Riedeberger, Hilda (geborene Seidler) - Leipziger Frauenporträts
Hilda Riedeberger (vorn links) übt mit Frauen ihrer Gymnastikgruppe für das IV. Deutsche Turn- und Sportfest der DDR 1963 © Anneliese Klink Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Sport
geboren/ gestorben
11. Januar 1904 (Leipzig-Stötteritz) - 28. September 1995 (Leipzig)
Zitat
"Hunderttausende Herzen waren erfüllt von den großen Erlebnissen."
(Hilda Seidler über ihre Teilnahme am 2. Arbeiter-Turn- und Sportfest 1929 in Nürnberg. Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, Nachlass Riedeberger, Hilda, Nummer 1)
Kurzporträt
Hilda Riedeberger leitete bei fünf DDR-Turn- und Sportfesten das Gestalterkollektiv für die Festübung der Frauen, war Internationale Kampfrichterin im Frauenturnen und bis ins hohe Alter Übungsleiterin.
Herkunftsfamilie
- Vater: Ofensetzer. Von beiden Eltern waren die Namen bisher nicht zu ermitteln.
Biografie
Hilda wuchs vermutlich bei einer Tante auf. Sie besuchte die Volksschule, anschließend die öffentliche Handelsschule des Frauen-Gewerbevereins in Leipzig. Danach arbeitete sie als kaufmännische Angestellte, ab Mitte der 1920er Jahre im Arbeiter-Turnverlag. Sie wurde Mitglied im Zentralverein der Angestellten, einer Freien Gewerkschaft.
Ihre turnerische Laufbahn begann sie als Achtjährige im Arbeiter-Turnerbund (ATB), bei der Freien Turnerschaft Südost, Leipzig-Thonberg. Sie betrieb außerdem Leichtathletik, Handball, Trommelball und Wintersport. Im Verein für Leibesübungen (VfL) Leipzig Südost lernte sie ihren Mann, den Buchdruckermeister Erich Riedeberger kennen. Er war ebenfalls Turner, bis 1933 Bezirks-Männerturnwart beim Arbeiter-Turn- und Sportbund (ATSB), Gastlehrer an dessen Bundesschule in Leipzig und in der SPD organisiert, deren Mitglied auch Hilda wurde.
Die 18-Jährige erlebte in Leipzig das 1. Deutsche Arbeiter-Turn- und Sportfest vom 22. bis 25. Juli 1922. Beim Siebenkampf der 246 Turnerinnen belegte sie Rang 46 und nahm an den Massenübungen der 7.000 Frauen und Mädchen teil, mit denen die Arbeiterschaft über Turnen und Sport für ihre sportliche und politische Gemeinschaft warb. Wohl eine Initialzündung, denn turnerische Massenübungen prägten fortan ihr Leben. Es folgte die Teilnahme an allen großen Arbeitersportfesten bis 1931, immer auf eigene Kosten und mit Urlaubstagen. Beim 3. Sächsischen Arbeiter-Turn- und Sportfest 1928 in Dresden waren Hilda und Erich schon gemeinsam dabei.
Nach der Heirat 1933 bezogen Riedebergers in der neuerbauten Sternsiedlung Nord ein Häuschen. Beide verloren nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ihre Arbeit im Arbeiter-Turnverlag, dessen Gebäude wie die benachbarte Bundesschule des Arbeiter-Turn- und Sportbundes beschlagnahmt wurden. Bei Hausdurchsuchungen wurden für sie bedeutsame Erinnerungsstücke zerstört oder konfisziert. In dieser schwierigen Zeit jahrelanger Arbeitslosigkeit wurde Sohn Jörg am 5. Juli 1936 geboren. Dem Sport blieben die Eheleute fern, trafen sich jedoch heimlich mit ehemaligen Genossen und Sportfreunden. Im 2. Weltkrieg wurde Ehemann Erich eingezogen und war später in einem Lazarett als Verwundeten-Sportlehrer tätig.
Nach Kriegsende wirkten Hilda und Erich Riedeberger am Neuaufbau des Sports im Osten Deutschlands im 1948 gegründeten Deutschen Sportausschuss (DS) mit, ab 1957 im Deutschen Turn- und Sportbund (DTSB). Sie widmeten sich der Entwicklung des Turnens und der Sportfestbewegung. Nach Lehrgängen an der Schule des Deutschen Sportausschusses Bad Blankenburg bildete Hilda selbst Kampfrichter und Übungsleiter aus. Ihre erste eigene Massenvorführung für das III. Parlament der FDJ zu Pfingsten 1949 mit Ziegelsteinen als Handgerät wurde im Bruno-Plache-Stadion präsentiert. Es folgten Kompositionen für Deutschlandtreffen, Weltfestspiele, ab 1954 für die Deutschen Turn- und Sportfeste der DDR in Leipzig. Die zentrale Massenübung der 10.000 Sportlerinnen und Sportler des Deutschen Sportbundes 1954 - Höhepunkt des Turnfestes - entwarfen Hilda und Erich Riedeberger. Am Zentralstadion, wo seit 1956 die Feste stattfanden, baute sie wie viele andere Sportler an Wochenenden und abends selbst mit.
Charakteristisch für Hildas Konzept der Frauenübungen dieser Zeit war, dass sie im Sinne einer soliden Gymnastik mit einfachen Bewegungsformen und unterschiedlichen Handgeräten aufgebaut und unter den gegebenen Bedingungen machbar waren - einmal wöchentliches Üben, ohne gemeinsames Trainingslager aller Teilnehmerinnen - und in kurzer Zeit erlernt werden konnten. Hilda leitete bis zum 5. Deutschen Turn- und Sportfest 1969 das jeweilige Gestalterkollektiv des Frauen-Übungsverbandes, das verantwortlich war für Übungsinhalt und Musik, Training, Anleitung der Übungsleiterinnen und das Erstellen des Übungsheftes.
Heraushebenswert ist ihre ehrenamtliche Arbeit für den Sport, die sie ab 1966 als Rentnerin weiterführte. Seit 1960 war sie als langjährige Vorsitzende des Bezirksfachausschusses (BFA) Turnen Leipzig des Deutschen Turn- und Sportbundes verantwortlich für die Organisation eines vielfältigen Turnbetriebes, seiner Wettkämpfe im Breitensport und in den Nachwuchs-Trainingszentren des Bezirkes sowie die Ausbildung der ehrenamtlichen Übungsleiter und Kampfrichter. Hilda arbeitete selbst als Übungsleiterin beim Sportclub Lokomotive Leipzig, war dort zudem Leitungsmitglied Turnen, später beim Nachfolger Sportclub Leipzig. Als Übungsleiterin einer Sportgruppe "Allgemeine Gymnastik" bei der Betriebssportgemeinschaft Rotation 1950 wirkte sie bis ins achte Lebensjahrzehnt. "Ihre" Frauen waren an allen Turnfest-Vorführungen beteiligt. Noch in ihrem 90. Lebensjahr machte sie Seniorengymnastik mit Heimbewohnern und blieb so der sportlichen Basis verbunden.
Bedeutsam für Entwicklung und internationale Anerkennung des 1958 gegründeten Deutschen Turnverbandes (DTV) der DDR war Hildas maßgebliche Mitwirkung am Aufbau des Kampfrichterwesens. 1960 wurde sie Hauptkampfrichterin Frauen im Turnverband und qualifizierte sich zur Kampfrichterin der Internationalen Turnföderation FIG. Hilda wurde in dieser Funktion zu den Damen-Turnwettkämpfen der Weltmeisterschaften 1958, 1962 und 1966 sowie der Olympischen Spielen 1960 und 1964 berufen.
Bei der 3. Europameisterschaft im Geräteturnen der Damen 1961 in der Messehalle 15 in Leipzig war sie verantwortliche Organisationsleiterin und gehörte zur Obersten Jury. Hilda war außerdem bei vielen Wettkämpfen mit und in sozialistischen Ländern eine geschätzte und anerkannte Kampfrichterin.
Gemeinsam mit Erich Riedeberger und dem Komponisten Fred Dittrich erhielt sie 1959 den Nationalpreis III. Klasse für die Gestaltung der Sportschau des III. Deutschen Turn- und Sportfestes als einer "neuen Kunstgattung des sportlich-tänzerischen Bewegungsspiels".
Werke
- Wertungsbestimmungen Frauen/ Deutscher Turn-Verband der DDR. Herausgegeben von einem Kollektiv des Trainerrates, Frauen, der Deutsche Turnverband der DDR. Berlin: Deutscher Turnverband, 1970.
Adressen in Leipzig
- bis 1933: Stötteritz, nicht genauer zu ermitteln
- 1933-1995: Sesenheimer Straße 31 b
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- 53 in der Objektdatenbank des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig enthaltene Objekte
- Konvolut von dokumentierten Objekten im Sammlungsbestand Sportmuseum Leipzig
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, Nachlass Riedeberger, Hilda, Nummer 1, 2, 7, 10, 12, 14, 15, 16, 17.
- Arbeiter-Turn-Zeitung, Jahrgang 30, 1922.
- Nachlass von Hilda und Erich Riedeberger im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig/ Sportmuseum.
- Gespräch mit Dr. Edith Seitz (Leiterin des Gestalterkollektivs für die Frauenübungen ab dem V. Turn- und Sportfest 1977) am 27.10. und 20.11.2016 in Leipzig.
- Gespräch mit Renate Wolf und Anneliese Klink (Gymnastinnen bei Hilda Riedeberger in der Betriebssportgemeinschaft Rotation 1950) am 07.11.2016 in Leipzig.
- Langfassung der Hilda-Riedeberger-Biografie zur Einsicht im Sportmuseum Leipzig.
Autorin: Dr. Ingeburg Zeidler, 2016