Richter-Thiele, Gisela - Leipziger Frauenporträts
Porträt der Bildhauerin Gisela Richter-Thiele mit ihrer Plastik "Frau mit Korb", 1951 © Deutsche Fotothek, gefördert von der Kulturstiftung der Länder (KUR-Projekt) Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Kunst
- Bildung/ Pädagogik
geboren/ gestorben
9. November 1916 - 2. September 2000
Zitat
"Die größten Schwierigkeiten haben wir immer wieder mit der Materialbeschaffung. Da kommt ein Auftrag, man ist begeistert [...] Dann entsteht die Frage: Wo könntest Du es machen, und vor allem - womit?"
(Leipziger Volkszeitung von 25.11.1969)
Kurzporträt
Gisela Richter-Thiele schuf zahlreiche figürliche Plastiken. Skulpturen im öffentlichen Raum wie die Schwanengruppe am Leipziger Georgiring sowie szenische Reliefs an und in Gebäuden weisen sie als bedeutende Vertreterin der Leipziger Bildhauerschule aus.
Herkunftsfamilie
- Vater: Alfred Thiele (21.09.1886 in Leipzig - 19.09.1957 Leipzig), Bildhauer
Biografie
Gisela Richter-Thiele, 1916 in Leipzig geboren, wuchs in einer musischen Familie auf. Der Großvater Karl Thiele war Buchhändler, der Vater Bildhauer und Lehrer an der Kunstgewerbeschule Leipzig, an der sie selbst von 1933 bis 1939 in der Fachrichtung Plastik bei ihrem Vater studierte. Dort lernte sie den Leipziger Bildhauer Johannes Richter (1911-1944) kennen. Die beiden heirateten, nachdem Gisela Thiele ihr Studium beendet hatte. 1942 gelangte eine ihrer Arbeiten in die Leipziger Kunstausstellung. Der Entwurf einer Brunnengruppe belegt die Intentionen, die ihr Œuvre bestimmten: Figurationen auf handwerklich solider Grundlage zu schaffen, die bauliche Ensembles und das Stadtbild sinnlich und geistig bereichern. Sie stand damit in der Traditionslinie ihres Vaters und ganzer Leipziger Bildhauergenerationen, die "der maßvollen, lebensnahen und wesensdeutenden Gestaltung von Mensch und Tier" (Günter Meißner, 1977) anhingen. Die vollplastische ganze Figur, die Büste, das Porträt, genrehafte, erzählende Reliefszenerien, die Milieudetails einbeziehen, gehörten zu diesem Programm, das Gisela Richter-Thiele beherrschte.
Obgleich sie auch in der Tierplastik durch genaue Beobachtung und sensible Formung zur großen vollgültigen Komposition gelangte, wie die Schwanengruppe von 1963 am Georgiring beweist, stand doch die menschliche Figur - und da vor allem die weibliche - im Mittelpunkt ihres Schaffens, beginnend mit dem Selbstporträt von 1946. Die Kleinplastik "Frau mit Korb" (1948), eine müde, fast scheu wirkende Gestalt, wurde von der Jury für die 2. Deutsche Kunstausstellung 1949 in Dresden ausgewählt. Tief erfühlte Hoffnungslosigkeit steigerte die Künstlerin durch die lakonisch-sachliche Formulierung. Es folgten Darstellungen von selbstbewussten Mädchen und Frauen. Dazu gehören Porträts, die Lesende, die Lehrerin, die Wäschespülende, die Ruhende oder Sitzende und Wartende. Der Akt "Nach dem Bade" (1957) steht in der Tradition von Aristide Maillol, bringt aber in seiner distanzierten Sichtweise die eigene spezifische Haltung zum weiblichen Körper zum Ausdruck.
Nach dem Zweiten Weltkrieg, ihr Mann war gefallen, musste sich Gisela Richter-Thiele allein in der zerstörten Stadt einrichten. Der Wieder- und Neuaufbau brachte ihr Aufträge für Werke im öffentlichen Raum, an und in Häusern, beispielsweise zwei Reliefs am damaligen HO-Kaufhaus (jetzt Karstadt), für das Universitätsklinikum Leipzig (Kinderklinik), für das Haus der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät Leipzig in der Lumumbastraße (früher Mädchenschule Döllnitzer Straße 2) oder für das Altersheim "Martin Andersen-Nexö".
Die von beiden Seiten sichtbare Trennwand im Foyer des damaligen Hotels Deutschland (am Augustusplatz) erfüllte in einer Breite von sechs Metern einen sinngebenden, einen dekorativen und einen architektonischen Zweck. Das vorgegebene Thema orientierte sich an der Nationalhymne der DDR: "Auferstanden aus Ruinen...". Im Sinne des optimistischen Textes von Johannes R. Becher ließ die Künstlerin eine große Sonne über Land und Leute scheinen. Für das Gebäude der ehemaligen Firma Robotron an der Gerberstraße schuf sie die vollplastische, etwas überlebensgroße Gestalt des sich hingebungsvoll seiner Musik widmenden Balalaika-Spielers sowie als zweite Plastik ein Blumenpaar.
Was zu DDR-Zeiten unter den schwierigen Bedingungen einer zerstörten Infrastruktur und des Mangels an Material und Ausrüstung mit viel Enthusiasmus geschaffen wurde, existiert heute nur noch im Abseits oder gar nicht mehr. Dieser Situation ist auch der Umstand geschuldet, dass viele Werke der Künstlerin - kleine und größere Skulpturen - nur als Gips für Bronze in den Katalogen ausgewiesen sind. Bis 1972 beteiligte sich Gisela Richter-Thiele regelmäßig an Ausstellungen in Leipzig oder Dresden mit neuen Werken, die sich durch straff zusammengefasste Volumina, durch klare Formen und eine bewegte Haltung auszeichnen. Zur statuarischen, fast geschlossenen Gestalt gesellte sich durch Verlagerung der Körperachse die raumgreifende, von architektonischen Elementen fixierte, wie das "Mädchen am Geländer" (1956) oder der "Lesende junge Arbeiter" (1961). Korrekt und unpathetisch sind die Werke von Gisela Richter-Thiele und - weil dem Humanismus als Ideal verpflichtet - ganz spezifische Zeugnisse einer Zeit des Übergangs.
Werke
- Brunnengruppe [Mädchen mit Gänsen], um 1942, Gips für Marmor
- Selbstbildnis, 1946, Bronze
- Allein, um 1947, Gips für Bronze
- Porträt Ruth R., um 1947, Stein
- Kleine Sitzende, um 1947, Gips für Bronze
- Ruhende, um 1948, Bronze
- Frau mit Korb, 1948, Bronze
- Haarknotende Frau, um 1948, Bronze
- Das Gespräch, um 1948, gebrannter Ton
- Die Lauschende, um 1948, gebrannter Ton
- zwei Reliefs für die Arbeiter-und-Bauernfakultät, Lumumbastraße 2, 1949 (jetzt Wohnhaus)
- Stehende Frau, vor 1950, Gips für Bronze
- Wäschespülerin, vor 1950, Gips für Bronze
- Meine Mutter, vor 1950, Gips für Bronze
- Frau mit Hut, vor 1950, gebrannter Ton
- Wartende, vor 1950, Bronze
- [Blinde Frau mit Mädchen], 1951, Gips für Bronze
- Sitzendes Mädchen, 1951, Gips für Bronze
- Lesendes Mädchen, um 1952, Gips für Bronze
- Schreibender Jüngling, um 1952, Gips für Bronze
- zwei Reliefs für Wohnhäuser, 1954, Straße der III. Weltfestspiele (jetzt Friedrich-Ludwig-Jahn-Allee)
- zwei Reliefs, Sandstein, für HO-Warenhaus, jetzt Karstadt, 1955
- Brunnen für Grundschule in Elstertrebnitz-Pegau, 1955
- Mädchen am Geländer, 1956, Bronze
- Frau M., um 1956, Gips
- Nach dem Bade, 1957, Bronze
- Lesender junger Arbeiter, 1961, Bronze
- Aus Nexös Werken, Bronze-Relief, 1961 (Seniorenheim Martin-Andersen-Nexö Leipzig)
- Die Dreizehnjährige, um 1961, Gips
- Schwäne, Brunnenplastik, Bronze, 1963 Standort: Leipzig, Georgiring
- Denkender, 1964, Gips getönt
- Porträt F., Zement, 1964
- "Und die Sonne schön wie nie über Deutschland scheint" (J. R. Becher). Bronze-Relief (350 mal 600 Zentimeter), Eingangshalle Hotel Deutschland, 1965. Jetzt: Radisson Blue, Augustusplatz 5-6, hinter einer Rigipswand
- Zirkusclown, 1967, Gips
- Porträt Lehrerin C., 1969, Gips für Bronze
- Balalaika-Spieler, 1971, Bronze, Höhe: circa 150 Zentimeter; ehemals: Robotrongebäude Gerberstraße
- Blumenpaar, 1971, Bronze, Höhe: circa 150 Zentimeter; ehemals: Robotrongebäude Gerberstraße
- Petra und Elke - Doppelporträt der Schwestern, 1971, Gips getönt
- Glückliche Kindheit, Freiplastik, Möckern, Wohnkomplex IV, 1974-1980
Adressen in Leipzig
- 1916-1939: Wilhelmstraße 56, 2. Etage
- 1939-1943: Menckestraße 6a, 3. Etage
- danach bis um 1970: Auenstraße 1a
- 1950-1970: Atelier: Friedrich-Engels-Platz 2-5, 4. Etage
- 1970-2000: An der Tabaksmühle
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- Kunstpreis der Stadt Leipzig 1967
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Große Leipziger Kunstausstellung 1942 [Katalog], Seite 16.
- Erste Leipziger Grafikschau, 1947 [Katalog], Seite 17, 36 (Abbildung).
- Malerei der Gegenwart. Ausstellung im Museum der bildenden Künste 1947 [Katalog], Seite 10, 32 (Abbildung).
- Leipziger Kunstausstellung 1948 [Katalog], Seite 11.
- 2. Deutsche Kunstausstellung, Dresden 1949 (Abbildung im Katalog).
- "bildende kunst", Heft 3/49, Seite 339 (Abbildung).
- Leipziger Kunstausstellung 1950; Nummer 527 (Katalog, unpaginiert, Abbildung).
- Künstler schaffen für den Frieden (Katalog), Berlin 1951.
- Der Verband Bildender Künstler stellt aus: Grafik, Zeichnungen, Aquarelle, Klein-Plastik (Herausgeber: Verband Bildender Künstler. Katalog Leipzig 1952, unpaginiert).
- Bildende Kunst, Dresden 1954, Seite 81.
- Bezirkskunstausstellung 1954 (Katalog), Seite 11.
- Bezirkskunstausstellung 1955 (Katalog), Seite 11, 32 (Abbildung).
- Kunstausstellung Leipzig 1956. (Herausgeber: Verband Bildender Künstler. Leipzig 1956, unpaginiert, Abbildung).
- Von Atelier zu Atelier, Nummer 4, Düsseldorf 1956, Seite 129, 131 (Abbildung).
- Bildende Kunst, Dresden 1957, Seite 632.
- Gesamtdeutsche Ausstellung Graphik und Kleinplastik [Katalog]. Berlin 1957 (Abbildung)
- Vierte Deutsche Kunstausstellung Dresden 1958, Seite 18, Nummer 450.
- Vollmer, Hans (Herausgeber): Allgemeines Lexikon der Bildenden Künstler des XX. Jahrhunderts, Band IV, Leipzig: VEB E. A. Seemann 1958, Seite 64.
- 5. Kunstausstellung Bezirk Leipzig. (Herausgeber: Verband Bildender Künstler Katalog]. Leipzig 1959, Abbildung, unpaginiert).
- 6. Kunstausstellung 1961 des Verbands Bildender Künstler der DDR Bezirk Leipzig (Abbildung, unpaginiert).
- Seemann-Kunstkalender. Leipzig: Volkseigener Betrieb E. A. Seemann Verlag 1963.
- Peter H. Feist: Plastik in der DDR. Dresden: Verlag der Kunst. 1965, Abbildung 121 und 122, 150.
- 500 Jahre Kunst in Leipzig (Katalog). Herausgeber: Museum der bildenden Künste Leipzig 1965, Seite 133.
- VI. Deutsche Kunstausstellung Dresden 1967 (Katalog), 1967, Seite 38 (zwei Abbildungen).
- Bezirksausstellung Leipzig Architektur und bildende Kunst zum 20. Jahrestag der DDR 1969 ( Katalog, zwei Abbildungen, unpaginiert).
- 8. Kunstausstellung Bezirk Leipzig (Herausgeber: Rat des Bezirkes Leipzig, Verband Bildender Künstler Leipzig), 1972, Seite 21 (und Abbildung).
- Günter Meißner: Leipziger Künstler der Gegenwart. Leipzig: Volkseigener Betrieb E. A. Seemann 1977, Seite 237, Abbildung 111; Bestandskatalog Nationale Sammlung der DDR im Kloster Unser Lieben Frauen Magdeburg ohne Jahr (Katalog 1978), Seite 128.
- Selbstbildnisse Leipziger Künstler. Herausgegeben vom Museum der bildenden Künste Leipzig 1982 (Katalog), Seite 56, Abbildung, 81.
- George, Magdalena: Gisela Richter-Thiele zum 65. Geburtstag (Ausstellungsfaltblatt). Museum der bildenden Künste Leipzig 1981, 7 Abbildungen.
- Kunst in Leipzig 1949-1984. Museum der bildenden Künste Leipzig 1984 (Katalog), Seite 96
- Tierbilder. Kunst im agra-Park. Leipzig 1986. Text Renate Hartleb (Faltblatt).
- Ute Camphausen: Die Leipziger Kunstgewerbeschule. Herausgegeben von Olaf Thormann. Leipzig: Faber & Faber 1996, Seite 91, 98, 215, 223.
- Die Stillen im Lande II. Herausgeber: Bund Bildender Künstler e. V./ art-Kapella Schkeuditz 1996 [Katalog], Seite 8, 9.
- Kurt-Rudolf Böttger: Neues Leipziger Taschenwörterbuch für Einheimische und Fremde. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 1999.
- Museum der bildenden Künste Leipzig - Katalog der Bildwerke. Herausgegeben von Herwig Guratzsch. LETTER Schriften Band 11, 1999, Seite 41, 62, 271, 303.
- Dietmar Eisold: Lexikon Künstler der DDR. Berlin: Verlag Neues Leben 2010, Seite 769.
- Allgemeines Künstlerlexikon - Internationale Künstlerdatenbank - Online. 2011-2016
Autorin: Rita Jorek, 2016