes Kreuz" ausgezeichnet. Das Ehepaar hatte sechs Kinder, von denen vier die frühe Kindheit überlebten. Die drei Söhne besuchten die sächsischen Fürstenschulen Schulpforta bei Naumburg, Sankt Afra in Meißen und Sankt Augustin in Grimma. August Otto wurde, wie Paul Hermann, Jurist, Carl Alfred Arzt. Die Tochter Molly wurde Musiklehrerin. Sie blieb unverheiratet. Kollegen Krugs aus allen Fakultäten wurden persönliche Freunde des Ehepaars. Enge Verbindung pflegte es auch zu dem Dichter und Verleger August Mahlmann und zur Familie des Direktors der Leipziger Kunstakademie, Veit Hans Schnorr von Carolsfeld. Durch die Heirat von August Otto Krug und Schnorrs Tochter Charlotte wurden die Familien 1833 sogar miteinander verwandt.
Wilhelmine vervollkommnete ihre künstlerischen Fähigkeiten. Ihre Impulsgeber und Lehrer waren Schnorrs Vorgänger als Direktor der Kunstakademie, Johann Friedrich August Tischbein, dessen Sohn Carl Wilhelm (Ludwig) Tischbein, der das Ehepaar Krug 1826 in Einzelporträts malte, und Veit Hans Schnorr von Carolsfeld, bei dem Wilhelmine wohl Privatunterricht genommen hat.
Durch Richard Groeper ist überliefert (1936), dass "in den Häusern der Krugschen Nachkommen Kreidebilder, Pastellbilder und Oelbilder von Wilhelmines Hand" gewesen seien. Im Winter 1822/1823 schuf sie ein Ölporträt ihres Vaters. Auch die Existenz eines Pastellbildnisses ihrer Freundin Elisabeth (Betty) Kunze, geborene Tischbein (1787-1867), ist verbürgt. Das Schicksal all dieser Arbeiten ist unbekannt. Was bleibt, ist Wilhelmines vermutlich 1846 entstandenes Kleist-Porträt. Diese sehr oft reproduzierte Kreidezeichnung ist 1912 in Leipzig und 1936 in Berlin ausgestellt worden. Leider ist das in Familienbesitz befindliche Original in der Dresdener Bombennacht vom 13. Februar 1945 verbrannt.
Ihre letzten beiden Lebensjahre verbrachte Wilhelmine zusammen mit ihrer Tochter Molly im Naundörfchen 1015, Gerhards Garten. Gewiss war es auch die kulturelle Aura dieses Ortes, welche die beiden Frauen bewogen hatte, sich für ihn als Domizil zu entscheiden. Zwei Tage nach ihrem Tod wurde Wilhelmine im Grab ihres Mannes auf dem (Alten) Johannisfriedhof beerdigt.
Werke
- "Heinrich von Kleist", Kreidezeichnung (vermutlich 1846 entstanden)
Adressen in Leipzig
- 1809: Ankunft aus Königsberg in Leipzig, kein Nachweis im Adressbuch
- 1810: Vor dem Petersthore (Klostergäßchen) Nummer 787
- 1811: Reichels Garten, im linken Flügel des großen Hintergebäudes
- 1821: Reichels Garten, im rechten Flügel des großen Hintergebäudes
- 1821: Paulinum der Universität, Professorenwohnung (Benefizwohnung) im Hof
- 1843: Ab Michaelis (29. September) mit ihrer Tochter Molly in Riedels Garten
- 1844: Zu Michaelis oder Anfang Januar 1845 mit ihrer Tochter Molly Übersiedlung nach Dresden; Wohnung dort wahrscheinlich bei Wilhelmines ältestem Sohn August Otto Krug und dessen Familie: Lange Gasse 28, Reitbahngasse 7, Poliergasse 3 und Poliergasse 7
- 1850: am 1. Mai Rückkehr mit ihrer Tochter Molly nach Leipzig, bis zu ihrem Tod 1852 Wohnung im Naundörfchen 1015 (Gerhards Garten)
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- Am 20.08.2014, Wilhelmines Geburtstag, wurde der Stadt Leipzig und der Öffentlichkeit im Rahmen einer Feierstunde auf dem Alten Johannisfriedhof die Nachschöpfung ihrer seit 1943 verschollenen originalen Grabplatte übergeben.
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Kleist, Heinrich von, Briefe von und an Heinrich von Kleist 1793-1811. Herausgegeben von Klaus Müller-Salget und Stefan Ormanns (= Heinrich von Kleist, Sämtliche Werke und Briefe in vier Bänden, herausgegeben von Ilse-Marie Barth, Klaus Müller-Salget, Stefan Ormanns und Hinrich C. Seeba, Band 4), Frankfurt am Main 1997 (hierin: Kleists Briefe an Wilhelmine von Zenge und der einzige überlieferte Brief Wilhelmines an Kleist).
- Krug, Wilhelm Traugott, Krug's Lebensreise in sechs Stazionen von ihm selbst beschrieben. Neue, verbesserte und vermehrte Ausgabe, Leipzig 1842, Seiten 103-105, 127 und folgende, 132, 156, 160, 161 und folgende, 169, 181, 196, 246 und 249.
- Hoffmann, Paul, Wilhelmine von Zenge und Heinrich von Kleist, in: Ders., Kleist-Arbeiten 1899-1943. Herausgegeben von Günther Emig in Verbindung mit Arno Pielenz. Mit einem Vorwort von Wolfgang Barthel (= Heilbronner Kleist-Studien, herausgegeben von Günther Emig, Band 4), Kleist-Archiv Sembdner, 2., durchgesehene Auflage, Heilbronn 2010, Seiten 229-243 (Erstdruck: 1907/08).
- Groeper, Richard, Wilhelmine Krug, geborene von Zenge, und ihre Schwester Luise im Bilde, in: Neue Beiträge zu Heinrich von Kleist (= Schriften der Kleist-Gesellschaft. Herausgegeben im Auftrage der Gesellschaft. Band 15), Berlin 1933, Seiten 1-12.
- Groeper, Richard, Wilhelmine Krug, geborene von Zenge, in: Deutscher Kulturwart, Jahrgang 3 (1936), Juni-Heft, Recklinghausen, Seiten 428-437.
- Staengle, Peter, Fräulein von Zenge nebst Kleist, Krug, Tasse und Bild, in: Brandenburger Kleist-Blätter 6, Basel und Frankfurt am Main 1993, Seiten 25-59.
- Staengle, Peter, Nachtrag zu "Fräulein von Zenge nebst Kleist, Krug, Tasse und Bild", in: Brandenburger Kleist-Blätter 7, Basel und Frankfurt am Main 1994, Seite 105 und folgende.
- Marquardt, Hans-Jochen, Zwei unbekannte Briefe von Wilhelmine Krug, geborene von Zenge, in: 2012 Gedankenstriche. Ein Journal des Kleist-Museums, herausgegeben von Wolfgang de Bruyn und Barbara Gribnitz, Frankfurt (Oder) 2012, Seiten 10-23.
- Marquardt, Hans-Jochen, Das Grab der Wilhelmine Krug, geborene von Zenge, einst Kleists Braut, in Leipzig, in: Leipziger Blätter, Ausgabe 63, Leipzig 2013, Seiten 38-40.
- Marquardt, Hans-Jochen, Wilhelmine Krug, geborene von Zenge. Ein Lebensbild, in: 2015 Gedankenstriche. Ein Journal des Kleist-Museums, herausgegeben von Wolfgang de Bruyn und Barbara Gribnitz, Frankfurt (Oder) 2015, Seiten 32-53.
Autor: Hans-Jochen Marquardt, 2015