Voigt, Elisabeth - Leipziger Frauenporträts
Elisabeth Voigt © Volkmar Herre Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Kunst
- Bildung/ Pädagogik
geboren/ gestorben
5. August 1893 (Leipzig) - 8. November 1977 (Leipzig)
Zitat
"[...] ein prächtiges Thema - nur voller Widersprüche. Graugrün der allgemeine Ton - das rote Fähnchen (ich benötige diesen Farbfleck) und lächelnde Gesichter bei all dem Jammer [...]"
(In einem Brief an Arnd Schultheiß vom 14.5.1974 über ihr Gemälde "Demonstration")
Kurzporträt
Elisabeth Voigt, die erste Kunstprofessorin in Leipzig, ist Schöpferin eines meist expressiven bis expressionistischen grafischen und malerischen Werkes, das seismografisch und eigenwillig die Zeitereignisse zwischen den 20er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts reflektiert und die Leipziger Kunstentwicklung entschieden beeinflusste.
Biografie
Als bedeutende Grafikerin und Malerin war Elisabeth Voigt die erste Kunstprofessorin in Leipzig. Sie wuchs hier in einer bürgerlichen Familie auf, konnte zehn Jahre lang eine Privatschule besuchen und 1914 mit der Familie nach Philadelphia (USA) übersiedeln. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges und finanzielle Schwierigkeiten erzwangen bald die Rückkehr nach Leipzig. Erst 1920 begann Elisabeth Voigt ihre künstlerische Ausbildung an der Akademie für graphische Künste Leipzig, um sie dann, zunächst gegen den Willen des Vaters, an der Hochschule für bildende Künste in Berlin-Charlottenburg bei Karl Hofer fortzusetzen. Sie war Meisterschülerin von Käthe Kollwitz an der Preußischen Akademie der Künste zu Berlin, als sie 1930 vom Leipziger Alten Theater Aufträge für Bühnenbilder erhielt; überliefert sind jene für "Was ihr wollt" und "Lukretia" von William Shakespeare, für "Die Hermannsschlacht" von Heinrich von Kleist und "Die Ehe" von Alfred Döblin. (Siehe auch Marianne Rohland)
Strenge und Klarheit im Werk von Hofer und Kollwitz, ihr Engagement und ihre Haltung beeinflussten die junge Künstlerin, die als Ziel ihres Wirkens in den Wirren der Weimarer Republik und des heraufziehenden Nationalsozialismus die "Suche nach Menschenwürde" (zitiert bei E.-M. Hoyer) betrachtete.
Für die Holzschnittfolge "Werwolf" nach Hermann Löns, in der Elisabeth Voigt Tod, Mord, Grauen und Selbstbehauptung inmitten von Chaos und Not im Dreißigjährigen Krieg darstellte, erhielt sie 1933 den Dürerpreis. Ihre Grafik und auch die Malerei traten durch Spannungsreichtum und Furiosität hervor, die aus ihrer Liebe zur Renaissance (Dürer, Grünewald, El Greco) erwuchsen, sich mit zeitgenössischen Strömungen vom Jugendstil bis hin zum Expressionismus und zur französischen Moderne verschmelzend in manchem auch dem nationalsozialistischen Geschmack entsprachen. Ihr Blick auf die Welt war scharf und kompromisslos, wenn sie beispielsweise die Verkündigung als eine vom Himmel gesandte Katastrophe zeichnete. Sensibilität und Nüchternheit verbinden sich in ihren Mutter-Kind-Bildern. Für "Beweinung am Kreuz" gewann sie schon 1921 ein Liebermann-Stipendium, das ihr Studienaufenthalte in Italien ermöglichte. Der Rompreis von 1934/35 garantierte ihr Leben und Arbeit in der Villa Massimo. 1932 wurde sie Mitglied im Verein Berliner Künstlerinnen und zeitweise Lehrerin an dessen Zeichen- und Malschule.
Berufsverbote und Verunglimpfungen ihres Schaffens trafen Käthe Kollwitz, Karl Hofer und viele andere Künstler nach 1933. Die junge Malerin blieb dagegen im Kunstbetrieb integriert. In Kals bei Lienz entstanden sachliche und poetische Landschaften, Porträts, stilisiert und in farbenfrohen Trachten sowie eloquente Genreszenen, Gestaltungen, die teilweise nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges abgewandelt wiederkehrten. Durch Bombardements wurde ihr Berliner Atelier zweimal zerstört, und ein großer Teil ihrer Bilder ging verloren. So kam sie 1945 fast ohne Hab und Gut in ihr Leipziger Elternhaus zurück.
Den Schrecken des Krieges hatte sie 1944 in ihren Zeichnungen vom Berliner Luftschutzkeller Gestalt gegeben, so in dem Pietamotiv vor verzweifelten, verängstigten Frauen und Kindern - eine Anklage, wie sie später auch Henry Moore formulierte. Totenkopfbilder von Tier und Mensch werden zur Reminiszenz an das unfassbare Geschehen, das in dem Selbstbildnis im zerstörten Raum mit dem Titel "Illusion" gipfelt. Bert Brechts "Mutter Courage" bot schlüssige Metaphern zum Krieg, zum Leid von Frauen und Kindern. Elisabeth Voigts farbige Zeichnungen in geometrischen fließenden Formen führten die sich ausweitende bildkünstlerische Rezeption dieses Dramas in der Grafik an. Mit der Trommlerin nahm sie ein früheres Motiv auf. Dem folgten die farbigen Zeichnungen des Jeremias-Zyklus, der den expressiven Furor des Frühwerkes mit den erworbenen gestalterischen Kräften vereint. Ihr Schöpfertum findet in den Zeichnungen der "Leeren Stühle" als Metapher für Einsamkeit oder in neuen Totentanzszenen einen erschütternden Höhepunkt.
1946 wurde Elisabeth Voigt Professorin an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Ihre Schüler betrachteten ihre von Experimentierfreude geprägten Lehrmethoden, ihre Korrekturen, ihre Aufmunterungen und Zusprüche als Alternative in jener von ideologischer Bevormundung geprägten Zeit. Mit ihren Kunsterfahrungen aus den 1920er Jahren stellte sie sich den dogmatischen Vorstellungen der sich etablierenden Kulturpolitik entgegen. Ein zusätzlicher Lehrauftrag am Institut für Kunsterziehung der Universität Leipzig entlastete ihre Situation an der Hochschule, brachte mit neuen Schülern neue Anerkennung. 1952 folgte die Emeritierung.
"Demonstration" heißt ein letztes Gemälde, "[...] ein prächtiges Thema", sagte sie dazu. 1953 entstanden, wurde es zu einem "um Jahre voraus und zurückweisendes Dokument" (Arnd Schultheiß), das in drei Gestalten Antike, Christentum und französische Revolution symbolisiert. Auf der Neunten Leipziger Kunstausstellung 1974 wurde es ausgestellt.
Das Werk der Künstlerin ist, sofern es erhalten blieb, in Museen und in Privatbesitz zerstreut und bezeugt ihren großen Einfluss auf die Leipziger Kunstentwicklung.
Werke
- 1921: Beweinung am Kreuz, Öl, Museum der bildenden Künste Leipzig
- 1923: Flötenspieler im Musenhain, Holzschnitt
- 1925: Mutter und Kind, Öl, Museum der bildenden Künste Leipzig
- 1926: Selbstbildnis mit Apfel, Holzschnitt
- 1929: Selbstbildnis, Öl
- 1929: Straßenkampf, farbige Zeichnung, Lindenau-Museum Altenburg
- 1931: Bildnis Dr. Marie Schütte, Holzschnitt
- 1933: Werwolf, Holzschnittzyklus
- 1934: Römisches Mädchen mit Kind, Kreidezeichnung, Folkwang-Museum Essen
- 1943:: Kalser Mädchen mit Hut, Kohlezeichnung, Staatliches Museum Braunschweig
- 1943: Tiroler Bauernvesper, Öl, Replik von 1946 im Museum der bildenden Künste Leipzig
- 1944: Heuernte in Kals, Öl
- 1944: Berliner Luftschutzkeller, Kohlezeichnung
- 1944/1961: Der rote Stier, Öl, Museum der bildenden Künste Leipzig
- 1945: Mädchen mit Krapfenschnapper, Öl
- 1945/1946: Lampenputzerin, Öl
- 1946/1947: Verlorene Illusionen, Öl
- 1947/1948: Drei Trommler (Weckruf), Öl, Museum der bildenden Künste Leipzig
- 1948: Maschinenmann, Öl, Museum der bildenden Künste Leipzig
- 1950: Vanitas, Öl, Museum der bildenden Künste Leipzig
- 1952: Brecht-Zyklus zur "Mutter Courage", farbige Zeichnungen
- 1953: Demonstration (unvollendet), Öl, Privatbesitz
- 1955: Raumsprengung, farbige Zeichnungen
- 1955: Frühling II (unvollendet), Öl, Museum der bildenden Künste Leipzig
- 1956/1957: Geschwister (Die Mißvergnügten), Öl, Museum der bildenden Künste Leipzig
- 1956: Leere Stühle, farbige Zeichnung, Lindenau-Museum Altenburg
- 1958: Jeremias-Zyklus, farbige Zeichnungen
Adressen in Leipzig
- 1898-1922: Brockhausstraße 22
- 1945 bis ans Lebensende 1977: Brockhausstraße 22
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- Grab auf dem Südfriedhof
- Gemälde, Zeichnungen, Grafiken und der unbearbeitete Nachlass befinden sich im Museum der bildenden Künste
- Gedenktafel am ehemaligen Wohnhaus Brockhausstraße 22 seit 21.08.2013, zum 120. Geburtstag der Künstlerin, vom Kulturamt enthüllt
- 2013 auch von Rainer Behrends kuratierte Ausstellung in der Bethanienkirche Schleußig "Individualität - Humanismus - Unabhängigkeit"
- 03.02.-07.05.2017 Ausstellung "Elisabeth Voigt. Im Strudel der Zeit" zum 40. Todesjahr, Kunsthalle der Sparkasse Leipzig
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Auguste von Oertzen, Die künstlerisch schaffende Frau. In: N.S. Frauenbuch, München 1934.
- Deutsche Graphikschau. Leipzig 1935 und 1936, Kataloge.
- Große Leipziger Kunstausstellung 1935/36 und 1942, Kataloge (Abbildung).
- Erste Leipziger Graphikschau 1947.
- Ein Jeremias-Zyklus von Elisabeth Voigt. Berlin 1960.
- Hans Vollmer, Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler, Band 1961.
- Helmut Scherf: Elisabeth Voigt. Bildnis einer Künstlerin. Union Verlag Berlin 1962.
- 500 Jahre Kunst in Leipzig, Museum der bildenden Künste Leipzig 1965.
- Hans Bartke, Begegnung mit Elisabeth Voigt. In: Almanach auf das Jahr des Herrn 1966. Hamburg 1966.
- Professor Elisabeth Voigt - Malerei, Grafik. Faltblatt mit Beiträgen von Peter Opitz, Arnd Schultheiß und Klaus H. Zürner. Wort und Werk Leipzig 1968.
- 9. Kunstausstellung des Bezirkes Leipzig 1974, Katalog (Abbildung).
- Eva Maria Hoyer, Elisabeth Voigt. Untersuchungen zur Biographie, zur Malerei und zu ihrem pädagogischen Wirken. Diplomarbeit der Fachrichtung Kunstwissenschaft an der Karl-Marx-Universität Leipzig 1975.
- Günter Meißner, Leipziger Künstler der Gegenwart. VEB Seemann-Verlag Leipzig 1977.
- Arnd Schultheiß, Elisabeth Voigt: Werkbericht (134). Kunst und Kunsthandwerk im Raum der Kirche. Weimar 1979.
- Selbstbildnisse Leipziger Künstler, Katalog 1982 (Abbildung).
- Kunst in Leipzig 1949-84, Museum der bildenden Künste 1984 (Abbildung).
- Elisabeth Voigt 1893-1977 zum Gedenken. Faltblatt zur 318. Ausstellung bei Wort und Werk. Leipzig 1987.
- Sammlungen Handzeichnungen der DDR in der Kunstgalerie Gera 1989, Katalog (Abbildung).
- Karl Max Kober, Die Kunst der frühen Jahre 1945-1949. Leipzig: E.A. Seemann 1989.
- Arnd Schultheiß, Meine Lehrerin Elisabeth Voigt. In: Leipziger Blätter, Heft 17, 1990.
- Barbara Hentschel, Das ambivalente Werk der Elisabeth Voigt - Zu einigen Graphiken nach literarischen Vorlagen. In: Jahresheft 2002. Museum der bildenden Künste Leipzig. 9. Jahrgang.
- Arnd Schultheiß, Die verlorenen Illusionen der Elisabeth Voigt. Gedanken zum 110. Geburtstag der Künstlerin. In: Triangel. Das Radio zum Lesen. Leipzig August 2003.
- Faltblätter des Kunstvereins "Elisabeth Voigt" e. V., gegründet 2010 in Erkner.
Autorin: Rita Jorek, 2014