Kuhmann, Anna Theresia - Leipziger Frauenporträts
Auszug Aufnahmeakte zur Gewinnung des Bürgerrechts; Referenz des Putz- und Modewarenfabrikanten Friedrich Reichardt vom 9. Juni 1855 © Stadtarchiv Leipzig, WLA AANr. 16.098. Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Wirtschaft
geboren/ gestorben
11. Februar 1818 (Teplitz, Böhmen) - ? (Leipzig)
Zitat
"So gereicht es mir zur besonderen Freude, der gedachten Fräulein Kuhmann das Zeugnis ausstellen zu können, dass sie sich durch Solidität sowie durch Fleiß, Thätigkeit, Umsicht und Geschicklichkeit im Geschäft meine besondere Zufriedenheit in einem hohen Maße erworben hat, dass ich während dem 35jährigen Bestehen meines Geschäfts eine so ausgezeichnete Direktrice nicht gehabt habe."
(Aus dem Empfehlungsschreiben von Friedrich Reichardt, Besitzer einer Blumen- und Modewarenfabrik, vom 9. Juni 1855. Quelle: Stadtarchiv Leipzig, Aufnahmeakte zur Gewinnung des Bürgerrechts Nummer 16.098)
Kurzporträt
Anna Kuhmann erscheint als geradezu idealtypische Verkörperung der ledigen Putz- und Modewarenhändlerin - eines neuen modernen Frauentyps innerhalb der wirtschaftlich erfolgreichsten Händlerinnengruppe in Leipzig zwischen 1830 und 1870.
Herkunftsfamilie
- Vater: Josef Kuhmann, Bürger und Hausbesitzer in Teplitz
- Mutter: Elisabeth Kuhmann, eheliche Tochter von Georg Mattausch, Tagelöhner, und Anna Maria Mattausch, geborene Wittig
Biografie
Anna Kuhmanns Lebensweg ist nur bruchstückhaft aus einer Aufnahmeakte zur Gewinnung des Bürgerrechts im Stadtarchiv Leipzig bekannt. Nach allem, was sich rekonstruieren ließ, war sie 1818 als Tochter eines Bürgers und Hausbesitzers in Teplitz in Böhmen geboren worden. Nach der Schulzeit erlernte sie die "Putzmacherei". Sie absolvierte damit eine der wenigen Berufsausbildungen, die Frauen vor Einführung der Gewerbefreiheit zugänglich war, weil es sich um ein freies, nichtzünftiges Gewerbe handelte. Dagegen verweigerten die meisten Handwerke Frauen reguläre Ausbildungen, solange die Zunftverfassung in Kraft war - im Königreich Sachsen bis 1861.
Anna Kuhmann übte ihren Beruf zunächst in ihrer Heimat aus. Wie es für 90 Prozent aller ledigen Putz- und Modewarenhändlerinnen üblich war, bemühte sie sich zielstrebig, ihre Berufskenntnisse und praktischen Fertigkeiten durch wechselnde Anstellungen in unterschiedlichen Putz- und Modewarengeschäften oder -fabriken an anderen Orten zu vervollkommnen. Im Oktober 1846 trat sie schließlich "als Direktrice in die auf hiesigem Platze bestehende Blumen- und Modewarenfabrik des Herrn Friedrich Reichardt" ein. Dort blieb sie bis 1855, wo sie im Verein mit einer Kollegin, "der Blumendirektrice Henriette Lindemann aus Abtnaundorf, ein selbständiges Putz- und Modewarengeschäft" in Leipzig begründen wollte. Befragt zu den finanziellen Voraussetzungen ihrer Geschäftsgründung gab sie an, sich während ihres langjährigen Dienstverhältnisses bei Reichardt eine Summe von 1.000 Talern erworben zu haben, was ihr aufgrund eines jährlichen Gehaltes von 200 Talern, von freier Wohnung sowie Geld- und Kleidergeschenken zu Weihnachten ein Leichtes gewesen sei.
Zudem wäre auch Henriette Lindemann in der Lage, mindestens 1.000 Taler in die gemeinsame Geschäftsgründung zu investieren, wodurch man eine gute Ausgangsbasis besitze. Und sie verwies, wie dies ebenfalls für Putz- und Modehändlerinnen allgemein typisch war, noch auf zwei weitere Argumente, die sie auf "ein gedeihliches Emporblühen" der gemeinsamen Unternehmung hoffen ließen: Zum einen besaßen beide Frauen Erfahrungen und Kenntnisse aus acht und mehr Jahren Berufstätigkeit als "Directricen", das heißt aus leitenden Stellungen in der Putz-und Modewarenfabrik von Reichardt. Sie waren demnach sowohl mit der Herstellung als auch mit dem Verkauf von Putz- und Modewaren bestens vertraut. Zum anderen aber hatten sie sich in dieser Zeit unter den Kundinnen, wohlhabenden Leipziger Bürgerinnen, einen ansehnlichen Bekanntenkreis schaffen können. Wie zufrieden der Putz- und Modewarenfabrikant Friedrich Reichardt mit seiner "Directrice" Anna Kuhmann gewesen ist, belegt das Eingangszitat. Anna Kuhmann erhielt nach Aufnahme in den sächsischen Untertanenverband am 12. Oktober 1855 das Bürgerrecht der Stadt Leipzig, womit der Begründung eines eigenen Geschäftes nichts mehr im Wege stand. Leider verlieren sich hier ihre Spuren.
Ihr Lebensweg steht dennoch beispielhaft für den Typ der ledigen Putz- und Modewarenhändlerin, einem neuen Frauentyp im Leipziger Detailhandel neben den seit Jahrhunderten bekannten Witwen und mithelfenden Ehefrauen, Töchtern oder Schwestern von Kramern und Kaufleuten. Putz- und Modewarenhändlerinnen stammten überwiegend aus mittleren Gesellschaftsschichten, allein 70 Prozent aus dem selbständigen Kleinbürgertum und Bürgertum. Die Väter waren Handwerksmeister, Kaufleute und sonstige Gewerbetreibende. Sie sorgten für eine Berufsausbildung ihrer Töchter und unterstützten sie häufig materiell bei der selbständigen Etablierung.
Dabei erlebte die Putz- und Modebranche mit einem immer umfangreicher werdenden Beiwerk an Spitzen, Rüschen, Volants, Stickereien, Bändern, Schleifen und Blumen in der Frauenkleidung einen wahren Boom, zumal im rasch wachsenden Leipzig. Die Frauenkleidermode erforderte sorgfältige Anproben von Kleidung und Zierrat, sie bedingte ausgebildete Handwerkerinnen und machte Frauen für Frauen in der Modebranche unverzichtbar, sollten die Grenzen weiblicher Schamhaftigkeit gewahrt bleiben. So wurden die Putz- und Modewarenhändlerinnen zwischen 1830 und 1870 zur erfolgreichsten Gruppe weiblicher Handeltreibender im Leipziger Handel. Nicht nur ihr Anteil mit circa einem Drittel der Selbständigen in dieser Branche war hoch, auch die erzielten Einkünfte lagen mehrheitlich deutlich über denen der Masse der unteren und mittleren (männlichen) Angestellten und Beamten sowie der Mehrheit der Lebensmittelhändler, selbständigen Handwerker und Gastwirte Leipzigs. Diese Frauen waren weibliche Spitzenverdiener/-innen. Sie nahmen für sich das Recht in Anspruch, selbstbestimmt einen eigenen, frei gewählten Lebensweg jenseits der herrschenden bürgerlichen Frauenrolle der Gattin, Hausfrau und Mutter zu gehen. Sie stehen insofern für erfolgreiche individuelle Emanzipation.
Adressen in Leipzig
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Susanne Schötz, Kapitel 4: Frauen in den prosperierenden Händlergruppen des 19. Jahrhunderts, in: Dies., Handelsfrauen in Leipzig. Zur Geschichte von Arbeit und Geschlecht in der Neuzeit, Köln/ Weimar/ Wien 2004, Seiten 313-392.
Autorin: Susanne Schötz, 2015