Mendelssohn Bartholdy, Edith Louise Ida (geborene Speyer) - Leipziger Frauenporträts
Edith Mendelssohn Bartholdy, um 1965 © Elsbeth Gropp (Köln) Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Frauenbewegung
- Kunst
- Politik
- Soziales
geboren/ gestorben
6. Januar 1882 (Berlin) - 9. Juli 1969 (Köln)
Zitat
"[...] Ostasien gehört immer meiner Sehnsucht, und ich hatte sehr dringend den Wunsch, als ich jetzt Pläne für mein künftiges Leben fassen musste, mich gen Japan zu orientieren. Ich sehe nur nicht recht die Möglichkeit dafür und werden wahrscheinlich doch nach England gehen [...]"
(An Ida Dehmel am 3.9.1936, zitiert nach Ida-Dehmel-Katalog für die Ausstellung der Staats-und Universitätsbibliothek Hamburg vom 14.1.-27.2.1970)
Kurzporträt
Edith Mendelssohn-Bartholdy setzte sich für die geregelte Säuglingsbetreuung ein und war mit verantwortlich für die Schaffung der ersten Leipziger Krippen- und Säuglingspflegeanstalten. Zudem war sie den Künsten sehr zugetan, leitete und unterstützte die nach des Komponisten Tod in Leipzig gegründete Max-Reger-Gesellschaft und setzte sich für den Bau des neuen Grassi-Museums ein. Vor allem richtete sie ihr Augenmerk auf das kreative Schaffen von Frauen.
Herkunftsfamilie
Frankfurter Bankiersdynastie Speyer
Biografie
Nach einer Weltreise mit Ludwig Carl Mendelssohn Bartholdy (1878-1918), die sie 1908 nach China, Japan und Nordamerika geführt hatte, übersiedelten Edith Mendelssohn Bartholdy und ihr Mann nach Leipzig. Geheiratet hatten sie 1905. In Berlin geboren, absolvierte sie dort die Höhere Töchterschule, die sie mit dem Lehrerinnen-Examen abschloss und arbeitete bis zur Hochzeit als Lehrerin am Berliner Königin-Luisen-Stift.
Ihr Mann wurde 1910 in Leipzig Bankdirektor und beide nahmen sogleich intensiv am gesellschaftlichen Leben der Stadt teil. Sie wurden Mitglied im Leipziger Kunstverein, im Verein Leipziger Jahresausstellungen (LIA) und in der Gesellschaft der Freunde des Kunstgewerbemuseums, dem Edith Mendelssohn Bartholdy einige wertvolle Stücke aus China und Japan schenkte. Vor allem setzte sie sich für die Schaffung der ersten Leipziger Krippen- und Säuglingspflegeanstalten ein. Dafür hatte sie 1912 den Leipziger Krippenverein mitbegründet, um den arbeitenden Frauen die Unterbringung ihrer Kinder zu ermöglichen und um der hohen Kindersterblichkeit entgegen zu wirken.
In den für Deutschland vorbildlichen Krippen Crusiusstraße 15 in Reudnitz und Leutzscher Straße 74 in Lindenau wurden auch Säuglingspflegerinnen ausgebildet und so sie vom Land kamen, fanden sie dort Internatsplätze. Während des Ersten Weltkrieges sorgte Edith Mendelssohn Bartholdy als Sachverständige für Mutter- und Säuglingsfürsorge in der Kriegsamtsstelle Leipzig und in der Frauenarbeitszentrale Berlin für bedrohte Kinder und Frauen sowie für den Ausbau des Krippensystems. Dafür gründete sie den Ausschuss für Säuglings- und Kleinkinderschutz. Als Mitglied im Verein für Mutterschutz wurde sie 1916 dessen Vorsitzende.
Sie gehörte zu den Frauen, die "in verzweiflungsvoller Qual ihre Gebundenheit und ihre Ohnmacht dem Hass und dem Zwiespalt unter den Völkern und dem Abwärtsgleiten deutscher Volkswirtschaft gegenüber" empfanden, und keine Möglichkeit hatten, "ihre Stimme dort zu erheben, wo ausschlaggebende Beschlüsse gefasst wurden -, keine Möglichkeit, ihre abweichende Weltanschauung, die sich gegen das Morden im Weltkrieg auflehnte, zur Geltung zu bringen! [...] Männer berieten über Krieg und wieder Krieg, Männer berieten über die Hilfe, die die Frauen diesem Krieg zu leisten hatten", schrieb sie 1925 in der Neuen Leipziger Zeitung vom 16. Juli. Weil nicht eine Frau gehört wurde, stellte sie sich als Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP), nachdem das 1919 möglich wurde, zur Wahl für das Leipziger Stadtparlament und arbeitete bis 1927 als Stadtverordnete im Verfassungsausschuss. Mit zahlreichen Anträgen setzte sie sich für soziale und kulturelle Belange ein. In jenem Artikel verlangte sie, "durch gesetzgeberische Reformen die wahre Gleichberechtigung der Frau im öffentlichen und privaten Leben zu fördern und den Fraueneinfluss im Staats- und Wirtschaftsleben zu erweitern".
Den Künsten sehr zugetan, leitete und unterstützte Edith Mendelssohn Bartholdy die nach des Komponisten Tod in Leipzig gegründete Max-Reger-Gesellschaft und setzte sich für den Bau des neuen Grassi-Museums ein. Vor allem richtete sie ihr Augenmerk auf das kreative Schaffen von Frauen. So protegierte sie den von Frauen errichteten, eingerichteten und betriebenen Frauenpavillon auf der Weltausstellung für Buchgewerbe und Graphik 1914 in Leipzig. Für den Raum III "Musik und Musikverlage" steuerte sie die Lithographie "Fanny Hensel" von Wilhelm Hensel bei (Das Haus der Frau, Seite 63, Nr. 621).
Den Vorsitz der Leipziger Ortsgruppe der Gemeinschaft Deutscher und Oesterreichischer Künstlerinnen und Kunstfreunde (GEDOK) übernahm Edith Mendelssohn Bartholdy 1930 und wurde hier Ehrenvorsitzende, als die Berliner Ortsgruppe sie 1932 dort zur Vorsitzenden wählte. Nachdem die Nationalsozialisten an die Macht gekommen waren, drängten sie die Jüdin aus allen Ämtern. 1936 emigrierte Edith Mendelssohn Bartholdy nach England. An der von Dr. Hilde Lion gegründeten und geleiteten Stoatley Rough School wurde sie Lehrerin für Flüchtlingskinder, zunächst noch mit der Hoffnung, "wenn ich Glück habe, in England arbeiten, hier aber meinen Wohnsitz behalten" zu können (Brief an Ida Dehmel vom 03.09.1936). Sie hatte ihre Wohnung und ihren Laden für Volkskunst und Handwerk noch immer in Leipzig-Gohlis.
Mitte der 1950er-Jahre kehrte Edith Mendelssohn Bartholdy nach Deutschland zurück. Ihr Grundsatz: "Ich kann ohne Arbeit nicht leben", galt nach wie vor. Sie betreute eine Sendereihe des Westdeutschen Rundfunks zum Thema "Der Lebensabend" und gab unter diesem Titel eine Sammlung auch heute aktueller Vorträge und eigener Texte heraus. Zuletzt lebte sie in Köln in den Riehler Heimstätten, wo sie auch starb. Ihr Grab befindet sich auf dem Kölner Friedhof Melaten.
Werke
- Krippen im Kriege. In: Krippenzeitung 1917. Seite 33 und folgende.
- Industrie und Kinderfürsorge. In: Krippenzeitung 1917, Seite 72 und folgende.
- Eine Frauenarbeit in der Gemeinde; Frauen und Politik; Die Kölner Frauenwohlfahrtspolizei, die erste deutsche Frauenpolizei. In: Zeitung des Leipziger Bürgerbundes von 1918-1930.
- Das Haus der Frau auf der Weltausstellung für Buchgewerbe und Graphik. Leipzig 1914 (Katalog).
- Die Deutsche Künstlerin. Ein Gedenkbuch (Herausgeberin). Leipzig 1933.
- Staats- und Universitäts-Bibliothek Hamburg, Dehmel-Archiv.
- Der Lebensabend (Herausgeber). Rufer-Verlag Gütersloh 1959.
Adressen in Leipzig
- 1910-1921: Elsterstraße 40
- 1922-1932: Lessingstraße 12, 3. Etage
- bis 1936: Gohliser Straße 9
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- Gipsbüste von Grete Tschaplowitz-Seifert, 1927, verschollen
- Unterlagen im Stadtarchiv Leipzig
- Würdigung in Leipziger Lerchen, Herausgegeben von der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e. V. (siehe unten)
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Das Haus der Frau auf der Weltausstellung für Buchgewerbe und Graphik. Leipzig 1914 (Katalog).
- Elena Luksch Makowsky, Ida Dehmel und ihre Freundinnen. 191.
- Blätter für die Leipziger Armenpflege und Jugendfürsorge, Nummer 205-207/1922.
- Die Not der Alten und Einsamen. In: Leipziger Hausfrau, Nummer 4/1924.
- Über Edith Mendelssohn Beitrag zur Gründung der Frauenerwerbshilfe e. V. In: Leipziger Hausfrau, Nummer 49/1924.
- Edith Mendelssohn-Bartholdy (Würdigung ihrer sozialfürsorgerischen Arbeit). In: Leipziger Hausfrau, Nummer 3/1925.
- Jahrbuch des Bundes Deutscher Frauenvereine 1928-1931, Mannheim-Berlin-Leipzig 1932.
- Abschied von Edith Mendelssohn-Bartholdy. In: Neue Leipziger Zeitung vom 17.1.1932.
- Rita Jorek, Edith Mendelssohn Bartholdy (1882-1969), Sozial-und Kulturpolitikerin. In: Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e. V. Leipzig (Herausgeber): Leipziger Lerchen. Frauen erinnern, 2. Folge. Leipzig 2000, Seite 32 und folgende.
- Marie-Luise Nissen: Edith Mendelssohn Bartholdy (1982-1969) - Ihr Beitrag zur Entstehung und Entwicklung der Kinderkrippe in Deutschland Anfang des 20. Jahrhunderts. München 1999 (unveröffentlichte Diplomarbeit).
- Ida-Dehmel-Katalog für die Ausstellung der Staats-und Universitätsbibliothek Hamburg vom 14.01. bis 27.02.1970.
Autorin: Rita Jorek, 2014