Lomnitz-Klamroth, Marie Louise (geborene Klamroth) - Leipziger Frauenporträts
Rubrik
- Bildung/ Pädagogik
- Musik
geboren/ gestorben
14. Dezember 1863 (Moskau) - 17. Mai 1946 (Leipzig)
Zitat
"Möchte die 'Deutsche Zentralbücherei für Blinde zu Leipzig' für alle Zeit als das erhalten bleiben, was sie unter meiner Führung war: 'Ein Stück Kulturarbeit zum Segen der Blinden!'" (1919)
Kurzporträt
Die ausgebildete Organistin Marie Lomnitz-Klamroth, Leiterin des "Verein zur Beschaffung von Hochdruckschriften und Arbeitsgelegenheiten für Blinde", baute ab 1900 systematisch die Deutsche Zentralbücherei für Blinde zu Leipzig auf und machte sie zur nationalen wie internationalen Musterinstitution für qualitätsvolle Punktschriftliteratur.
Herkunftsfamilie
- Vater: Karl Friedrich Klamroth (Langensalza/ Thüringen 1829-1912, Leipzig), Violinsolist und langjähriger Konzertmeister der Kaiserlich Russischen Großen Oper zu Moskau
- Mutter: Marie Klamroth, geborene Büchsenmeister (Moskau 1835-1922, Leipzig)
- Bruder: Anton (Moskau 1860-1929 Leipzig), Porträtmaler, Hofrat
Biografie
Die evangelisch-lutherische Sankt-Petri-Pauli-Gemeinde zu Moskau vermerkte unter Nummer 19/1864 die Geburt von Marie Louise Klamroth als zweites Kind von Karl Klamroth, Konzertmeister und Violinsolist in Moskau, und seiner Frau Marie, die russische, italienische und deutsche Vorfahren hatte. 1873 zog die Mutter mit den Kindern nach Gotha, um ihnen eine umfassendere Bildung in Deutschland zu ermöglichen. Der Vater stammte aus Thüringen und nahm von Russland aus Anteil an der Entwicklung der Kinder: Der Sohn wurde später ein erfolgreicher Kunstmaler. Marie erhielt Klavier- und vier Jahre Orgelunterricht in Gotha. Am 2. November 1885 begann sie am Leipziger Konservatorium ein Musikstudium für Klavier und Orgel, das sie 1891 überaus erfolgreich abschloss. Ihr Lehrer Paul Homeyer (1853-1908) schätzte sie sehr: "Hat (sie) sich durch großen Fleiß bei vortrefflichen Anlagen eine virtuose Spielfertigkeit angeeignet." Sie sei eine "würdige Nachfolgerin der heiligen Cäcilia auf der Orgel", begeisterte sich der Kritiker J. Schwicht.
Marie Klamroth war damals eine der wenigen an einem Konservatorium ausgebildeten Organistinnen Deutschlands, schlug aber keine Musikerinnenkarriere ein, sondern heiratete 1892 den aus Hamburg stammenden Verlagsbuchhändler Ferdinand Lomnitz. Dieser hatte im Frühjahr 1891 den renommierten Leipziger Verlag Georg Wigand erworben und sich in der Leipziger Buch- und Verlagsszene - unter anderem war er Vorsitzender des "Verein(s) der Buchhändler zu Leipzig" - schnell etabliert. Die kinderlose Verlegergattin fühlte sich hingegen durch ihre Repräsentationspflichten zu wenig gefordert. Ein Wendepunkt war für sie die Teilnahme am Vortrag des Direktors der Dresdner Blindenanstalt, Dr. Büttner, am 2. November 1894 im Leipziger Marthahaus. Tief beeindruckt wurde sie Gründungsmitglied und erste Schatzmeisterin des "Verein(s) zur Beschaffung von Hochdruckschriften und Arbeitsgelegenheiten für Blinde zu Leipzig".
Ende 1900 übernahm sie die Leitung von Druckerei und Blindenbücherei des Vereins. Unter Marie Lomnitz arbeiteten vor allem Frauen an der Herstellung von Büchern für Blinde, der Katalogisierung und der Ausleihe. Bereits 1901 publizierte Marie Lomnitz die "Anleitung für handschriftliche Übertragungen in Punktschrift", bis schließlich 1930 als Krönung ihres wissenschaftlich basierten Systems das "Lehrbuch der systematischen Punktschrift-Typographie" erschien. Der Blinde habe einen Anspruch, "daß auch ihm die Literatur originalgetreu vermittelt wird", er auch bewusst "typographisch geordneten Schriftsatz" genießen könne: "Es kommt nicht darauf an, dass Bücher in Punktschrift übertragen werden, sondern wie sie übertragen werden."
Die Vernetzung mit Verlagsbuchhändlern, Druckereibesitzern, Druckmaschinenherstellern, Buchhändler-Lehranstalt und Presse über ihren Mann und die Beziehungen zur Kultur- und Kunstszene halfen ihr beim Finden geeigneter Räume, bei den städtischen wie sächsischen Staatsbehörden und vor allem bei Einwerbung von Geldern. Sie hatte den Weitblick, früh auf technische Neuerungen zu drängen (zum Beispiel Schreibmaschinen für Blindenschrift sowie später den plattenlosen Druck von Punktschriften).
"Eine Wendung glücklichster Art" für die Weiterentwicklung ihrer Bibliothek, der Deutschen Zentralbücherei für Blinde (im Folgenden: DZB), und zur Bewältigung persönlicher Schicksalsschläge (1912† Vater, 1913† Ehemann) ergab sich mit der Internationalen Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik (BUGRA) 1914 in Leipzig. Der von ihr gestaltete Stand "Blindenschrift und Blindendruck" erhielt den Ehrenpreis der Stadt Leipzig und ging in den Besitz des "Deutschen Museums für Buch und Schrift" über. Marie Lomnitz fühlte sich auf ihrem Weg bestätigt, dem "Dilettantismus" im Blindenbüchereiwesen entgegenzutreten. Zeitgenössische Schriften ("Der Blindenfreund") wie auch Erinnerungsberichte belegen dies und offenbaren auch ihre fehlende Kompromissbereitschaft im Streit mit den meist männerdominierten Direktionen anderer Blindenbüchereien.
Die Beschäftigten der DZB, die Leipziger Verwaltung, Geschäftsleute, Kultur- und Kunstkreise sowie die Spitze der Universität gaben der Direktorin Marie Lomnitz Rückhalt. Sie wurde 1925 eine der 12 "Akademischen Ehrenbürger" der Leipziger Universität. Leipziger Unternehmer wie Bleichert, Giesecke, Hinrichsen u.a.m. trugen zum Erhalt der DZB bei, nicht zuletzt im Rahmen einer 1919 errichteten "Marie-Lomnitz-Stiftung". Hohe Anerkennung erfuhr die Arbeit Marie Lomnitz-Klamroths durch die Auszeichnung mit einem Diplom auf der internationalen Presseausstellung in Köln 1928 und durch den Besuch von Studiendelegationen in der DZB unter anderem aus Japan, Indien, Dänemark, Holland, Spanien, USA und Südamerika.Zur Lomnitz-Klamrothschen Erfolgsbilanz trug Tony Mahler, Nichte und seit 1916 de facto ihre Stellvertreterin, wesentlich bei. Sie erhielt 20 Patente für Vorrichtungen im Blindenbüchereiwesen und konnte viele davon in der Praxis der DZB erfolgreich umsetzen.Ende 1936 schied Marie Lomnitz-Klamroth offiziell aus Altersgründen von der DZB, nachdem sie in den ersten Jahren der NS-Herrschaft noch als technische Leiterin akzeptiert worden war. Wenige Tage vor ihrem 80. Geburtstag wurden beim großen Luftangriff auf Leipzig am 3./4. Dezember 1943 sowohl ihre private Habe wie auch die DZB Opfer der Bomben. Mit Ausnahme einer Ehrengabe der DZB kurz vor ihrem Tod 1946 wurden die Leistungen von Marie Lomnitz-Klamroth wenig gewürdigt und ihre Grabstelle auf dem Leipziger Südfriedhof nicht erhalten. Erst in Vorbereitung des 100. Gründungsjubiläums 1994 nahmen sich Mitarbeiter der DZB dieser bedeutenden Leipziger Frauenpersönlichkeit wieder an. Heute hat ihr Lebenswerk einen dauerhaften Platz in der Geschichte der DZB in Leipzig.
Werke
- Anleitung für handschriftliche Übertragungen in Punktschrift für die Mitarbeiter der Deutschen Zentral-Bibliothek für Blinde, Leipzig: Deutsche Zentralbibliothek für Blinde 1915.
- Lehrbuch der systematischen Punktschrift-Typographie nebst fachtechnischen Hinweisen, Leipzig: Deutsche Zentralbücherei für Blinde 1930.
Adressen in Leipzig
- 1885: Zeitzer Straße 11, II, (heute Karl-Liebknecht-Straße) bei Frau Dr. Marggraf
- 1887: Pleißenstraße 1; III (heute Wächterstraße) bei der Mutter
- 1889-1892: Mozartstraße 2, III bei Mutter
- 1893-1913: Rudolphstraße 2/Fl./re./pt. mit ihrem Mann
- 1914 1943: Mozartstraße 2, I erst mit Mutter bis 1922 , lt. Adressbuch ab 1940 mit Tony Mahler
- 1944(?)-1946: Stallbaumstraße 13, Sterbeort, offensichtlich Unterkunft nach dem Bombenangriff vom 4. Dezember 1943
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- 1914 Ehrenpreis der Stadt Leipzig für die von ihr gestaltete Ausstellung auf der BUGRA 1914
- 1925 Akademische Ehrenbürgerin der Universität Leipzig (seit 1928 unter dem Titel "Ehrensenatorin")
- Porträtzeichnung von Sigurd Rosenhain im Gebäude der DZB Leipzig, Gustav-Adolf-Straße 7
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Musikalisches Wochenblatt, 1891 Nummer 12, Seite 167.
- Neue Zeitschrift für Musik. Organ des Allgemeinen Deutsche Musikvereins, 1887, Nummer 40, Seite 452, 1888 Nummer 6, Seite 67, 1889 Nuimmer 44, Seite 506 und 1891 Nummer 9, Seite 101.
- Georg Brand: Anton Klamroth. Ein Beitrag zur Geschichte der Pastellmalerei, Leipzig [1908].
- H.P.: Die deutsche Zentralbücherei für Blinde zu Leipzig. Das Werk einer Frau. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1917, 8. Band, Union Deutsche Verlagsgesellschaft Stuttgart, Berlin, Leipzig und Wien, Seiten 109-125.
- Aus der Praxis für die Praxis. Berichte der Deutschen Zentralbücherei für Blinde, Leipzig; Nummer 1 (1919) und Nummer 2 (1920).
- Karl Noa: Die Deutsche Zentralbücherei für Blinde in Leipzig. In: Der Leipziger, Heft 7, vom 15.02.1920, Seiten 153-155.
- Persönliches [Zum 70. Geburtstag, ungez. Beitrag]. In: Die Frau, 41. Jahrgang, Heft 7, April 1934, Seite 439.
- Herta Fröhlich: Ihr verdanken die Blinden sehr viel. In: Die Gegenwart. Zeitschrift für Blindenfragen, Jahrgang 9 (1955), Nummer 3/4, Seiten 63-66.
- Helmut Schiller: Bild einer Frau - Marie Lomnitz-Klamroth. In: DZB-Nachrichten 1992, Nummer 6, Seiten 16-18.
- Helmut Schiller: 100 Jahre DZB. Die wechselvolle Geschichte der ersten deutschen Blindenbücherei, Leipzig 1994.
Universität Leipzig. Verzeichnis des Personenbestands Winter-Halbjahr 1908/29, Leipzig 1929. - Ute Tartz [online-Eintrag 2011]: www. research.uni-leipzig.de/agintern/frauen/lomnitz.htm, zuletzt abgerufen am 11.10.2017.
- Hochschule für Musik und Theater "Felix Mendelssohn Bartholdy" Leipzig, Bibliothek/Archiv, A, I.2, Inskriptionen, Nummer 4369 und A, I.3, Nummer 4369 "Lehrer-Zeugniss" vom 03. März 1891.
- Stadtarchiv Leipzig, Kapitelakten: Kapitel 35 Nummer 427 Verein zur Beschaffung von Hochdruckschriften und zur Fürsorge für Blinde (unter anderem Band 1, Blatt 4 u. Blatt 160-161 RS) und Nummer 1190 Förderverein der DZB.
- Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Bibliothek, Programmzettel für Konzerte des Königlichen Conservatoriums für Musik zu Leipzig 1889,1889 und 1891 (Musik- und Theatergeschichte, Sign. MT 2016/7).
- Universitätsbibliothek Leipzig, Handschriftenabteilung, Nachlass Prof. Glaunig, NL226/IV/1, Glaunig, Briefe K-L, Bl. 1824 (Brief M. Lomnitz-Klamroth an den Direktor der Universitätsbibliothek Leipzig, Prof. Glaunig vom 26.09.1925) und NL 226, /II/2/499 (Visitenkarte M. Lomitz-Klamroth vom 08.10.1925 mit Mitteilung an Prof. Glaunig).
Autor: Dr. Heiner Thurm, 2017