Spazier, Wilhelmine (Minna) (geborene Mayer) - Leipziger Frauenporträts
Minna Spazier um 1810 (Kupferstich). Bildquelle: "Die Briefe der Lespinasse". Aus dem Französischen übersetzt von Minna Spazier. 2 Teile. Elberfeld, 1810. Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Literatur
geboren/ gestorben
10. Mai 1776 (Berlin) - 11. März 1825 (Dresden)
Zitat
"Jedes Weib wird zu Grunde gehen, moralisch oder physisch, das es wagt [...], so - aus dem Kreise herauszutreten, den die Natur und die bürgerliche Gesellschaft den Frauen gezeichnet hat [...]"
(Friedrich Arnold Brockhaus über Minna Spazier an Ferdinand Hempel am 30. März 1811)
Kurzporträt
Minna Spazier war eine Herausgeberin von Taschenbüchern und Almanachen für Frauen um 1800, die zu den "Klassikern" dieses Genres gehörten, unterstützte ihren Ehemann Carl Spazier bei der Redaktion der "Zeitung für die elegante Welt", schrieb auch selbst und übersetzte Literatur aus dem Französischen.
Herkunftsfamilie
- Vater: Johann Siegfried Wilhelm Mayer, Geheimer Obertribunalrat am preußischen Kammergericht (1747-1819)
- Mutter: Caroline Catharine Friederike Germershausen (1749-1801)
- Schwester: Caroline Mayer (1777-1860), verheiratet mit dem Dichter Jean Paul
- Schwester: Ernestine Mayer (1779-1805), verheiratet in Leipzig mit Siegfried August Mahlmann
Biografie
Johanne Caroline Wilhelmine (Minna) Spazier wurde 1776 in Berlin als älteste Tochter des Geheimen Obertribunalrats Johann Siegfried Wilhelm Mayer geboren. Der Vater verkehrte mit der geistigen Elite Berlins. Von seiner ersten Ehefrau Caroline Germershausen, der Mutter seiner drei Töchter, war er geschieden. Mayer sorgte für eine erstklassige Ausbildung der Mädchen. Alle drei verheirateten sich später mit Literaten.
Minna wurde von der Schriftstellerin Helmina von Chézy als "ein sehr hübsches, lebhaftes Mädchen, welches reiche Anlagen des Geistes in sich vereinigte und viel Gemüth hatte" geschildert. Sie enttäuschte jedoch ihren ehrgeizigen Vater, als sie 1797 gegen seinen Willen den unbemittelten Literaten und Liederkomponisten Carl Spazier (1761-1805) heiratete. Minna folgte ihrem Ehemann nach Dessau, wo er eine Stelle als Lehrer annahm. 1801 gelang es Spazier, sich in Leipzig als Journalist zu etablieren. Er begründete die "Zeitung für die elegante Welt", die erste Kultur- und Unterhaltungszeitung auf deutschem Boden. Die intellektuell hochbegabte Minna wurde zur wichtigsten Mitarbeiterin ihres Mannes. Unterstützung fand Carl Spazier auch bei dem Leipziger Schriftsteller Siegfried August Mahlmann, mit dem sich Minnas Schwester Ernestine 1801 verheiratete.
Carl Spazier verstarb bereits 1805 und hinterließ Minna mit vier kleinen Kindern: Emma, Julius, Minona und Richard. Ihre Absicht, die "Zeitung für die elegante Welt" selbst weiterzuführen, wurde durch den Verleger Georg Voß und ihren Schwager Mahlmann vereitelt. Minna wurde mit einer kleinen Rente abgefunden. Sie blieb in Leipzig wohnen und verkehrte freundschaftlich mit zahlreichen Persönlichkeiten, wie Johann Christian August Heinroth, Veit Hans Schnorr von Carolsfeld und Johann Gottfried Seume. Auf der Suche nach Erwerbsquellen erfuhr sie Unterstützung durch ihren Schwager, den Dichter Jean Paul. Er nannte sie eines der "genialsten Schreib-Weiber jetziger Zeit". Von 1801 bis 1810 redigierte Minna Spazier das bei Friedrich Wilmanns in Bremen und Frankfurt erscheinende "Taschenbuch der Liebe und Freundschaft", dessen Publikum vor allem aus Frauen bestand. Ihren Bemühungen als Herausgeberin war es zu verdanken, dass darin Originalbeiträge von Goethe, Schiller, Wieland, Herder, Jean Paul, Hölderlin und der Günderrode erscheinen konnten.
Zur Ostermesse 1809 verhandelte Minna Spazier mit dem Verleger F. A. Brockhaus über die Herausgabe eines neuen Taschenbuchs für Frauen mit dem Titel "Urania". Es gelang ihr auch hier, den von ihr betreuten Bänden von 1810 und 1812 ein literarisch hohes Niveau zu verleihen. Als Mitarbeiter für den ersten Band gewann sie unter anderem Jean Paul, Varnhagen, Theodor Körner und Friedrich de la Motte-Fouqué. Der Band für 1812/13 enthielt einen berühmt gewordenen Zyklus von Kupferstichen zu Goethes "Wahlverwandtschaften". Jean Paul und Seume lieferten Beiträge, um sie zu unterstützen. Die von Minna Spazier herausgegebenen Taschenbücher waren Klassiker in diesem Genre. Ihr Sohn Richard Otto Spazier (1803-1854), Schriftsteller und Biograph von Jean Paul, berichtete über das Leben seiner Eltern in Leipzig, ihr Haus in der Neugasse (Poststraße) sei ein Sammelplatz bedeutender Menschen gewesen. Seine Mutter wäre "an Geist, Wissen und Erlebnissen [...] hochstehend" gewesen und an den "Verkehr mit den bedeutendsten Menschen gewohnt".
Auf der Suche nach einem neuen Ehemann unterhielt sie mehrere Liebesbeziehungen zur gleichen Zeit und erlebte bittere Enttäuschungen. Rahel Levin, die im Herbst 1808 zu Besuch in Leipzig war, besuchte die befreundete Minna und berichtete ihrem späteren Ehemann Varnhagen von deren Unglück. Auch F. A. Brockhaus war von Minna bezaubert und verlobte sich 1810 mit ihr. Um sein Geschäft vor Gläubigern zu sichern, ließ er die Firma auf ihren Namen überschreiben. Leider erkrankte Minna 1810 an einem Nervenfieber mit wahnhaften Anfällen und gestand Brockhaus während dieser Zeit ihre früheren Liebschaften. Er sah daraufhin seine Ehre gefährdet, wenn er sie heiraten würde. Den Scheinverkauf musste Brockhaus auf Drängen von Minnas Vater wieder rückgängig machen.
Nach einer Tätigkeit als Lehrerin in Neustrelitz zog Minna 1816 mit ihren Töchtern Emma (später verheiratete Legler) und Minona (später verheiratete Abeken) nach Dresden, wo sie den Hof-Orgelbauer Johann Andreas Uthe (1778-?) kennenlernte und heiratete. Als Helmina von Chézy ihr diese Verbindung mit einem nicht so hoch gebildeten Mann vorhielt, soll sie gesagt haben: "Mein Elend war so trostlos, dass ich allenfalls auch einen Karrenschieber genommen hätte." Für eine verwitwete Frau jener Zeit war eine Heirat unter Stand wohl immer noch besser als eine unsichere Tätigkeit als Lehrerin oder Gouvernante. In Dresden fand Minna wieder die Kraft, sich literarisch zu betätigen. Sie gab 1819 eine Anthologie "Sinngrün" mit Werken von Frauen heraus, zu der Jean Paul den Aufsatz "Vom Immergrün der Liebe" beisteuerte.
In den letzten Jahren führte Minna ein stilles Leben an der Seite ihres zweiten Mannes. 1825 starb sie nach schwerer Krankheit, noch nicht 48-jährig.
Werke
- Biographische Aufsätze, Gedichte und andere Beiträge für verschiedene Zeitschriften: Zeitung für die elegante Welt, Morgenblatt für gebildete Stände, Dresdner Abendzeitung, Journal für deutsche Frauen.
Herausgaben:
- Taschenbuch der Liebe und Freundschaft gewidmet. Bremen; Frankfurt, Wilmanns 1801-1810.
- Urania. Taschenbuch. Amsterdam: Kunst- und Industriecomptoir 1810 und Leipzig, Brockhaus 1812/13.
- Sinngrün, eine Folge romantischer Erzählungen, mit Teilnahme Jean Paul Friedrich Richters und einiger deutschen Frauen Unterstützung herausgegeben. 2 Bände. Berlin, 1819 und 1820.
Eigene Schriften:
- Spaziers Biographie [Nekrolog]. In: Zeitung für die elegante Welt. 15 (1805), Spalten 114-116 und 16 (1805), Spalten 121-124.
- Briefe eines genialen Frauenzimmers. In: Urania. Taschenbuch. 1810, Seite 261.
- An die drei Freundinnen in A. [Seite 303]. Etwas über Seume. [Seite 312] In: Urania. Taschenbuch. 1812/13.
- Lombardische Sage von einer deutschen Kaiserstochter. In: Cornelia. Taschenbuch für teutsche Frauen. 1821, Seiten 69-102.
- Züge aus dem Leben des römischen Königs Maximilian, eine historische Skizze. In: Frauentaschenbuch auf d. J. 1822 (Band 8).
Übersetzungen:
- Briefe, Charaktere und Gedanken des Prinzen Carl von Ligne. Leipzig: Kunst und Industrie-Comptoir 1812.
- Briefe der Lespinasse. Aus dem Französischen übersetzt. 2 Teile. Elberfeld, 1810.
Adressen in Leipzig
- 1800-1804: Vor dem Petersthore, An der Wasserkunst 787
- 1804-1805: Neugasse (Poststraße)
- 1809 wurde im Sommer ein Landhaus in Lindenau bewohnt, an der Dorfstraße/ Frankfurter Straße.
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Aus dem Leben einer deutschen Dichterin. [Über Helmina de Chezy, Erwähnung von Minna Spazier]. In: Morgenblatt für gebildete Stände. Nummer 22 vom 31 Mai 1857.
- Böck, Dorothea: Im Schatten großer Namen. In: Jahrbuch der Jean-Paul-Gesellschaft. 39 (2004), Seiten 141-164.
- Chezy, Helmina: Unvergessenes. 2 Bände, Leipzig: Brockhaus, 1858.
- Lanckorońska, Maria und Arthur Rümann: Geschichte der deutschen Taschenbücher und Almanache aus der klassisch-romantischen Zeit. Osnabrück 1985.
- Leipziger Zeitung Nummer 63 vom 15.3.1825, Seite 632. [Todesanzeige].
- Lücenay, Joseph von: Minna Spazier [Nachruf]. In: Neuer Nekrolog der Deutschen. Jahrgang 3 (1825), 2. Heft, Seiten 1370-1372. Ilmenau : Voigt 1827.
- Müller, Hans von: E. T. A. Hoffmann und Jean Paul. Ihre Beziehungen zu einander und zu gemeinsamen Bekannten. Köln 1927.
- Österreichische Wochenschrift für Wissenschaft und Kunst. Band 1 (1872), Seiten 862.
- Spazier, Richard Otto: Aus meinem Leben. In: Literatur-Blatt. Herausgegeben von Anton Edlinger. Wien 3 (1879), Seiten 228-236.
- Unveröffentlichte Briefe: Museum Lützen, Biblioteka Jagiellońska Kraków, SLUB Dresden, GSA Weimar, DLA Marbach.
Autorin: Sabine Knopf, 2016