Beate Ehms
Mein Weg in den Leipziger Stadtrat
Politik interessiert mich - allerdings gebe ich zu, ich hatte wenig Ahnung von Kommunalpolitik; ich verfolgte Politik im Ganzen: Bundesebene, Landesebene, vor allem Frauen- und Gleichstellungspolitik. In diesem Themenfeld bin ich schon seit vielen Jahren engagiert. Als eine Verfechterin der Quote, die in meiner Partei DIE LINKE die paritätische Besetzung der Wahllisten mit Frauen und Männern regelt, habe ich für ein politisches Mandat kandidiert, allerdings war das erst einmal kein aussichtsreicher Listenplatz, die Chance auf ein Stadtratsmandat bestand eigentlich nur theoretisch.
Wirklich vorgenommen hatte ich mir das also nicht. Der Impuls kam letztlich von außen. Schon vor einigen Jahren hatte mich mal eine Genossin angesprochen, selbst langjährige Stadträtin, ob ich nicht für den Stadtrat kandidieren möchte. Damals ließ meine persönliche Situation dafür keinen Raum. 2013 sprach mich wieder ein Genosse direkt an: "Der Wahlkreis Ost, wo du wohnst, da sind wir etwas schwachbrüstig aufgestellt, hast du nicht Lust zu kandidieren?".
Grundsätzlich bin ich nicht der Mensch, der gleich von Anfang an sagt: "Ja, her mit neuen Aufgaben ...", und so habe ich ein Weilchen überlegt - wie viele Frauen vielleicht: Kann ich das? Schaff´ ich das? Wie ist das zeitlich? Was meint die Familie? Ich habe mir dann gesagt, es ist ja erst mal nur die Liste, einfach mal weiter sehen ... Mir war klar, dass es bedeutete, mehr Wahlkampf zu machen und stärker politische Inhalte und Positionen in der Öffentlichkeit zu präsentieren; dass es gleich das Stadtratsmandat wird, habe ich nicht gedacht.
Letztlich haben die Nachwahlen zum Leipziger Stadtrat im Wahlkreis 9 für ein verändertes Wahlverhältnis gesorgt, DIE LINKE erhielt einen weiteren Sitz und ich war die nächste auf der Wahlliste. Als der Anruf aus dem Rathaus kam, in dem ich über die neue Situation informiert wurde (...), da war ich total von den Socken ... Aber ja, ich hatte mich aufstellen lassen und so habe ich dieses Ehrenamt übernommen.
Herausforderung Kommunalpolitik
Kommunalpolitik sind die Entscheidungen, die die Bürgerinnen und Bürger einer Stadt für sich selbst treffen und die nicht von anderen Ebenen geregelt werden. Es gibt aus meiner Sicht drei Säulen in der kommunalen Arbeit: Einmal meine Tätigkeit als gleichstellungspolitische Sprecherin der Fraktion, thematisch also Gleichstellung, Feminismus, Queer, dann zum zweiten die Ausschussarbeit und dann natürlich die Wahlkreisarbeit. Das Schöne und Spannende dabei: Ich muss mich nur aufs Fahrrad schwingen und kann mir die Dinge direkt vor Ort ansehen. Zum Beispiel, wenn eine Petition zu einem Sachverhalt kommt, Fassaden- oder Parkgestaltung, dann nehme ich am Wochenende das Rad und sehe mir das einmal vor Ort an. Das macht Kommunalpolitik konkret und begreifbar ... Oder ein Kollege erzählt über die Situation in der Schule seiner Kinder, die dortigen Bedarfe - das ist konkret wie das Leben. Hier kann ich Themen aufgreifen und gemeinsam mit anderen Lösungen vorantreiben.
Neben der Wahlkreisarbeit gibt es die parlamentarische Arbeit; unter anderem arbeite ich im Petitionsausschuss. Das ist besonders, denn es ist ein kleiner Ausschuss - jeweils nur eine Vertreter/-in pro Fraktion - und wir haben die gesamte thematische Bandbreite: Beispielsweise schreibt eine Schule: "Wir benötigen hier einen zweiten Sozialarbeiter!" oder eine Bürgerin meldet sich: "Der Schönauer Park muss saniert werden, hier gibt es keine Spielgeräte!" oder ein Bürger beschwert sich: "Die Straßenmusik in der Petersstraße ist schlecht und wieder zu laut. Der Stadtrat sollte doch mal die Satzung dazu ändern!". So erfahren wir Stadträt/-innen ganz direkt, was die Leute in der Stadt bewegt. Bürgerinnen und Bürger können ja keine Anträge stellen, die schreiben dann an die Fraktion(en). Sie können aber eine Einwohneranfrage stellen oder sie wenden sie sich an den Petitionsausschuss.
Bei all dem ist Kommunalpolitik natürlich auch herausfordernd. Kommunalpolitik ist ein Ehrenamt. Grundsätzlich ist das richtig; man will ja schließlich keine Berufspolitiker/-innen, die nur in ihrer eigenen Blase schwimmen. Aber das ist eben auch die Herausforderung - zeitlich und persönlich.
Was sollte eine Stadträtin mitbringen?
Mein Tipp für Frauen, die sich überlegen, in die Kommunalpolitik zu gehen? - Es zu tun! Vielleicht nicht gleich mit einem "Halbtagsjob" im Stadtrat, aber zum Beispiel mit einer Zwischenebene, im Ortschaftsrat oder Stadtbezirksbeirat. Da ist schon viel zu bewirken. Es gibt aber auch so viele Nachbarschaftsorganisationen, Initiativen, wo man sich einbringen kann. Sich mit Gleichgesinnten treffen, sich einmischen, aktiv werden - dafür ist im Übrigen auch eine Parteimitgliedschaft nicht Bedingung.
Als ich mit Kommunalpolitik anfing, habe ich begonnen, mich viel stärker für das Lokale zu interessieren. Seitdem fahre ich mit ganz anderen Augen durch Leipzig. Es hat bei mir ein stärkeres Verantwortungsbewusstsein geschaffen. Jetzt ist es eben auch meine Stimme, die darüber entscheidet, wie sich Dinge in Leipzig entwickeln - das ist toll. Ich habe die Macht, die Möglichkeit, zu gestalten - nicht allein, aber im Diskurs mit den 69 anderen Stadträt/-innen und dem Oberbürgermeister. Inzwischen überlege ich viel intensiver, bevor ich mich zu einer Sache positioniere, wäge ab: Ist das, was mir zuerst in den Kopf schießt, wirklich das Beste? Welche Interessen sollten berücksichtigt werden, um zu einer guten Lösung zu kommen?
Daher sind aus meiner Sicht folgende Eigenschaften wichtig: einen langen Atem haben, ausdauernd sein, sich den Spaß an der Politik nicht nehmen lassen ... Politik soll Freude machen! Aber sich auch nicht aufopfern, sondern auf eigene Freiräume achten, in Balance bleiben: Sonst bist du nur in deiner Politikblase und redest dann schon so wie eine Vorlage aussieht. Und vor allem kann ich Kraft schöpfen.
Unterstützungsmechanismen
Unterstützung (...) einfordern! Mensch muss hartnäckig nachfragen, sich nicht scheuen nachzuhaken und nicht denken, ach, das müsste ich wissen. Auch sollte mensch sich nicht aufbürden, alles allein erarbeiten zu wollen. Manchmal habe ich die Schwäche, die Anderen durch mein Fragen nicht stören zu wollen. Dann denke ich: "Das schlage ich zu Hause nach, lese es abends im Bett - nein, schön doof! Dafür habe ich nämlich keine Zeit. Es gibt einfach Leute, die es wissen und die es auch gern erklären. Also: immer auf die Erfahrungen der anderen zurückgreifen! Und sich nicht scheuen, um Hilfe und Unterstützung zu bitten.
Es ist ein stetiger Prozess in der Kommunalpolitik, irgendwann ist alles das erste Mal: Du formulierst die erste Anfrage, du hältst deine erste Rede. Dann steht ein Thema auf der Agenda, bei dem das eigene Fachwissen gefragt ist, die Fraktion (...) bittet, sich die Unterlagen anzusehen und einen Standpunkt zu erarbeiten ... Ich wachse also peu à peu rein, ich erlebe die Mechanismen, die Abläufe und suche für meine Anliegen Mehrheiten.
Für dieses Hineinwachsen ist natürlich die Unterstützung der anderen Fraktionsmitglieder vonnöten. Das ist nicht allein zu schaffen. Einzelkämpferin darf frau nicht sein. Gebraucht wird eine gut funktionierende Geschäftsstelle, die vertraut ist mit dem Procedere, den verwaltungstechnischen Vorgaben, handelnde Personen kennt und einen mit anderen Menschen bekannt macht, Tipps und Kniffe weitergibt. Im politischen Raum braucht es die Ratgeberinnen - bei mir zum Beispiel Die feministische Frauenorganisation der Partei, LISA. Viele Dinge, die ich aus frauenpolitischer Perspektive mit ihnen bespreche, zum Beispiel Sexismus in der Werbung als Thema, zu denen ich mir den Rat der anderen einhole und erst einmal sondiere, welche Meinungen und Perspektiven es dazu gibt, welche Haltung wir dazu einnehmen wollen.
Das ist die politische Ebene, wichtig sind jedoch auch die Familie, Freund/-innen, das persönliche Netzwerk, die unterstützen. Die Familie muss das Engagement mindestens tolerieren: Mama kommt spät wie immer, wisst ihr ja, das darf nicht in einen Vorwurf münden, sondern muss auch die Komponente von Stolz aufweisen. Stolz, dass die Mama sich für die Stadt engagiert, für andere und ihre Anliegen eintritt.
Fit gemacht habe ich mich für das Ehrenamt auch durch Weiterbildungen, die eine parteinahe Organisation anbietet. Hier erhalte ich ein Input, treffe aber auch auf Gleichgesinnte und nutze den Erfahrungsaustausch.
Für meine Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied stellt die Leipziger Beratungsgesellschaft regelmäßige Schulungen zur Verfügung.
Drei Gründe für ein kommunalpolitisches Engagement
Über das Ehrenamt als Stadträtin bin ich dazu gekommen, über grundlegende politische Mechanismen konkreter nachzudenken. Heute schätze ich Konsens und Kompromiss viel mehr als vor meiner Arbeit als Stadträtin. Ein guter Kompromiss ist eine Lösung, bei der sich alle wieder finden und jeder sich gut fühlen kann, keiner übervorteilt wurde. Schön, wenn es gelingt, aufeinander zuzugehen.
Ein anderer Grund für kommunalpolitisches Engagement: Es macht Freude, Probleme zu lösen und Menschen zu unterstützen oder zu helfen. Das eine ist, wenn ich mich über ein erfolgreiches Projekt freue. Wenn Menschen sich dann auch noch bedanken für den geleisteten Einsatz, dann ist das natürlich das Sahnehäubchen.
Und natürlich zum dritten die Chance, mitzugestalten. Ein Anliegen kommt auf die Agenda, wird analysiert, dann wird geschaut, welche Möglichkeiten es gibt es und dann, welche Ansätze durchsetzbar sind. Gelingt dann eine Lösung, ja dann ist das natürlich ziemlich perfekt...
Kurzportrait
persönlich: Beate Ehms, Jahrgang 1965, Juristin, 3 Kinder
parteipolitisch: Linksfraktion im Leipziger Stadtrat, gleichstellungspolitische Sprecherin der Fraktion, Mitglied in der Partei Die LINKE, Mitglied in der Frauenorganisation LISA
kommunal: Stadträtin seit 2015, Wahlkreis 2 (Ost); Ausschussmitglied FA Allgemeine Verwaltung, Grundstücksverkehrsausschuss, Petitionsausschuss, Mitglied im Beirat für Gleichstellung, im Aufsichtsrat Lecos GmbH, im Stiftungsrat der Leipzigstiftung
engagiert: ver.di, Terre des Femmes, Mehr Demokratie e. V.