Schmidt, Anna - Leipziger Frauenporträts
Anna Schmidt © Photographisches Atelier G. Brokesch Leipzig Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Frauenbewegung
- Soziales
- Bildung/ Pädagogik
geboren/ gestorben
15. Mai 1837 (Breslau) - 22. November 1908 (Leipzig)
Zitat
"[...] ein gemeinnütziger Verein muß (im Interesse der Frauenarbeit) [...] in immer weiteren Kreisen zu nützen suchen und immer neue Kräfte zur Unterstützung [...] heranziehen."
(Bericht des Frauen- Gewerbevereins zu Leipzig 1903, Vorsitzende Anna Schmidt)
Kurzporträt
Die Lehrerin Anna Schmidt wirkte über 40 Jahre als aktive Organisatorin im Allgemeinen Deutschen Frauenverein und im Deutschen Verein der Hausbeamtinnen. Sie gab dem Frauenbildungsverein, dem Lehrerinnenverein und dem Frauengewerbeverein Leipzigs das Gepräge. Die Etablierung der Berufsschulbildung für Mädchen über die Kurse des Frauengewerbevereins Leipzigs ist ihr bleibendes Verdienst.
Herkunftsfamilie
- Vater: Friedrich Schmidt (1790-1863), preußischer Artillerieoffizier
- Mutter: Emilie Schmidt geborene Schöps (1802-1876)
- Geschwister:
- Marie Schmidt, geboren 1832, gehörlos, verstarb noch als Kind
- Auguste Schmidt (1833 -1902), Schulvorsteherin und Führerin der deutschen Frauenbewegung
- Clara Claus, geborene Schmidt (1843 -1922) Sängerin, Gesangslehrerin und aktiv in Frauenvereinen und sozialer Hilfsarbeit
- Julius Schmidt (1825-1894), Jurist
- Maximilian Georg Schmidt (1835-1876), Polizeioffizier
Biografie
Im "Adreßbuch für die Frauen Leipzigs" 1900 wurde "Frau Hauptmann Schmidt, Leipzig Grassistraße 33" als Funktionärin des Frauengewerbeverein und des Vereins für Hausbeamtinnen aufgeführt. Dieser unscheinbare Eintrag erfasst in keiner Weise die enormen Leistungen von Anna Schmidt, die diese für die deutsche Frauenbewegung im Allgemeinen und die Leipziger Frauen im Besonderen erbracht hat. Für die Öffentlichkeit stand sie im Schatten ihrer Schwestern, der älteren, "übermächtigen" Führerin der Frauenbewegung Auguste Schmidt und der jüngeren, der durch Gesang und Chorleitung bekannten Clara Claus, geborene Schmidt.
In Kindheit und Jugend glichen sich die Entwicklungswege der beiden älteren Schmidt-Schwestern sehr. Hulda Emilie Anna Selma Elisabeth Clara wurde auch in Breslau geboren. Sie verbrachte die Kindheit in Posen, wo der Vater als preußischer Artillerieoffizier Dienst tat. Später ging sie mit ihren Eltern nach Breslau. Auch ihr wurde die Ausbildung zur Lehrerin ermöglicht.
Als Auguste Schmidt 1855 die Leitung der Latzelschen Höheren Töchterschule in Breslau übernahm, arbeitete Anna als Lehrerin an dieser Schule. Die gemeinsame Übersiedlung mit Mutter und Schwester Clara nach Leipzig zur dort schon seit 1861 wirkenden Auguste im Jahre 1863 - der Vater war kurz zuvor verstorben - stärkte den familiären Zusammenhalt. Dieser bildete die Grundlage für die wichtige Rolle der Mutter und der drei Schwestern Schmidt bei Gründung und Ausbau des Leipziger Frauenbildungsvereins und des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF). Die treibende Motivation für die Mitarbeit Anna Schmidts war, wie Helene Lange treffend formulierte - ein "unkomplizierter Idealismus": Gerechtigkeit, Menschenwürde und das Recht (auch der Frauen) auf Arbeit.
Nach Gründung des Frauenbildungsvereins heiratete sie am 24. April 1865 in der Leipziger Thomaskirche einen Vetter, den ehemaligen preußischen Hauptmann Carl Rudolph Richard Schmidt (geboren 19.10.1828 in Münsterberg). Als er Beamter im Credit Foncier de France wurde, ging sie mit ihm nach Paris, hielt aber beständig Kontakt mit der Familie und den Mitstreiterinnen in Leipzig. Nach dem frühen Tod ihres Mannes kam Anna Schmidt 1870 als kinderlose Witwe aus Paris nach Leipzig zurück und arbeitete wieder im von Steyberschen Institut als Lehrerin für Deutsch, Französisch, Rechnen und Zeichnen. In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass sie selbst eine begabte Malerin war, der wir heute ein sehr gelungenes Porträt ihrer Schwester Auguste in Öl verdanken.
Sie bewältigte neben der Lehrtätigkeit auch die Verwaltung des seit 1870 ihrer Schwester Auguste gehörenden von Steyberschen Instituts für Mädchenbildung mit Höherer Töchterschule, Pensionat und Lehrerinnenseminar. Anna Schmidt war "das einzige rechnerische Talent in der Familie, die einzige auch, die streng bis zur Härte sein konnte [...]" (Schmidt-Gossrau, 1933).
Neben dem Broterwerb wirkte Anna Schmidt sehr aktiv in Leipziger Frauenvereinen - es galt dabei die selbstauferlegte Regel, dass von den drei Schmidt-Schwestern nie mehr als eine in demselben Vereinsvorstand arbeitete. Bis 1893 konzentrierte sich Anna Schmidt auf den Frauenbildungsverein und den Allgemeinen Deutschen Frauenverein, wo sie auch als Kassenrevisorin tätig war. Ende der 1880er-Jahre war sie im Leipziger Lehrerinnenverein aktiv, dessen Ehrenmitglied sie später wurde. Als 1892 Johanna Brandstetter "in dankbarer Erinnerung" an ihre einstigen Lehrerinnen Auguste Schmidt, Anna Schmidt und Clara Claus 10.000 Mark für bedürftige Lehrerinnen an den Lehrerinnen-Verein in Form einer "Geschwister-Schmidt-Stiftung" spendete, war dies auch Anerkennung der Leistungen von Anna Schmidt. 1890 würdigte Louise Otto-Peters sie als eine Frau, die "stille, aber wirksame Arbeit" für den Allgemeinen Deutschen Frauenverein und die Frauen geleistet habe.
Nach dem Ausscheiden aus dem Schuldienst des von Steyberschen Instituts mit dem anschließenden Erholungsjahr der Schmidt-Schwestern beim Sohn der langjährigen ADF-Kassiererin Alwine Winter in Italien kümmerte sich Anna Schmidt schwerpunktmäßig um den Ausbau des 1892 gegründeten Frauengewerbevereins. Sie wirkte vorwiegend unentgeltlich in dessen 1893 eingerichteten Fortbildungskursen (Abendkursen) als Lehrerin für Geschäftskunde und Französisch. 1895 wurden
unter ihrer Ägide "Einfache Handelskurse" für Mädchen angeboten. 1900 folgten einjährige "Höhere Handelskurse", die bei 22 Wochenstunden "eingehende Kenntnis des Geschäftslebens und der dazu gehörigen Wissenszweige, gründliche Beherrschung deutscher, französischer und englischer Korrespondenz" beinhalteten (Bericht 1903, Frauen-Gewerbeverein Leipzig). Der Frauengewerbeverein und seine Kurse - später "Handelsschule" genannt -, blieben jahrzehntelang wichtiger Bestandteil in Leipzigs Bildungswesen.
Anna Schmidt war es, die unter dem Dach des Frauengewerbevereins 1895 eine Verkaufsstelle für Erzeugnisse aus der Heimarbeit in der Universitätsstraße 4 zur Ausschaltung von Zwischenhandel organisierte, 1896 maßgeblich an der Einrichtung einer Wäschestube für die Unterweisung im Maschinennähen und der Wäschekonfektion beitrug, sich 1895 für die Errichtung einer Bibliothek und schließlich 1902 eines (Wohn-)Heims für berufstätige junge Mädchen in der Königstraße 26
(heute: Goldschmidtstraße) eingesetzt hatte. Im selben Haus hatte sie zuvor eine Stellenvermittlung für Frauen als Kontor- und Ladenpersonal aufgebaut. Auch die Verwaltung der Darlehens- und Hilfskasse des Frauengewerbevereins oblag ihr. Für alle diese Einrichtungen hatte sie den Verleger Doktor Max Abraham als großzügigen Unterstützer gewinnen können, dessen Verlag Edition Peters dieses Haus gehörte.
Da sie es verstand, Überblick zu bewahren, Aufgaben zu delegieren, Mitstreiterinnen und Gönner zu werben, konnte sie dazu zwei weitere wichtige Aufgabenfelder übernehmen. So war sie die treibende Kraft im 1894 gegründeten Allgemeinen Deutschen Verein für Hausbeamtinnen (Hausangestellte "oberhalb" der Dienstbotenebene) und baute ab 1895 dessen Stellenvermittlung auf. Im Unterschied zum Frauengewerbeverein wurde sie hier deutschlandweit wirksam. 1896 fielen ungünstige Umstände so zusammen, dass Anna Schmidt sowohl den Vorsitz als auch die Schatzmeisterinnenpflichten (nach dem plötzlichen Tod der Kassiererin Meta Langerhannß aus Friedrichroda) übernehmen musste, bis sie 1897 teilweise Entlastung im Vorstand erfuhr. Ein großer Erfolg gelang ihr gemeinsam mit Louise Pache in einer persönlichen Audienz beim Kultusminister in Berlin durch die Aufnahme der Hausbeamtinnen in die staatliche Invaliden-und Altersversicherung.
1905 musste sich Anna Schmidt krankheitsbedingt aus der Vorstandsarbeit des Vereins für Hausbeamtinnen zurückziehen, blieb aber stimmberechtigtes Ehrenmitglied des Vorstandes. Bedeutend war Anna Schmidts Rolle bei der Sicherung des umfangreichen finanziellen Vermächtnisses von Ferdinand und Luise Lenz aus Bern seit 1885 für den Allgemeinen Deutschen Frauenverein. Wie Schwester Auguste war sie zur Testamentsvollstreckerin des Ehepaares Lenz bestimmt worden. Nach dem Tode Augustes trat Anna in den Vorstand des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins ein, um das zur Unterstützung deutscher studierender Frauen gedachte Geld (Kapital circa 600.000 Mark) für den Allgemeinen Deutschen Frauenberein zu sichern und auch andere Vorstandspflichten zu übernehmen. Anna Schmidt hatte erheblichen Aufwand, andere im Testament bedachten Schweizer Vereine und Personen sachgerecht auszahlen zu lassen und setzte die testamentarisch vorgeschriebene Etablierung der Ferdinand-und-Luise-Lenz-Stiftung beim Allgemeinen Deutschen Frauenverein um, ein Prozess, der sich bis 1906 streckte.
Auch aus dem ADF-Vorstand und dem Verwaltungsrat der Ferdinand- und- Luise-Lenz-Stiftung musste sie sich dann krankheitsbedingt zurückzuziehen. Zum 70. Geburtstag 1907 wurde Anna Schmidt vom Allgemeinen Deutschen Frauenverein, dessen Leipziger Ortsgruppe, des Frauenbildungsvereins zu Leipzig, des Leipziger Lehrerinnenvereins, der Musikgruppe des Leipziger Lehrerinnenvereines, des Frauengewerbevereins Leipzig, des Allgemeinen Deutschen Vereins für Hausbeamtinnen und des von Steyberschen Institutes mit einer besonders gestalteten Urkunde gewürdigt. Die Leipziger Tagespresse nahm anerkennende Notiz von ihrem Ehrentag. Von finanziellen Ehrengaben zu ihrem 70. Geburtstag spendete sie 1.500 Mark für das zu errichtende Auguste-Schmidt-Haus.
Als Anna Schmidt nach längerem Leiden am 22. November 1908 starb, brachten die Nekrologe übereinstimmend zum Ausdruck: "In der Geschichte der Frauenbewegung wird diese stille, aufopferungsvolle Tätigkeit, von der so reicher Segen ausgegangen ist, unvergessen bleiben." Sie erlebte leider nicht mehr, dass Ende 1909 laut königlich-sächsischem Innenministerium die von ihr aufgebauten Fortbildungskurse des Frauengewerbevereins Leipzig als "Handelsschulabteilung des Frauen-Gewerbe-Vereins zu Leipzig" firmieren durften. Aus einer Spende der Angehörigen Anna Schmidts an den Frauengewerbeverein wurde außerdem eine "Anna-Schmidt-Stiftung" errichtet, von deren Zinsen bedürftige Schülerinnen unterstützt wurden. Ihre Urne wurde im Grab von Auguste Schmidt auf dem Neuen Johannisfriedhof beigesetzt.
Adressen in Leipzig
- 1865-?: Nürnberger Straße 1, 3. Etage
- 1872/1873: Königsstraße 22, 1.-3. Etage (in der von Steyberschen Pensions- und Unterrichtsanstalt)
- ab 1874: Nordstraße 12 (nach der Umnummerierung von 1885 als Nummer 23).
- ab Sommer 1893: Grassistraße 33, 1. Etage
- ab 1902: Haydnstraße 3, 2. Etage
- ab 1905: Kronprinzenstraße 3, 2. Etage
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- Grabstein im Lapidarium des Alten Johannisfriedhofs
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Adressbuch für die Frauen Leipzigs, Leipzig 1900.
- Pauline Voigtländer: Frau Anna Schmidt zum 70. Geburtstag, in: Neue Bahnen, 1907, 42. Jahrgang, Nummer 10, Seiten 73-74.
- Helene Lange: Anna Schmidt, in: Neue Bahnen, 1908, 43. Jahrgang., Nummer 24, Seite 185.
- Aus der Leipziger Gesellschaft. Anna Schmidt, in: Der Leipziger, 1908, Nummer 48, Seite 1448.
- Anna Plothow: Anna Schmidt, in: Berliner Tageblatt, Nummer 604, vom 27. November 1908.
- Anna Schmidt, in: Die Hausbeamtin, 10. Jahrgang, Nummer 38, Sonderbeilage, Januar 1909, Seiten 9-11.
- Martha Schmidt-Goßrau: Auguste Schmidt, Leipzig 1933.
- Beate Klemm: Drei bemerkenswerte Schwestern. Auguste, Anna und Clara Schmidt, in: Leben ist Streben. Das erste Auguste-Schmidt-Buch, herausgegeben von Johanna Ludwig, Ilse Nagelschmidt und Susanne Schötz, unter Mitarbeit von Sandra Berndt, Leipzig 2003, Seiten 85-101.
- Manfred Leyh: Das "Nest der Frauenbewegung" in Leipzig. Zum Wirken der drei Schwestern Auguste, Anna und Clara Schmidt, in: ebenda, Seiten 69-84.
- Kirchliches Archiv Leipzig (KAL), Trauungsbuch, Sankt Thomas, 1865, Seite 37.
- Stadtarchiv Leipzig, Kapitel 35, Nummer 27, Frauenbildungsverein und Beiheft 1; Kapitel 35, Nummer 174, Allgemeiner Deutscher Frauenverein, Beiheft 1; Kapitel 35, Nummer 227, Leipziger Lehrerinnen-Verein und Kapitel 35, Nummer 374 Frauengewerbeverein.
Autor: Dr. Manfred Leyh, 2015