Studnitzka, Hanna - Leipziger Frauenporträts
Hanna Studnitzka im Atelier © Passage-Verlag Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Kunst
geboren/ gestorben
17. August 1927 (Dux, heute: Duchcov) - 30. August 2006 (Leipzig)
Zitat
"Realismus ist meine Ausdrucksform, da kann ich [...] dem Ton oder Stein Lebendigkeit verleihen."
(In: Hanna Studnitzka, Leipzig 1988, Seite 8)
Kurzporträt
Mit der Porträtstatuette, der Büste, dem Bildnis und der Figurengruppe ergründete die Bildhauerin Hanna Studnitzka charakteristische menschliche Eigenschaften, um alle Erfahrungen an Freude, Schmerz, Leid einzubringen. Einige Werke schuf sie für den öffentlichen Raum.
Herkunftsfamilie
Der Vater war Buchbindermeister und führte in Dux ein Papiergeschäft mit eigener Kartonagenherstellung.
Biografie
Hanna Studnitzka wurde am 17. August 1927 im böhmisch-tschechischen Dux (Duchcov) geboren, in der Nähe von Teplitz, wo sie 1941 bis 1944 die Fachschule für Keramik besuchte. Nach dem II. Weltkrieg arbeitete sie in keramischen Werkstätten und in der Landwirtschaft. Von 1947 bis 1951 studierte sie an der Leipziger Kunstgewerbeschule, war danach freischaffend und bildete bald für einige Jahre eine Ateliergemeinschaft mit der Tierbildhauerin Elfriede Ducke (1925-2015).
Gemeinsam schufen sie eine Reihe von Kunstwerken für den öffentlichen Raum Leipzigs. Dazu gehören das Relief "Völkerfreundschaft" in der Jahnallee (1951), der Brunnen mit drei tanzenden Kindern und den (leider verschwundenen) Wasservögeln im Wohnhof zwischen Katharinen- und Reichsstraße (1964) sowie die neuen Figuren für den im Krieg lädierten Märchenbrunnen am Dittrichring (1965). Die Zusammenarbeit, die in den 80er Jahren endete, umfasste auch die Produktion von Figuren und Gefäßen als glasierte Keramik und Terrakotta. Diese Techniken förderten das Experimentieren mit Material und Bildgestalt, was mit Verkörperungen der Stummen Katrin oder des Struwwelpeters burlesk und voller Expressivität realisiert wurde.
Von Hanna Studnitzka allein folgten "Die Lesende" für den Clara-Zetkin-Park (1965) sowie ein Relief mit dem Konterfei Ernst Schnellers für eine Schule und Porträtbüsten der nationalsozialistischen Widerstandskämpfer Werner Seelenbinder für die DHfK und Georg Sacke für die nach ihm benannte Klinik. Die Wiederaufstellung des restaurierten Sacke-Denkmals an alter Stelle erlebte die Bildhauerin noch im Oktober 2004 und freute sich, dass es "nicht vergessen und nun sogar erneuert wurde". (LVZ vom 01.11.2004). Ein Bronze-Relief mit dem Konterfei Bruno Plaches für das nach ihm benannte Stadion in Probstheida ehrte diesen mutigen Mann.
Die aus dem Stein herausgeschlagene geschlossene Form entfaltet eine reiche Oberflächenstruktur und ein detailliertes Innenleben. Die Teilnahme am 1. Leipziger Bildhauerpleinair 1979 ermöglichte es der Künstlerin, die ebenfalls lebensgroße Sandstein-Figur eines Bauarbeiters für Grünau zu schaffen.
Nicht in Heldenpose steht er vor einem Gerüst, alltäglich ist er, untersetzt wirkt er. Die lebensgroße Skulptur aus rotem Sandstein (1983) - eine sitzenden Frau, die schützend ein Kind zwischen Beinen und alles umfassenden Armen hält -, wurde 1992 der Behindertenwerkstatt der Arbeiterwohlfahrt in Leipzig übergeben, nachdem sie vier Jahre zum Plastikpark zwischen Thomaskirche und Petersstraße gehört hatte.
Studnitzkas Bildnisse besitzen Sensibilität und Menschlichkeit in hohem Maß. So sah sie in Rosa Luxemburg und später in Ida Dehmel seelisch reiche Personen, denen sie in empfindsamen Büsten Ausdruck verlieh. "Wenn ich ein Porträt gestalte", sagte sie, "bin ich mir der Verantwortung dem Darzustellenden gegenüber bewusst. Erst nach intensiver Einsicht in Literatur und Abbildungen, nachdem so eine geistige Konzeption Gestalt angenommen hat, beginne ich in Ton oder Stein frei zu arbeiten." (H. Studnitzka, 1988, Seite 6) In dieser Verantwortung sah sie sich auch sich selbst gegenüber. Die verschiedenen Porträtbüsten (1943, 1952, 1981, 1982, 1984), etwa lebensgroß, aber nur in Gips ausgeführt, ohne und mit Brille, belegen es, wobei das Augenglasmotiv in die plastische Form zu integrieren, eine besondere Herausforderung bedeutete, was der Bronzekopf des Argus von 1995 eindrucksvoll belegt.
Mit ihrer Vorliebe für die Darstellung menschlicher Gestalten und Physiognomien stand Hanna Studnitzka in der Tradition ihrer Lehrer und Vorgänger. Indem sie ihren eigenen Stil, ihre Kunstsprache entwickelte, konnte sie, ohne sich zu verbiegen oder anzugleichen, den Vorgaben der DDR Kulturpolitik entsprechen. Von Anbeginn reizte es sie, Personen in ihrer sozialen Bestimmtheit sichtbar und greifbar zu machen, von den Bäuerinnen, Kindern, Müttern, Großmüttern, der Afrikanerin und dem Afrikaner, der Wäscherin, der Lesenden bis hin zum Bauarbeiter. Besonders beeindruckend, deshalb auch in verschiedenen Sammlungen vertreten, sind die Statuetten bedeutender Frauen in Aktion: Helene Weigel als Mutter Courage und die singende Claire Waldoff.
Den aufwändigen und teuren Bronzeguss kultivierte sie in den 80er/90er Jahren so, dass ihre Skulpturen eine glatte, glänzende, fast goldene "Haut" erhielten. Das betonte für die Torsi Bedeutung und Geschlossenheit der Form. Im Unvollendeten das Vollendete zu antizipieren eröffnete neue Sichtweisen. So entstanden in den 90er Jahren durch diese Technik Arbeiten, die melancholisch bis sarkastisch die "Zeitenwende" begleiten: In ihrem Strahlenglanz verfinstert die Sonne eine Gesichtshälfte. Unter dem Gewicht des von Schuh bis Helm gepanzerten "Finanzgewaltigen" stirbt jede Kreatur und "Argus" schaut traurig durch das Vergrößerungsglas auf die Welt.
Werke
- Bär, 1955, Kunststein, Kinderkrippe Brandis
- Porträt-Relief Ernst Schneller, 1958, Bronze, 80 x 40 Zentimeter, für Ernst-Schneller-Schule
- Lesender Arbeiter, 1959, Bronze, 55 x 25 x 35 Zentimeter
- Hausfrau, 1960, Bronze, 33 x 10 x 10 Zentimeter
- Messe gestern - heute, 1961/63, Kalkstein-Relief, 400 x 600 Zentimeter, für Messehaus am Markt, Leipzig
- Lesende, 1965, Sandstein, lebensgroß; Clara-Zetkin-Park Leipzig
- Oma und Enkelin, 1965, Terrakotta, 52 x 30 x 35 Zentimeter
- Helene Weigel als "Mutter Courage", 1965/1966, Bronze, 39,6 x 15,5 x 12,6 Zentimeter, Museum der bildenden Künste Leipzig
- Marktfrau aus Brasow, Terrakotta; 1968, 28 x 14 x 17 Zentimeter
- Porträt E.B. Aus Constanta, 1969, 30 x 22 x 28 Zentimeter
- Rumänische Bäuerin, 1969, Terrakotta, 52 x 22 x 38 Zentimeter
- Bulgarischer Dudelsackpfeifer, 1969, Terrakotta, 62 x 24 x 24 Zentimeter
- Dr. phil. Georg Sacke, 1970, Bronze, 53 x 35 x 35 Zentimeter, für Georg-Sacke-Klinik
- Pablo Neruda, 1972, Terrakotta, 45 x 18 x 15 Zentimeter
- Athlet, 1973, Bronze, 42x12x8 Zentimeter;Claire Waldoff, 1973, Bronze, 40 x 14 x 14 Zentimeter
- Afrikanische Mutter, 1974, Bronze, 34 x 8 x 8 Zentimeter
- Erster Schultag, 1974, Bronze, 28 x 9 x 7 Zentimeter
- Kind mit Puppe; Bronze, 35x12x20 Zentimeter
- Werner Seelenbinder, 1975, Bronze, 65 x 38 x 45 Zentimeter, für Deutsche Hochschule für Körperkultur (DHfK) Leipzig
- Junges Paar, 1976, Bronze, 30 x 14 x 12 Zentimeter
- Bauarbeiter, 1979, 175 Zentimeter, Sandstein, für Leipzig-Grünau
- Familie, 1979, roter Sandstein, 68 x 40 x 35 Zentimeter
- Liegende, 1980, Sandstein, 17 x 28 x 12 Zentimeter
- Weiblicher Torso, 1980, Bronze, poliert, 25 x 15 x 11 Zentimeter
- Torsi-Gruppe, 1980/82, Bronze, poliert, 28 x 26 x 14 Zentimeter
- Weiblicher Torso, 1981, Terrakotta, 32 x 20 x 17 Zentimeter
- Struwwelpeter, 1981, Keramik, 28 x 20 x 15 Zentimeter
- Männlicher Torso, 1982, Bronze poliert, 28 x 14 x 9 Zentimeter
- Mutter, 1983, roter Sandstein, 70 x 50 x 45 Zentimeter
- Rosa Luxemburg, 1984, Bronze, 32,9 x 22,5 x 26,9 Zentimeter, Museum der bildenden Künste Leipzig
- Erlebnis Baustelle, 1985, Materialkollage, 40 x 45 Zentimeter
- Stumme Katrin, 1985, Terrakotta, 10 x 9 x 10 Zentimeter
- Bruno Plache, 1986/87, Bronze-Relief, 80 x 63 Zentimeter, für B.-Plache-Stadion Leipzig
- Zeitenwende, 1991, Bronze, 40 Zentimeter hoch
- Finanzgewaltiger, 1993, Bronze, 37 x 12 x 10 Zentimeter
- Argus, 1995, Bronze/Glas, 42 x 25 x 25 Zentimeter
- Ida Dehmel, 2001, Terrakotta, 29,5 x 23 x 25 Zentimeter
Adressen in Leipzig
- 1960-1984: Ateliergemeinschaft mit Elfriede Ducke in der Demmeringstraße
- ab 1986: Dieskaustraße 13 (Atelier)
- 19?-1995: Lützner Straße 75
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Der Verband Bildender Künstler stellt aus: Grafik, Zeichnungen, Aquarelle, Klein-Plastik. Museum der bildenden Künste 1952. Herausgeber: Verband Bildender Künstler. Leipzig 1952.
- Kunstausstellung Leipzig 1953. Herausgeber: Verband Bildender Künstler. Leipzig 1953.
- Kunstausstellung Bezirk Leipzig. Bezirkskunstausstellung 1954. Herausgeber: Verband Bildender Künstler. Leipzig 1954, Seite 13.
- Bezirkskunstausstellung Leipzig 1955. Herausgeber: Verband Bildender Künstler. Leipzig 1955. Seite 12.
- Kunstausstellung Leipzig 1956. Herausgeber: Verband Bildender Künstler. Leipzig 1956.
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- (Katalog) 6. Kunstausstellung 1961 des VBKD Bezirk Leipzig. Herausgeber: Verband Bildender Künstler. Leipzig 1961.
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- (Katalog) 8. Kunstausstellung Bezirk Leipzig. (Herausgeber: Rat des Bezirkes Leipzig, Verband Bildender Künstler Leipzig). 1972, Seite 34.
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- Walter Hertzsch: Porträtstatuette "H. Weigel". Seemann-Kunstkalender, Leipzig 1974
- Leipziger Gegenwartskunst in Kiew. Leipzig 1976 (in Russisch).
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- Magdalena George: Bildnis Rosa Luxemburg. In: Texte - Werke der 11. Kunstausstellung des Bezirkes Leipzig 1985.
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- GETRENNT VEREINT- Künstlerinnen aus Leipzig, Hannover, Hamburg, Lübeck, München stellen sich vor. Herausgeber GEDOK Leipzig/Sachsen e.V., Frauen-Anstiftung Hamburg. Leipzig 1994.
- GEDOK Leipzig/Sachsen e. V.: Katalog 1995, Seiten 71/72.
- Ute Camphausen: Die Leipziger Kunstgewerbeschule. Herausgeber von Olaf Thormann. Leipzig: Faber & Faber 1996, Seite 222.
- Museum der bildenden Künste Leipzig - Katalog der Bildwerke. Herausgeber Von Herwig Guratzsch. LETTER Schriften Band 11. 1999, Seite 299.
- Behaust - unbehaust (Kalender für 2002). Herausgeber: GEDOK Leipzig/Sachsen e. V. 2001.
- Angelika Raulien: Sanierte Büste erinnert wieder an Georg Sacke; LVZ vom 01.11.2004.
- Bert Endruszeit: Ein Leben für die Plastik. LVZ vom 04.05.2007, Seite 3.
- Verdichtet - was war - was ist - was wird sein. 20 Jahre GEDOK, Teil II, Herausgeber: GEDOK Leipzig/Sachsen 2011, Seite 56, 65.
Autorin: Rita Jorek, 2015