von Nostitz-Wallwitz, Helene (geborene von Beneckendorff und von Hindenburg) - Leipziger Frauenporträts
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Rubrik
- Literatur
- Salonkultur
geboren/ gestorben
18. November 1878 - 17. Juli 1944
Zitat
"Die Tochter aus gutem Hause wurde damals nicht zur Frauenrechtlerin, [...] aber sie nahm immer stärkeren Anteil an dem Aufbegehren ihrer Generation gegen den Konformismus einer alternden Epoche und war aufgeschlossen für Zukunftsträchtiges."
(Oswalt von Nostitz, Muse und Weltkind, Seite 60)
Kurzporträt
Helene von Nostitz war nicht nur Salonnière, Freundin und Muse bedeutender Künstler, sie machte sich auch einen Namen als Schriftstellerin. In ihrem wichtigsten Buch, "Aus dem alten Europa" (1924), schilderte sie die hochkultivierten Lebenswelten von Aristokraten und Künstlern vor dem ersten Weltkrieg.
Herkunftsfamilie
- Großvater mütterlicherseits: Georg zu Münster-Derneburg (1820-1902), deutscher Botschafter in London und Paris
- Großmutter: Alexandra Michailowna Fürstin Galitzin (1823-1884), Urenkelin des russischer Feldherrn Suwarow
- Vater: Konrad Otto Heinrich von Beneckendorf und Hindenburg (1839-1913), preußischer Generalmajor, Cousin von Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg
- Mutter: Sophie (1851-1933), Gräfin zu Münster
Biografie
Helene Lina Olga Vera von Nostitz war in ihrem Wesen "russisch, nicht preußisch", wie der österreichische Dichter Hugo von Hofmannsthal einst geschrieben hatte. Sie stammte aus einer internationalen Adelsfamilie, ihre russische Großmutter war eine Fürstin Galitzin. Auf Betreiben der Mutter erwarb Helene Kenntnisse in vier europäischen Sprachen, eine Ausbildung in Musik und Malerei und erlernte die "Spielregeln weltläufiger Geselligkeit". Für die Enkelin des deutschen Botschafters in London und Paris, Fürst Münster von Derneburg, war es selbstverständlich, Anteil an gesellschaftlichen und kulturellen Ereignissen zu nehmen. Bei ihm lernte sie Marie von Schleinitz-Wolkenstein kennen, eine berühmte Salonnière, ein Vorbild für sie. Helene suchte früh Kontakte zu Dichtern, Musikern und bildenden Künstlern. Ihr späterer Mann, der Jurist Alfred von Nostitz-Wallwitz (1870-1953) war als Diplomat, Politiker und Verwaltungsbeamter tätig. Gemeinsame Kinder waren Oswalt (1908-97), 1937-1945 Legationssekretär im Auswärtigen Dienst, später Mitarbeiter der EG-Kommission in Brüssel, Herbert (1911-2006) und Renata (1917-2000).
1913-1916 übernahm Alfred von Nostitz-Wallwitz in Leipzig die Stelle eines Amtshauptmanns, heute entspricht diese der eines Landrats. In Leipzig bewohnte das Ehepaar eine kleine Villa aus dem Besitz der Familie Frege in der damaligen Wiesenstraße 5 (heute Gustav-Mahler-Straße). "Wir sind plötzlich nach Leipzig versetzt, schon zum Juni", schrieb Helene von Nostitz am 11.Mai 1913 an Hugo von Hofmannsthal. Der neue Lebensmittelpunkt war in ihren Augen: "[...] eine lebendige und wohl unconventionelle Stadt." Gleich zu Beginn ihres Aufenthaltes nahm die Familie von Nostitz am 17. und 18.10.1913 an den Festlichkeiten zur Einweihung des Völkerschlachtdenkmals und der russischen Gedächtniskirche teil.
Die Familie von Nostitz fand rasch Anschluss an die Leipziger Gesellschaft. Zu ihren Bekannten zählten Anton und Katharina Kippenberg, Kurt und Elisabeth Wolff, der Dirigent Arthur Nikisch und dessen Sohn Mitja sowie der Bildhauer Max Klinger. Helene und ihr Ehemann verkehrten auch mit den Fiedlers in Crostewitz, deren Herrenhaus damals ein schöngeistiges Zentrum war, sowie mit Albertine und Felix Zehme.
In Leipzig veranstaltete Helene private Kammerkonzerte und Vortragsabende. Sie pflegte alte Freundschaften weiter, etwa mit Harry Graf Kessler, Hugo von Hofmannsthal und Rainer Maria Rilke. Die Mutter dreier Kinder schrieb, malte, spielte virtuos Klavier und unterstützte ihren Mann, der sich der Wohlfahrtspolitik widmete.
Als der erste Weltkrieg ausbrach, schilderte sie die gespannte Atmosphäre in Leipzig. Sie kritisierte die abgegriffenen Worte einer nationalistischen Rede Wilhelm Wundts und lobte einen angemesseneren Beitrag von Karl Lamprecht. Im letzten Jahr ihres Leipziger Aufenthaltes kam Hugo von Hofmannsthal zu Besuch nach Leipzig. Er hielt am 1. März 1916 in ihrer Wohnung vor geladenen Gästen einen Vortrag über das "Phänomen Österreich". Im ersten Weltkrieg betreute Helene auch Fronturlauber und Rekonvaleszente in Lazaretten. Zur Linderung der allgemeinen Not in Leipzig organisierte sie Benefizvorstellungen.
Herausragend ist eine musikalisch-literarische Soirée am 14.2.1915 im Schloß Schönefeld, bei der Kurt Stieler Rilkes "Cornet" las. Die Pianistin Magda von Hattingberg spielte Kasimir von Paszthorys Musik zu dem im Kriegsrausch so begeistert aufgenommenem Werk. Helene und Alfred von Nostitz blieben bis zum Sommer 1916 in Leipzig. Der Abschied stand im Zeichen der Musik. An zwei Flügeln spielten Arthur und Mitja Nikisch für das Ehepaar Nostitz Werke von Chopin. Nach der Berufung ihres Manns als sächsischer Botschafter nach Wien unterhielt Helene weiter freundschaftliche Kontakte zu ihren Bekannten und kehrte mehrfach nach Leipzig zurück. 1938 erlebte sie die Eröffnung von Anton Kippenbergs Goethe-Museum in der Villa Richterstraße und schrieb darüber. 1943 kam sie erneut nach Leipzig, um in der Universitätsklinik eine Tumorerkrankung behandeln zu lassen. Während der Strahlentherapie wohnte sie mit ihrem Mann am Bahnhof im Hotel Sedan, das durch den Bombenangriff vom 3.12.1943 zerstört wurde. Zu Fuß musste das Paar aus dem brennenden Leipzig heraus nach Schönau laufen, was für die kranke Helene eine unglaubliche Anstrengung bedeutete. Ein halbes Jahr später verstarb sie.
In ihrem wohl bekanntesten Buch "Aus dem alten Europa" (1924) versuchte sie, die untergegangene Lebenswelt kulturprägender Schichten vor dem ersten Weltkrieg festzuhalten. Sie schilderte Erinnerungen an und Begegnungen mit Harry Graf Kessler, Rilke, Hofmannsthal, Däubler, Nikisch und die ersten Jahre des Kriegs in Leipzig. Die Lebendigkeit der Darstellungen ließen das Buch zu einem gern gelesenen Zeitdokument werden, das bis 1993 immer wieder erschien. "Aus dem alten Europa" enthält auch zahlreiche Reminiszenzen an die alte Leipziger Kultur.
Werke
- Aus dem alten Europa, Menschen und Städte, 1924 und Nachauflagen.
- Rodin in Gesprächen und Briefen. Dresden 1927.
- Potsdam. Dresden 1930.
- Hindenburg at home, an intimate biography. New York 1931. (Anekdoten)
- Berlin, Erinnerung und Gegenwart. Leipzig 1938.
- Festliches Dresden. Die Stadt Augusts des Starken, Berlin 1941.
- Leipzig im ersten Weltkrieg : In: Der Kranich: ein Jahrbuch für die dramatische, lyrische und epische Kunst. 9 (1967), Seiten 29-31.
- Hugo von Hofmannsthal - Helene von Nostitz. Briefwechsel. Hrsg. von Oswalt von Nostitz. Frankfurt am Main 1965.
- Rainer Maria Rilke - Helene von Nostitz. Briefwechsel. Herausgegeben von Oswalt von Nostitz. Frankfurt am Main 1977.
- Rodin, Auguste: Briefe an zwei deutsche Frauen. Herausgegeben von Helene von Nostitz. Berlin 1936.
Adressen in Leipzig
- Wiesenstraße 5 (heute Gustav-Mahler-Straße 5)
- Hotel Sedan, Blücherstraße 1-3, zerstört (heute Kurt-Schumacher-Straße)
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- Knopf, Sabine in Leipziger Blätter (2006) (siehe Literatur)
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Erbe, Günter. Das vornehme Berlin. 2010, Seiten 227-232.
- Kessler, Harry Graf: Das Tagebuch. 1880-1937. Stuttgart 2004-2010.
- Lenz, Christian: Rodin und Helene von Nostitz. Ausstellungskatalog. München 1999.
- Nostitz, Herbert von: Fürst Münster. Bismarcks unbotmäßiger Botschafter. Göttingen 1968.
- Nostitz, Oswalt von: Muse und Weltkind. Das Leben meiner Mutter Helene von Nostitz. München 1991.
- Knopf, Sabine: "Es ist eine lebendige und ... unconventionelle Stadt..." - Helene von Nostitz in Leipzig. In: Leipziger Blätter. Heft 48, 2006, Seiten 50-51.
- Sombart, Nicolaus: Eine große Dame. In: Die ZEIT. Nummer 40 vom 27. September 1991.
- Sombart, Nicolaus: Jugend in Berlin. München 1984.
- Quellen: Nachlass im Deutschen Literaturarchiv Marbach.
Autorin: Sabine Knopf, 2017