Poolman, Marylu - Leipziger Frauenporträts
Marylu Poolman als Alice in Dürrenmatts "Play Strindberg" (1983) © Leipziger Theater (Helga Wallmüller) Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Tanz/ Theater
- Film/ Fernsehen
geboren/ gestorben
3. Oktober 1936 (Amsterdam, Nordholland) - 22. Mai 2004 (Leipzig)
Zitat
"Ich habe Aversionen gegen Routine und Typisierung!"
Kurzporträt
Die niederländische Schauspielerin wirkte 46 Jahre in Leipzig, spielte in DEFA- und Fernsehfilmen, übernahm zahlreiche Hörspielrollen und synchronisierte internationale Stars. Sie steht für Anspruch, Vielfalt und künstlerische Kontinuität des messestädtischen Schauspiels in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Herkunftsfamilie
- Vater: Jan Cornelius Poolman/ DE VOS (gestorben 1956)
- Mutter: Johanna Wilhelmina Petronella Poolman, geborene Dunselman (1919-1996)
- zwei Geschwister
Biografie
Marylu Poolman stammte aus einer berühmten holländischen Theaterfamilie. Ihre Ausbildung absolvierte sie an der Berliner Max-Reinhardt Schule für Schauspiel. Lucie Höflich (1883-1956), Hilde Körber (1906-1966) und Otto Graf (1896-1977) waren ihre Lehrer/-innen. Ihr erstes Engagement erhielt sie in Leipzig; dort blieb sie 46 Jahre am Schauspielhaus bis zu ihrer Verabschiedung 2002. Weit über 80 Rollen hat sie gespielt.
Ihre Antrittsrolle war die Paula in dem Schwank "Der Raub der Sabinnerinnen". Sie nahm ihre erste Rolle so ernst, dass ihr Kollege Johannes Curth (1899-1983) bei den Proben zu ihr sagte: "Alles sehr schön, meine Kleene, das kommt aber nicht über die Rampe." Danach folgte die sensible und von Lebenssehnsucht beseelte Anne Frank, mit der sie sich in die Herzen der Leipziger spielte. Für die Niederländerin war die Begegnung mit Curth eine Art zweite Lehrzeit. "Er hat mir immer geholfen und mir Chancen gegeben, neue Nuancen zu finden", sagte sie noch im Alter.
Sie spielte in selten aufgeführten Gorki-Stücken, gab der Hanne Schäl in Hauptmanns "Fuhrmann Henschel" Härte und Unerbittlichkeit, entwickelte sich von der unschuldigen Polly in der "Dreigroschenoper" zur berechnenden Bandenchefin (in einer späteren Inszenierung war sie die Peachum). Die Poolman brillierte als kratzbürstige Martine kess, liebenswert, unternehmungslustig im Boulevardstück "Stürmische Überfahrt bei spiegelglatter See" oder verkörperte die Ungarin Marika, deren Ehe in Mesterhazis "Das elfte Gebot" kriselt. Ob in den Kammerspielen (später "Neue Szene", nach 2000 "Skala"), im Schauspielhaus und auch im Kellertheater begeisterte sie in unterschiedlichen Stücken. Unter Regisseuren wie Horst Smiszek (1930-2000) oder Gotthard Müller (1920-1992) entwickelte sich die Poolman zu einer Charakterdarstellerin von Format. Ob nun als Lessings "Minna", Büchners Marie in "Woyzeck", Anitra in "Peer Gynt", Goldonis "Mirandolina" Heiduczeks "Maxi" oder Dürrenmatts Alice in "Play Strindberg" - immer wieder verwob die Darstellerin Liebenswürdigkeit, unaufdringliches Spiel, faszinierende Sprachbehandlung und natürliche Erotik.
Eine ihrer Rollen, die ihr viel abverlangte, war die Helena in Karl Kaysers (1914-1995) "Faust II". 1999 spielte Marylu in Wolfgang Engels "Faust"-Einstudierung die mythische Baucis. Nie war bei der Schauspielerin mit der Premiere die Erarbeitung einer Rolle abgeschlossen. Gegen Routine im Beruf hatte sie Aversionen. Gegen Typisierung sträubte sie sich. Nie kam es ihr darauf an, von Rolle zu Rolle zu hasten. Ihr war immer der Aussagewert einer Gestalt wichtig, und sie wäre sehr unglücklich gewesen, wenn sie nur ernste, tragische Rollen hätte spielen müssen. Zu gern war sie auch Komikerin. Dies vermittelte sie dem Nachwuchs während ihrer Lehrtätigkeit im Studio der Städtischen Theater. Marylu Poolman zog 1980 auf unnachahmliche Art und Weise den Wagen der "Mutter Courage" über die Bühne. Eine beglückende und menschlich beeindruckende Leistung! In der DDR-Erstaufführung von Rozewicz' "Die alte Frau brütet" (1987) faszinierte sie durch sensible, zurückhaltende, verinnerlichte Reaktionen. Sie spielte Katharina Rothärmels Monolog "Ich war die Neuberin" und die Königin in Shakespeares "Hamlet" (1991). 1997 brachte sie in "Der Auftrag" (die Leipziger gastierten damit an der Berliner Volksbühne) Heiner Müllers expressive Sprache zum Klingen.
Anfang der 60er Jahre wurde auch die DEFA auf die Künstlerin aufmerksam. In "KLK an PTX - Die Rote Kapelle" verkörperte sie die Elisabeth Schumacher. Sie verzauberte als sinnliche Hexe in dem Märchenfilm "Das blaue Licht", filmte in "Wolz - Leben und Verklärung eines deutschen Anarchisten", in "Till Eulenspiegel", "Jörg Ratgeber - Maler", "Automärchen" und in "Der Tangospieler". Ein Kabinettstückchen lieferte sie als Frau Dr. Eggenfels in "Märkische Forschungen".
Im Fernsehen bleibt ihre Adelheid Türkheimer in der Heinrich-Mann-Verfilmung von "Im Schlaraffenland" unvergessen. DDR-Fernseh-Serien wie "Polizeiruf 110" oder "Der Staatsanwalt hat das Wort" gaben ihr aussagestarke Rollen. Ab 1990 brillierte Marylu P. in "Albert Einstein" und in "Schultze get's the Blues". Und sie war "In aller Freundschaft" beim MDR zu Gast.
Die dritte Säule ihres erfolgreichen Wirkens war der Rundfunk. Eine der bekanntesten Aufnahmen ist die Funkfassung von Goethes "Götz von Berlichingen" (1973). Dort sprach sie neben Fred Düren und Ekkehard Schall die Adelheid. Kinder- und Kriminalhörspiele finden sich nach 1990 ebenso unter den Aufnahmen wie die Mitwirkung an Shaws "Pygmalion", an "Fahrenheit 451" oder "Uhrwerk Orange". Sie las Werke von Irene Dische, Fritz Rudolf Fries und Peter Hacks. Daneben hat sie auch hin und wieder für das DDR-Fernsehen synchronisiert. Joan Collins, Sophia Loren, Anna Magnani, Simone Signoret oder Kirsten Walther lieh sie ihre Stimme.
Für ihr künstlerisches Schaffen wurde Marylu Poolman mit der Neuberin-Medaille und dem Kunstpreis der DDR geehrt.
1996 starb ihr Lebens- und Weggefährte, der Leipziger Theaterschauspieler Paul-Dolf Neis. Ein schwerer Schlag für die lebenslustige Künstlerin. Acht Jahre später folgte sie ihm und fand ihre letzte Ruhe in einer Seebestattung. Ihre Tochter Frauke Poolman (geboren 1961) und ihre Enkelin Marylu-Saskia Poolman (geboren 1985) sind ebenfalls Schauspielerinnen.
Adressen in Leipzig
- Dittrichring 16
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- Kunstpreis der Stadt Leipzig
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- F.-B. Habel: Lexikon. Schauspieler in der DDR, Verlag Neues Leben, Berlin 2009.
- Manfred Pauli: Ein Theaterimperium an der Pleiße, Schkeuditzer Buchverlag 2004.
- Theater in der Übergangsgesellschaft, Schauspiel Leipzig 1957-2007, Theater der Zeit, 2007.
Autor: Rolf Richter, 2014