Naubert, Christiane Benedikte - Leipziger Frauenporträts
Benedikte Naubert mit Pflegesohn, 1806 © Museum der Bildenden Künste Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Literatur
- Bildung/ Pädagogik
geboren/ gestorben
13. September 1752 (Leipzig) - 12. Januar 1819 (Leipzig)
Zitat
"Die Geschichte ist meine Fürstin."
Kurzporträt
Die Leipziger Schriftstellerin Christiane Benedikte Naubert ist die Begründerin des modernen historischen Romans in Europa.
Herkunftsfamilie
- Vater: Johann Ernst Hebenstreit (1703-1757), Mediziner und Naturforscher an der Leipziger Universität, 1727 Doktor der Medizin; leitete im Auftrag von August dem Starken eine Expedition in Nordafrika (1731-33), nach seiner Rückkehr wurde er zum Ordentlichen Professor für Anatomie und Medizin ernannt und war Stadtarzt in Leipzig; ab 1747 Dekan der Medizinischen Fakultät
- Mutter: Christiane Eugenie H. Bosseck, Tochter von Benjamin Gottlieb Bosseck (1676-1758), Jurist und Senior des Schöppenstuhls zu Leipzig
- Brüder:
- Georg Ernst Hebenstreit (1739-1781), Theologe
- Heinrich Michael Hebenstreit (1745-1786), Historiker und Jurist
- Ernst Benjamin Gottlieb Hebenstreit (1753-1803), Medizinprofessor
- Schwestern:
- Christiane Sophie, Nauberts ältere Schwester (geboren 1742), verheiratet mit Pfarrer Christian Benjamin Clarus, Sohn (= Neffe von Christiane Benedikte Naubert): Prof. Dr. med. Johann Christian August Clarus (1774-1854), bekannt als Woyzeck-Gutachter
- Minna
Biografie
"Der Zweischichtenroman mit festerem historischen Hintergrund und bewegtem erfundenem Vordergrund, wurde auf dem Gebiet des Mittelalterromans zuerst in den Werken der Benedikte Naubert durchgeführt." (Dr. Kurt Schreinert 1941). In den USA lehrt Prof. Waltraud Maierhofer, University of Iowa, 2005: "Naubert gilt als Erfinderin des Zweischichtenromans, bei dem die vordergründige Romanhandlung in der Privatsphäre historisch unbedeutender Personen spielt, während wichtige historische Ereignisse und Zusammenhänge den Hintergrund bilden." "Sie hat den Zweischichtenroman für das historische Wissen, die kritischen Maßstäbe und die Geschichtsauffassung ihrer Zeit erneuert." (Prof. Johannes Süßmann im Jahr 2000).
Dies ist das Urteil dreier gestandener Literaturwissenschaftler/-innen und somit kann Leipzig stolz sein: Eine Leipzigerin, Christiane Benedikte Naubert, ist die Begründerin des modernen historischen Romans.
Ihren ersten historischen Roman veröffentlichte sie 1785 bei Weygand in Leipzig, über 50 Romane wurden von ihr publiziert. Doch auch die Sagen- und Märchenwelt war Naubert vertraut; so erschien von 1789 bis 1792 ihre Märchensammlung "Neue Volksmärchen der Deutschen". Wilhelm Grimm besuchte Benedikte Naubert im Jahr 1809.
Bis zu ihrer Heirat 1797 lebte Christiane Benedikte Naubert in Leipzig, dann in Naumburg. Zwischen 1797 und 1802 trat eine Schreibpause ein. Nach dem Tod ihres ersten Mannes heiratet sie 1802 erneut, und eine zweite literarische Schaffensphase begann.
1818 kam sie nach Leipzig zurück und starb hier am 12. Januar 1819. Bis zuletzt war sie schriftstellerisch tätig - August von Schindel schrieb 1825, "daß sie noch am Tage vor ihrem Tode einige Worte in der für den Frauenzimmer-Almanach a. Jahr 1820 ausgearbeiteten Erzählung: Herzog Christian von Eisenberg, abänderte und einem ihrer Verwandten dictirte, indem sie sich wohl erinnerte, daß diese Erzählung in diesen Tagen vollendet und abgegeben werden müsse."
Naubert entstammte den Leipziger Juristen- und Gelehrtenfamilien Bosseck und Hebenstreit. Der gelehrte familiäre Hintergrund ermöglichte ihr die Studien und Bibliothekszugänge, die sie für ihre historischen Romane benötigte. Ein Studium an der Universität war Frauen im 18. Jahrhundert noch verwehrt, daher wurde Christiane Benedikte durch ihren älteren (Halb-)Bruder, den Professor für Theologie Georg Ernst und ihren älteren Bruder, den Professor der Rechtsaltertümer Heinrich Michael unterrichtet. Christiane Benedikte Naubert hatte Zugang zu historischen Dokumenten und Büchern, durch ihre Familie, deren Familienpapiere bis ins 17. Jahrhundert zurückreichten, über die Leipziger Universitätsbibliothek und Stadtbibliothek und durch ihren Verleger Rochlitz, der für sie entsprechende Schriften anstelle des Honorars erwarb. Ihre historischen Romane basieren mithin auf zuverlässigen und gründlichen Recherchen.
C. B. Naubert war eine außerordentlich erfolgreiche Autorin der Goethe-Schiller-Zeit, ihre Bücher wurden zu Bestsellern, wurden ins Französische, Englische und weitere europäische Sprachen übersetzt, außerdem erschienen viele Raubdrucke.
Niemand aus ihrer Umgebung ahnte allerdings, dass sie als Schriftstellerin tätig war, denn sie wahrte die Anonymität. Ihr jüngerer Bruder Ernst Benjamin Gottlieb, Professor für Medizin, bestärkte sie, ihr Talent als Schriftstellerin auszuleben. Er selbst übernahm die Rolle des Vermittlers beim Verleger, bis zu seinem (relativ) frühen Tod. Seinen Sohn, Ernst Eduard Wilhelm Hebenstreit (1799-1823), ihren Neffen, nahm Christiane Benedikte Naubert bei sich auf. Er ist es, der auf dem einzig bekannten Naubert-Porträt (Museum der Bildenden Künste Leipzig) neben ihr zu sehen ist.
Nauberts Bücher galten der großen Gelehrsamkeit wegen als Schriften eines Mannes. Oder, wie Christian Gottfried Körner an Friedrich Schiller schrieb: "Alle diese Producte scheinen von einem Manne und von keinem mittelmäßigen Kopfe zu sein." Und so lasen und nutzten sowohl Schiller als auch Goethe Nauberts Werke und deren Dramatisierungen, in der Überzeugung, es mit Werken eines Mannes zu tun zu haben.
Abschließend noch einmal Prof. Johannes Süßmann: "So erschlossen Nauberts Romane das Mittelalter - und damit die Nationalgeschichte - auch für anspruchsvolle, historisch gebildete Leser. In immer neuen Variationen lehrten sie ein ausbaufähiges Prinzip. Deshalb macht Körner Schiller auf sie aufmerksam, als er ihn von der Geschichtsschreibung zur Dichtung zurückzulocken versuchte, deshalb studieren Novalis, Fouqué, Arnim, Kleist und E.T.A. Hoffmann ihre Romane, deshalb bezeichnet Walter Scott sie 1799 in der Vorrede zu seiner Übersetzung von Goethes "Götz" als 'excellent'."
Werke
Romane:
Über 50 Romane inklusive Übersetzungen von Romanen sowie Märchensammlungen, darunter die historischen Romane (in der Weygandschen Buchhandlung Leipzig erschienen) (Auswahl):
- 1785: Geschichte Emmas, Tochter Kayser Karls des Großen, und seines Geheimschreibers Eginhard;
- 1786: Walter von Montbarry, Großmeister des Tempelordens (wurde 1797 ins Französische und 1803 ins Englische übersetzt)
- 1787: Konradin von Schwaben, oder Geschichte des Enkels Kaiser Friedrichs II.
- 1788: Geschichte der Gräfin Thekla von Thurn, oder Scenen aus dem dreißigjährigen Kriege (wurde 1815 ins Französische übersetzt)
- 1788: Hermann von Unna. Eine Geschichte aus den Zeiten der Vehmgerichte (wurde 1792 ins Französische, 1794 ins Englische und 1807 ins Spanische übersetzt)
- 1790: Brunilde, Eine Anekdote aus dem bürgerlichen Leben des dreizehenden Jahrhunderts;
- 1790: Werner Graf von Bernburg
- 1791: Konrad und Siegfried von Feuchtwangen, Großmeister des deutschen Ordens
Die (freien) Übersetzungen (Auswahl):
- 1786: Die Ruinen (aus dem Englischen)
- 1790: Geschichte des Lords Fitzherbert (nach dem Französischen)
- 1803: Corelia oder die Geheimnisse des Grabes (aus dem Englischen frei bearbeitet)
Die Märchensammlungen:
- 1789-1793: Neue Volksmärchen der Deutschen
- 1793-1797: Alme oder Egyptische Mährchen
Adressen in Leipzig
- 1752: Grimmische Gasse in Meyers Apotheke (heute: Grimmaische Straße 17), Geburtshaus/ Elternhaus
- 1795: Nicolaistraße 752 (heute Nikolaistraße 6), Adresse ihres jüngeren Bruders Ernst Benjamin Gottlob Hebenstreit, Doktor, später Professor der Medizin (eventuell auch Wohnung von Benedikte und Mutter)
- 1819: Am Nicolaikirchhof 761 (heute: Ritterstraße 1), Sterbehaus
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- Seit 2006 erscheinen jährlich Neuauflagen von Nauberts Romanen im Engelsdorfer Verlag, Leipzig, herausgegeben von Sylvia Kolbe.
- Seit 2013 Gedenktafel an ihrem Geburtshaus, Grimmaische Straße 17, gestiftet von Thomas Hoffmann, Leipzig
Autorin: Sylvia Kolbe, 2014