Wittmann, Ella (geborene Landwirth) - Leipziger Frauenporträts
Ella Wittmann © Steffen Held, Leipzig, Privatsammlung Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Wirtschaft
- Religion
- Verfolgte/ Opfer des NS
geboren/ gestorben
11. April 1897 (Wola Batorska) - 29. August 1985 (Leipzig)
Zitat
"Auch ich stand dreimal vor der Gaskammer, und habe es wohl nur einer höheren Macht zu verdanken, dass ich, wie schon oft, mit dem Leben davongekommen bin."
Kurzporträt
Ella Wittmann wurde als Jüdin nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten verfolgt. Sie überlebte als Zwangsarbeiterin Auschwitz und kehrte 1945 nach Leipzig zurück. Von 1963 bis zu ihrem Tod war sie die erste und einzige Frau im Vorstand der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig seit der Gründung der Israelitischen Religionsgemeinde im Jahre 1847.
Herkunftsfamilie
- Vater: Arno Aron Landwirth (1869-1937), Fellhändler
- Mutter: Rosa Reisel, geborene Kempler (1872 -1942)
- Geschwister:
- Dora (1902-1942)
- Elias (1899-?)
- Moritz Moses (1896-?)
Biografie
Am 11. April 1897 wurde Ella Landwirth im 24 Kilometer östlich von Kraków gelegenen Wola Batorska geboren. Der Vater, der österreichische Staatsangehörige Arno Aron Landwirth, war Fellhändler. Im Sommer 1900 kam das Ehepaar Landwirth mit den Kindern von Bochnia nach Leipzig, blieb aber nur wenige Monate in der Stadt und ließ sich Ende des Jahres im thüringischen Meuselwitz nieder. Dort besuchte Ella die Volksschule und begann mit 14 Jahren eine Schneiderlehre. Nach erfolgreichem Abschluss absolvierte sie noch eine Ausbildung als kaufmännische Angestellte. Seit 1914 arbeitete sie als Kontoristin, zuletzt in einem Kaufhaus in Meuselwitz. Als 1937 der Druck auf die jüdischen Angestellten immer stärker wurde, zog sie mit ihrer Mutter nach Leipzig, wo ihr Bruder Moritz mit seiner Ehefrau Selma und drei Kindern lebte. Auch die Schwester Dora zog von Nordhausen nach Leipzig. Ella Wittmann fand eine Anstellung als Verkäuferin in einem jüdischen Geschäft.
Am 28. Oktober 1938 wurden Ella Landwirth, ihre Schwester Dora und ihr Bruder Moritz mit seiner Familie als polnisch-jüdische Staatsbürger in der so genannten "Polenaktion" aus Leipzig durch Polizei und SS in das deutsch-polnische Grenzgebiet verschleppt. Die Familie Landwirth hatte nach dem Ersten Weltkrieg die polnische Staatsangehörigkeit angenommen. Beim deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 lebte Ella Wittmann in Kraków. 1940 kam sie mit ihrer Schwägerin Selma in das nahe errichtete Zwangsarbeitslager Płaszów. Bei der Registrierung gab sie sich um zehn Jahre jünger aus. Das rettete ihr bei den seit 1942 vorgenommenen Selektionen für die Transporte in die Vernichtungslager das Leben, 1944 wurde sie jedoch in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Zur Zwangsarbeit vorgesehen, blieb sie am Leben und kam im Januar 1945 in das Konzentrationslager Ravensbrück. Anfang April 1945 sollte sie als KZ-Häftling Zwangsarbeit in der Hugo Schneider AG (HASAG) leisten. Kurz nach dem Eintreffen in Leipzig wurden die KZ-Außenlager geräumt und die Häftlinge auf Todesmärsche geschickt. Ella Landwirth überlebte und kehrte im Juni 1945 nach Leipzig zurück. Hier traf sie ihren Bruder Moritz und ihre Schwägerin Selma wieder, aber die Mutter und die Geschwister Dora und Elias waren ermordet worden.
1947 heiratete Ella Landwirth den Holocaust-Überlebenden Emil Wittmann aus Leipzig. 1949 gründete ihr Mann eine Großhandlung für Rauchwaren, in der sie mitarbeitete. Die Firma hatte mehrere Angestellte und zuletzt ihren Sitz in der Nikolaistraße 28/32. Als Emil Wittmann 1954 starb übernahm sie das Handelsunternehmen und führte es bis Anfang der 1960er-Jahre fort.
Mitte der 1950er Jahre wollte die Staatssicherheit Ella Wittmann, die SED-Mitglied war, wegen ihrer Kontakte zu Rauchwarenhändlern am Brühl und im Ausland als Geheimer Informator (GI) anwerben, nahm aber nach Ermittlungen zu ihrem privaten Umfeld von diesem Plan Abstand.
Ella Wittmann hatte eine starke Bindung an die Jüdische Gemeinde und zum Staat Israel aufgebaut. Sie ging regelmäßig in die Synagoge, nahm an allen Veranstaltungen teil und übernahm ehrenamtlich Sekretariatsarbeiten in der Verwaltung der Jüdischen Gemeinde. Im September 1963 wurde Ella Wittmann in den Vorstand der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig gewählt. Sie war damit die erste Frau in einem Vorstandsamt seit der Gründung der Jüdischen Gemeinde im Jahre 1847. Ella Wittmann starb mit 88 Jahren am 29. August 1985. Sie wurde auf dem Neuen jüdischen Friedhof in Leipzig beerdigt.
Werke
- Aus meiner Konzentrationslagerzeit, in: Sinn und Form, Jahrgang 40, 1988, Heft 6, Seiten 1271-1276.
Adressen in Leipzig
- 1937-1938: Kochstraße 56
- 1945-1947: Lilienstraße 23
- 1948-1985: Gustav-Adolf-Straße 30
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- Grabstelle auf dem Neuen jüdischen Friedhof, Delitzscher Straße 224
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Steffen Held, Juden in der DDR. Das Beispiel Leipzig. Lehr- und Lernmaterialien, herausgegeben von der Ephraim Carlebach Stiftung, Leipzig 2011
- Ulbricht, Gunda: „Kommt den Frauen mit Ernst entgegen.“ Politik jüdischer Frauen in Sachsen 1904 bis 1989. In: Frauen in Sachsen. Politische Partizipation in Geschichte und Gegenwart. Herausgegeben von Werner Rellecke, Susanne Schötz, Alexandra-Kathrin Stanislaw-Kemenah, Dresden 2022.
Autor: Steffen Held, 2014