Schumann, Anna - Frauen in der Leipziger Politik
geboren/ gestorben
15. Juli 1875 (Delitzsch) - 23. August 1935 (Waldheimer Stadtkrankenhaus)
Ausbildung
Anna Schumann besuchte in Delitzsch die Volksschule mit gutem Erfolg, aber aufgrund der finanziellen Notlage der Familie ohne Aussicht auf den Besuch einer weiterführenden Schule.
Gesellschaftliches Engagement
Sie arbeitete als Zeitungsausträgerin der Leipziger Volkszeitung in Lindenau. Sie trat zudem der Transportarbeitergewerkschaft bei und warb unter den Zeitungsausträgerinnen für den Eintritt in die Gewerkschaft und den Kampf um höhere Löhne.
Partei
SPD, USPD, KPD
Rolle im Stadtrat
Anna Schumann stellte mehrere Anträge zur Lernmittelfreiheit und setzte sich für Schülerspeisung und die Bekleidung bedürftiger Schüler ein.
Sie gehörte zum linken Flügel der USPD und ab 1922 zur KPD. Sie war die aktivste Rednerin der KPD-Fraktion.
Sie trat für die Gleichberechtigung der Frau ein und verstand darunter vor allem den Kampf gegen die Ausbeutung der Frau in der kapitalistischen Gesellschaft. Insbesondere prangerte sie die ungleiche Entlohnung der Frauen an, die sich bei beschäftigten Frauen zeigte, aber auch bei niedrigeren Sätzen für Frauen, die Erwerbslosenfürsorge erhielten. Immer wieder forderte sie eine bessere Kleinkind- und Schülerfürsorge. Um sozialpolitische Forderungen der KPD ins öffentliche Bewusstsein zu rücken, stellte sie viele Anträge nicht, wie es der Verfahrensgang eigentlich vorsah, in den jeweiligen Ausschüssen, sondern direkt in den Stadtverordnetendebatten, was von sozialdemokratischer und bürgerlicher Seite wiederholt kritisiert wurde.
Porträt
Anna Schumann (geborene Plath) wurde am 15. Juli 1875 in Delitzsch als zweite Tochter des Tabakarbeiters Georg Plath und der Mutter Anna Plath geboren. Ihre Eltern bekamen insgesamt neun Kinder, von denen vier aber an Tuberkulose starben. Vater und Mutter waren sozialistisch eingestellt, Georg Plath war SPD-Mitglied. Nachdem der Vater früh gestorben war, suchte die Mutter die Familie mit Zigarrenherstellung in Heimarbeit zu ernähren. Anna Plath besuchte in Delitzsch die Volksschule mit gutem Erfolg, aber aufgrund der finanziellen Notlage der Familie ohne Aussicht auf den Besuch einer weiterführenden Schule. Sie arbeitete vielmehr nach der Beendigung der Volksschule als Dienstmädchen. Unmittelbar nachdem sie im September 1895 den ebenfalls aus Delitzsch gebürtigen Glasergehilfen Emil Schumann geheiratet hatte, zog das Paar nach Leipzig. In Leipzig bekam Anna Schumann elf Kinder, darunter war eine Totgeburt, drei weitere starben in den ersten Lebensjahren. Nach der Geburt des fünften Kindes musste sie wegen eines Kindbettfiebers für acht Wochen ins Krankenhaus St. Georg. Da ihr Mann oft arbeitslos war, musste Anna Schumann mit Waschen und Putzen Geld hinzuverdienen, um die Familie ernähren zu können.
Emil Schumann war seit 1891 SPD-Mitglied und auch Anna Schumann trat im Jahr 1897 der SPD bei. Nachdem sie bei der Firma Tittel & Krüger zu arbeiten begonnen hatte, nahm sie auch an sozialdemokratischen Funktionärsschulungen für Frauen teil. Da die Arbeit in der Wollgarnfabrik Tittel & Krüger mit der Versorgung der Familie nur schlecht vereinbar war, begann sie, als Zeitungsausträgerin der Leipziger Volkszeitung in Lindenau zu arbeiten. Sie trat zudem der Transportarbeitergewerkschaft bei und warb unter den Zeitungsausträgerinnen für den Eintritt in die Gewerkschaft und den Kampf um höhere Löhne. Die Kinder nahmen in der Schule nicht am Religionsunterricht teil, weshalb Anna Schumann scharfe Auseinandersetzungen mit den Lehrern und dem Pfarrer hatte.
Mit Ausbruch des 1. Weltkrieges gehörte sie in der SPD zur Minderheit der konsequenten Kriegsgegner und verteilte Flugblätter, die für die Beendigung des Krieges warben. 1917 trat sie mit der Mehrzahl der Leipziger Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten zur USPD über und kandidierte für sie bei den ersten allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Gemeindewahlen am 26. Januar 1919. Als eine der zehn ersten weiblichen Stadtverordneten in Leipzig wirkte sie zu Beginn im Verkehrsausschuss, vor allem aber in verschiedenen Schulausschüssen. Dort stellte sie mehrere Anträge zur Lernmittelfreiheit und setzte sich für Schülerspeisung und die Bekleidung bedürftiger Schüler ein.
Anna Schumann gehörte zum linken Flügel der USPD. 1921 trat sie aus der evangelischen Kirche aus. Im Jahr 1922 trat sie der KPD bei; von 1926 bis 1929 war sie zudem Mitglied der Internationalen Arbeiterhilfe (IAH). In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre arbeitete sie in den Ausschüssen für Gesundheitspflege, Jugendfürsorge und Wohlfahrt mit. Im Stadtverordnetenkollegium war sie in den 1920er Jahren die aktivste Rednerin der KPD-Fraktion. Sie trat für die Gleichberechtigung der Frau ein und verstand darunter vor allem den Kampf gegen die Ausbeutung der Frau in der kapitalistischen Gesellschaft. Insbesondere prangerte sie die ungleiche Entlohnung der Frauen an, die sich bei beschäftigten Frauen zeigte, aber auch bei niedrigeren Sätzen für Frauen, die Erwerbslosenfürsorge erhielten. Immer wieder forderte sie eine bessere Kleinkind- und Schülerfürsorge. Sie lehnte Schulspeisung als Wohltätigkeit gegenüber den Kindern ab und sah es vielmehr als Pflicht der Stadt an, sich um das Kindeswohl zu bemühen. Sie setzte sich auch dafür ein, dass die Unterstützungen für Empfänger städtischer Fürsorge erhöht werden und forderte einen respektvolleren Umgang mit den in den städtischen Pfleghäusern untergebrachten alten Menschen. Sie begründete faktenreich ihre ganz auf der KPD-Linie liegenden Anträge zur Bekämpfung des Kinderelends durch Einführung von kostenloser Schulspeisung, Lernmittelfreiheit, kostenloser ärztlicher und zahnärztlicher Untersuchungen für Schul- und Vorschulkinder sowie Ausstattung schulentlassener Kinder mit Kleidung. Um sozialpolitische Forderungen der KPD ins öffentliche Bewusstsein zu rücken, stellte sie viele Anträge nicht, wie es der Verfahrensgang eigentlich vorsah, in den jeweiligen Ausschüssen, sondern direkt in den Stadtverordnetendebatten, was von sozialdemokratischer und bürgerlicher Seite wiederholt kritisiert wurde. Ein zentrales Anliegen, das bereits durch die Konflikte um den Religionsunterrichts ihrer Kinder vorgeprägt wurde, war ihr die Bekämpfung privater, vor allem konfessioneller Wohlfahrtseinrichtungen, die durch weltanschaulich neutrale, städtische Einrichtungen ersetzt werden sollten. Sie lag damit auf einer Linie mit den sozialdemokratischen Forderungen in Leipzig, die ebenfalls eine politische und religiöse Beeinflussung durch diese Einrichtungen und ihre großzügige Alimentierung mit städtischen Mitteln monierten. Zudem trat sie gegen den Paragraphen 218 auf und forderte die Möglichkeit einer Schwangerschaftsunterbrechung, wenn die angehende Mutter nicht in der Lage sein sollte, für das Kind angemessen zu sorgen.
1928 geriet sie in die innerparteilichen Auseinandersetzungen, folgte wie der langjährige Fraktionsvorsitzende der KPD im Stadtverordnetenkollegium Arthur Lieberasch nicht dem ultralinken Kurs der neuen Parteiführung und lehnte auch die Sozialfaschismusthese ab. Dafür wurde sie am 30. Januar 1929 aus der KPD ausgeschlossen. Im Stadtverordnetenkollegium bildete sie zusammen mit den Stadtverordneten Arthur Lieberasch, Otto Schenker, Moritz Kästner, Rudolf Koch und Klara Winter im Januar 1929 die Fraktion der KPO.
Anna Schumann schied nach den Stadtverordnetenwahlen im November 1929 aus dem Stadtparlament aus. Zwar stand sie auf Platz 3 der Wahlliste der KPO, es gelang der KPO bei den Wahlen in Leipzig aber lediglich einen Kandidaten durchzubringen.
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933 verließ sie Leipzig nicht, sondern unterstützte, wenn auch nicht sehr aktiv, den organisatorischen Wiederaufbau der KPO in Leipzig, der insbesondere von ihrem Bruder Franz Plath maßgeblich vorangetrieben wurde. Sie zahlte so seit dem Sommer 1933 Mitgliedsbeitrag für die illegale KPO, erwarb mehrere Ausgaben der illegalen KPO-Druckschrift Einheit, half bei der Verwahrung von KPO-Parteigeldern und nahm auch an einer Organisationssitzung teil. Nach der Aufdeckung der illegalen KPO-Strukturen wurde sie am 19. Mai 1934 von der Gestapo verhaftet und bis zum 26. Juni 1934 in "Schutzhaft" genommen. Am 31.12.1934 kam sie in Untersuchungshaft und wurde zusammen mit ihrem Bruder Franz Plath, ihrer Tochter Martha Petersson und 29 weiteren Personen des Netzwerkes wegen Vorbereitung zum Hochverrat angeklagt. Das Oberlandesgericht Dresden verurteilte sie am 6. Juli 1935 zu 2 Jahren und 4 Monaten Zuchthaus, wobei sieben Monate Untersuchungshaft angerechnet wurden. Sie hatte ihre Untersuchungshaft im Zuchthaus Bautzen verbracht und wurde am 25. Juli 1935 in die Landesstrafanstalt Waldheim überführt. Bei Haftantritt in Waldheim war sie sehr schwächlich. Zwar hatte der Dresdner Gerichtsarzt sie bei der Einweisungsuntersuchung nach Waldheim als "gesund, arbeitstüchtig und transportfähig" eingestuft, zugleich aber den Verdacht geäußert, sie könne unter einem Magen- und Darmkarzinom leiden. Tatsächlich wurde sie nach ihrem Eintreffen wegen Magenbeschwerden sofort im Anstaltskrankenhaus aufgenommen. Auf eigenen Wunsch wurde sie versuchsweise in eine normale Zelle gebracht, aber schon nach fünf Tagen wieder in den Krankentrakt aufgenommen. Nachdem sich ihr Zustand zusehends verschlechterte, beantragte der behandelnde Arzt am 19. August ihre umgehende Überführung ins Stadtkrankenhaus Waldheim, die am Morgen des 20. August erfolgte. Der Dresdner Generalstaatsanwalt genehmigte noch am gleichen Morgen die Überführung und die Haftaussetzung. Am 23. August 1935 starb Anna Schumann im Waldheimer Stadtkrankenhaus vermutlich an fortgeschrittenem metastasierendem Magenkrebs.
Anna Schumanns Schicksal wurde nach 1945 von KPD und SED als beispielgebend hingestellt, wobei die belegbaren Quellen nach Gutdünken zurechtgebogen wurden. Sie wurde als das Exempel einer führenden, stets vorbildlichen revolutionären Kommunistin in Leipzig hingestellt, die von der unbarmherzigen Klassenjustiz verfolgt und von nationalsozialistischen Folterknechten misshandelt und zu Tode gebracht wurde. Ihr Ausschluss aus der KPD 1929 wurde verschwiegen, dafür wurde sie zur "Leiterin der Volkszeitungs-Filiale in Leipzig-Lindenau" vor dem Ersten Weltkrieg erklärt. Auch dass sie nicht für die KPD, sondern für die KPO illegal tätig war, kam nicht zur Sprache.
Nun hatte sie ohne Zweifel unter dem Unrechts- und Terrorregime des NS-Staates zu leiden und die Haftbedingungen während der Untersuchungshaft in Bautzen beschleunigten wahrscheinlich das Fortschreiten der Krankheit. Trotzdem waren Kommunisten und Staatssozialisten nur zu gern bereit, die von den Kindern Anna Schumanns auch mit Blick auf die Anerkennung als Opfer des Faschismus entworfene Legende zu kolportieren und weiter auszuschmücken. Auf diese Weise wurden alle im NS-Regime tätigen zu gefühllosen Monstern stilisiert, die den Tod von Regimegegnern nachdrücklich beförderten. Anna Schumann starb aber nicht "an den Folgen der während der Vernehmungen erlittenen Mißhandlungen", der Anstaltsarzt verweigerte ihr auch nicht "jegliche ärztliche Hilfe und Medikamente mit der Begründung [...], daß sie beim Lesen der kommunistischen Literatur ja auch nicht krank gewesen sei." Sie wurde, wie dargestellt, vielmehr sofort in das Anstaltskrankenhaus im Zuchthaus Waldheim aufgenommen und versorgt. Der Vorstand der Anstalt, "dessen Mitglieder der Nazipartei angehörten" und die "natürlich kein Interesse am Leben einer deutschen Antifaschistin" hatten, verzögerte auch nicht die vom zuständigen Gefängnisarzt beantragte Verlegung ins städtische Krankenhaus, wie Regina Alwardt in einer Diplomarbeit der pädagogischen Hochschule Leipzig noch 1980 schrieb. Die von ihr genutzten Akten zeigen genau das Gegenteil. Die Überweisung erfolgte unverzüglich und wurde im Nachhinein sogar vom Dresdner Generalstaatsanwalt gebilligt. Der zuständige Anstaltsarzt sorgte zudem dafür, dass die ebenfalls im Zuchthaus Waldheim befindliche Tochter ihre Mutter besuchen durfte. Anna Schumann selbst hatte er "aus menschlichen Gründen" nicht "über die Schwere ihres Leidens" aufgeklärt; nur ihre Tochter hatte er vor der Verlegung ins Stadtkrankenhaus auf ihren kritischen Zustand hingewiesen. Diese Fakten passten aber nicht in die vom SED-Regime gewünschte plakative Inszenierung der vorbildlichen kommunistischen Kämpferin. Das änderte aber nichts an der Lebensleistung von Anna Schumann, die sich Zeit ihres Lebens stets treu geblieben ist und Fehlentwicklungen kompromisslos kritisierte, egal ob sie das NS-Terrorregime nach 1933 oder die fatale Politik der KPD Ende der 1920er Jahren betrafen.
Thomas Höpel, 2018
Quellen
Literatur
- "Anna Schumann", in: Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED (Herausgeber), Deutsche Widerstandskämpfer 1933-1945. Biographien und Briefe, Band 2, Berlin (Ost) 1970, Seite 555.
Archive
- Sächsisches Staatsarchiv Leipzig, 20031, PP-M 2816, (F 9454, Seite 390).
- Sächsisches Staatsarchiv, StA-L, 20036, Zuchthaus Waldheim, Nummer 2299.
- Sächsisches Staatsarchiv, StA-L, 20036, Zuchthaus Waldheim, Nummer 10286, Seite 1-59: Urteil in der Strafsache gegen Franz Plath und Genossen, OLG Dresden 6. Juli 1935.
- Sächsisches Staatsarchiv Leipzig, , 20237, Bezirkstag und Rat des Bezirkes, Nummer 14739.
- Sächsisches Staatsarchiv, StA-L, Sammlung Biografien, Nummer 902.
- Stadtarchiv Leipzig, Kapitel 7, Nummer 1, Band 13, Blatt 1
- Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, I 01344 "Leipziger Antifaschisten".
Gedruckte Quellen
- Die Verwaltung der Stadt Leipzig 1922, Seite 24, 28.
- Handbuch. Die Verwaltung der Stadt Leipzig 1929/30, Seite 35, 41, 58, 94.
- Leipziger Volkszeitung, Nr. 208, 8. September 1948, Seite 2: "Leipziger Frauen als Widerstandskämpferinnen".
- Verhandlungen der Stadtverordneten zu Leipzig im Jahre 1921-1925, 1927-1929.
- Volkszeitung. Organ der KPD, Bezirk Sachsen, Nummer 19. Leipzig, 23. August 1945, Seite 4: "Gedenken an Anna Schumann".