Wothe-Mahn, Anny (geborene Wothe; Pseudonym: Paula Strahl) - Leipziger Frauenporträts
Rubrik
- Literatur
geboren/ gestorben
30. Januar 1858 (Berlin) - 30. Juli 1919 (Leipzig)
Zitat
"Schreiben! Das war's, was ich wollte." (1904)
Kurzporträt
Anny Wothe-Mahn wirkte ohne finanziellen und bildungsbürgerlichen Hintergrund als erfolgreiche Redakteurin und Verlegerin in einer Männerdomäne, gehörte zu den meistgelesenen Schriftstellerinnen ihrer Zeit und unterhielt einen vielbeachteten literarisch-künstlerischen Salon in Leipzig.
Herkunftsfamilie
- Vater: Heinrich Rudolph Wilhelm Wothe, Handwerksmeister, Berlin (verstorben vor 1904)
- Mutter: Charlotte Pauline, geborene Strahl (verstorben nach 1904, aber vor 1919)
- Geschwister: jüngerer Bruder Paul, lebte in Berlin
Biografie
Anna Auguste Elise Wothe wuchs in einem Berliner Handwerksmeisterhaushalt in bescheidenen Verhältnissen auf. Dem Vater war es nicht gelungen, die Familie vor massiven finanziellen Problemen im Rahmen des "Gründerkrachs" um 1873 zu bewahren. Die bildungshungrige Tochter erhielt "nur einfachste Schulbildung" und musste bald zum Familienunterhalt beitragen. So fertigte sie Puppenkleider, beaufsichtigte Kinder und erledigte Hilfsarbeiten gegen geringste Entlohnung. Ihr brennendster Wunsch war es, "einmal vier Wochen ungestört lesen und schreiben zu können". Durch Zufall lernte Anny einen deutsch-russischen Professor kennen, der ihr großes Talent für eine schriftstellerische Tätigkeit bescheinigte und damit die Aussicht auf eine Erwerbsquelle eröffnete. Dadurch motiviert schickte sie erste Aufsätze an das von Dr. Strousberg geleitete "Kleine Journal", die sofort gedruckt wurden - ohne Honorar. Enttäuscht nahm sie die Begründung zur Kenntnis: "Honorieren? Ich glaubte, mein gnädiges Fräulein [...] Sie machen sich ein Vergnügen daraus, für uns zu schreiben. Hunderte von Damen würden das gerne tun." Sie startete weitere Bewerbungsversuche, unter anderem als "Kinderfräulein", die an fehlenden Examenszeugnissen scheiterten. Erfolg hatte sie beim kaufmännischen Verlag "G." in Leipzig, wo sie mit Korrekturlesen und Buchhändlerkonten beschäftigt war.
Nur am späten Abend konnte sie selbst kreativ werden, schrieb zunächst Novellen und fasste den kühnen Entschluss, ein eigenes Journal zu gründen. Rasch fand sie durch ihre bisherige Tätigkeit einen Verleger für die 1882 gegründeten "Deutschen Frauenblätter", denen sie als Autorin, Redakteurin und Herausgeberin vorstand. Ihr finanziell erfolgreiches Unternehmen verkaufte sie 1885 zugunsten ihrer Schriftstellerinnenkarriere. In den 1880er Jahren wohnte sie als Mieterin bei Similde Gerhard (1830-1903) in "Gerhard's Garten" und protestierte später vehement im "Leipziger Tageblatt" unter dem Titel "Ein untergehendes Eden in der alten Lindenstadt Leipzig" gegen dessen beabsichtigte Zerstörung.
1885 heiratete sie den aus Göttingen stammenden Verlagsbuchhändler August Friedrich Adolf Mahn (1855-1915). Er war zunächst Angestellter der Leipziger Teutonia Versicherungsgesellschaft, schrieb auch Prosa unter dem Pseudonym "A. Bürger". Im Unterschied zu ihm befriedigte Anny Wothe mit ihren Novellen und Familienromanen - oft als Fortsetzungen - ein wachsendes Massenbedürfnis ihrer Zeit. 1887 gründeten deshalb Anny und Adolf Mahn im eigenen Verlag das Wochenblatt "Von Haus zu Haus". Anny Wothe-Mahn war nun wieder Redakteurin und Autorin im eigenen Publikationsorgan.
Die originell benannten Rubriken zielten auf Lebenshilfe für die ganze Familie: "Knurr- und Brummecke" für die Männer, "Schmollwinkel" für die Frauen, "Seufzerlaube" für die "Backfische" und "Für's Herzliebchen" ging auf die Kinder ein. Durch Gratisinserate für Abonnentinnen (Stellengesuche beziehungsweise -angebote) verfolgte sie das Ziel, die "weibliche Erwerbsfähigkeit" zu fördern.
Das Ehepaar Mahn gab in seiner Villa Gesellschaften, die laut Literaturkritiker Rudolf von Gottschall (1823-1909) den einzigen literarischen Salon Leipzigs Anfang des 20. Jahrhunderts verkörperten. Die Soireen unterschieden "sich wesentlich von den anderen Festen der Leipziger Geselligkeit [...] (und) erinnern an die literarisch-ästhetischen Salons von Paris". Wilhelm Henzen (Vorsitzender des Schillervereins Leipzig), Alban von Hahn (Vorsitzender der Leipziger Presse) und weitere Leipziger Persönlichkeiten waren regelmäßig zu Gast.
1889 wurde die einzige Tochter, Helga, geboren, die später den Dresdner Stadtbaudirektor Edmund Hennig heiratete und bis 1953 lebte. Zum Haushalt der Mahns gehörte seit Ende der 1880er Jahre auch Lisa von der Mark (geboren 1863 in Strasbourg, Pseudonym für Elise Neumann). Sie schrieb selbst, war Mitarbeiterin, verantwortlich in Redaktionsangelegenheiten, Patin der Tochter und engste Freundin.
1906 erkrankte Adolf Mahn so schwer, dass das Journal "Von Haus zu Haus" verkauft werden musste. Für Annys weitere enorme Produktivität sprechen mehr als 30 Bücher und unzählige Zeitungs- beziehungsweise Zeitschriftenbeiträge. Selbst in Kriegszeiten und trotz langer, schwerer Krankheit beschäftigte sie vier Sekretärinnen. Heute sind ihre Werke fast vergessen, während Zeitgenossen sie unterschiedlich wahrnahmen: von großem Lob über Wertschätzung bis zum Verriss. Emil Weidmann, 1919 Schriftleiter des Journals "Der Leipziger", bezeichnete sie 1919 als "zweite Marlitt" und führte die Romane "Firmenglanz" und "Seegespenster" als Beleg an. Max Geißler in seinem "Führer durch die deutsche Literatur des 20. Jahrhunderts" kritisierte dagegen: "schablonenhafter [...] hat noch selten jemand das Leben erfasst". Ihre Kriegsromane wurden von den männlichen Rezensenten belächelt, erzielten aber erstaunliche Auflagenhöhen (bis 207.000).
Anny Wothe-Mahn war auch geschätztes Mitglied der Gesellschaft der Islandfreunde. Einige ihrer Bücher spielen deshalb im Norden Europas und wurden in verschiedene Sprachen übersetzt.
Den Weg zur organisierten Frauenbewegung fand Anny Wothe-Mahn nicht; sie hat sich aber zeitweise für die Verbesserung der materiellen Lebensverhältnisse von Arbeiterinnen eingesetzt. 1886 erschien so ihre 40-seitige Broschüre "Das Gift unserer Zeit". Als Ursache für das Abgleiten von Arbeiterinnen und "Ladenmädchen" in die Prostitution erkannte sie deren schlechte Entlohnung.
Anny Wothe-Mahn starb am 30. Juli 1919 und wurde - wie ihr Mann - auf dem Leipziger Südfriedhof bestattet. Damit ging ihr Wunsch in Erfüllung: "[...] ich hoffe zuversichtlich, einmal in Leipzig zu sterben. Die Stadt, die mich, die Fremde, Einsame, so freundlich aufnahm, die mich 'werden' ließ, die mir das Größte und Beste gegeben, eine glückliche und freudvolle Häuslichkeit, einen mich beglückenden Beruf und treue Freundschaft, die Stadt, die freundliche, lindenumsäumte, sie soll gesegnet sein!"
Werke
Als Herausgeberin und Autorin
- "Deutsche Frauenblätter. Allgemeine Zeitung für alle Frauen-Interessen, unter Mitwirkung hervorragender deutscher Männer und Frauen" (1882-1884).
- "Von Haus zu Haus. Wochenschrift für die deutsche Frauenwelt" (1887-1906).
Selbsterlebtes. Aus den Werkstätten deutscher Poesie und Kunst, herausgegeben von Anny Wothe, Bremerhaven und Leipzig 1904 (darin: "Tage des Werdens" von Anny Wothe, Seiten 133-136).
Als Autorin
- Ein Rosenstrauß (Novellen), Stuttgart 1883 (3. Auflage 1885).
- Frauenliebe und Frauenleben, Leipzig 1884 (4. Auflage 1894).
- Sommerträume (Novellen), Leipzig 1884 (2. Auflage 1890).
- Der Hausschatz. Ein Freund und Ratgeber für die Frauenwelt, Oranienburg 1885 (und weitere Auflagen).
- Wie lebt man glücklich? 1886.
- Das Gift unserer Zeit. Lohnverhältnisse der Arbeiterinnen. Verbesserung der Sittenzustände. Lösung der Frauenfrage", Cannstadt 1886.
- Versunkene Sterne, Bayreuth 1886 (2. Auflage 1894).
- Des Weibes Glück, 1887 (2. Auflage 1888).
- Lenzesblüten, 1887.
- Blüten und Ranken, Frankfurt/ Main, 1887.
- Herzensstimmen, Ratibor 1887.
- Das Haus am Rhein (Roman), Chemnitz 1888.
- Wellenrauschen. Stimmungsbilder und Skizzen für die jüngere Frauenwelt, Leipzig 1890 (2. Auflage 1898).
- Suse (Roman), Chemnitz 1890.
- Im Klosterhof (Roman), Chemnitz 1891.
- Das Märchenschloß (Roman), Chemnitz 1891.
- Sonnenfunken (Novellen und Skizzen), Elberfeld 1891, (2. Auflage 1894).
- Haidezauber [sic!] (Roman), Chemnitz 1892 (2. Auflage 1894);
- Auf Ruinen (Roman), Dresden 1893.
- Es tagt (Roman), Chemnitz 1894.
- Zigeunerliebe (Novellen) Leipzig 1894.
- Warum? (Roman), Chemnitz 1895.
- Wohin?, Leipzig 1895,(3. Auflage 1899).
- Sei sparsam!, Leipzig 1895, (5. Auflage 1899).
- Bilde den Geist!, Leipzig 1896.
- Weltvergessen (Roman) Leipzig 1896.
- Berg des Lichts, 1897.
- Ragna, Chemnitz 1898.
- Goldjäger, Chemnitz 1899.
- Haus der Väter, Hannover 1900.
- Und doch!, Chemnitz 1900.
- Die Siegerin, Chemnitz 1901.
- Irrendes Licht, Bremerhaven 1903.
- Firnenglanz, Bremerhaven 1904.
- Moderne Pilger, Berlin 1904.
- Verfemt, Bremerhaven 1904.
- San Martino, Berlin 1906.
- Suchende Seele, Bremerhaven 1906.
- Kantate Leipzig 1908.
- Versunkene Welten, Flensburg 1908.
- Am Roten Kliff, Halle an der Saale [und andere] 1910.
- Sündige Mütter, Berlin 1910.
- Das Tor des Lebens, Berlin 1910 (als Schauspiel 1912).
- Der Hof des Schweigens, Breslau 1913.
- Aus dämmernden Nächten, Reutlingen 1914 (Auflage 207.000!).
- Deutsche Frauen, Hamburg 1914.
- Die Frauen vom Sundsvallhof, Breslau 1914.
- Die Nebelfrau, Reutlingen 1914.
- Auf hoher Warte, Werdau in Sachsen 1915.
- Aus tiefer Not, Hamburg 1915.
- Durch graue Gassen, Werdau 1915.
- Der Garten der Vergessenheit, Reutlingen 1915.
- Die Vogesenwacht, Reutlingen 1915.
- Von fremden Ufern, Reutlingen 1915.
- Die den Weg bereiten, Hamburg 1916.
- Schwarz-Weiß-Rot, Hamburg 1916.
- Ein Wintertraum, Werdau 1916.
- Auf blauen Wogen, Breslau [und andere] 1917.
- Aus des Lebens schimmernden Tagen, Leipzig 1917.
- Die Lawine, Hamburg 1917.
- Die aus der Mühle, Kattowitz 1918.
- Drei graue Reiter, Reutlingen 1918.
- Hallig Hooge, Hamburg [und andere] 1918.
- Die Stimme der Welt, Breslau [und andere] 1918.
- Bob Heil!, Breslau [und andere] 1919.
- Bunte Träume, Breslau 1919.
- Durch brausende Meere, Breslau [und andere] 1919.
- Kinder des Rheines, Berlin 1919.
- Mechthild vom Wörth, Breslau [und andere] 1919.
- Niemand weiß wohin ..., Hamburg [und andere] 1919.
- Seegespenster, Hamburg 1919.
- So schön wie du und andere Novellen, Stuttgart 1919.
- Die Sonnenjungfer, Berlin 1919.
- Das Land der Tränen, Werdau in Sachsen 1920.
- Die Polarhexe, Berlin 1920.
- Schwester Gerlinde, Reutlingen 1920.
- Sturmvögel, Reutlingen 1920.
- Im Geistertal, Werdau in Sachsen 1921.
- Die rote Burg, Werdau in Sachsen 1921.
- Sein eigener Feind, Werdau in Sachsen 1921.
- Strandgut, Werdau in Sachsen 1921.
- Die weiße Frau, Reutlingen 1921.
- Fallendes Laub, Berlin 1922.
- Ins Sonnenland, Werdau 1922.
- Surfensöhne, Berlin 1922.
- Schloß Ettersrode, Reutlingen 1924.
- Im heiligen Land Tirol, Reutlingen 1927.
- Dornenpfade der Liebe, Leipzig 1928.
- Entsagung, Leipzig 1928.
- Pflicht und Liebe, Reutlingen 1928.
Adressen in Leipzig
- 1881-1883: noch nicht erfasst
- 1884-1885: Härtelstraße 8, Parterre
- 1886: Emilienstraße 22, 24, 2. Etage
- 1887: Constantinstraße 1
- 1888-1892: Naundörfchen 32, Parterre (Gartenhaus Gerhard's Garten)
- 1893 - März 1907: Inselstraße 26/ Ecke Egelstraße
- 1. April 1907 - 30. Juli 1919: Schönbachstraße 10 (Parterre und 1. Etage)
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Adolf Hinrichsen: Das literarische Deutschland, 2. Auflage Berlin 1891, Seiten 851-852.
- Das literarische Leipzig. Illustriertes Handbuch der Schriftsteller- und Gelehrtenwelt, der Presse und des Verlagsbuchhandels in Leipzig, Leipzig 1897, Seite 105.
- Rudolf von Gottschall: Ein 25-jähriges Schriftstellerjubiläum, in: Der Leipziger, Nummer 3, vom 06.10.1906, Seiten 3-4.
- Anny Wothe: Ein untergehendes Eden in der alten Lindenstadt Leipzig, in: Leipziger Tageblatt vom 18.09.1906.
- Max Geißler: Führer durch die deutsche Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts, Weimar 1913, Seite 741.
- Wilhelm Poeck: Schundromane, in: Bergische Arbeiterstimme vom 14.04.1916.
- E[mil].W[eidmann].: Anny Wothe †, in: Der Leipziger, Nummer 31, 1919, Seite 692.
- Lucia Hacker: Schreibende Frauen um 1900, Berlin 2007, besonders Seite 116.
- Hans-Otto Binder: Zum Opfern bereit: Kriegsliteratur von Frauen, in: Kriegserfahrungen. Studien zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte des Ersten Weltkrieges. Essen: Klartext (1997) Seiten 107-128.
- "Blicke in die Runde" (ungez.), Neue Bahnen. Organ des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins, Jahrgang 1882, Nummer 17, Seite 132; 1887 Nummer 2, Seite 11 und Nummer 5, Seite 37; 1888 Nummer 5, Seite 38.
- Todesanzeige (aufgegeben von Tochter Helga Hennig), Frau Anny Mahn, geborene Wothe, in: Leipziger Tageblatt vom 31.07.1919.
- Todesanzeige (aufgegeben von ihren Sekretärinnen), Frau Anny Wothe-Mahn, in: Leipziger Neueste Nachrichten vom 31.07.1919.
Autor: Dr. Manfred Leyh, 2017