Windscheid, Katharina (Käthe) Charlotte Friederike Auguste (Dr. phil.) - Leipziger Frauenporträts
Dr. phil. Käthe Windscheid © Dt. Staatsbürgerinnenverband Berlin/ Hella Weingart Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Bildung/ Pädagogik
- Frauenbewegung
- Literatur
- Soziales
geboren/ gestorben
28. August 1859 (München) - 11. März 1943 (Leipzig)
Zitat
"Die Frage der rein intellektuellen Begabung ist überhaupt nicht als eine im Geschlecht begründete, sondern als eine individuelle aufzufassen [...]"
(Das Gymnasialwesen für Mädchen, 1897)
Kurzporträt
Die promovierte Philologin Käthe Windscheid leitete 1894 bis 1914 die Gymnasialkurse des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins in Leipzig, die Mädchen auf das Ablegen des Abiturs als Voraussetzung für ein Universitätsstudium vorbereiteten.
Herkunftsfamilie
- Vater: Prof. Dr. jur. Josef Hubert Bernhard Windscheid (1817-1892), Jurist, 1858 Heirat mit Charlotte Pochhammer, Malerin (gestorben 1918)
- Geschwister:
- Franz (1862-1910)
- Zwillingsschwestern Charlotte und Margarete (geboren 1864)
Biografie
Käthe Windscheid war das erste Kind der Malerin Charlotte, geborene Pochhammer, und des Juristen Bernhard Windscheid. Geschwister waren der Bruder Franz (später Neurologe in Leipzig) und die Zwillingsschwestern Charlotte und Margarete, die später nach Erlangen beziehungsweise nach Hamburg heirateten.
Käthe besuchte höhere Töchterschulen in München, Heidelberg und ab 1874 in Leipzig, wohin der Vater als Universitätsprofessor berufen worden war. Auf Reisen nach England und Frankreich konnte sie ihre Sprachkenntnisse vertiefen. 1880-1883 lebte die Familie in Berlin; Käthe nahm an Kursen des Lehrerinnenseminars am Victoria-Lyzeum teil. Dort legte sie 1882 das Examen als Sprachlehrerin für Französisch und Englisch ab. Nach der Rückkehr der Familie nach Leipzig arbeitete Käthe Windscheid für einige Monate als Sprachlehrerin an der Ersten Höheren Töchterschule, an der sie zuvor Schülerin gewesen war. 1885 studierte sie in London englische Literatur. 1887 legte sie am Lehrerinnenseminar in Dresden, damals das einzige in ganz Sachsen, das deutsche Lehrerinnen-Examen ab. Parallel dazu arbeitete sie schon ab Ostern 1886 als Lehrerin an der angesehenen Teichmann'schen Lehr- und Erziehungsanstalt mit angeschlossener höherer Töchterschule in Leipzig, und war Gasthörerin von Philologie-Vorlesungen an der Universität Leipzig.
In dieser Zeit wurde Käthe Windscheid Mitglied des 1865 in Leipzig gegründeten Allgemeinen Deutschen Frauenvereins ADF, der die Arbeit zur "Pflicht und Ehre des weiblichen Geschlechts" erklärt hatte und dessen wichtigste Ziele der Zugang der Frauen zu Bildung, Studium und Erwerbsarbeit waren. Zum ADF-Vorstand gehörten neben der Schriftstellerin Louise Otto-Peters auch anerkannte Pädagoginnen wie Henriette Goldschmidt, Auguste Schmidt, Josefine Friederici und Johanna Brandstetter. 1888 beteiligte sich Käthe Windscheid an der Gründung des Leipziger Lehrerinnen-Vereins und war bis 1903 in dessen Vorstand aktiv, danach Ehrenmitglied. 1892 wurde sie in den Vorstand des ADF gewählt und war im gleichen Jahr Gründungsmitglied des vom Leipziger Lehrerinnen-Verein initiierten Frauengewerbe-Vereins. Gemeinsam mit ihrer Mutter Lotte Windscheid engagierte sie sich zudem im 1902 gegründeten Leipziger Verein der Kinderfreunde (Kinderschutz) e. V., der sich mit der Aufdeckung von Fällen von Misshandlungen, sittlicher Gefährdung und Unterernährung von Kindern sowie übermäßiger Kinderarbeit beschäftigte und versuchte, diesen entgegenzuwirken. Käthe Windscheids Arbeit in den Vereinen umfasste neben Vorstandsaufgaben auch zahlreiche Vorträge zu unterschiedlichsten Themen, so über Armen- und Waisenpflege, Literatur, Frauenbewegung und Mädchenbildung. Auskunft geben hierzu Ankündigungen und Berichte in den "Neuen Bahnen", der Vereinszeitschrift des ADF, einzusehen im Louise-Otto-Peters-Archiv Leipzig.
Die Fürsprache ihres Vaters beim Großherzog von Baden ermöglichte Käthe Windscheid die Zulassung zur Promotion an der Heidelberger Universität, wo sie 1894 mit ihrer Dissertation "Die englische Hirtendichtung von 1579-1625" den philosophischen Doktorgrad erlangte. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts hatten Frauen in Deutschland in aller Regel keine Möglichkeit zum Universitätsstudium. Studierwillige Frauen, deren Familien es sich leisten konnten, gingen wie Käthe Windscheid ins Ausland. Ab 1871 durften Frauen mit Erlaubnis des jeweiligen Professors in Sachsen zwar Vorlesungen hören - eine Möglichkeit, die auch Käthe Windscheid in Leipzig nutzte, ohne aber einen wissenschaftlichen Grad erlangen zu können. Dementsprechend bot das deutsche Schulwesen bis Ende des 19. Jahrhunderts für Mädchen keine Möglichkeit, als Voraussetzung für das Studium das Abitur abzulegen. Der 1865 in Leipzig gegründete Allgemeine Deutsche Frauenverein ADF forderte deshalb in zahlreichen Petitionen eine Verbesserung des Mädchenschulwesens, eine gleichwertige Lehrerinnenbildung und die Zulassung der Frauen zum Studium. Eine private Stiftung, die ausdrücklich für das Frauenstudium und ein einzurichtendes Mädchengymnasium bestimmt war, ermöglichte dem ADF Ende des 19. Jahrhunderts die Vergabe von kleinen Stipendien an Frauen wie Anna Marie Kuhnow (1859-1923), die im Ausland studierten, sowie ab Ostern 1894 die Durchführung erster Gymnasialkurse für Mädchen in Leipzig. Zuvor hatte Helene Lange (1848-1930) in Berlin ab 1889 "Realkurse" für Mädchen eingerichtet, die auf das Schweizer Abitur vorbereiteten, weil die Öffnung deutscher Universitäten in absehbarer Zeit kaum möglich schien, und die sie 1893 in Gymnasialkurse für Frauen und Mädchen umwandelte, als sich ein öffentlicher Meinungswandel zum Frauenstudium abzeichnete. Ein weiterer Vorläufer war das erste private Mädchengymnasium ab 1893 in Karlsruhe, das aber unter männlicher Leitung stand.
Die ADF-Gymnasialkurse finanzierten sich aus den Erträgen der erwähnten Stiftung, Studiengebühren (1897: 240 Mark jährlich) und Spenden, die zum Teil für Freistellen verwendet wurden. Erst ab 1901 zahlte die Stadt einen Zuschuss. Die Leitung der Leipziger Gymnasialkurse übertrug der ADF an Dr. Käthe Windscheid. Sie begann zunächst mit zehn Schülerinnen in ihrer Privatwohnung in der Parkstraße 11 (heute Richard-Wagner-Straße). Wegen großer Nachfrage verlegte der ADF die Kurse ab 1895 in die Promenadenstraße 5 (heute Käthe-Kollwitz-Straße). Ab 1900 fand der Unterricht im Thomasring (heute Dittrichring), später im Haus Dorotheenplatz 2 statt. Von 1905 bis 1914 wurden die Kurse dann im Thomasring 3 e (heute Dittrichring) abgehalten. Dr. Käthe Windscheid begeisterte ihre Schülerinnen nicht nur durch fachliches Wissen, sondern auch durch freundschaftlichen Umgang. Es gab literarische Teestunden, gemeinsame Feiern und schulische Theateraufführungen. Den Unterricht erteilten neben Käthe Windscheid hauptsächlich promovierte Gymnasial- und Oberlehrer der höheren Knabenschulen in den Fächern Deutsch, Französisch und Englisch, Geschichte, Latein, Griechisch, Religion sowie Mathematik, Botanik, Zoologie, Chemie, Physik und Geographie. Auch Bewegungsspiele und Turnstunden gehörten zum Unterrichtsprogramm. Von 1903 bis 1910 unterrichtete eine zweite weibliche Lehrkraft: Dr. Frida Hansmann. Diese hatte ihr Abitur in Zürich abgelegt, an der ETH Zürich Mathematik, Physik und Psychologie studiert und war Gasthörerin an der Universität Göttingen. Nach der Ablehnung ihrer Dissertation in Göttingen war sie 1902 an der Universität Bern erfolgreich in Chemie promoviert worden.
1898 bestanden die ersten fünf Schülerinnen vor einer unabhängigen Kommission am Königlichen Gymnasium in Dresden-Neustadt die Abiturprüfungen. Erst ab 1902 fanden die Prüfungen der Mädchen in Leipzig am Petrigymnasium statt. Als im Sommersemester 1906 die Leipziger Universität für Frauen geöffnet wurde, schrieben sich hier 27 Studentinnen ein. Die Biografin Hannelore Rothenburg konnte darunter neun ehemalige Schülerinnen der von Dr. Käthe Windscheid geleiteten Gymnasialkurse nachweisen, die alle die akademische Doktorwürde erlangten. Mit Martha Beerholdt (1886-1939) und Marie Kröhne waren unter ihnen auch zwei ehemalige Schülerinnen des von Steyberschen Instituts, das 1848 von Ottilie von Steyber gegründet und 1870 bis 1892 von Auguste Schmidt geleitet worden war.
Nach der Verabschiedung des Sächsischen Mädchenschulgesetzes von 1910, das die Einführung von öffentlichen Abiturstufen für Mädchen vorsah, schlug die Stadt vor, die bewährten Gymnasialkurse des ADF zu übernehmen, aber unter männliche Leitung zu stellen. Für den ADF als einen von Anbeginn durch Selbstorganisation der Frauen getragenen Verein musste das unannehmbar sein. Die Kurse wurden zunächst der l. städtischen Höheren Mädchenschule unter der Leitung von Prof. Groth angegliedert. Nach der Auflösung der ADF-Kurse 1914 wurde Dr. Käthe Windscheid als Lehrerin an die I. Höhere Mädchenschule, die zur Oberrealschule ausgebaut worden war, übernommen. Von 1894 bis 1914 hatte Dr. Käthe Windscheid in den ADF-Gymnasialkursen 197 Mädchen zum Abitur geführt. Das Gesuch des städtischen Schulamtes, des Schuldirektors Prof. Groth und der Schülerinnen an das sächsische Kultusministerium, Dr. Käthe Windscheid in Anerkennung ihrer Verdienste um die gymnasiale Mädchenbildung den Professorentitel zu verleihen, wurde abgelehnt. Sie erhielt stattdessen 1914 den Maria-Anna-Orden 3. Klasse. Bis 1924 unterrichtete sie weiter, zunächst als Oberlehrerin, dann als Studienrätin, und ging 1924 mit 65 Jahren in den Ruhestand. Dr. Käthe Windscheid starb am 11. März 1943 in Leipzig.
Werke
- Die englische Hirtendichtung von 1579-1625, Dissertation, Halle/Saale 1895. Käthe Windscheid, Das Gymnasialwesen für Mädchen, Seiten 401-422, in: Handbuch des Höheren Mädchenschulwesens, herausgegeben von Prof. Dr. J[akob] Wychgram, Leipzig 1897.
- Schiller's Bedeutung für die deutsche Nation. Vortrag, gehalten in der Goethe-Gesellschaft zu Leipzig am 15. März 1905 von Käthe Windscheid, Leipzig 1905.
- Dem Gedächtnis Henrik Ibsens. Vortrag gehalten im Frauenklub-Leipzig von Dr. phil. Käthe Windscheid, Leipzig 1907.
- Auswahl englischer Gedichte: Wordsworth, Shelley, Keats. Mit Einleitung und Anmerkung zum Schulgebrauch von Käthe Windscheid, Bielefeld 1925. Poems. Lord Byron. Ausgewählt und herausgegeben von Käthe Windscheid, Braunschweig 1929.
Adressen in Leipzig
- Bis 1918: Parkstraße 11, 2. Etage (später Richard-Wagner-Straße 1; Das Haus steht nicht mehr.)
- 1918-1933: Kaiser-Wilhelm-Straße 44 (heute: August-Bebel-Straße)
- 1933-1943: Haydnstraße 3
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- Katharina-Windscheid-Preis der Research Academy der Universität Leipzig seit 2009: Dieser Promotionsförderpreis wird einmal jährlich an eine Doktorandin oder einen Doktoranden der Research Academy vergeben, deren/ dessen Dissertation eine Leistung unter besonderen Lebensumständen darstellt, die eine Anerkennung im Sinne der Förderung der Geschlechtergleichheit und Familienfreundlichkeit in der Forschung verdient.
- http://www.ral.uni-leipzig.de/de/promovierende/angebote-der-research-academy/promotionspreise/alphabet
- Seit 2018 frauenorte sachsen-Gedenktafel des Landesfrauenrates Sachsen e.V. am Haus Dorotheenplatz 2, 04109 Leipzig https://www.frauenorte-sachsen.de/die-frauen/dr-phil-k %C3%A4the-windscheid/
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Hannelore Rothenburg: Dr. phil. Käthe Windscheid - Wegbereiterin für das Frauenstudium.
- In: Leben ist Streben. Das erste Auguste-Schmidt-Buch. Reden, Vorträge und Dokumente der Ehrungen zum 100. Todestag der Pädagogin, Publizistin und Frauenrechtlerin Auguste Schmidt am 10./11. Juni 2002. Herausgegeben von Johanna Ludwig, Ilse Nagelschmidt und Susanne Schötz, unter Mitarbeit von Sandra Berndt. Leipzig 2003. Leipziger Studien zur Frauen- und Geschlechterforschung, Reihe C Band 3 (LOUISEum 17).
- Gerhild Schwendler/ Günter Katsch, Leipzigs erste Studentin. in: Leipziger Blätter 17/1990, Seite 26 und folgende.
Autorin: Gerlinde Kämmerer, 2013