Zeitschel, Charlotte - Leipziger Frauenporträts
Charlotte Zeitschel (Privatfoto 2010) © Dr. Marion Michel Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Zivilcourage
- Bildung/ Pädagogik
geboren/ gestorben
11. Juli 1926 (Taucha) - 6. Juni 2011 (Leipzig)
Zitat
"Die Gedenkstätte ist ein wichtiges Stück meines Lebens."
Kurzporträt
Nach dem persönlichen Erleben der Grausamkeit des Faschismus und des Krieges trat Charlotte Zeitschel dafür ein, das Andenken an die Opfer zu bewahren und den nachwachsenden Generationen zu vermitteln. Sie sorgte für den Erhalt der Margarete-Blank-Gedenkstätte in Panitzsch und die Errichtung der bundesweit ersten Gedenkstätte für Zwangsarbeiter in Leipzig.
Herkunftsfamilie
- Vater: Oswald Herfurth (1900-1949, Bauarbeiter)
- Mutter: Erna Herfurth (1903-1984, Arbeiterin)
- Geschwister:
- Rolf (1922-1996)
- Oswald (1925, gefallen 12/1944)
Biografie
2001 wurde in Leipzig die erste Gedenkstätte zur Erinnerung an Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Deutschland auf dem Gelände des Umweltforschungszentrums (UFZ) eröffnet. Initiatorin war Charlotte Zeitschel, Vorsitzende des Fördervereins "Dr. Margarete Blank" e. V.
Charlotte hatte eine schöne Kindheit. Sie wuchs in einem NS-Regime-kritischen Elternhaus auf. Ihr Vater musste als "Wehrunwürdiger" in der Hugo Schneider AG (HASAG) zur Herstellung von Panzerfäusten Säure an Zwangsarbeiterinnen ausgeben, von deren Dämpfen sie grüne Haare bekamen. Der Vater trug bei der Arbeit Asbest-Anzüge, die beim Waschen zerfielen. Er starb mit 49 Jahren an "Lebensschwäche". Die Säure hatte nicht nur die Asbestanzüge, sondern auch seine Lunge zerfressen.
Von 1933 bis 1943 besuchte Charlotte die Schule in Taucha. Der Krieg verhinderte die weitere Ausbildung; sie arbeitete als Schwesternhelferin in der Kinderlandverschickung. Das Kriegsende erlebte sie als Krankenschwester in Taucha. Sie berichtete, dass Männer ihre Frauen und neugeborenen Kinder aus Angst vor "den Russen" abholten. Aber die sowjetischen Soldaten standen im Krankenhaus ehrfürchtig vor den Babys und sorgten sich darum, dass die Mütter Brot und die Kinder Milch hatten. In dem Krankenhaus pflegte Charlotte drei schwer traumatisierte Häftlinge, die das Außenlager des KZ Buchenwald in Abtnaundorf überlebt hatten, das die Nazis im April 1945 niederbrannten. Diese Erlebnisse prägten Charlottes späteres Engagement, junge Menschen über die Leiden der Völker durch Faschismus und Krieg aufzuklären, eine lebendige Gedenkkultur zu entwickeln und für die Auseinandersetzung mit rechtsextremen Tendenzen in der Gegenwart zu sensibilisieren. Nach einer kurzen Tätigkeit als Stanzerin in Leipzig meldete sich Charlotte Zeitschel Ende 1945 am Schulwissenschaftlichen Institut in Leipzig an. Das Land brauchte neue Lehrerinnen und Lehrer, die nicht dem NS-Regime gedient hatten. Nach einem achtmonatigen Kurs arbeitete sie als Neulehrerin in Taucha und Leipzig.
Nach der kurzen Ehe mit dem Neulehrer Heinz Zeitschel (1948-1952) zog sie ihre beiden Kinder Wolfgang (1949-2013) und Marion (1951) allein groß. Stationen ihrer beruflichen Entwicklungen bildeten Tätigkeiten in der Jugendhilfe in Leipzig, nach dem Abschluss ihres Lehrerstudiums 1954 in der Volksbildung, von 1959 bis 1974 in der Frauen- und Familienförderung der SED-Kreis- und Bezirksleitung. Ihre Diplomarbeit (1968) befasste sich mit der Benachteiligung von Frauen in Leitungsfunktionen, einem noch immer aktuellen Thema.
Seit 1974 widmete sich Charlotte Zeitschel der Erinnerungsarbeit an die Opfer des NS-Regimes. Von Dr. Gertrud Bobeck übernahm sie die Leitung der Dr. Margarete-Blank-Gedenkstätte in Panitzsch. Sie knüpfte den Kontakt zu Prof. Dr. Siegfried Behrsing, dem Schwager von Dr. Margarete Blank. Daraus ergaben sich wertvolle Hinweise, um die Geschichte dieser mutigen Ärztin weiter zu schreiben. Eine Stiftung von Prof. Dr. Behrsing zur Förderung junger Mediziner wurde mit ihrer Unterstützung 1988 an der Universität Leipzig eingerichtet. Sie pflegte auch intensive Kontakte zu medizinischen und sozialen Einrichtungen, die in der DDR den Namen "Margarete Blank" trugen.
In den 1970er-Jahren fand Charlotte Zeitschel im Stadtarchiv Taucha Dokumente über die Verbrechen der Nazis an Zwangsarbeiterinnen und deren in den Lagern geborenen Kindern. Auf ihre Initiative entstand der bewegende Film "Geboren um zu leben" des FDJ-Filmstudios Zwenkau über das Schicksal der Zwangsarbeiterkinder, wurden Gedenksteine am kleinen Schöppenteich in Taucha sowie Erinnerungstafeln an den Flächendenkmalen der Zwangsarbeiterlager aufgestellt.
Nach 1990 konnte Charlotte Zeitschel die Gedenkstätte in Panitzsch erhalten und den Förderverein "Dr. Margarete Blank" gründen. Begegnungen mit Jugendlichen, mit Verfolgten der NS-Zeit, Freunden und Weggefährten prägten das Leben in der Gedenkstätte. Daraus reifte die Idee, auch eine Gedenkstätte für Zwangsarbeiter in Leipzig zu errichten, um Opfern und ihren Angehörigen einen Ort des Gedenkens zu geben. Mit Unterstützung vieler prominenter Leipziger wie Wolfgang Tiefensee, Friedrich Magirius, Thomas Krakow, Dr. Günter Schmidt, Dr. Volker Rodekamp und des UFZ (Prof. Dr. Peter Fritz, Dr. Jonas) konnte 2001 die erste Gedenkstätte für Zwangsarbeiter in Deutschland an historischem Ort auf dem Gelände des UFZ (der ehemaligen HASAG) eröffnet werden. Charlotte Zeitschel unterhielt Kontakte vom Baikalsee bis Kanada, von Israel bis Polen. Ihre Kontakte reichten vom Bund der Antifaschisten über den Zentralrat der Juden, den Zentralrat der Sinti und Roma, die Gedenkstätten Buchenwald, Ravensbrück und Auschwitz bis hin zu Persönlichkeiten in vielen Ländern der Welt, zu denen sich zum Teil tiefe Freundschaften entwickelten, wie zum Beispiel zu Ruth Elias und Felicitas Karay, ehemaligen Zwangsarbeiterinnen in Taucha, die später in Israel lebten, Maria Kosc, ebenfalls Zwangsarbeiterin, deren Lebensgeschichte Charlotte Zeitschel ins Deutsche übersetzen ließ oder Bedrich Prochaska, dessen Zwangsarbeiter-Tagebücher sie redaktionell bearbeitete.
Neun Jahre leitete Charlotte Zeitschel diese Gedenkstätte, gab Opfern und deren Angehörigen das Gefühl, nicht vergessen zu sein, förderte junge Menschen bei der Auseinandersetzung mit der Geschichte. Besonders eng war sie mit dem Tauchaer Geschwister-Scholl-Gymnasium verbunden, der Schule, an der sie gelernt und gelehrt hatte und an der sie für die Schüler/-innen Geschichte lebendig werden ließ. Charlotte Zeitschel war liebevoll, warmherzig, streitbar, klug, kämpferisch, beharrlich und "die coolste Großmutter der Welt". Sie starb im Juni 2011 in Leipzig.
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig Förderverein "Dr. Margarete Blank" e. V. Permoserstraße 15 , 04318 Leipzig
http://www.ufz.de/gedenkstaette-zwangsarbeit-leipzig/ - Dr.-Margarete-Blank-Gedenkstätte Panitzsch
- Dr.-Margarete-Blank-Straße, 04451 Borsdorf/ Ortsteil Panitzsch
- Förderverein "Dr. Margarete Blank" e.V. Kontakt: Permoserstraße 15, 04318 Leipzig
http://www.ufz.de/margarete-blank-gedenkstaette/index.php?de=11729 - 2004: Empfang beim Bundespräsidenten Johannes Rau
- 2003: Ehrenurkunde der Stadt Leipzig zum Tag des Ehrenamtes
- 2008: Urkunde für verdienstvolle ehrenamtliche Arbeit zur Förderung des sächsischen Museumswesens des Freistaats Sachsen
- 2010: Preis für Kultur des Muldentalkreises
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Zeitschel, Charlotte: Taucha - Widerstand gegen Faschismus und Krieg in einer Kleinstadt. Schriftenreihe zur Geschichtspropaganda des Kreises Leipzig Land. (Taschenbuch) SED-Kreisleitung Leipzig-Land, Kreiskomitee Antifaschistischer Widerstandskämpfer, Leipzig 1987.
- Zeitschel, Charlotte: Das kleine Fräulein Doktor. In: Ich muß mich ganz hingeben können. Frauen in Leipzig. Herausgegeben von Friederun Bodeit, Verlag für die Frau, Leipzig 1990, Seiten 204-216.
- Bedrich Prochaska: Kommt die Arbeit nicht zu dir... Leipzig 2008. Auszüge aus den Tagebüchern eines tschechischen Zwangsarbeiters in Leipzig zwischen 1942 und 1944. Redaktionelle Bearbeitung: Charlotte Zeitschel.
- Zeitschel, Charlotte: Dr. Margarete-Blank-Gedenkstätte Panitzsch, herausgegeben vom Interessenverband ehemaliger Teilnehmer am antifaschistischen Widerstand, Verfolgter des Naziregimes und Hinterbliebener e. V. Leipzig, 1995
Autorin: Marion Michel, 2015