Ulich-Beil, Else (Dr. phil., geborene Beil) - Leipziger Frauenporträts
Dr. phil. Else Ulrich-Beil, Illustrierte Zeitung / Leipzig, Berlin, Wien, Budapest, New York.- Leipzig : Weber 154.1920, Nr. 3998 (vom 12.02.1920) © Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Politik
- Frauenbewegung
- Bildung/ Pädagogik
geboren/ gestorben
30. August 1886 (Elberfeld) - 4. Mai 1965 (Berlin West)
Zitat
"Nichts fiel mir so schwer zu ertragen wie Zwang in geistigen Dingen." (1961)
Kurzporträt
Dr. phil. Else Ulich-Beil wirkte als Verwaltungsleiterin der Hochschule für Frauen und hinterließ in der Weimarer Republik als Sozialpolitikerin, liberale Abgeordnete im Sächsischen Landtag und in der Führung der deutschen Frauenbewegung ihre Spuren. Nach 1945 setzte sie sich im Westen Deutschlands für den Wiederaufbau der Frauenorganisationen ein.
Herkunftsfamilie
- Vater: Heinrich Beil (1849-1892), Verlagsredakteur in Elberfeld
- Mutter: Emilie (Mila), geborene Falkenberg, nach dem Tod ihres Mannes führte sie eine Pension
- Schwester: Ada (1881-1947), Lehrerin, verheiratet mit einem Industriellen aus dem Rheinland
Biografie
Else Beil wuchs in einem bürgerlichen Haushalt evangelisch-reformierter Konfession in Elberfeld im Bergischen Land (Preußen) auf. Ihre ältere Schwester Ada und sie sollten eine standesgemäße Ausbildung erhalten und sich als Lehrerinnen ihre wirtschaftliche Existenz sichern können. Nach der Höheren Mädchenschule (1902) absolvierte sie deshalb das Elberfelder Lehrerinnenseminar Ostern 1905 mit sehr gutem Erfolg. Als junge Volksschullehrerin rieb sie sich an erstarrten pädagogischen Schemata. Sie quittierte den Schuldienst, gab Privatstunden und bereitete sich zielstrebig auf die Abiturprüfung vor, die sie 1909 als Externe 23-jährig hervorragend bestand. Die erfolgreiche Bewerbung um das "Jubiläumsstipendium der Stadt Elberfeld", in der sie als Berufswunsch "Schriftstellerin" angab, ermöglichte den Studienstart. Nach zwei Semestern an der Münchner Universität (alte Sprachen, Geschichte, Philosophie, Germanistik) schrieb sie sich 1910 in Leipzig ein. Noch 50 Jahre später schwärmte Else Beil vom Studium in Leipzig besonders vom Lamprechtschen Institut für Kultur- und Universalgeschichte, von Professor Alfred Doren und von Professor Karl Lamprecht selbst.
Als Stipendiatin der vom Allgemeinen Deutschen Frauenverein (ADF) verwalteten Ferdinand-und Louise-Lenz-Stiftung zur Unterstützung von Studentinnen war Else Beil verpflichtet, Mitglied der Ortsgruppe des ADF zu sein, fühlte sich dort aber "nicht sonderlich berührt". Der Literaturhistoriker und Theaterwissenschaftler Professor Albert Köster war ihr Doktorvater. Ihre Arbeit "Zur Entwicklung des Begriffs der Weltliteratur" wurde mit "Note 2" angenommen, die mündliche Prüfung in Deutsch, Geschichte und Philosophie absolvierte sie am 20. November 1914 mit jeweils "Eins". Sie erwarb außerdem die Lehramtsbefähigung für Gymnasien (Deutsch, Geschichte, Latein) - ihrer Mutter zuliebe, denn eine Schulkarriere strebte sie nicht an.
Unversehens fand sich das junge Frl. Dr. phil. auf Empfehlung von Professor Doren als Verwaltungsleiterin der von Henriette Goldschmidt gegründeten Hochschule für Frauen in Leipzig wieder. Ihr Vorgänger, Doktor Pflüger, war zum Kriegsdienst eingezogen worden. 1915 stellte sie auf diesem Posten Führungsqualitäten und Organisationstalent unter Beweis, hielt außerdem Vorlesungen zur Geschichte der nationalen und internationalen (!) Frauenbewegung an dieser Einrichtung. Im Oktober 1915 auf der Jubiläumstagung des ADF in Leipzig beeindruckte Gertrud Bäumer (1873-1954) als Vorsitzende des Bundes Deutscher Frauenvereine (BDF) Else Beil so stark, dass sie deren Anhängerin und in der Frauenbewegung aktiv wurde.
1915 geriet Else Beil in die Diskussion um eine Umgestaltung der Hochschule für Frauen in eine sozialpädagogische Fachschule und hatte daher kein einfaches Verhältnis zur greisen Henriette Goldschmidt. Sie war deshalb froh, 1916 an der Universität, im neu gegründeten Forschungsinstitut für Kultur- und Universalgeschichte, das auf die Initiative des 1915 verstorbenen bekannten Historikers Professor Karl Lamprecht zurückging, arbeiten zu dürfen. Ende 1916 verhinderte der Krieg die weitere Arbeit an Habilitationsthema und akademischen Aufstieg.
Else Beil wurde von Gertrud Dumstrey-Freytag, Vorsitzende der Ortsgruppe Leipzig des ADF, und von Leonore Zimmermann vom Nationalen Frauendienst Leipzigs für die Leitung des neugeschaffenen Frauenreferates beim Kriegsamt in Leipzig gewonnen. Sie stellte sich wie die Mehrheit der Frauen voll in den Dienst der "Vaterlandsverteidigung" und sorgte dafür, dass über 10.000 sächsische Arbeiterinnen nach Ostpreußen in die Landwirtschaft gingen und weitere Arbeitskräfte für Rüstungsfabriken gewonnen wurden. Unter ihrer Verantwortung kamen Frauen aus dem Einzugsgebiet des Leipziger Kriegsamtes zum Hilfsdienst als Telefonistinnen, Maschinenschreiberinnen, Köchinnen und so weiter in besetzte Gebiete Belgiens und Polens. Andererseits erwarb sie sich in der staatlichen Sozialfürsorge der Kriegszeit sachsenweit einen Namen unter anderem durch die Organisation der medizinischen Säuglings- und Kinderfürsorge, Einrichtung von Kinderbetreuung und Werkskantinen sowie Schulungskursen für Pflegerinnen.
Am 6. Dezember 1918 heiratete sie ihren ehemaligen Kommilitonen Robert Ulich, der im Leipziger Adressbuch von 1920 als Bibliothekar aufgeführt wird, standesamtlich in Leipzig-Gohlis und nannte sich fortan Ulich-Beil. Aufgrund ihrer besonderen Reputation bei der Organisation der Sozialfürsorge in Leipzig und Teilen Sachsens bekam sie das Angebot, als Regierungsrat in das Sächsische Innenministerium einzutreten und zog 1920 nach Dresden. Sie war verantwortlich für den Aufbau des Landesamtes für Wohlfahrtspflege, für die Mütterberatungsstellen und nicht zuletzt für einheitliche Ausbildungs- und Prüfungspläne der staatlich anerkannten Wohlfahrtsschulen in Sachsen. Somit setzte sie auch die Umgestaltung der Leipziger Hochschule für Frauen - die sie noch aus der Innensicht von 1915 kannte - in das Sozialpädagogische Frauenseminar Leipzig durch.
Als Mitglied der Demokratischen Partei (DDP) kandidierte sie 1919 zunächst vergeblich im Wahlkreis Leipzig für den Sächsischen Landtag, rückte aber Anfang 1920 für einen schwer erkrankten Abgeordneten nach. Aufrecht demokratisch und liberal engagierte sie sich als Beamtin bis 1924 und als Abgeordnete 1920 sowie 1926 bis 1929 in der Sozialpolitik Sachsens.
Von Helene Lange (1848-1930) zum Vorsitz des ADF nach dem Krieg auserkoren, lehnte sie dies ab, engagierte sich aber im Stadtbund Dresdner Frauenvereine, wirkte als langjährige stellvertretende Vorsitzende des ADF, als Mitglied des Gesamtvorstandes und 1931 bis 1933 des engeren BDF Vorstandes sowie international auf Tagungen des Weltbundes für staatsbürgerliche Frauenarbeit. Sie trat deutschnationalen, nationalsozialistischen und antisemitischen Positionen in der Frauenbewegung entgegen. Nun ohne Landtagsmandat wirkte Else Ulich-Beil von 1929 bis 1933 umfangreich gestaltend beim Aufbau der Staatlichen Wohlfahrtsschule Dresden-Hellerau, die aus der ehemaligen privaten "Sozialen Frauenschule" von Dr. Lotte Schurig hervorging.
Familiärem Glück (unter anderem Geburt ihrer Söhne Pitter 1923 und Konrad Heinrich 1924) folgte 1929 die Scheidung von Robert Ulich, der später Elsa Brändström (1888-1948) heiratete und mit dieser 1934 in die USA ins Exil ging. Else Ulich-Beil hingegen erhielt von den Nationalsozialisten 1933 absolutes Berufsverbot. Erst nach Kriegsbeginn und dem damit einhergehenden Lehrermangel durfte sie das unpolitische Fach Latein unterrichten. Im Zweiten Weltkrieg verlor sie einen Sohn; sie wurde "ausgebombt", wobei auch der Nachlass der langjährigen BDF-Vorsitzenden Marie Stritt (1855-1928), den Else Ulich-Beil verwahrte, verbrannte.
Vom Ende der 40er-Jahre bis zu ihrem Tod 1965 half sie im Westen Deutschlands Frauenorganisationen aufzubauen, war zeitweise Vorsitzende des Deutschen Staatsbürgerinnen-Verbandes und des Deutschen Frauenrings, knüpfte erneut internationale Kontakte und wurde 1956 für ihr Lebenswerk mit dem Großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Werke
- Zur Entwicklung des Begriffs der Weltliteratur, Leipzig 1915 (zugleich Dissertation Universität Leipzig).
- Dritte Generation. September 1923: Für Gertrud Bäumer, herausgegeben von Hilde Lion, Irmgard Rathgen und Else Ulich-Beil, Berlin 1923.
- Vom Wesen des Politischen, in: Vom Gestern zum Morgen: Eine Gabe für Gertrud Bäumer, Berlin 1933, Seiten 90-101.
- Ich ging meinen Weg. Lebenserinnerungen. Berlin-Grunewald 1961.
Adressen in Leipzig
- 1910-1911: Brandvorwerkstraße 59
- 1911: Sebastian-Bach-Straße 25
- 1911: Floßplatz 13
- 1912: Wiesenstraße 14
- 1916: Davidstraße 1b (alle vorgenannten Adressen laut Quästurkartei der Universität zur Untermiete)
- 1919-1920: Lothringer Straße (seit 1950: Coppistraße) 88 II in Leipzig-Gohlis
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Eckardt, Uwe: Else Ulich-Beil, Gerda Alexander, Ingrid Bauert-Keetman. Anmerkungen und Materialien zu drei fast vergessenen Wuppertalerinnen, in: Geschichte im Wuppertal, Jahrgang 9, 2000, Seiten 138-143.
- Festschrift Henriette-Goldschmidt-Schule 1911-2001. Mit Texten von Annerose Kemp und Doktor Eberhard Ulm, Leipzig 2011.
- frauenwiki-dresden.de (zuletzt abgefragt 10.08.2015).
- Koch, Marlies: Else Ulich-Beil, in: Frauen in Dresden, herausgegeben von der Gleichstellungsstelle Dresden, Dresden 1994, Seiten 115-116.
- Spranger, Eduard: Die Idee einer Hochschule für Frauen und die Frauenbewegung, Leipzig 1916
- Universitätsarchiv Leipzig: Quästurkartei: Beil, Else und Dr. phil. Beil, Else (2 Karteikarten ohne Blattzählung)..
- Universitätsarchiv Leipzig: Einträge in den Protokollbüchern der Studien- und Sittenzeugnisse , Rep. I/XVI/VII/C 75 Band 2.
Autor: Heiner Thurm, 2015