Voigt, Lene (Helene Alma Voigt, geborene Wagner; Pseudonym: Lenka Sirotek) - Leipziger Frauenporträts
Lene Voigt (um 1910) © Wolfgang U. Schütte Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Literatur
geboren/ gestorben
2. Mai 1891 (Leipzig) - 16. Juli 1962 (Leipzig)
Zitat
"Doch jedes Bein, das mir geschtellt, das bracht mich weiter uff dr Welt."
(aus dem Gedicht "Nu grade", in: "Mir Sachsen" II, 1928)
Kurzporträt
Die Schriftstellerin und Mundartdichterin Lene Voigt wurde wegen ihrer Veröffentlichungen in linksgerichteten Zeitungen und ihrer sächsisch verfassten Werke von den Nationalsozialisten mit Berufsverbot belegt. Heute wird sie als sächsische Nationaldichterin verehrt.
Herkunftsfamilie
- Vater: Karl Bruno Wagner (Schriftsetzer)
- Mutter: Alma Marie Wagner, geborene Pleißner
Biografie
Die heute als sächsische Nationaldichterin verehrte Lene Voigt wurde 1891 als Helene Alma Wagner geboren und wuchs in der Leipziger Ostvorstadt auf. Nach dem Besuch der Volksschule ließ sie sich auf Wunsch der Mutter am Sozialpädagogischen Seminar der Fröbelpädagogin Henriette Goldschmidt zur Kindergärtnerin ausbilden und nahm danach eine Stelle als Kindermädchen in einem Privathaushalt an. Aber sie fühlte sich mehr "vom Schrifttum angezogen". Ab 1905 arbeitete sie als Verlagskontoristin im B.G. Teubner Verlag, ab 1912 beim Barsortiment Köhler. 1906 erschien ihre erste Veröffentlichung in der Zeitschrift "Der Leipziger", ab 1912 weitere Beiträge in der Zeitung "Leipziger Hausfrau". In der Anthologie "Dichtung und Prosa Leipziger Frauen", die 1914 zum 25-jährigen Bestehen des von Louise Otto-Peters mitbegründeten Leipziger Schriftstellerinnen-Vereins erschien, war sie als Helene Wagner mit hochdeutschen und Mundartgedichten sowie einer Prosaskizze vertreten. Von Anfang an dichtete sie in Sächsisch und Hochdeutsch. Es ist überliefert, dass Lene Voigt trotz ihrer hervorragenden Kenntnisse des Sächsischen zum Vortrag ihrer im Dialekt verfassten Werke nicht geeignet gewesen sei, da sie ein reines Hochdeutsch sprach.
Am 19. September 1914 heirateten Helene Wagner und Otto Voigt, Musiker im Paul-Lincke-Orchester. Die Ehe wurde 1920 geschieden. Der gemeinsame Sohn Alfred starb 1924 mit vier Jahren an Gehirnhautentzündung. In den 1920er-Jahren arbeitete Lene Voigt als freiberufliche Schriftstellerin für die Satire-Zeitschriften "Der Drache" und "Der gemütliche [lustige] Sachse". Für diese Zeit sind auch zahlreiche mundartliche und hochdeutsche Veröffentlichungen von ihr in KPD-Zeitungen und in sozialdemokratisch orientierten Blättern im mitteldeutschen Raum, dazu in Berlin und Stuttgart nachgewiesen. Sie war Mitglied des Reichsverbandes Deutscher Schriftsteller. 1926 oder 1927 lernte Lene Voigt einen Mann kennen und lieben, der ohne festen Wohnsitz war und zur progressiven Vagabundenbewegung dieser Zeit gehörte. Er starb im Januar 1929 in Dresden durch Schlaganfall. Lene Voigt ließ seine Urne auf dem Leipziger Südfriedhof bestatten. Im "Lustigen Sachsen" veröffentlicht sie ihr Gedicht "Mein Liebster ist ein Vagabund". Die folgenden raschen Wohnortwechsel wirken wie eine nachträgliche eigene Wanderschaft der vereinsamten 38-Jährigen: 1929-1934 Bremen und Lübeck, 1935-1936 Flensburg, 1937 München, 1938 Hamburg und Berlin. In dieser Zeit erschienen von ihr 1934 "Die sächsische Odyssee" und "Vom Pleißestrand nach Helgoland", 1935 "Leibzcher Lindenblieten".
Ab 1934 war Lene Voigt wieder in Leipzig gemeldet. Um 1939/1940 kehrte sie endgültig zurück und arbeitete als Buchhalterin im Verlag Lange & Meuche, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Denn die sozialkritische Autorin mit linker Einstellung wurde immer weniger veröffentlicht. Die Verlage verzichteten auf Zweitauflagen ihrer Werke. Man warf ihr außerdem vor, mit ihren "Säk'schen Balladen" und "Säk'schen Glassiggern" die deutschen Klassiker zu "verschandeln". Im Volksmund blieben Lene Voigts Werke trotz des Verbots durch die Nationalsozialisten lebendig. Das Berufsverbot hatte nicht nur finanzielle Folgen für die Schriftstellerin. 1936 wurde sie in der Nervenheilanstalt Schleswig erstmals wegen einer Psychose behandelt, 1940 und 1946 dann in der Universitäts-Nervenklinik Leipzig und wegen Schizophrenie in das Bezirkskrankenhaus für Psychiatrie Leipzig-Dösen eingewiesen.
Auch nach ihrer Heilung blieb Lene Voigt im Krankenhaus und arbeitete dort als Buchhalterin und Botin, weil sie befürchtete, sich in der Welt draußen nicht mehr zurechtzufinden. Wie die Dichterin Elsa Aseniejeff (1867-1941) schrieb auch Lene Voigt in den Jahren ihrer psychischen Erkrankung und danach weiter, ohne Aussicht publiziert zu werden und wie diese verschenkte sie ihre Werke an Krankenhausmitarbeiter und vertraute Menschen. So auch an Wolfgang Voigt, den Sohn ihres geschiedenen Mannes Otto Voigt aus dessen zweiter Ehe. Dieser übergab den Nachlass der Dichterin später an Wolfgang U. Schütte, der über Recherchen in der Satire-Zeitschrift "Der Drache", in der auch Lene Voigt publiziert hatte, zum Lene-Voigt-Biografen geworden war (siehe unten Erinnerungen: Das große Lene Voigt Buch, 1991; Werkausgabe Lene Voigt, 2004-2011).
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Lene Voigts Verlag A. Bergmann von Leipzig nach München umgezogen und gab hier ohne Wissen der Autorin noch zu deren Lebzeiten ihre beliebten Säk'schen Glassigger und Balladen heraus. Ab 1978 erschienen diese in Lizenz im Rowohlt Verlag.
Neuauflagen ihrer Werke in der DDR wurden durch das in Leipzig geborene, sächselnde Staatsoberhaupt Walter Ulbricht verhindert, da nun alles Sächsische als Parodie auf ihn verstanden wurde. In den 1970er-Jahren interpretierte das Leipziger Kabarett academixer zu den Messe-Sendungen im Sender Leipzig erstmals Werke von Lene Voigt und brachte 1980 das erste Sächsisch-Programm auf die Bühne. Andere Kabarettisten folgten.
Zum 95. Geburtstag der Dichterin stifteten die academixer, der Verlag Zentralhaus-Publikation, in dem 1983 das erste Lene-Voigt-Büchlein der DDR erschienen war, und Wolfgang U. Schütte auf dem Südfriedhof einen Grabstein mit dem Lebensmotto der Dichterin: "Was Sachsen sin von echtem Schlaach,/ die sin nich dod zu griechn" aus dem Gedicht "Unverwüstlich". Das war 1935 entstanden und zeugt vom Lebensmut der Dichterin in einer Zeit, als sie den Geliebten schon verloren hatte und ihre Werke immer weniger gedruckt wurden.
Werke
- Säk'sche Balladen I (Sächsische Balladen), A. Bergmann Verlag, Leipzig 1925.
- Säk'sche Balladen II (Sächsische Balladen), A. Bergmann Verlag, Leipzig 1926.
- Säk'sche Glassigger (Sächsische Klassiker).
- Mally der Familienschreck, Verserzählung, Leipzig 1927.
- Mir Sachsen - Lauter gleenes Zeich zum Vortragen (Sammlungen von Texten aus verschiedenen Zeitschriften, zwei Bände), Leipzig 1928.
- In Sachsen gewachsen, 1932.
- Die sächsische Odyssee, Leipzig 1934.
- Vom Pleißestrand nach Helgoland, Leipzig 1934.
- Leibzcher Lindenblieten, Leipzig 1935.
- außerdem ein Hörspiel und zahlreiche Pressebeiträge
Adressen in Leipzig
(nach http://www.lene-voigt-gesellschaft.de/lebensweg/ [Abruf 19.11.2013])
- 1891: Sidonienstraße 14 (heute Paul-Gruner-Straße), Geburt bei Großmutter Alma Jansen
- 1891-1893: Ludwigstraße 46, 3. Etage (Gedenktafel seit 2003)
- 1893-1898: Ludwigstraße 40
- 1898-1905: Grenzstraße 27 (heute Ludwig-Erhard-Straße)
- 27.03.1905-1907: Charlottenstraße 10
- 28.06.1907: Rathausring 13 bei Leideritz (Robert Leideritz, Hofopernsänger a. D., Konzertsänger und Gesanglehrer)
- 1914-1918: Schletterstraße 18 (Gedenktafel seit 1998)
- 1918-1920: Hospitalstraße 18, 2. Etage (heute Prager Straße)
- 1920-1925: Nostitzstraße 51 (heute Reichpietschstraße)
- 1926-1928: Oststraße 104
- Frankfurter Straße 49, 4. Etage (heute: Friedrich-Ludwig-Jahn-Allee)
- gemeldet ab 1934: Sophienstraße (heute Shakespearestraße), bei Pönitz
- 1940: Adolf-Hitler-Straße (heute Karl-Liebknecht-Straße)/ Ecke Albertstraße (ab 1947 Riemannstraße) [nach W.U. Schütte]
- 1946/1947-1962: Chemnitzer Straße 50 (Bezirkskrankenhaus für Psychiatrie Leipzig-Dösen)
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- Grabstein auf dem Südfriedhof (Friedhofsweg 3, 04299 Leipzig, Urnengarten VI, Grab 1700, 6. Gruppe)
- Lene-Voigt-Straße (seit 1992, 04289 Leipzig)
- Lene Voigt-Schule, Oberschule der Stadt Leipzig (seit 2007, 04279 Leipzig)
- Lene-Voigt-Park (seit 2004, 04317 Leipzig); neu angelegter Stadtteilpark auf dem Gelände des ehemaligen Eilenburger Bahnhofs in Leipzig-Reudnitz
- Lene-Voigt-Gesellschaft e. V. engagiert sich seit 1995 für die weitere Erforschung von Leben und Umfeld der Dichterin und die Verbreitung ihres Werkes sowie gegen die Reduzierung Lene Voigts auf ihr Werk als Mundartdichterin. Durch Nachforschungen der Gesellschaft konnte das Geburtsdatum Lene Voigts vom 3. Mai 1891 in 2. Mai 1891 korrigiert werden.
- Seit 1997 jährlicher Vortragswettbewerb für Laien um "de Gaffeeganne" (die Kaffeekanne), bei dem jeweils ein mundartliches und ein hochdeutsches Werk von Lene Voigt vorzutragen sind
- Seit 2000 Rezitationswettstreit "Gaggaudebbchen" (Kakaotöpfchen) für Schüler/-innen
- www.lene-voigt-gesellschaft.de
- Gedenktafel an der Wohnadresse Lene Voigts 1914-1918, Schletterstraße 18, 04107 Leipzig, seit 1998: "Doch jedes Been, das mir geschtellt, das bracht mich weiter auf der Welt. Nu grade! Im Haus Schletterstraße 18 / wohnte von 1914 bis 1918 / Sachsens beliebte Dichterin/ LENE VOIGT/ (1891 - 1962). Stadt Leipzig 1998, Lene-Voigt-Gesellschaft e. V."
- Gedenktafel Ludwigstraße 48, 04315 Leipzig, seit 2003, Wohnadresse 1891-1893; initiiert von der Lene-Voigt-Gesellschaft e. V.
- Bronze-Relief am Eingang zum academixer-Keller (Kupfergasse 2, 04109 Leipzig) seit 2011: "von deinen sächsischen Kabarettisten", Gestaltung: Klaus Schwabe
- Das große Lene Voigt Buch, herausgegeben von Wolfgang U. Schütte und Monica Schütte, Leipzig 1991
- Lene Voigt: Werke, herausgegeben von Monica Schütte, Wolfgang U. Schütte, Gabriele Trillhaase im Auftrag der Lene-Voigt-Gesellschaft e. V., Connewitzer Verlags-Buchhandlung Hinke, Leipzig 2004-2011
- Kaffeekabinett "Lene Voigt" seit 2000 im Ratskeller (Lotterstraße 1, 04109 Leipzig) mit Bildern, Ausstellungsstücken und Geschichten von und über Lene Voigt
- Sächsisches Psychiatriemuseum (Mainzer Straße 7, 04109 Leipzig): In der Dauerausstellung auch Informationen über Lene Voigt als Patientin ab 1946 und als angestellte Botin im Bezirkskrankenhaus für Psychiatrie Leipzig-Dösen in der Zeit nach ihrer Heilung bis zu ihrem Tod 1962
- "Lene Voigt"-Niederflurgelenktriebwagen Nummer 1128 der Leipziger Verkehrsbetriebe
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Wolfgang U. Schütte, Nebstbei zäumte ich den Pegasus, in: Ich muß mich ganz hingeben können. Frauen in Leipzig, herausgegeben von Friderun Bodeit, Leipzig 1990.
- Wolfgang U. Schütte, Lene Voigt (1891-1962), in: Gerlinde Kämmerer, Anett Pilz, Leipziger Frauengeschichten. Ein historischer Stadtrundgang, Leipzig 1995.
- www.lene-voigt-gesellschaft.de/
- http://de.wikipedia.org/wiki/Lene_Voigt
Autorin: Gerlinde Kämmerer, 2013