Zuchold, Erika (geborene Barth) - Leipziger Frauenporträts
Erika Zuchold 2013 © Helmut Gerschau Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Sport
- Kunst
geboren/ gestorben
19. März 1947 (Lucka-Breitenhain) - 22. August 2015 (Alto/Paraguay)
Zitat
"Wissen der Erde aufspüren, mit der Erde eins sein und die Impressionen auf meinen Blättern reflektieren, spüren und sprechen zu lassen, das war mein Sinnen."
(Grafikmappe von Erika Zuchold. Gedruckt auf Heidelberger Druckmaschinen anlässlich einer Open-house-Veranstaltung der Niederlassung Leipzig im Oktober 1996, Einlageblatt)
Kurzporträt
Erika Zuchold entwickelte sich über einen Zeitraum von dreizehn Jahren zu einer der erfolgreichsten Turnerinnen aller Zeiten. Nach der Sportkarriere war sie als Kunstpädagogin und Entertainerin tätig, bevor sie in der Bildenden Kunst die ihr gemäßen schöpferischen Ausdrucksmöglichkeiten, Erfüllung und Anerkennung fand.
Biografie
Erika wurde als zweites von fünf Kindern der Familie Barth in Breitenhain geboren. Akrobatisch durch den Vater vorgebildet, mit großem Bewegungsvermögen, kam sie 1959 als 12-jährige Turnelevin an die Kinder- und Jugendsportschule Leipzig und zog 1961 ins Internat. Sie trainierte diszipliniert, zielstrebig, besaß Ehrgeiz und kämpferische Qualitäten, gleichermaßen Empfindsamkeit und Mitgefühl. Mit schneller Auffassungsgabe folgte sie theoretischen Hinweisen, erfasste Bewegungsabläufe und war mit wenigen Versuchen erfolgreich. Den Grundstein des Turnens legte Ursula Gundlach. Geführt und geprägt wurde sie beim Sportclub Leipzig durch Sylvia Hlavacek und Roselore Sonntag, in den entscheidenden zehn Jahren durch Helmut Gerschau. Schönheit und Anmut ihres Turnens waren auch begleitet von Ängsten, Entbehrungen und Verletzungen.
Als Nationalmannschaftsmitglied bestritt sie 1963 erste internationale Wettkämpfe. Sie wuchs zu einer der Leistungsbesten heran und zeigte bei den DDR-Meisterschaften 1964 in Halle/Saale als Erste weltweit den Flick-Flack am Schwebebalken. Damit setzte sie ein Achtungszeichen im Olympiajahr und wurde international bekannt. Siegreich aus den Ausscheidungskämpfen für die gesamtdeutsche Olympiamannschaft 1964 hervorgegangen, erlitt sie wenige Tage vor der Abreise nach Tokio einen Achillessehnenriss - der Traum der 17-Jährigen von Olympia endete niederschmetternd im Krankenhaus. Während der Rehabilitation lernte sie den erfolgreichen Bahnradsportler Dieter Zuchold kennen. Beide heirateten 1966. Der spätere Wunsch des Paares nach Kindern blieb leider unerfüllt. Ihr Ehemann unterstützte uneingeschränkt ihr Bestreben, nach dem Heilungsprozess die leistungssportliche Laufbahn fortzusetzen.
Bei der Weltmeisterschaft in Dortmund 1966 gewann sie als Erika Zuchold ihre erste internationale Medaille, Silber im Sprung. Grazie, Charme und Dynamik prägten ihr Turnen. Sie errang bis zur Beendigung der aktiven Laufbahn 1972 insgesamt 14 DDR-Meistertitel, war siebenfache Medaillengewinnerin bei Europa- und fünffache Medaillengewinnerin bei Weltmeisterschaften. Bei den Welttitelkämpfen 1970 in Ljubljana/Jugoslawien krönte sie ihre Erfolgsreihe mit Gold im Pferdsprung und am Schwebebalken. Zweimal vertrat sie ihr Land bei Olympischen Spielen - 1968 in Mexiko-City und 1972 in München, wo sie vier silberne und eine bronzene Medaille, darunter zwei Mannschaftstitel, errang. Diese außerordentlich beeindruckende turnerische Karriere wurde mit der Aufnahme Erika Zucholds in die "International Gymnastics Hall of Fame" am 20.05.2005 in Oklahoma-City gewürdigt. Sie genoss die Wertschätzung der Leistungen einer DDR-Turnerin inmitten weiterer 44 Weltstars dieser Sportart sehr. Ihre Turnelemente Flick-Flack am Schwebebalken und Handstand-Umspringen am Stufenbarren sind im "Code de pointage" der Internationalen Turn-Föderation FIG dauerhaft festgeschrieben. In ihrer Heimat wurde Erika Zuchold 1970 zur DDR-Sportlerin des Jahres gewählt. Sie war "Verdiente Meisterin des Sports" und erhielt den Vaterländischen Verdienstorden in Gold.
Von 1965-1969 studierte sie am Leipziger Institut für Lehrerbildung/Fachrichtung Sport und Musik und arbeitete nach dem Sport bis 1977 als Unterstufenlehrerin im Hauptfach Kunsterziehung. Extern erwarb sie in den Jahren 1972-1976 an der Universität Leipzig das Diplom als Kunsterzieherin. Ab 1980 war sie für weitere zwei Jahre im Schuldienst. Zwischen beiden Lehrertätigkeiten arbeitete sie am 1977 eröffneten Sportmuseum Leipzig als pädagogisch-wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Sport und Kunst.
In den Jahren nach der sportlichen Karriere war Erika Zuchold eine Suchende. Neugierig und willensstark erarbeitete sie sich neue Ausdrucksmöglichkeiten auf bisher unbekannten Lebensfeldern. Von 1975 bis 1979 absolvierte sie ein Abendstudium der Malerei und Grafik bei Ulrich Hachulla, Hans-Peter Müller und Volker Melchior. Ab 1982 war sie eine beliebte Unterhaltungskünstlerin unter Vertrag der Konzert- und Gastspieldirektion - steppend, tanzend, singend und als Artistin, bis hin zu eigenen, selbst moderierten Programmen.
Zusätzliche Fertigkeiten zu ihrer Turnkunst erwarb sie durch Gesangs-, Instrumental- und Tanzstudien, so bei Sommertanzkursen der Palucca-Schule Dresden und der Staatlichen Ballettschule Berlin. Seit 1977 stellte sie bei nationalen und internationalen Gruppenausstellungen aus ihrem wachsenden bildkünstlerischen Werk aus, mehrfach in Personalausstellungen.
Nach den gesellschaftlichen Verwerfungen durch die Wende standen Existenzfragen vor Erika Zuchold. Sie suchte nach einer neuen Basis. Von 1990 bis 1993 wandte sie sich am Institut für Literatur "Johannes R. Becher" bei Peter Gosse der Lyrik als Ausdrucksform zu, besonders dem japanischen Haiku. Das Fernstudium schloss sie mit dem "Diplom für kreatives Schreiben" ab. Stärker waren jedoch die Sehnsucht nach der Bildenden Kunst und dem Atelier, welches ihr Mann für sie eingerichtet hatte. Schöpferisch setzte sie sich als freischaffende Künstlerin in einer Vielzahl von Formen und Techniken mit dem Leben und der Natur, deren Schönheiten und Widersprüchen, mit seelischen und existenziellen Bedrohungen auseinander. Sie arbeitete mit Materialien wie Holz, Ton und Stein. Während ihrer Studienreisen nach Tamaracouta/Kanada zu Prof. Friedhelm Lach 1993, 1996 und 2000 erlebte sie ein ersehntes und tiefempfundenes Eins-Sein mit der Natur, empfing intensive künstlerische Inspirationen und kam mit einem umfangreichen Werk zurück. Als Künstlerin, die ehemals schon als Sportlerin bekannt und berühmt war, erhielt sie 1996 in Anwesenheit des IOC-Präsidenten den Preis "La Paixa" auf der VI. Biennale Esportistes en l'Art Barcelona, weitere Preise 1998 und 2000.
2014 starb ihr Ehemann. Danach blieb ihr wenig Widerstandskraft gegenüber einer erneuten Erkrankung und den Anforderungen des Alltags. Ihre letzte Ausstellung - akribisch vorbereitet wie alle vorherigen - war 2015 in Leuna. Erika startete im Juni 2015 den Versuch, in Südamerika in der Nähe der Mutter und einer ihrer Schwestern Kräfte für ein neues Leben zu sammeln. Dort starb sie zwei Monate später.
Werke
- Werke der Bildenden Kunst im öffentlichen Raum in Leipzig, Rötha, Freyburg/U., Burg Posterstein, IOC Lausanne/Schweiz, Barcelona/Spanien.
- Werke der Bildenden Kunst in Privatbesitz: Deutschland, Schweiz, Österreich, Spanien, Kanada.
- "Sonnenstein" auf dem "Weg der Steine" an der Mulde zwischen Grimma/Förstgen.
- Lyrik: "Wildgänse ziehen" (1994), "Das Netz der Spinne" (1995), "Ich mag das Leben" (1998). Haiku und Senryu. Selbstverlag.
- Film "Achillesferse" 1978. Beratung bei Drehbuch, Rolle als Mannschaftsleiterin.
Adressen in Leipzig
- Johannisplatz
- An der Märchenwiese
- circa 1968-2015: Kolmstraße 82
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- Die Leipziger Talentschule des Turn- und Gymnastikclubs trägt seit 2006 den Namen "Erika Zuchold", kurz vor ihrer Ausreise nach Paraguay 2015 übergab Erika Zuchold der Einrichtung zwei Selbstporträts.
- 60 in der Objektdatenbank des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig enthaltene Objekte, weitere dokumentierte Objekte im Sammlungsbestand Sportmuseum Leipzig
- Die Dauerausstellung des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig "Moderne Zeiten", Altes Rathaus, erinnert seit 2016 im Ausstellungsteil "Sportstadt Leipzig" mit einem Objekt an Erika Zuchold.
- Zucholdweg in 04319 Leipzig-Engelsdorf ab 2018
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Kluge, Volker: Das große Lexikon der DDR-Sportler: Die 1000 erfolgreichsten und populärsten Sportlerinnen und Sportler aus der DDR, ihre Erfolge, Medaillen und
Biographien. Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin, 2000. - Witt, Günter: Erika Zuchold - Bestnoten für eine Turnerin und Künstlerin. In: Sportmuseum aktuell. Leipzig 7(1999)2. Seiten 23-25.
- Leipziger Bürgerporträts, Band II, 1995. Herausgeber B. Görne, Edition Bürgerporträts Leipzig.
- Grafikmappe von Erika Zuchold. Gedruckt auf Heidelberger Druckmaschinen anlässlich der Open-house-days der Niederlassung Leipzig 2002 [Deutsches Turnfest Leipzig 2002].
- Grafikmappe von Erika Zuchold. Gedruckt auf Heidelberger Druckmaschinen anlässlich einer Open-house-Veranstaltung der Niederlassung Leipzig im Oktober 1996.
- http://erika-zuchold.de/ [Zugriff am 03.11.2015];
- http://museum.zib.de/sgml_internet/.../ [Zugriff am 26.10.2015];
- http://www.clubcarriere.com/clubcarriere/.../ [Zugriff am 03.11.2015].
Autorin: Dr. Ingeburg Zeidler, 2015 (aktualisiert 2018)